RSS
 

Posts Tagged ‘Blickfang’

Blickfang: 1990, Asunción, Paraguay

11 Apr

Wenn ich entscheiden muss, welches Bild ich blickfangen will, zucke ich bei bestimmten Fotobänden aus Angst, dem Fotografen nicht gerecht zu werden, empfindlich zurück. „The Suffering Of Light“* von Alex Webb ist so ein Buch. Ich schiebe es also wieder zurück und zupfe die nächsten Bücher aus meinem Regal.

Doch jetzt überwinde ich mich, spaziere mit den Fingern zurück und greife mir das Prachtwerk noch einmal heraus. Lege es behutsam auf meinen Schreibtisch, ziehe den Stuhl heran und beuge mich über den Bildband. Ich beginne, zu blättern und bin von einer Sekunde auf die nächste abgetaucht. Doch kaum bin ich über die ersten zwanzig Bilder hinweggeflogen, stelle ich nachdenklich fest, warum ich eigentlich so viel Respekt habe. Es gibt fast kein Foto, das mich nicht beeindruckt.

Alex Webb hat einen derart spannenden Stil, dass er an kompositorischer Dichte kaum zu überbieten ist. Jedes Bild birgt ein Geheimnis, trieft nur so von Farbe und bietet sich an, im Blickfang vorgestellt zu werden. Doch Sinn und Zweck des Blickfangs ist nun einmal, nur ein einziges Bild zu zeigen. Verdammt. Ich komme nicht drum herum.

Was also tun? Ich muss wohl das nächste Bild auswählen, das mich anspricht und Frage widerstehen, ob es nicht noch hundert weitere Bilder gibt, die viel besser sind. Ich habe es schnell gefunden.

Ein Mann mit Hut schaut in die Kamera. Straßenfotografie von Alex Webb

Auf den ersten Blick sehe ich einen Mann mit Hut. Hangle mich dann entlang der Metallspitzen zum Ende der Mauer, erblicke die Nasenspitze einer Frau, doch das klare Gesicht des Protagonisten zieht meine Augen wieder zurück. Hier geblieben, Freundchen! Dann schweife ich wieder ab und erspähe jemanden auf dem Boden. Beine übereinandergeschlagen, vom Dreck umgeben. Und dann wird mir erst klar: Ein Großteil des Bildes ist schwarz.

„Die Sonne muss tief gestanden haben, als Du dieses Bild gemacht hast“, spreche ich innerlich zu Alex. Ja, ich habe diese (für andere) seltsame Angewohnheit, mich mit Menschen in Bildern (oder denen, die sie machen) zu unterhalten. Es ist meine Art, mit Gesehenem umzugehen, es zu reflektieren und – nein, ich habe nicht vor, das zu ändern.

„Das hast Du gut getroffen. Ich beneide Dich um Dein gutes Auge.“ Die warmen Farben mag ich sehr, wenngleich sie auch nur angedeutet sind. Der tiefe Stand der Sonne hüllt alles in ein warmes Gold und der gelbe Hut des Paraguayers sticht fröhlich heraus. Jetzt merke ich, dass ich aufpassen muss. Nicht zu viel hinein zu interpretieren in ein Bild, von dem ich nicht weiß, was Alex sich gedacht hat. Doch ein Weilchen bleibe ich noch.

„In Deinem Rücken muss die Sonne gestanden haben. Hättest wohl um ein Haar Deinen Schatten im Bild gehabt, stimmt’s?“ Ich bin schon wieder beim Gesicht des Mannes mit dem Hut. „Ob er Dich bemerkt und sich kurz vor dem Klick zu Dir umgedreht hat?“ Möglich. Plötzlich fällt mir ein interessantes Detail im Bild auf: Der Mann mit Hut ist in seiner Ganzheit wohl der einzige Fleck im Bild, der sauber ist. Der Hut ist sauber, sein Gesicht ist sauber (rasiert) und das angeschnittene Hemd ist fleckenfrei.

Alles andere ist dreckig. Alt oder kaputt. Zerstört oder am Boden. Ein Gegensatz, der nur subtil wirkt. Aber er wirkt.

Das Foto wurde 1990 in Asunción, Paraguay aufgenommen. Und ich kann jedem, der sich ernsthaft mit der Straßenfotografie auseinandersetzen möchte und sich mit dem einzelnen Bild genauso wie ich angefreundet hat, empfehlen, das ganze Buch* zu kaufen.

Jetzt habe ich sie ein wenig verloren. Meine Angst vor den großen Bildbänden. Der Respekt ist jedoch ein Stückchen gewachsen.

* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas bestellt, erhält kwerfeldein eine kleine Provision, Ihr zahlt aber keinen Cent mehr.


kwerfeldein – Fotografie Magazin | Fotocommunity

 
Comments Off on Blickfang: 1990, Asunción, Paraguay

Posted in Equipment

 

Blickfang: Saint-Etienne 2005

05 Apr

Öffnet man „Anders Petersen Monographie“*, ist man sofort gefangen. Schon das erste Bild lässt mich inne halten. Dabei dachte ich, dass mich als abgebrühte Bilderbetrachterin nichts mehr so schnell packen kann.

Das Papier fühlt sich rau an, die Bilder sind schwarzgrau schattiert. Es ist auch eines der ersten Bilder aus dem Buch, das ich hier vorstellen möchte. Ich habe beschlossen, mir Zeit zu nehmen, das Buch immer wieder mal wegzulegen und die Bilder wirken zu lassen. Vielleicht wird es Wochen oder Monate dauern, bis ich am Ende dieses Werks angelangt bin.

Das Bild mit dem Titel „Saint-Etienne 2005“ zeigt eine Frau mit halblangen Haaren. Ihr Blick fixiert etwas auf dem Boden. Betrachtet sie vielleicht den Lichtschein, der ihr über Gesicht und Hals fließt? Ihr Haar ist strähnig. Vielleicht war sie gerade duschen, vielleicht ist es ein lauer Sommertag. Vielleicht ist es die Abendsonne, die da zum Fenster reinschaut.

Aber vielleicht bin ich auch auf der falschen Fährte. Vielleicht ist ihr Haar auch strähnig, weil es ungewaschen ist, vielleicht hatte sie einen beschissenen Tag, vielleicht ist alles ganz anders.

Ihre Lippen sind geschminkt und ich wühle in meinem Kopf nach möglichen Erinnerungen, nach Verknüpfungen. Woher mag sie kommen und wann und warum traf sie auf den Fotografen?

Mag sie ihn oder findet sie ihn aufdringlich? Lässt sie sich portraitieren und hofft, dass es damit getan ist und er verschwindet?

Alles scheint im Blick. Sie bleibt für mich fremd und doch versuche ich, zu ergründen wer sie ist. Ich möchte, dass sie aufblickt, aber sie tut es nicht.

Saint Etienne 2005

Anders Petersen ist ein schwedischer Fotograf. Bekannt wurde er mit seinen Bildern aus dem Café Lehmitz, einer Kneipe direkt an der Reeperbahn. Er hat sich der Milieufotografie verschrieben.

Er portraitiert Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben und rückt sie damit in den Fokus der normalen Welt. Sein Blick öffnet uns Türen in Altenheime und Psychiatrien. Aber er zeigt uns auch die Menschen, an denen wir im günstigsten Fall unbemerkt vorübergehen oder die uns im ungünstigsten Fall genervt zur Seite blicken lassen.

Informationen zum Buch:

Monographie*, Anders Petersen
Verlag: Schirmer/Mosel
Sprache: Deutsch
Größe: 30 x 22,8 x 4,2 cm
Preis: 49,80 €

* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas bestellt, erhält kwerfeldein eine kleine Provision, Ihr zahlt aber keinen Cent mehr.


kwerfeldein – Fotografie Magazin | Fotocommunity

 
Comments Off on Blickfang: Saint-Etienne 2005

Posted in Equipment

 

Blickfang: Rev. Thomas Barker and May

28 Mar

Wie im Artikel „Unsere liebsten Bildbände“ bereits geschrieben, ist einer meiner Schätze ein großer, schwerer Klotz namens „Lewis Carroll, Photographer“* von Roger Taylor und Edward Wakeling, der auf den Fotografen Charles Lutwidge Dodgson eingeht, der nebenher noch Mathematiker, Diakon und einer der berühmtesten Kinderbuchautoren der Welt war.

Er war ein Naturwissenschaftler und Oxford Man, aber auch ein spielerisch denkender Geist und Bewunderer von Schönheit in vielen Formen. Er löste hochkomplexe mathematische Rätsel und scheiterte gleichzeitig daran, einen Index mit durchgehender Nummerierung seiner eigenen Fotografien anzulegen. Ein widerstreitender Geist.

Wer das Hobby Fotografie in den 1850er Jahren aufnahm, demonstrierte einerseits sein naturwissenschaftliches Können mittels dem Umgang mit den Apparaten, Linsen und Chemikalien und gab andererseits seinen künstlerischen Tendenzen Ausdruck – auch die Mischung, die Lewis Carroll ausmachte.

Dazu das Spielerische und Verdrehte: Beim Blick durch den Sucher steht das Bild auf dem Kopf und ist spiegelverkehrt. Beim Abziehen der Negative wird aus Schwarz Weiß und aus Weiß Schwarz. Auf scheinbar leerem Papier erscheint wie durch Zauberhand ein Bild. Nicht ist so, wie es scheint.

Als Lewis Carroll 1856 begann, sich der Fotografie zu verschreiben, entschied er sich für das damals neue Kollodium-Nassplatten-Verfahren, das just die Vorzüge der – damals in Konkurrenz zueinander stehenden Verfahren – Daguerrotypie und Kalotypie miteinander verbunden hatte.

Er suchte höchstmögliche Präzision und Qualität und fand sie auch, nach einiger Zeit der Übung, um die schwierigen und genau einzuhaltenden Abläufe zu verinnerlichen. Da er ein Mann der Ordnung und Selbstdisziplin war, spornten ihn die anfänglichen Fehler an, im Gegensatz zu vielen anderen jungen Männern, die die Fotografie – damals schwer en vogue – schnell wieder aufgaben.

Rev. Thomas Barker and May © Charles Lutwidge Dodgson, „Lewis Carroll Photographer. The Princeton University Library Albums“ von Roger Taylor, Edward Wakeling

Nachdem er die ersten sieben Jahre lang unter freiem Himmel (zum Teil mit Laken als Hintergründen) und bei Freunden oder Auftraggebern zuhause fotografiert hatte, stand ihm ab 1863 ein kleines Studio zur Verfügung. Aber anstatt dass dieser Raum ihn beflügelte, schränkte ihn die neu gewonnene Freiheit wohl kreativ ein. Die meisten dort entstandenen Aufnahmen sind nicht erwähnenswert.

Aus diesen sonst glanzlosen Ergebnissen sticht aber eines der Portraits von Rev. Thomas Barker und seiner Tochter May hervor. Anstatt sie steif aufgesetzt vor einer eintönig weißen Wand zu präsentieren, sitzt der Vater an die Wand unter einem Fenster gelehnt auf einem Stuhl, während seine Tochter hinter ihm auf dem Polster steht, eine Hand an der Wand und die andere auf der Schulter des Vaters abgelegt.

Roger Taylor führt die Spannung und den gegenseitigen Bezug der beiden Protagonisten auf das Vater-Tochter-Verhältnis zurück. Der Vater trage das Gewicht der Tochter wörtlich und metaphorisch auf dem Rücken, sie steht schützend hinter ihm, um die von ihm zu tragende Verantwortung wissend.

Ich muss gestehen, dass mir ganz andere Gedanken beim Anblick der blicklosen Interaktion der beiden durch den Kopf gehen. Mir scheint eher etwas Teuflisches aus ihrem Blick zu sprechen und wie sie stark hinter ihm steht, während er an der Wand zusammensackt – entzieht sie ihm seine Lebenskraft?

Auch diese – zugegeben von modernen B-Movies inspirierte – Interpretation kann man auf ein Vater-Tochter-Verhältnis übertragen, denn Erziehen kostet Kraft. Natürlich stand dieser Aspekt bei der Entstehung der Aufnahme nicht im Vordergrund.

Viel mehr war jeder Tag im Leben eines Kindes tatsächlich ein Geschenk Gottes, in einer Zeit, in der ständig Kinder vorzeitig an verschiedenen Krankheiten starben.

 

Informationen zum Buch

„Lewis Carroll, Photographer“* The Princeton University Library Albums
Autoren: Roger Taylor, Edward Wakeling
Verlag: Princeton University Press, 2002
Einband: Hardcover, gebunden
Seiten: 304
Größe: 28,1 x 25,9 x 3,4 cm
Sprache: Englisch
Preis: neu ca. 44 €, gebraucht ab z. Zt. 12 €

* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas kauft, erhält kwerfeldein eine kleine Provision, Ihr zahlt aber keinen Cent mehr.


kwerfeldein – Fotografie Magazin | Fotocommunity

 
Comments Off on Blickfang: Rev. Thomas Barker and May

Posted in Equipment

 

Blickfang: Falkland Road

22 Mar

Mary Ellen Marks gehört zu den Fotografinnen, die sich mit sozialkritischen Themen unserer Gesellschaft auseinandersetzen. Ihre Fotoreportagen über soziale Randgruppen sind dabei weder reißerisch noch pietätlos. Ihre Sprache ist klar und würdevoll.

Das Bild der jungen Frau im grünen Raum ist still und lässt den Betrachter ohne Hintergrundwissen mit seinen Gedanken erst einmal allein. Die Farben grün und rotbraun harmonieren miteinander und wiederholen sich immer wieder. Das dunkelgrün gestrichene Holz mit seiner abgeblätterten Farbe findet sein Pendant im gemusterten Rock wieder. Die Farbigkeit der Haut wiederholt sich im Überzugsstoff der Matratze.

Mary Ellen Marks - Falkland Road: Prostitutes of Bombay

Hier ist also jemand am Werk, der nicht nur dokumentieren will, sondern auch ein Bild schafft, das anmutig und ästhetisch wirkt. Mary Ellen Marks studierte zunächst Kunst und Kunstgeschichte und entschied sich anschließend, ihren Bachelor in Fotojournalismus zu absolvieren. Im Jahr 1976 wurde sie Mitglied von Magnum, verließ aber 1981 die Agentur, um eigene Projekte anzugehen.

Das beschriebene Bild stammt ursprünglich aus ihrer Arbeit „Falkland Road: Prostitutes of Bombay, 1981“ und trägt den Titel „Twelve-year-old Lata lying in bed“.

In dieser Arbeit dokumentiert die Fotografin das Leben der Prostituierten vier Monate lang, von Oktober 1978 bis Januar 1979. Frauen und Kinder verdienen auf dieser Straße in Bombay ihren Lebensunterhalt und gehören zu den weniger teuren Prostituierten der Stadt. Sie leben und arbeiten in winzigen kastenförmigen Zimmern, die für diese Gegend so typisch sind.

Die Bilder sind farbenfroh und zeigen die Frauen zwischen Hoffnung, Verlust und Melancholie. Mary Ellen Marks schreibt dazu:

Während dieser Zeit lernte ich die Welt einiger Frauen der Falkland Road kennen und durfte in diese Welt eintreten. Es waren ganz besondere Frauen. Dieses Buch ist ihnen gewidmet – mit einem tiefen Dank an meine Freundin Saroja.

Ihre Serie zeigt die Vorsichtigkeit mit der sie das Leben der Menschen dokumentiert. Sie ist Beobachterin und doch auch Regisseurin.

Wer sich einen Überblick über ihre Arbeiten verschaffen und nicht so viel Geld ausgeben möchte, dem empfehle ich aus der Reihe Phaidon 55 „Mary Ellen Marks“ mit einer Auswahl verschiedener Arbeiten und bisher unveröffentlichter Fotografien.

Mary Ellen Marks, 55*
Taschenbuch: 64 Seiten
Verlag: Phaidon Press Ltd
Sprache: Englisch
Größe: 15,7 x 13,8 x 1,1 cm
Preis: zwischen 7 und 40 Euro (modernes Antiquariat)

Und für die Sammler:

FALKLAND ROAD*
Taschenbuch: 112 Seiten
Verlag: Knopf
Sprache: Englisch
Größe: 27,7 x 25,1 x 3,3 cm
Preis: zwischen 50 und 110 Euro (modernes Antiquariat)

* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas bestellt, erhält kwerfeldein eine kleine Provision, Ihr zahlt aber keinen Cent mehr.


kwerfeldein – Fotografie Magazin | Fotocommunity

 
Comments Off on Blickfang: Falkland Road

Posted in Equipment

 

Blickfang: Mann mit Hut

15 Mar

Heute mache ich alles anders. Dieser Blickfang soll nicht den Fotografen und dessen Werdegang beleuchten und dann erst auf das Bild eingehen. Ganz im Gegenteil. Ich werde den Ersteller der Aufnahme außen vor lassen. Und mich nicht von technischen Details aufhalten lassen.

Ich werde das Bild dekonstruieren und ganz genau betrachten, was ich sehe: Eine Person. Beim Blättern durch den Band fallen mir zwei Portraits auf. Eines zeigt einen in sich hinein lächelnden Mann mit gegeltem Haar. Das andere Bild präsentiert einen Herrn mit Hut, der direkt in die Kamera sieht.

Ich wähle das zweite von beiden aus und stelle fest, wie wichtig der Blick in die Kamera bei einem Portrait doch sein kann.

Portrait © Sarah Stolfa

Nun beuge ich mich über den Fotoband, betrachte in aller Ruhe das Foto. Sekunden vergehen, ohne dass ich es merke. Doch eines merke ich sofort: Ich kann mich nur schwer vom festen Blick des Mannes lösen. Immer wieder kehre ich zu seinen Augen zurück und überlege.

Wer bist Du? ??Ich suche Details. Finde Behaarung auf seiner Hand, eine silberne Armbanduhr und das Glas, gefüllt mit Bier, im Vordergrund. Dann fällt mir der Ring auf. Ich überlege, ob er verheiratet ist und schweife ab.

Wohin? In die Ungewissheit, keinen Anhaltspunkt zum Aufnahmedatum zu haben. ??Das Bild ist scheinbar zeitlos. Und das ist wiederum komisch. Faszinierend. Merk-würdig. Doch im Augenwinkel des Buches erahne ich Buchstaben auf der gegenüber liegenden Seite:

David Scott Smith, 2005.

Alles ist verraten.

Wirklich? Alles?

Das Geheimnis bleibt. Die Information ist für mich nur eine Aneinanderreihung von Buchstaben. David könnte auch Michael heißen und statt 2005 könnte 2000, 1990 oder 1980 an dieser Stelle stehen.

Ich beginne, den Mann genauer zu analysieren. Wer bist Du? Du bist kein armer Mensch. Du leistest Dir Zigaretten und das belanglose Herumliegen der Geldscheine verrät, dass Dein Umgang mit ihnen weder zögerlich noch sparsam ist.

Deine silberne Uhr lässt etwas Prestige durchblitzen, der Ring an der linken Hand verrät eine Frau oder einen Mann an Deiner Seite. Sitzt sie oder er etwa direkt neben Dir?

Dein Hut sitzt stilvoll, ist das i-Tüpfelchen Deiner Bekleidung und reiht sich wunderbar in das schwarze Hemd und die ebenso schwarze Jacke ein. Deine Kleidung sieht nicht zufällig oder planlos ausgewählt aus. Die Brille sitzt perfekt und die Brillengläser glänzen.

Ordnung scheint Dir wichtig zu sein. Denn Dein Bart ist fein säuberlich ausrasiert und kein einziges Härchen hast Du übersehen. Du stützt Dein Kinn seitlich ab. Doch es ist kein gelangweiltes Abstützen, Deine Haltung ist direkt, interessiert, aufmerksam.

Nun weiß ich eine Menge über Dich, aber ich kann in vielen Annahmen falsch liegen. Die Frage, wer Du bist, wird mir nur teilweise beantwortet. Doch das ist genug für den Moment. Das Foto stellt Dich vor, ohne dass ich irgendwas sagen muss. Nicht irgendwelche Floskeln dahinsagen, lächeln und mich auf ein Gespräch einstellen muss.

Es ist gut so, wie es ist.

David Scott Smith wurde 2005 im Rahmen des Buches „The Regulars“* von Sarah Stolfa fotografiert.

Informationen zum Buch

„The Regulars“
Taschenbuch: 96 Seiten
Preis: 12,33 €
Verlag: Artisan
Sprache: Englisch
?Größe: 22,9 x 18,5 x 1 cm

* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas bestellt, erhält kwerfeldein eine kleine Provision, Ihr zahlt aber keinen Cent mehr.


kwerfeldein – Fotografie Magazin | Fotocommunity

 
Comments Off on Blickfang: Mann mit Hut

Posted in Equipment

 

Blickfang: White Album

04 Mar

Seit es Internetdienste gibt, die uns kostenlos Satellitenbilder in hoher Auflösung zur Verfügung stellen, haben wir uns an den Blick auf die Erde von oben gewöhnt. Einer, der allerdings schon seit beinahe 15 Jahren regelmäßig aus dieser Perspektive auf die Welt schaut und sie dokumentiert, ist der Fotograf und Filmemacher Bernd Uhde.

Sein jüngst im Verlag Seltmann+Söhne erschienenes Buch „White Album“* hat mich sofort fasziniert. Darin zeigt er schneebedeckte Landschaften und urbane Strukturen immer mit dem orthogonal von oben nach unten gerichteten Blick.

White Album © Bernd Uhde

Die Bilder, wie beispielsweise die hier gezeigte Doppelseite, wirken teils so abstrakt – man könnte meinen, sie wären digital nachbearbeitet und manipuliert. Doch dem ist nicht so. Was hier manipuliert ist, sind die Landschaften selbst, die Uhde zeigt.

Wir sehen hier zwei in Reihen bepflanzte Felder. Die in regelmäßigen Abständen stehenden Bäume werfen lange Schatten auf den Schnee und erzeugen so ein sich wiederholendes und an Textilkunst erinnerndes Muster.

Uhdes Aufnahmen offenbaren die der vom Menschen geformten Landschaft zugrunde liegenden Muster. Sie sind real und abstrakt zugleich und nicht zuletzt – ästhetisch.

* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas bestellt, erhalten wir eine kleine Provision, Ihr zahlt aber keinen Cent mehr.


kwerfeldein – Fotografie Magazin | Fotocommunity

 
Comments Off on Blickfang: White Album

Posted in Equipment

 

Blickfang: Laura Makabresku

25 Feb

Die Fotos der polnischen Fotografin Laura Makabresku habe ich durch Aileens Interview mit ihr von 2011 entdeckt. Diese düsteren Märchenbilder haben mich seit dem nicht losgelassen und als Laura ihr erstes Fotobuch veröffentlichte, musste ich nicht lange überlegen.

Zum Glück, denn innerhalb weniger Tage war das auf 300 Exemplare limitierte Büchlein ausverkauft. Mein heutiger Blickfang stammt aus besagtem Buch und ich hoffe, Ihr könnt ihn genießen, auch wenn das Buch selbst leider nur schwer in Euren Besitz zu bringen sein wird.

Zu sehen ist auf dem von mir ausgewählten Bild eine junge Frau, die nackt auf einem Bett liegt. Neben ihr steht ein Rehkitz, das scheinbar auf sie hinab sieht. Das schwarzweiße Foto wirkt trotz Nacktheit sehr unschuldig und zerbrechlich.

© Laura Makabresku

Ob das Mädchen trauig ist? Schläft sie oder ist sie gar tot? Das Foto lässt viel Raum für Fantasie. Interessant an dem Bild ist, dass es ja eigentlich das ausgestopfte Rehkitz ist, das im Bild tot und leblos wirken müsste, es jedoch den aktiven Part einnimmt. Es wirkt, als würde es das Mädchen wecken wollen.

Das Bild im Buch hat keinen Titel, wodurch ich mehr erfahren könnte. Aber ich bin neugierig und habe im Internet nach dem Foto gesucht. Auf ihrem Blog schreibt Laura zu ihrem Bild selbst:

She doesn’t sleep. darkness pulls her body slowly into itself. her spirit wake beside her: looking as darkness give her lesson about death.

Wir hoffen, Laura bringt schon bald ihr nächstes Buch heraus. Bis dahin gibt es mehr von ihr auf Flickr oder Facebook zu sehen.


kwerfeldein – Fotografie Magazin | Fotocommunity

 
Comments Off on Blickfang: Laura Makabresku

Posted in Equipment

 

Blickfang: Obscura

18 Feb

Vor anderthalb Wochen bekam ich einen Liebesbrief. „Obscura“*: Ein Liebesbrief an die Lochkamera-Fotografie, geschrieben von fünf Frauen mit den verliebten Blicken von über 90 Fotografen. Dieser Brief ist ein Buch mit elf Kapiteln, abstrakten Blicken und Poesie – ein bisschen wie das Leben selbst.

Aufmerksam wurde ich auf das Buchprojekt, an dem die Macherinnen insgesamt über zwei Jahre arbeiteten, im letzten Mai über die dazugehörige Kampagne auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo. Seitdem wurden die Fotos für das Buch ausgewählt, der ganze Brocken gelayoutet, gedruckt und an die Unterstützer verschickt.

Es ist so dunkel.
Wir brauchen Licht.
Einen Sonnenstrahl, vielleicht.

Herausgekommen ist – wie meine Überschwänglichkeit wahrscheinlich schon angedeutet hat – mehr als nur ein Fotoband. Die Aufteilung des Buches in Kapitel mit Namen wie „Das Monströse“, „Die Verlockung“ oder „Die Wirrnis“ sorgt für neue Bezüge zwischen den in diese Kategorien eingeordneten Bildern.

Zu jedem Bild gibt es einige Zeilen Informationen zum Fotografen, Ort und Technik der Aufnahme. Dazu kommen eingestreute kleine Gedichte und ein Layout, das das großzügige Format angenehm luftig und ohne Schnickschnack nutzt, ohne in die Beliebigkeit so manch anderer aktueller Publikation zu verfallen.

Gleich das Titelbild von einer der Herausgeberinnen, Larissa Honsek, hatte es mir von Anfang an angetan. Und obwohl sich unter den restlichen 120 seltsamen, schönen, lustigen und verblüffenden Lochkamera-Aufnahmen viele andere finden, die ich mag, bin ich trotzdem an diesem Foto, „Untitled“, hängengeblieben.

© Larissa Honsek

Es ist nicht unter „Das Monströse“, „Das Diffuse“ oder gar „Das Unheimliche“ eingeordnet, sondern eröffnet das Kapitel „Die Verlockung“. Ein leuchtendes, glimmendes, auf langen Bahnen Funken versprühendes, zu allem Überfluss auch noch schwebendes Etwas aus Licht. Gelborangerot, in einem Nadelwald mit Schneeboden.

Ich erinnere mich an die alten Fragen aus den Philosophie-Unterrichtsstunden dieses Landes: Rauscht das Meer auch, wenn niemand zuhört? Macht ein im Wald umfallender Baum ein Geräusch, wenn niemand da ist, es zu hören? Und ich frage mich: Geschehen die Wunder auch, wenn niemand da ist, ihnen beizuwohnen?

Obwohl wir unseren Planeten überbevölkern, gibt es doch zum Glück noch so viel einsame, unbewohnte Fläche. Wiesen, Felder und Wälder, in die sich nur selten eine Menschenseele verirrt. Wenn sich also eine Delegation Außerirdische, ein Wesen aus einer anderen Dimension, eine spontane Zusammenballung von Energie oder einfach nur ein Riss in Raum und Zeit solch ein Fleckchen Erde für seinen Auftritt aussuchen würde – es ist, als wäre es nicht geschehen, weil wir nicht da waren.

Larissa Honseks Arbeit lässt mich einen solchen herbeifantasierten Moment mitansehen. Unwahrscheinlich natürlich, dass ich ihn einmal leibhaftig miterleben werde, ich warte nicht darauf, aber ich gebe zu: Das Kribbeln beim Gedanken daran ist das gleiche wohlige Kribbeln, das mich bei Streifzügen in die unberührte Natur begleitet. Und: Wer weiß.

 

Informationen zum Buch

„Obscura – 121 Blicke – 121 views“*
Verlag: Revolver Books
Auflage: 800 Stück
Seiten: 200
Sprachen: Deutsch, Englisch
Maße: 28 x 28 x 2 cm
Einband: Hardcover, gebunden
Preis: 39 €


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
Comments Off on Blickfang: Obscura

Posted in Equipment

 

Blickfang: Homeworks #3

11 Feb

Ich mag Bilder, die auf den ersten Blick perfekt und schön sind, bei denen aber eine Kleinigkeit die Perfektion bricht. Das Foto „Homeworks #3“ aus der Serie von Miles Aldridge ist so ein Bild und mein heutiger Blickfang.

Zu sehen ist eine schöne blonde Frau, geschminkt, mit Perlenohrringen und einem auffallenden Kleid. Es könnte aus einem Beautyshooting sein, wie viele andere, die man in Zeitschriften sieht, aber da ist noch etwas. Die Frau hat eine Zigarette im Mund und zündet diese gerade an einem Gasherd an. Sie lehnt sich dabei so weit vor, dass ihre blonden Haare auf den Herd fallen.

Eigentlich müssten sie gleich brennen, denkt man. Aber die Frau sieht gelangweilt weg. Am Zigarettenende sieht man ihren Lippenstiftabdruck. Noch so ein Perfektionsbrecher.

Homeworks #3 © Miles Aldridge

Das Foto habe ich im Buch „Traumfrauen: Starfotografen zeigen ihre Vision von Schönheit“ gefunden. Das Buch ist aufgeteilt in verschiedene Bereiche: Klassisch, glamourös, persönlich, lyrisch, ironisch, eigenwillig und visionär. Das Foto von Aldridge findet sich im Kapitel „ironisch“. Neben dem Bild steht ein Zitat des Fotografen:

Ich mag keine langweiligen Frauen. Ich mag keine schönen Frauen. Ich mag sonderbare Frauen, obsessive Frauen, verrückte Frauen.

Was mich stört, ist der Buchfalz, der das Bild genau zwischen Oberkörper und Kopf des Modells trennt. Leider ein Problem vieler Bücher und vielleicht auch Geschmackssache.

 

Informationen zum Buch

„Traumfrauen: Starfotografen zeigen ihre Vision von Schönheit“*
Verlag: DuMont
Seiten: 200
Sprache: Deutsch
Maße: 31,4 cm x 24,8 cm x 2,6 cm
Einband: Hardcover, gebunden
Preis: 49,90 €

* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas bestellt, zahlt Ihr keinen Cent mehr, wir erhalten aber eine kleine Provision.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
Comments Off on Blickfang: Homeworks #3

Posted in Equipment

 

Blickfang: Röntgenaufnahme eines Rochens

04 Feb

Wir haben uns daran gewöhnt, mit technischen Gerätschaften unsere Sinne zu erweitern. Röntgenbilder, Magnetfelder und Satellitenkarten sind Teil des Alltags geworden. Wie in der Geschichte der Fotografie neues, wissenschaftliches Sehen reflektiert und verarbeitet wurde, zeigt der Bildband „Fotografie und das Unsichtbare 1840-1900“*.

Die Aufnahme „Röntenfotografie eines Rochens“ von Victor Chabaud aus dem Jahr 1898 kann stellvertretend für den ganzen Band stehen, der auf 240 Seiten unzählige Fotografien und Essays aus den Bereichen Mikroskop, Teleskop, Bewegungsstudien, Elektrizität und Magnetismus, Röntgenstrahlen, Geisterfotografie und Farbfotografie versammelt.

Dennoch illustriert die Aufnahme wohl am eindrucksvollsten die Aussage: Dass mit den anderen, aus der Wissenschaft kommenden Möglichkeiten des Sehens hinter der vom menschlichen Auge wahrgenommenen Realität noch viele andere Schichten der Beschaffenheit der Welt sichtbar gemacht werden können.

© Victor Chabaud

Der im Wasser so majestätisch wirkende Rochen mit seinen breiten, flügelartigen Flossen verschwindet auf der Aufnahme und hevor tritt etwas Tieferes, Ursprünglicheres, das eine völlig andere Ästhetik hat: Ein schlangenartiges Skelett mit einem überdimensionierten Kopf.

Die Erfindung von Wilhelm Conrad Röntgen im Jahr 1895 machte schnell außerhalb der Medizin und in der Fotografie Karriere: Ausgelöst wurde gar ein kurzer Boom von „Röntgenstrahlen-Portraits“ und Bausätzen für Röntgenapparate für Privatleute, der die enorme Wirkung der Erfindung am Ende des 19. Jahrhunderts zeigt. Die Vorstellungswelt der Menschen wurde um das Innere, ein bis dahin unsichtbarer Baustein, erweitert.

Der Band „Fotografie und das Unsichtbare“* erinnert mit sehr vielen eindrucksvollen Aufnahmen daran, wie ungewöhnlich die uns inzwischen sehr vertrauten, wissenschaftlichen Techniken der Abbildung des für das Auge nicht Erkennbaren zur Zeit ihrer Erfindung einmal waren.

Man darf bei alledem aber nicht vergessen, dass auch die gewöhnliche Fotografie mit dem Festhalten von Momenten ein erweitertes Sehen schafft, das erst durch wissenschaftliche Verfahren ermöglicht wurde.

* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas bestellt, erhalten wir eine kleine Provision, Ihr zahlt aber keinen Cent mehr.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
Comments Off on Blickfang: Röntgenaufnahme eines Rochens

Posted in Equipment