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Im Gespräch mit Jessica Tremp

11 May

Ein Beitrag von: Jessica Tremp

Obwohl die australische Fotokünstlerin Jessica Tremp lieber Bilder als Worte sprechen lässt, konnten wir ihr im Interview ein paar Sätze entlocken. Darüber, wie die Natur sich immer wieder einschleicht, wie Bilder entstehen, die Arbeit mit Menschen vor der Kamera und das Leben an sich.

© Jessica Tremp

Hallo Jessica. Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview mit uns nimmst. Zuerst, erzähl uns doch mal ein bisschen was über Dich: Wer bist Du, was machst Du?

Hallo, mein Name ist Jessica Tremp, kürzliche habe ich die magische 30-Jahre-Grenze überschritten und lebe mit meinem gütigen Musiker-Mann, unserem Sohn Syd und einem geretteten ehemaligen Renn-Windhund namens Soda in Melbourne in Australien. Ich bin praktizierende Fotokünstlerin.

Ich habe schon immer das Bedürfnis verspürt, mich selbst kreativ auszudrücken, angefangen von Tanzen und Singen über Schreiben und Zeichnen, jedoch ist die Fotografie das einzige Medium, das sich fest bei mir eingehakt und mich nicht mehr losgelassen hat.

© Jessica Tremp

Was tut Fotografie oder was gibt sie Dir, was andere Ausdrucksformen nicht können?

Es ist einfach so passiert, dass die Fotografie am meisten hängen geblieben ist unter all den Formen der Kreativität, in denen ich mich versucht habe. Sie alle geben mir die Möglichkeit, Dinge auf unterschiedliche Arten auszudrücken.

Wäre ich ein besserer Maler, wäre das vielleicht auch ein interessanter Weg gewesen, den ich hätte einschlagen können. Aber ich denke, dass die Fotografie einfach etwas ist, worin ich ganz natürlich besser war.

© Jessica Tremp

Was sind wiederkehrende Themen in Deinen Arbeiten?

Natur, Tiere, Menschen und ein bisschen Melancholie.

Natur in der Form von Pflanzen oder Tieren schafft es immer, sich einzuschleichen. Selbst, wenn ich versuche, mal ein Portrait in einem eher sauberen, minimalistischen Stil zu machen, finden ein paar Blumen oder etwas Blattwerk ihren Weg in den Bildausschnitt. Ich würde gern eine Erklärung dafür abgeben, aber es scheint eine eher unterbewusste Liebesaffäre zu sein, die ich damit habe.

Themen scheinen sich auch ohne meine direkte Lenkung zu entwickeln, aber ein bisschen Melancholie ist meistens offensichtlich. Oft ist das, was ich mitteilen möchte, das Bedürfnis, von etwas ziemlich Außergewöhnlichem gewiegt zu werden oder Teil von etwas Einfacherem, aber viel Größeren zu sein als wir im Alltäglichen zu sein scheinen.

Ich finde es wirklich schwer zu erklären, daher fotografiere ich auch, anstatt zu schreiben.

© Jessica Tremp

Wie entstehen Deine Arbeiten? Planst Du vorher jedes Detail oder drückst Du nur im richtigen Moment auf den Auslöser?

Normalerweise gehe ich mit einer vagen Idee los, aber das Endresultat ist ziemlich selten das, was ich erwartet habe. Es ist manchmal so viel besser und manchmal schrecklich. Aber das ist es auch, was ich am Fotografieren am meisten liebe: Es lenkt viel mehr mich als anders herum. Ich mag es auch sehr, einfach das zu benutzen, was direkt um mich herum ist, also schätze ich, dass es meistens ziemlich spontan ist.

Entwickeln sich Deine Serien auch so oder arbeitest Du an ihnen anders?

Lustigerweise denke ich, dass die besseren sich vollkommen natürlich und organisch entwickeln. Diejenigen, bei denen ich dazu neige, zu lange darüber nachzudenken und sie zu planen, enttäuschen mich immer ein bisschen.

Als ich angefangen habe, habe ich erst in Einzelbildern gearbeitet und über den Verlauf der Jahre wurde ich glücklicher mit mehreren Bildern, die alleinstehend vielleicht nicht besonders spektakulär sind, aber etwas vermitteln, wenn sie zusammenstehen. Auch, wenn es vielleicht nur eine kleine Studie statt einer tatsächlich durchdachten Serie ist.

© Jessica Tremp

Welche Rolle spielt Nachbearbeitung in Deinen Arbeiten?

Definitiv eine große. Für mich wäre es ohne sie, als würde man den Teig zusammenrühren, ohne anschließend auch den Kuchen daraus zu backen. Genauso wie beim Fotografieren selbst lasse ich mich dabei vom Bild lenken. Manchmal verwende ich etwas mehr Zeit darauf und manchmal mag ich es, alles etwas zurückhaltender und minimalistischer zu halten.

Kannst Du uns etwas darüber erzählen, wer die Menschen vor Deiner Kamera sind? Was sind Deine Gedanken und Gefühle darüber, mit Modellen, Freunden oder auch Dir selbst zu arbeiten?

Ich bevorzuge es, mit Freunden oder mir selbst zu arbeiten anstatt mit Modellen, einfach, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich dann weniger erklären muss, dass es okay ist, wenn etwas misslingt, es gibt einfach mehr Freiheit, zu entdecken und zu kreieren.

© Jessica Tremp

Wenn ich mit Modellen arbeite, kann ich fühlen, dass ich mit einer vorbereiteten Idee in die Begegnung gehen muss, um in der Lage zu sein, etwas abzuliefern, für mich selbst und auch für sie, damit ihre Zeit es auch wert ist.

Ich arbeitete auch sehr viel mit mir selbst als Modell, einfach, weil ich ja immer da war, wenn ich das Bedürfnis hatte, zu fotografieren und etwas zu kreieren. Ich muss aber auch sagen, dass ich hier und da mit einem Modell gearbeitet habe, das ich nie vorher getroffen, mit dem ich aber sofort eine Verdingung hatte.

Das ist eigentlich eine unglaubliche Sache, wenn man mal darüber nachdenkt: Man kann Menschen seit Jahren kennen und wenn man sie dann auf der Straße trifft, kann man nur über das Wetter reden.

Andererseits kann man mit einem Fremden, der manchmal sogar nackt vor einem steht, in einem Raum sein und beide müssen sofort ihre Schutzpanzer ablegen. Es gibt nicht viele Situationen, in denen man sich so verletzlich fühlt, ohne jemanden vorher kennengelernt zu haben. Gelegentlich entsteht Magie aus so aufgeladener Energie.

© Jessica Tremp

Ich habe gesehen, dass Du auch Hochzeiten und Auftragsarbeiten fotografierst. Wie balancierst Du das mit Deinen freien Arbeiten?

Ich versuche, nicht mehr als zwei Hochzeiten pro Monat anzunehmen. So bleibt es immer noch Spaß und erfrischend, sie zu fotografieren. Eigene Projekte und Aufträge zu jonglieren, ist mir in der Vergangenheit nicht immer leicht gefallen, aber ich denke, dass ich nun mehr und mehr eine gute Balance zwischen ihnen finde.

Ich fühle mich sehr glücklich, in der Lage zu sein, meinen Lebensunterhalt mit dem zu verdienen, was ich liebe und ich genieße auch die unterschiedlichen Herangehensweisen an die Fotografie, zum Beispiel bei einer Hochzeit. Anstatt ein Bild ganz von Neuem zu erschaffen, nehme ich auf, was vor mir dort schon da ist, auf eine neue und interessante Weise.

© Jessica Tremp

Als Du 18 warst, bist Du von der Schweiz nach Melbourne umgezogen. Zurückblickend, was denkst Du, welchen Einfluss große Veränderungen wie diese im Leben haben?

Ich denke, dass es in diesem speziellen Fall eine Mischung aus dem Gefühl, unglücklich zu sein mit dem Weg, den ich bildungsmäßig eingeschlagen hatte (ich studierte auf Lehramt), dem Bedürfnis, die Welt zu entdecken und der reinen, alten Teenager-Rebellion war. Es hat eine Weile gedauert, bis ich in Melbourne Fuß gefasst hatte, aber inzwischen finde ich es schwer vorstellbar, irgendwo anders zu wohnen.

Obwohl ich mich auch schon dabei erwischt habe, davon tagzuträumen, in Paris oder New York Teller zu waschen, um mein Leben zu finanzieren, das voller zeitgenössischem Tanz, dem Füttern streunender Katzen und dem Ausgeben eines Monatsgehaltes für ein Gemälde wäre.

© Jessica Tremp

Ich denke, dass der Umzug mich auf eine Art definitiv frei gemacht hat. Als ich ankam, nahm ich ein Jahr lang in Vollzeit Tanzkurse. Etwas, das ich in der Schweiz nie hätte tun können, weil es zu verpönt gewesen wäre. Natürlich wäre ich nie ein Tänzer geworden, aber die Tatsache, dass es in Ordnung war, anzustreben was auch immer ich wollte, war es, die mein Leben komplett verändert hat.

Nun konzentriere ich mich auf die nächste Verändung, die vor mir liegt: Ein Flecken Land zwischen den Gummibäumen der australischen Landschaft, inmitten einer kleinen, aber blühenden und aufgeschlossenen Gemeinschaft. Ein Esel namens Gloria, den ich jeden Morgen mit meinem Sohn füttere. Große, offene Fenster, durch die Musik vom Plattenspieler hinausdringt. Zwei Studios: Eines für meinen Mann, der darin aufnimmt und eines für mich. Große Speisen für Freunde kochen, die vorbeikommen. Und mehr lesen.

© Jessica Tremp

Was hast Du noch für Pläne für die nähere und fernere Zukunft?

Abgesehen vom Umzug genieße ich wirklich, wie alles gerade ist und wohin es geht. Ich liebe es mehr, eine Mutter zu sein, als ich je gedacht hätte, dass ich es würde. Ich denke, dass meine Zukunftspläne sind, noch viel mehr Entdecker der Welt zu sein. Ob das nun durch Musik, Reisen, Lesen oder Kreativität geschieht.

Was die Fotografie angeht, hoffe ich, weiterhin zu lernen, mich selbst technisch zu verbessern und auch, meinen freien Arbeiten tiefere Gedanken zu geben.

Vielen Dank, Jessica, und alles Gute für die Zukunft!


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Share Dich zum Teufel! Im Gespräch mit Beckmann

25 Apr

Ein Beitrag von: Rüdiger Beckmann

Das hier ist ein prozessorientiertes Interview oder eher ein Kwertext in Interviewform. Zusammengetragen aus mehreren Gesprächen. Unterhaltungen, die bis tief in die Nacht geführt wurden, während sich in Hamburg die Schiffe friedlich an die Kaimauern schmiegten und Möwen blinzelnd den Mond betrachteten.

Herr Beckmann ist ein freundlicher Geselle. Er ist vor allem aufgeschlossen und ungezwungen in der Unterhaltung, das muss man ihm lassen. Seine Küche ist ein Ort der Erzählungen und Gedanken.

Ursprünglich sollte dieses Interview auch ein Gastartikel werden und die Gespräche eher zur Essenz des Gesagten führen. Aber Herrn Beckmann lag etwas auf der Seele.

Du bist ein sehr gastfreundlicher Mensch und kommunizierst gern, so jedenfalls mein Eindruck. Ist das richtig?

Rüdi lacht. Ob das wirklich stimmt, kommt sehr darauf an, wen Du da fragst. Das ist sehr stark von meinem Gegenüber abhängig.

Ich rede sehr gern über das, was ich tue, denn ich komme dem Ganzen dabei selbst näher und sehe, was für andere verständlich ist, wo ich falsch abbiege oder wo ich komplett auf dem Holzweg bin.

Kommunikation, ihre ganzen Facetten und vor allem ihre Missverständnisse finde ich spannend. Um den Dialog geht es ja im Grunde auch in meinen Bildern.

Aber ein persönliches Treffen ist viel direkter als die Internet-Schreiberei. Die haptische Komponente ist mir zum Erfühlen der Situation sehr wichtig. Ein Abend in meiner Küche lässt keine Fragen offen. Da sehen wir ganz schnell, ob wir uns verstehen oder nicht.

Am schönsten ist wohl, wenn beide etwas davon haben. Wenn sie sich wahrnehmen und gegenseitig bereichern und auch stehen lassen können.

Problematisch wird’s, wenn ich merke, dass jemand nur schnell etwas abgreifen will, ohne von sich selbst das kleinste Fünkchen zu geben. Dann werde ich ungeduldig und richtig barsch.

Und weil das im Internet gar nicht so selten vorkommt, kann ich mir sogar ganz gut vorstellen, dass die meisten Leute mich so beschreiben würden. Aber ich kann auch umgänglich sein. Echt.

Siehst Du Dich eher als Fotograf oder als Psychologe?

Doch, ich bin Fotograf. Menschen kommen in erster Linie zu mir, um fotografiert zu werden. Sinn der Sache sind die Bilder.

Inhalt und Zweck der Bilder ist aber nicht die Oberfläche der Dinge, sondern die Befindlichkeit darunter. Und um die sichtbar zu machen, braucht es einiges an Reflexion und Beschäftigung mit sich selbst. Das kann dann je nach Stimmung auch mal etwas therapeutisch ablaufen.

Und das ist bestimmt auch der Grund, weshalb einige diese Erfahrung besonders suchen, während andere ganz schön Angst davor haben. Man muss dafür schon etwas bereit sein. Ich schätze, die meisten Leute sind hier gewesen, weil sie auch etwas über sich selbst herausfinden wollten.

Deine Bilder findet man oft unter den Stichworten Akt und Erotik.

Ich finde, das Thema Nacktheit wird sehr verzerrt und überbewertet, das ist oft ziemlich unpassend. In Communities finden wir diese Schubladen meist aus organisatorischen Gründen (z.B. Jugendschutz), aber es macht auch etwas mit den Menschen, das mir unangenehm ist.

Wenn ich ein Aktbild zeige, landet es automatisch in einer Sektion mit diesen ganzen Hobbymodels, die „Akt nur auf Pay“ machen. Und so müssen sich alle damit auseinandersetzen, ob die eigene Nacktheit einen monetären Wert haben sollte, selbst wenn ihnen solche Gedanken bisher völlig fremd waren.

Das finde ich schwierig, weil die Leute ohnehin immer mehr drauf getrimmt werden, sich möglichst gut zu „verkaufen“. Auch beim Fotografieren versuche ich, mich dem konsequent zu entziehen. Da möchte ich möglichst keine Kategorien im Kopf haben. Die Bilder sollen sich damit beschäftigen, wie man sich in der Session gut fühlt. Ob die Person dabei bekleidet ist, muss sie entscheiden. Das ist für sie selbst viel wichtiger als für mich. Im Grunde mache ich immer nur Portraits.

Gut, Du machst Portraits und dennoch ist den Bildern eine gewisse Erotik nicht abzusprechen. Dabei wird sicher oft eine große emotionale Nähe aufgebaut. Wie geht man mit dieser Nähe im Nachhinein um, wenn der Mensch wieder in die Bahn steigt und wegfährt?

Diese Nähe ist ein Geschenk. Sie kann einen erfreuen, aber auch überwältigen, verwirren und sogar weh tun. Es braucht deshalb viel Zeit, um zu reflektieren, sich darüber klarzuwerden, was das Ereignis für jeden Einzelnen genau bedeutet. Meist lässt sich das gar nicht richtig in Worten ausdrücken. Am passendsten erscheinen mir Diane Arbus’ Worte: „Fotografie ist ein Geheimnis über ein Geheimnis.“

Die einzelne Session ist für mich nur Teil von etwas Größerem, einem Prozess des Kennenlernens, der viel länger dauert, einem Weg, der weiter führt. Ich mache deshalb sehr wenige Sessions und in der Regel auch keine Bilder mit Leuten, von denen ich erwarte, dass sie nicht wiederkommen.

In den letzten 3 Jahren habe ich bis auf einige Tests lediglich eine einzige neue Person richtig kontinuierlich fotografiert. Das Einlassen braucht Zeit. Sonst wäre die Intimität wohl wirklich nicht auszuhalten.

Und auch der Betrachter und Kommentator ist in der Pflicht. Aber er realisiert es oft nicht, weil er viel zu beschäftigt ist mit seinen eigenen Bedürfnissen.

Alle Beteiligten tragen zusammen die Verantwortung, dass wir überhaupt unbeschadet Bilder zeigen können. Vertrauen entsteht und darf bleiben, wenn es sich wohlfühlt. Es kann aber auch jederzeit wieder zerstört werden. Weil wir Menschen sind, weil wir verstehen wollen, weil wir teilen und auch abgrenzen, verändert sich die Sicht auf uns und die anderen unaufhörlich. Dieser fragile Prozess ist der eigentliche Sinn beim Fotografieren für mich.

Ich versuche, das behutsam zu machen, das beinhaltet „behüten“. Deshalb bin ich beim Zeigen in Foren, in denen Fotografie viel funktionaler, klinischer und abgeklärter verstanden wird, oft sehr beschützerisch unterwegs. Und es kommt nicht selten vor, dass ich mit Menschen aneinandergerate, wenn sie – unbedacht oder extra – respektlos, böse und beleidigend werden. Dann werde ich das auch.

Das Internet hatte sicher einen Einfluss auf Deine Bekanntheit. Hat Dich das nachhaltig beeinflusst?

Auf jeden Fall. Wir haben uns alle über das Internet kennengelernt. Ich kann mir kaum mehr vorstellen, dass es mal anders war, als ich mit Fotografie anfing. Wer früher Gleichgesinnte kennenlernen wollte, musste so eine Zeitschrift mit Kleinanzeigen kaufen.

Dann konnte man Leute raussuchen und anschreiben. Mit dem Internet ist alles viel einfacher und direkter geworden. Jeder kann, so scheint es, Kontakt mit der ganzen Welt aufnehmen, kann ohne großes Eigenkapital on demand ein paar Bücher herausbringen. Dadurch haben sich unsere Wertigkeiten immens verschoben. Und schließlich auch unsere Jobstrukturen.

Die „Generation Praktikum“ trifft unseren kreativen Bereich besonders. Überall machen die Menschen etwas Kreatives, um ein Ventil zu finden und sich zu verwirklichen, aber sie machen es eher so „nebenbei“, aus Passion und Interesse, weil es selten etwas abwirft.

Sie bemühen sich zwar redlich, aber so richtig fundiert in die Materie einzusteigen, bleibt allein schon aus Zeitmangel auf der Strecke. Man kriegt es gerade eben hin, ein PDF-Magazin oder einen Blog zu zimmern, um die Aufmerksamkeit eines Publikums zu wecken.

Dann verselbständigt sich das Ganze und plötzlich musst Du Dich entscheiden: Bist Du noch Fotograf oder eher schon Fulltime-Redakteur? Und wenn Vision und genügende Erfahrung dahinter fehlen, versenkt sich das ganze Schiff irgendwann wieder selbst. Ich finde heute auf Festplatten immer noch alte Projekte von mir, die irgendwann aus Zeitmangel eingeschlafen sind.

Ich habe Fotocommunities am Anfang als etwas Gutes empfunden. Ein Ort, an dem man lernen kann, um am Ende selbst zu geben. Wie bewertest Du die Entwicklung dieser Fotocommunities, Du warst ja selbst lange sehr aktiv, oder?

Ja, ich fing 1998 ernsthaft an zu fotografieren und ging mit den Bildern 2004 ins Internet.

Fotocommunities sind am Anfang nützlich, um sich zu positionieren und Leute kennenzulernen, die sich gegenseitig bestätigen, weiterbringen und inspirieren. Der eigenständigen fotografischen Entwicklung helfen sie aber wenig.

Das liegt wohl in der Natur der Sache. Neulinge produzieren und teilen die meisten Bilder. Sie wollen sich beweisen und zeigen quasi dauernd unaufgefordert ihre Hausaufgaben vor: Unfertige Bilder.

Sie orientieren sich an dem, was sie Erstrebenswertes vorfinden und machen es nach, emulieren, und sorgen dadurch für eine Inflation des bereits vorhandenen Bildstils. So bestätigt sich das System konstant selbst. Das ist der Matthäus-Effekt in Aktion: „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.“ Alle schmoren zusammen im eigenen Saft.

Ich glaube nicht, dass man in diesen Menschensammlungen einen repräsentativen Querschnitt bekommt, in dem alle Strömungen, alle Bedeutsamkeiten, alle Facetten der Fotografie korrekt gewichtet sind. Das wäre so falsch wie anzunehmen, dass die FC-Galerie die besten Bilder europäischer Fotografen zeigt.

Zusammengenommen ergibt sich höchstens ein Durchschnitt dessen, worauf sich viele Menschen einigen können. Dieser Mittelwert ist so etwas wie ein Postkartenständer, aber kein guter Leitfaden und sicher kein Geschmacksratgeber. Und die ewige Wiederholung liegt so sehr neben meinen persönlichen Bedürfnissen wie die 20 Rucksäcke, die mir Amazon jetzt immer vorschlägt, weil ich da dummerweise mal einen gekauft habe. Amazon denkt: Dem Mann kann geholfen werden, er steht offenbar auf Rucksäcke. Und ich frage mich: Meinen Rucksack habe ich jetzt doch schon. Welchen Teil von Kundenbetreuung versteht ihr denn nicht?

Es fängt ja auch schon ganz falsch an. In erster Linie treffen wir an diesen Orten nicht auf Bildkonsumenten, sondern auf Leute, die selbst auf der Suche nach einem Publikum sind. „Tolle Bilder, weiter so, schau auch mal bei mir vorbei.“ Was schert es mich denn, ob mein Gegenüber meine Bilder auch mag, nur weil ich seine toll finde?

Inspiration funktioniert doch selten so direkt auf beiden Seiten. Aber der Kleinbildzüchter investiert sehr viel Zeit und deshalb fordert er diese Leistung Quid pro Quo zurück. Die Auszeichnungen, die vergeben werden (die Galeriesternchen bei FC und View, die Blink-Awards bei Flickr, das Rating bei 500px), sind in der Regel eher Fleißpunkte, die aufzeigen, wieviel Zeit bereits im jeweiligen System verbracht – verschwendet – wurde. Und die Mehrheit honoriert das Gewohnte und Altbekannte. Inspirierendes finde ich dort nur in Einzelfällen, es kommt meist von außerhalb dieser Systeme.

Die meisten Menschen, die ich kenne, haben sich nach ihrem Weg durch die Community von ihr wieder emanzipiert, sie fallen quasi oben wieder heraus, wenn sich der Zweck für sie erfüllt hat. Egal, ob das Selbstfindung war, fotografische Anerkennung oder einfach Kontakt zu Leuten.

Irgendwann haben sie ihren Weg gefunden, das Studium beendet und einen Vollzeitjob angetreten, sie haben sich verliebt und verheiratet. Die Prioritäten ändern sich. Und dann sind sie weg, schauen in die alte Umgebung immer seltener, weil im Job auch nicht mehr so viel Zeit bleibt wie damals im Studium.

Und du hast Recht: Zu Anfang nimmt man eher und später gibt man dann zurück. Aber irgendwann ist auch damit Schluss, weil das Ungleichgewicht von Geben und Nehmen immer größer wird. Über Jahre gleichbleibend präsent in Communities bleiben in meinen Augen in erster Linie nur Leute, die etwas davon haben, weil sie hier irgendeine Dienstleistung anbieten:

Der Workshopfotograf, der Kurse leitet oder How-To-Bücher an den Mann bringt; der Erotikfotograf, der immer neue Nackedeis für seine Paysites akquiriert; der Beautyfotograf auf der Suche nach bezahlten Aufträgen; das Hobbymodel, das sich das Studium finanziert – quasi die Serviceindustrie am Rande.

Die Anfänger schauen zu ihnen auf, weil sie hoffen, etwas von ihnen zu lernen, aber fotografisch gesehen sind sie nicht die Meister – diese sind meist irgendwann ganz weg aus dem System, weil sie noch mehr suchen als sie dort bekommen können.

Sind Facebook und Co. nicht eher ein Abbild unseres momentanen Gesellschaftssystems, in dem lieber genommen als gegeben wird?

Ich glaube nicht. Für mich geht der Trend woanders hin. Foodsharing, die Umverteilung von Gütern, Organisation von Hilfen und die Verbreitung alternativen Gedankenguts – in den neuen Medien wird das uneigennützige Teilen derzeit sehr großgeschrieben. Ich denke, wir lernen langsam, die ganze Vernetzung konstruktiver zu nutzen.

Zusammen mit einer „Generation Y“, die nicht mehr blind in irgendeine Arbeitsmaschine eingespannt werden will, sondern den Sinn der Sachen hinterfragt und Karmapunkte vergibt. Ich finde den Optimismus toll, der damit verbunden ist. Man muss sich den aber auch leisten können.

Viele großartige Fotografen, die ich kenne, sind noch am Anfang. Sie machen tolle Sachen, haben aber noch nicht raus, was es bedeutet, daraus wirklich über viele Jahre einen lukrativen Job zu machen und die wenigsten werden diesen Beruf ergreifen.

Selbst erfahrene Fotografen wissen ja gar nicht genau, was die Zukunft bringen wird, so schnell verändert sich alles. Wir müssen auch alle jeden Monat unsere Miete zahlen und diese Kosten entwickeln sich zumindest in Hamburg gerad krass anders im Vergleich zu unseren Honoraren.

Ich bin also gespannt darauf, wie sich unser Arbeitsmarkt neu strukturiert und welche Möglichkeiten für die Zukunft daraus entstehen. Wenn ich mich umschaue, geht es vielen lange nicht mehr so gut wie noch vor einigen Jahren. Wenn sogar der Paul Ripke gerade pleite ist.

Am Ende muss jeder sehen, wo er oder sie bleibt. Ich wurde ja allen Ernstes letztens auf einer Ausstellung gefragt, ob ich denn von meinen Fotos leben könne. Da musste ich wirklich herzlich lachen.

Aber zurück zur Frage: Ich denke, Facebook erzieht uns heimlich Verhaltensweisen an, die wir bewusst hinterfragen sollten. Wir kamen da an, um uns als Menschen auszutauschen und inspirieren zu lassen. Leider haben wir als Fotoschaffende auch Dinge, die wir an den Mann und die Frau bringen wollen und so verschwimmen die Grenzen zwischen den Menschen und ihren Produkten immer mehr.

Facebook treibt damit leider sehr konsequent Schindluder. Es erlaubt sich die Frechheit, mir nur noch ausgewählte Beiträge meiner Kontakte zu zeigen und haut mir stattdessen Werbeposts dazwischen. Da kommt also öfter mal nicht die Sendung, die ich eigentlich eingeschaltet habe, stattdessen läuft Home-Shopping.

Das Neue daran ist, dass Facebook mir personalisierte Werbung zeigen kann. Die wissen ja, dass ich Fotograf bin, also bekomme ich im Wechsel Bildverschlimmerungssoftware, Wald-und-Wiesen-Hochzeitsfotografie und Erotik-Anfängerworkshops angeboten. Eine schöne neue Welt ist das.

Und was soll man laut Facebook tun, um nicht unterzugehen? Für Reichweite bezahlen. Oder selbst mehr posten. Wenn Du mehr teilst, wirst Du mit größerer Verbreitung belohnt. Das ist natürlich totaler Quatsch, kann aber eine Zeit lang durchaus süchtig machen.

Mir wurde von einem Typen erzählt, der noch schnell Hunderte von Like-Vorschlägen annehmen musste, die Facebook ihm anbot. Auf die Frage „Warum?“ meinte er: „Ich muss das machen, sonst schlägt mir Facebook ja nicht mehr so viel vor.“

Facebook macht komische Dinge mit uns, es erzieht uns zu Spammern nach dem Gießkannen-Prinzip, wie im Direktmarketing: Möglichst breit streuen, damit irgendwo etwas hängenbleibt. Das Abstruse ist, dass sich die Menschen dabei immer noch als gebend wahrnehmen. Kommunikation wird ad absurdum geführt.

Und das Freundekonzept von Facebook ist doch auch grotesk, wenn man mal drüber nachdenkt. Weil sich niemand schutzlos ausliefern mag, verschanzen sich alle hinter der ersten Schwelle der Befreundung, aber sobald man über zwei Ecken miteinander verbandelt ist, steht das ganze Ding offen wie ein Scheunentor.

Weil Facebook in Wirklichkeit kein Interesse an Privatsphäre hat, sondern daran, dass möglichst viel geteilt wird. Wer fünfzig Freunde hat, merkt davon noch nicht viel, aber mit achthundert Freunden aus verschiedensten Kreisen wird die Freundeslisten-Bürokratie undurchschaubar. Sind die Freunde von Freunden automatisch die Freunde von allen? In den seltensten Fällen.

Ich hätte einige Funktionen wirklich gern ausgeschaltet wie z.B. diesen Kasten oben rechts, diesen Liveticker der Freundesaktivitäten, der zum schnellen Reingrätschen in anderer Leute Gespräche ermuntert. Jede Aktion von mir zog immer ein Rinnsal von Likes und Kommies der Facebook-Poweruser nach sich. Wie ein Rudel inkontinenter kleiner Hunde, die überall nochmal draufpischern müssen, um zu beweisen, dass sie auch dabei sind.

Diese redundante Selbstvermarktung auf Autopilot geht mir voll auf den Keks. Ist das noch Kommunikation? Bei Facebook automatisch retweeten lassen, dass man es auf die Startseite der FC geschafft hat? Oder an einem Tag 30 Mal ein Posting geteilt bekommen, weil das die Bedingung dafür ist, ein romantisches Beautyshooting im Wert von 75 € zu gewinnen?

Dieses Mitmach-Web wird uns eingeimpft, denn die Beliebtheit der Beiträge ergibt sich aus den Responsen und die bewirken eine sofortige Optimierung. Schlaue Unternehmer formulieren ihre Facebook-Teaser jetzt immer mit „Und was meinst Du dazu?“ Ob die unsere Meinung wirklich interessiert?

Ich musste wirklich etwas lachen, als letztens ein kwerfeldein-Bericht über Vintage-Fotografie mit so einem „Probier’s doch auch einmal!“-Mitmachsatz endete.

Natürlich betreibt auch kwerfeldein dieses „Participation Web“ mit und für das Publikum, in dem die Grenzen zwischen Interviewbeiträgen, ausgewähltem Kuratieren und Feedback-Content verschwimmen. Oft ist nicht mehr klar zu erkennen, ob der Artikel der Sinn der Sache ist oder ob’s eigentlich eher um den Kommentar-Rattenschwanz geht, wie er beispielsweise etwas vorhersehbar auf Martins Pervers-Artikel folgte.

Das macht mich jetzt natürlich etwas gespannt auf die Kommentare zu diesem Interview. Ich werde sie alle lesen, ich schwör’s. Und Ihr müsst mich auch nicht liken.

Glücklicherweise lässt sich jetzt auch auf Facebook der Trend zur Selbstreinigung erkennen. Scott Kelby spricht sich „Für das Signal und gegen das Rauschen“ aus.

Und Jeriko hat sich in seinem neuen Interviewkonzept komplett gegen eine Feedback-Funktion entschieden. Das finde ich gut. Wir haben doch eh genug Mitteilungsmöglichkeiten untereinander. Warum mir Leute auf sechs verschiedenen Plattformen dieselben Sachen unter die Bilder schreiben, habe ich eh nie verstanden – außer unter dem Aspekt der Selbstvermarktung.

Facebook hat durch das Fördern dieser nervigen Mechanismen bei mir genau das Gegenteil seiner Bemühungen erreicht. Ich nutze es gar nicht mehr privat, ich teile nur noch öffentlich und für alle gleich. Meine private Kommunikation ist komplett zum direkten Kontakt ohne Mitlesen und Gruppenkuscheln zurückgekehrt.

Ich finde es sehr angenehm, jemandem zu schreiben, wenn ich an ihn denke und nicht, weil er sich mir dauernd aufdrängt. Mir fiel dazu gerade ein schönes Zitat in die Hände: „Don’t strive to make your presence noticed, just make your absence felt.“

Networking wird heute ganz groß geschrieben, Du hast das vorhin schon so schön in Bezug auf die Kreativen bei Facebook und Co. angesprochen. Da kennt sich jeder über irgendeine Ecke und jeder hat über den anderen etwas zu berichten. Das kann Vorteil als auch Nachteil sein. Wie schafft man da die Balance zwischen dem eigenen Schaffen und der Vermarktung, ohne peinlich oder gar grotesk zu wirken?

Ich denke, wir haben im Laufe unseres Onlinelebens verschiedene Strategien, die wir ausprobieren, bis wir glücklich werden. Ich habe eine wirklich lange Zeit damit verbracht, die sehr chaotisch war. Das Fazit aus allem ist zum Schluss bestimmt so etwas ganz Banales wie: „Be who you are and say what you feel because those who mind don’t matter and those who matter don’t mind.“ Man muss sich einlassen können, aber auch abgrenzen. Meine Devise ist: „Man muss jeden nehmen, wie er ist. Aber man muss nicht jeden nehmen.“

Prinzipiell denke ich, man darf keine Angst davor haben, sich auch mal richtig unbeliebt zu machen und sehr vielen Leute nicht zu gefallen, solange man sich treu bleibt und die anderen dabei wahrnimmt. Es gibt sicher sehr viele Menschen da draußen, denen ich es überhaupt nie rechtmachen könnte. Aber das ist auch nicht mein Job. Und gerade wenn Du mal wieder denkst, Du sabbelst Dich um Kopf und Kragen, kommt einer um die Ecke, dem genau das, was Du sagst, viel bedeutet. Während Dich der Rest der Welt total doof findet.

So ist das halt mit der Meinungsfreiheit. Aber so einfach es klingt, so schwierig ist das am Anfang umzusetzen. Du kennst weder Deine Bedürfnisse noch Deine Stärken und bist höflich, weil Du es Dir nicht mit allen versauen willst. Aber die Grenze zwischen Höflichkeit und Unehrlichkeit ist fließend.

Manchmal kommen ganz komische Verrenkungen heraus, die Du im Nachhinein als lächerlich unehrlich empfindest. Aber das ist ja menschlich. Wirklich grotesk wird es nur, wenn man sein Fähnchen immer nach dem Wind hängt und keine eigenen Grundsätze vertritt. Weil man dann diffus und nicht fassbar bleibt. Wenn Du Dich selbst kennst, kannst Du Dich anderen gegenüber auch konsistent verhalten.

Am besten lernst Du Dich selbst kennen, wenn sich Deine äußeren Umstände radikal verändern. Wenn Du aus dem Studium kommst und in einen Job gehst. Wenn es Dir erst blendend geht und dann total dreckig oder anders herum.

2011 gab es bei mir wohl die größte Veränderung, als ich quasi aufhören musste zu fotografieren. Das war eine gute Gelegenheit, ein paar Mechanismen klarer zu sehen, weil ich nicht mehr so in diesem Trott drin war, den ich dann bei anderen befremdlich fand. Mein Umgang mit Facebook hat sich in dieser Zeit sehr verändert, weil diese Community so rapide wuchs und sich dabei insgesamt in eine Richtung entwickelte, die mir nicht behagte.

Facebook will das Netzwerk des Lebens sein, also sitzen da alle wild durcheinander in einem Topf – Klassenkameraden, Arbeitskollegen, Fotografen, Modelle, aber auch Firmen, Museen, Ausstellungsräume, Zeitungen, Medien und Magazine. So überschneiden sich viele Kreise, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben.

Und nicht einmal erklärte Interessensgruppen sind kompatibel. Wenn ich sage, dass mich die meisten Fotografen überhaupt nicht tangieren, wird das gern als Arroganz gewertet, aber ich denke, es ist wichtig, das zu realisieren. Mit den meisten habe ich wirklich höchstens gemeinsam, dass wir Kameras benutzen.

Ich habe keine Assistenzstellen und Fotojobs zu vergeben, teile mir kein Studio und gebe keine Workshops. Ich kaufe mir nicht andauernd neue Kameras und Equipment, tauge also weder als Kunde noch als Test-Autorität. Und man landet bei mir auch nicht, um eine lukrative Modellkarriere zu starten oder Personen empfohlen zu bekommen, denn ich arbeite gar nicht mit »Models«. Unter Facebook-Fotografen bin ich also gar nicht netzwerktauglich. Ich kann da nur meine Bilder zeigen und die von anderen anschauen.

Mein Netzwerk besteht eher aus Leuten, die ähnlich unterwegs sind wie ich. Die ich verstehe und die mich verstehen. Die auch kreativ arbeiten, Ausstellungen machen, Kunst schaffen. Oder die auf Schulen gehen, um das zu lernen. Und aus den Leuten, für die die Kunst gemacht wird, die sie anschauen und genießen. Die sich Bilder von mir ins Zimmer hängen, die selbst ausstellen wollen, die begeistert sind und Artikel schreiben, um Kunst vorzustellen und zu verbreiten.

Viele von ihnen kenne ich bisher nur virtuell, einige habe ich gerade persönlich auf meiner Ausstellung in Dresden kennengelernt. Ich bin begeistert, wie viele Leute bei der ganzen Vorbereitung und der Durchführung mitgeholfen haben. So konnten wir etwas auf die Beine stellen, das einer allein gar nicht schaffen würde. Das verbindet. Das gefällt mir wirklich.

Die eigene Kreativität wird durch die Möglichkeiten des Internets auf eine harte Probe gestellt. Jeder kann sich am anderen bedienen. Und man muss sich selbst oft genug fragen, wo der eigene Weg eigentlich hingeht, um nicht selbst Opfer des ständigen Outputs anderer zu werden.

Auf uns prasseln täglich tausend Einflüsse gleichzeitig ein. Wir müssen ihre Bedeutung für uns richtig einordnen, damit es Sinn macht. Was ist Lob, was ist Kritik? Was ist wichtig und was nicht? Was gibt Dir und was zieht nur Kraft?

Als mir im ersten Semester der Prof in mein Bild hineingemalt hat, war ich schockiert, dass er mein wunderbares Kunstwerk nicht respektiert. Irgendwann wurden wir etwas cooler damit, konnten unser Können und die Rolle des Profs besser einschätzen und waren schließlich sogar dankbar, wenn wir von ihm wertvolle Impulse bekamen.

Aber damals auf der Schule waren die Rollen auch sehr klar verteilt. Auf der einen Seite gab es die Profs, Mentoren, Autoritäten. Und dann gab es uns Schüler, die langsam lernten, was sie selbst der Welt zu geben hatten. Und im Laufe der Jahre wurden wir irgendwann selbst zu Lehrern.

Im Internet gehen alle diese Rollen komplett durcheinander. Wenn Du Anfänger bist und Deinen Weg suchst, suchst Du vergeblich Klarheit, Stärke und Anleitung. Und Du bist links und rechts von Leuten umgeben, die alle selbst etwas wollen und sich genauso wie Du einfach nur durchwurschteln.

Du musst andauernd entscheiden, ob Du es noch annimmst, was Dir die Leute am Zeug flicken oder ob Du es schon als Mumpitz diskreditieren und total drüber stehen kannst. Das ist anstrengend, weil man kontinuierlich von anderen inspiriert und beeinflusst werden will, auf der anderen Seite aber immer sein eigenes Zeug verteidigen muss. So wollen wir in diesem Netz alle halbwegs Freunde sein, sind dabei aber ständig unter Beobachtung und gleichzeitig irgendwie auch Konkurrenten.

Und je mehr wir uns austauschen, desto austauschbarer wird alles. Und künstlerisch suchen wir eigentlich gar keine Übereinstimmung, sondern unsere eigene Einzigartigkeit. Das ganze Ding ist schrecklich verwirrend.

Die Menschen sind Konsumenten, Produzenten, Schüler, Lehrer, Arbeitgeber und -nehmer zugleich und jeder versucht zu bekommen, was er braucht und dabei einigermaßen gut wegzukommen. Lernen findet nicht mehr linear statt, sondern allgegenwärtig. Output = Input = Output. Wie findet man da durch? Um zu erkennen, ob eine Beeinflussung gut oder schlecht ist, gibt es eine sehr einfache Faustformel: Wenn Du Dir etwas holst, ist es Inspiration. Wenn sich die anderen etwas holen, ist es Plagiarismus.

Du kannst natürlich nicht ernsthaft erwarten, von anderen inspiriert zu werden, ohne Deinem Publikum das Gleiche zu erlauben.

Um aus diesem Widerspruch heil herauszukommen, solltest Du den anderen zur Sicherheit immer ein paar Schritte voraus sein. Lacht Aber was können wir im Internet lernen und was nicht?

Die Technik des Fotografierens kannst Du Dir besorgen, Du kannst Dir in der Community Feedback zu Deinen Bildern holen und so Grundlagen der Komposition und Bildkonzepte begreifen und Du kannst haufenweise Modelle akquirieren und viele Jahre vor Dich hin fotografieren, aber ohne fachliche Anleitung kannst Du auch komplett am Sinn der Sache und an Dir selbst verzweifeln, wenn Du immer nur hirnlos Bildideen kopierst, nur weil das Shareweb mal wieder „Mitmachen!“ gerufen hat.

Welche Schöpfungshöhe kann etwas denn haben, wenn es dazu schon ein Youtube-Tutorial gibt? Wer soll bei dem Gewimmel schon durchsteigen? Lehrgeld zahlen wir alle, bis uns wirklich keiner mehr viel vormacht.

Die verbreitete Währung im Internet ist Erfahrung. Wir hören gern auf Leute, wenn wir zu ihnen aufschauen, es gibt auch Respekt für die, mit denen wir uns auf einer Höhe vermuten und auf die anderen schauen wir tendenziell eher hinunter.

Ich fand’s immer etwas skurril, wenn eine Fotografin bei mir prahlte, dass sie jetzt gutes Geld macht und es endlich nicht mehr nötig hat, for free zu arbeiten, während sie sich von mir selbstredend ohne Bezahlung fotografieren ließ.

Oder wenn einer, der gerade einmal seit sechs Monaten knipste, plötzlich für horrende Summen Fine-Art-Workshops anbot. Das fühlte sich für mich irgendwie nicht stimmig an und dann kam es mir manchmal so vor, als sei das Internet nur eine große Firma: Nach oben schleimen und nach unten treten. Ein Spiegel-Artikel* über Facebook schloss mit der schönen Formulierung: „Von der Gemeinschaft bleibt nur noch das Gemeine übrig.“

Martin Sonneborn würde ja sagen: Das regelt der Markt. Aber wonach streben wir eigentlich? Haben wir von vornherein eine Vision oder strampeln wir nur solange diffus herum, bis es kommerziell halbwegs erfolgreich wird und entspannen uns dann ein bisschen? Wo ist das Ziel?

Wie können wir das Ziel formulieren, worin liegt denn unser persönlicher Erfolg? Vor allem als Künstler ist das zeitweise schwierig festzumachen. Sven Regener beantwortete das so: „Der künstlerische Erfolg ist nicht messbar, den musst Du selber postulieren. Du musst sagen: Dieses Buch ist mir gelungen. Aus die Maus.“ Ein Publikum kommt da als Instanz höchstens ganz am Rande vor.

Ich denke, diesen Werdegang macht jeder für sich durch, mit temporärer Selbstunter- und -überschätzung, mit eigenen Lernkurven und persönlichen Leidenswegen, bis irgendwann der strahlende Moment kommt, in dem Du Dich „fertig“ fühlst.

Ich weiß noch ziemlich genau, dass ich zu meiner ersten Ausstellung fast gezwungen werden musste. Ich hielt mich damals noch nicht für bereit. Aber wenn Du soweit bist, merkst Du es. Irgendwann fühlte ich, dass es genug ist mit studieren. Ich hatte, was ich brauchte, um allein weiterzumachen. Ich hatte meine Stimme gefunden. Das ist ja die wichtigste Frage, die Du Dir beantworten kannst: WARUM fotografiere ich eigentlich? Wenn Du das beantwortet hast, teilen sich Deine Bilder plötzlich in sehr wichtige, eher unwichtige und total überflüssige. Weil Du weißt, was Du zu tun hast.

Das ist natürlich von mir jetzt sehr leicht dahingesagt und das ist eh die Tücke beim Erfahrungen sammeln: Andere können einem dabei kaum helfen. Ich habe für mich persönlich etwas gefunden; bei anderen wird es ganz anders sein. Aber es gibt Autoritäten, die Deine Arbeit begleiten können, die Dir profunde Tipps mit auf den Weg geben, was Du Dir anschauen solltest oder in welche Richtung Du gehen kannst. Im Studium wird diese Funktion von Professoren wahrgenommen. Sie sind erfahren und unparteiisch und vor allem ist es ihre Aufgabe, sich mit Dir zu beschäftigen, Dich zu beraten und anzuleiten.

Vom Internet kann man das nicht verlangen, hier kommt diese Rolle tendenziell zu kurz, denn jeder vertritt in erster Linie seine eigenen Belange. Kuratieren wird da nur gegen Geld angeboten, Wettbewerbe kosten Mitmachgebühren und Awards und Vanity-Galerien warten eigentlich auch nur auf Dich, um Deine Brieftasche zu erleichtern.

Die Bedeutung dieser ganzen Dinge ist unklar und es ist nicht einfach, da durchzufinden. Heute verbringt jedes Fotokind schon mit 16 vom ersten Tag an mindestens so viel Zeit mit Selbstvermarktung wie mit der Arbeit an seinem Œuvre und der Kram hängt schon öffentlich an der Wand, bevor überhaupt klar ist, was er bedeuten soll.

Sich bei all dem Blingbling selbst zu finden, stelle ich mir sehr anstrengend vor. Ich habe den Eindruck, ich hatte im Studium und in der Laufbahn etwas mehr Zeit, die eigene Position und die Bedeutung der Dinge zu erkennen, ohne jeden Fitzel gleich vor der ganzen Welt rechtfertigen zu müssen.

Ich denke, was ich in Bildern suche, hatte ich im Groben schon gefunden, bevor ich mich dem Internet stellte. Das empfinde ich im Nachhinein als sehr günstig. Und auch, wenn ich das Internet zur Präsentation nutze, findet das Kreative ganz woanders statt. Ich finde es wichtig, diese beiden Prozesse komplett zu trennen, so kann ich dem Internet dann etwas zeigen, was es noch nicht kennt.

Aber die ganzen Begegnungen mit den Menschen, auch im Internet, haben zu meinen Bildern beigetragen. Es ist schön, diesen Einfluss überall zu spüren. Und ich bin allen sehr dankbar, die direkt oder indirekt dabei mitgemacht haben.

~

Wer sehen möchte, was Rüdiger Beckmann an die Wand bringt, der sollte sich morgen schleunigst auf den Weg nach Dresden machen und ihm die Hand schütteln. Finissage zu „Beyond Vanity – Jenseits von Eitelkeit“ – eine Ausstellung zu seinem Buch am Freitag, den 26. April 2013 bei Adam Ziege, Louisenstraße 87 – 01099 Dresden.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Im Gespräch mit Frank Buttenbender

22 Apr

Ein Beitrag von: Frank Buttenbender

Ich verfolge Dich ja jetzt schon eine Weile bei Facebook. Fast jede Woche gibt es dort wieder neue Konzert- und Festivalbilder zu bewundern. Klingt, als hättest Du einen Traumjob. Ist er das?

Das ist tatsächlich ein Traum, allerdings kein Job, denn ich arbeite nur im eigenen Auftrag für mein eigenes kleines Onlinemagazin. Das verschafft mir einerseits die Freiheit, nur die Konzerte zu fotografieren, die mich interessieren, hat teilweise aber auch den Nachteil, nicht alle Künstler vor die Linse zu bekommen. Zumindest nicht die Herrschaften, die noch immer im Internet eine Bedrohung sehen und nur Printmedien akkreditieren.

Mitunter fragen nach meiner eigenen Veröffentlichung auch Printmagazine an und ich gehe darauf ein, aber im Auftrag anderer arbeite ich nur sehr ungern. Noch besser ist die Situation natürlich dann, wenn man einen persönlichen Draht zur Band bzw. deren Management hat.

Dann findet man vor Ort auch ganze andere Bedingungen vor. Aber um zum Ausgangspunkt zurückzukommen; ja, es ist traumhaft, da es mir Gelegenheit gibt, großartige Konzerte zu besuchen und gleichzeitig zumindest einen Teil zum Ganzen beitragen zu können.

noyce TM von Frank Buttenbender

Bekommst Du denn bei der Arbeit überhaupt etwas vom Konzert mit? Die unberechenbaren Lichtsituationen, schnelle Bewegungen der Musiker – das alles erfordert ja eine hohe Konzentration. Kann man dabei die Musik genießen?

Gute Frage. Wenn ich das komplette Konzert fotografieren kann, bekomme ich nicht wirklich viel mit vom Geschehen. Aber das ist nicht die Regel, denn meistens ist ja nach drei Songs Schluss und man kann sich dem Konzert selbst widmen. Allerdings ist auch dann nicht ausgeschlossen, dass man den Lichtsituationen auf der Bühne mehr Beachtung schenkt als der Musik.

Um diese wirklich zu genießen, bin ich ohnehin lieber zuhause und höre in aller Ruhe ein Album auf CD oder Vinyl an. Bevor ich mit der Konzertfotografie begonnen habe, war ich daher auch kaum mal bei einem Konzert dabei. Und ich mag das eigentlich auch gar nicht. Zu viele Menschen auf engem Raum, der Sound ist meist übersteuert, die Luft schlecht… beim Fotografieren kann man das alles ausblenden, aber ohne das würde ich vermutlich nie Konzerte besuchen.

Das Ich von Frank Buttenbender

Interessant, ein Konzertfotograf, der an sich keine Konzerte mag. Muss man denn die Bands kennen und mögen, um gute Bilder zu machen?

Es ist vor allem motivierend, Bands zu fotografieren, die man mag oder vielleicht bislang noch nicht fotografieren konnte. Aber für gute Bilder reicht allein das nicht aus, manche Künstler sind aufgrund ihrer Statur oder ihres extremen Bewegungsdrangs generell schwieriger zu fotografieren und andere mögen keine guten Lichtbedingungen. Da nützt dann mitunter das Wollen auch nicht viel.

Manchmal sind die Ergebnisse aber trotzdem ganz passabel, das darf man dann gern der eigenen Tagesform zuschreiben oder ein paar glücklichen Momenten. Aber selbst bei perfekten Bedingungen, viel Zeit und guter Form wird es immer ein Foto geben, das man nicht gemacht hat. Vielleicht ist das auch der Grund für den bleibenden Antrieb, beim nächsten Mal wiederzukommen.

Die Leute auf der Bühne zu kennen, ist schon ein Vorteil. Es ist gut, wenn man weiß, wer gern auf welcher Seite das Mikro hält, wie groß die Bandmitglieder sind, ob sie dazu neigen, in den Graben oder ins Publikum zu springen und dergleichen mehr. Ein zu viel an Vorbereitung könnte allerdings die nötige Spontaneität ein wenig hemmen, so dass ich mir meistens nicht allzu viele Gedanken mache.

Laibach von Frank Buttenbender

Gibt es da eine Band, bei der es Dir besonders viel Spaß macht?

Derzeit muss ich da unbedingt die Band IAMX nennen, die mir auch musikalisch am meisten bedeutet. Ich habe sie erst einmal fotografiert, aber demnächst erfährt die Zusammenarbeit eine Fortsetzung. Gute Ergebnisse und daher viel Spaß gab es in der Vergangenheit mit den Bands Diorama, Project Pitchfork, Laibach oder Lacrimosa. Von den bekannteren Künstlern ist mir vor allem ein Abend mit Nick Cave in guter Erinnerung. Auf der Wunschliste stehen die Nine Inch Nails ganz oben.

Wie wichtig ist die Technik bei Deiner Arbeit und mit welcher Ausrüstung arbeitest Du?

Wichtig ist sie insofern, als dass sie mich in die Lage versetzt, unter teilweise extremen Bedinungen ordentliche Fotos zu machen. Derzeit benutze ich eine Nikon D700, eine Nikon D200 sowie einige lichtstarke Festbrennweiten. Damit bin ich derzeit zufrieden. Ich würde dennoch sagen, dass ein gutes, schnelles Auge sowie Erfahrung weitaus wichtiger sind als die optimale Ausrüstung.

The sisters of mercy von Frank Buttenbender

Aber ein gutes, schnelles Auge nützt nichts, wenn die Kamera nicht über ISO 400 hinausgeht, oder?

Es ist schon beides wichtig, keine Frage. Komisch sind immer so Äußerungen, wie „Du machst ja bessere Fotos, weil Du die bessere Kamera hast.“ Das ist sehr wirklichkeitsfern, denn ein ambitionierter Fotograf wird eher Wege und Mittel finden, bessere Technik zu verwenden, als neidvoll auf andere zu schielen.

Ich frage mich oft, warum so viele Fans auf Konzerten ihr Handy um Fotos bemühen. Gute Bilder schafft man damit aus der meist doch sehr großer Entfernung nicht, oder?

Die Handy-Knipser und Filmer sind ein ganz anderes Thema. Ich denke mal, denen geht es nicht so sehr um Qualität, sondern um den Beweis der eigenen Teilnahme. Mit Web 2.0 Apps wie Facebook und YouTube ist das Dabeisein und Mitmachen ganz wichtig geworden, wichtiger offenbar, als das pure Konzerterlebnis selbst.

Einige Künstler sprechen sich daher auch gegen die Verwendung von Handyknipsen aus, was ich ihnen hoch anrechne. Aber es gibt nicht nur zu viele Handyknipser, es gibt auch deutlich zu viele Leute, die sich um den Einzug in den Fotograben drängeln. Da ist in den letzten Jahren leider vieles in eine fragwürdige Richtung gelaufen.

Eisbrecher von Frank Buttenbender

Ja, von den Kämpfen im Fotograben hört man selbst als Nicht-Konzertfotograf in der Tat häufig. Woher kommen die ganzen Fotografen auf einmal und wo kann man ansetzen, um das Problem aufzulösen?

Die Zugangsbarierren sind einfach wesentlich niedriger als früher. Digitalfotografie und Internet sind zwei wichtige Gründe dafür, dass es in diese Richtung gegangen ist. Veranstalter sehen sich daher mit weitaus mehr Anfragen konfrontiert und soweit es möglich ist, wird diesen Anfragen auch entsprochen.

Denn im Zweifel sind mehr Vorabwerbung und Nachberichterstattung immer lukrativer als die zwei, drei Lokalmedien, die zur Analogzeit berichtet haben. Da die richtige Auswahl zu treffen, ist sicher nicht einfach und auch mal nein zu sagen leider nicht die Regel.

Wenn man die Zugangsbarierren erhöht, wäre Deine Arbeit nicht auch in Gefahr? Als eigener Auftraggeber für ein Online-Magazin bist Du doch wahrscheinlich einer der vielen neuen Fotografen im Graben, oder?

Das könnte man meinen, allerdings haben sich in den vergangenen Jahren einige gute Kontakte entwickelt, die mich zumindest innerhalb der alternativen Musikszene zuvorkommend behandeln. Das Online-Magazin war aber letztlich immer nur Mittel zum Zweck, denn ich bin dort weit davon entfernt, richtigen Journalismus zu betreiben.

Wesentlich lieber wäre mir daher die nähere Bindung an einzelne Bands, das würde dann auch eher zu einzigartigen, außergewöhnlichen Fotos führen und die beschriebene Situation gar nicht erst entstehen lassen.

fields of the nephilim & lacuna coil von Frank Buttenbender

Möchtest Du als eine Art persönlicher Fotograf Bands für eine Tour oder zumindest ein paar Konzerte begeleiten oder wie kann ich mir das vorstellen?

Für einzelne Konzerte ist das bereits schon so geschehen, eine komplette Tour wäre allerdings eine neue Erfahrung, die ich unter gegebenen Umständen gern machen würde.

Auch wenn bereits zu viele Fotografen im Konzertgraben stehen: Hast Du vielleicht Tipps für angehende Konzertfotografen?

Ein Tipp wäre eventuell, nicht so sehr die anderen Fotografen und ihre Fotos als Vorbild vor Augen zu haben, sondern eher zu versuchen, so früh wie möglich einen eigenen Weg der Bildsprache zu entwickeln. Ich war am Anfang sehr aktiv in der Fotocommunity, was letztlich aber ein Fehler war, denn dort wird eher das Streben nach einem Konsensgeschmack gefördert als die eigene Entwicklung.

Zeromancer von Frank Buttenbender

Passend zur Musik würde ich Deine Bildsprache als düster und kontrastreich beschreiben. Wie würdest Du sie charakterisieren?

Düster und kontrastreich, genau. Das hat wohl mit meiner Persönlichkeit zu tun, die gern schwarz oder weiß malt, aber niemals grau und selten farbig. Farbe gibt es vermehrt dann zu sehn, wenn es mir bei dem Ereignis gut ging, aber im Nachhinein sind das meist die schlechteren Fotos. Persönliche Krisen hingegen haben sich meist positiv auf die fotografischen Ergebnisse ausgewirkt.

Ich finde ja auch Deine wenigen farbigen Bilder schön. Entscheidest Du bereits während des Konzertes, ob die Bilder am Ende schwarzweiß werden? Und wieviel Nachbearbeitung steckt überhaupt in den Bildern?

Das ist zunächst davon abhängig, welche Bedingungen vor Ort herrschen. Im Gegensatz zur oftmals vertretenen Meinung, schwarzweiß sei nur eine Notlösung, ist es bei mir eher umgekehrt: Ich versuche fast immer, die Fotos im Ergebnis schwarzweiß zu bekommen.

Aber manche Farbkonstellationen lassen dies einfach nicht in genügendem Maße zu. Wenn das Ergebnis farbig ausfällt, kann es also nicht nur an der guten Verfassung während des Ereignisses liegen, sondern auch schlichtweg daran, dass die Umwandlung nicht geglückt ist.

Nachbearbeitet werden alle Fotos, zunächst meist im Schnitt, was eine Folge der Festbrennweiten ist. Dann wird nachgeschärft, verkleinert und der Kontrast erhöht. Von Bildmanipulationen halte ich aber nicht so viel. Mir ist der rauhere Charakter sowieso lieber als eine glattgebügelte HDR-Anmutung.

Generell halte ich Farbe für problematisch, weil es den Betrachter viel zu sehr vom Geschehen selbst ablenkt. Ich habe auch manchmal den Gedanken, einfach von vornherein schwarzweiß und analog zu fotografieren. Vielleicht werde ich das demächst wieder versuchen.

Project Pitchfork von Frank Buttenbender

Das klingt für mich nach einer großen Herausvorderung. Was steht denn in nächster Zeit noch an?

Ja, letztlich werde ich aber der Konzertfotografie weiter treu bleiben. Es gibt dann auch immer mal Anfragen der Musiker für gestellte Fotos. Ich habe mich allerdings nie so richtig wohl gefühlt, wenn es darum ging, selbst Regie zu führen, so dass ich das lieber anderen überlasse.

Falls alles klappt, werde ich in der nächsten Zeit Konzerte von IAMX, Rammstein und Dead Can Dance besuchen. Zudem freue ich mich auf verschiedene Open Air Events im Sommer auf einer malerisch gelegenen Festung in der Nähe meiner Heimatstadt, zu denen mich der Veranstalter bereits eingeladen hat.

Dann viel Erfolg dabei! Ich bin gespannt auf die neuen Bilder.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Im Gespräch mit Daniel Barth

28 Mar

Ein Beitrag von: Daniel Barth

Als ich auf die Fotos von Daniel Barth gestoßen bin, bekam ich ein ganz wohliges Gefühl und es entstand der Wunsch, den Menschen hinter der Kamera kennenzulernen. Daraus ging ein sehr netter und inspirierender Kontakt hervor und außerdem ein interessantes Interview.

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Wenn man sich Deine Fotos anschaut, begegnet man Gesichtern in schwarzweiß und tanzenden Körpern. Als was für einen Fotografen würdest Du Dich bezeichnen?

Mit derlei Bezeichnungen habe ich ein wenig meine Probleme. Es sind zwar ganz klar zwei Leidenschaften, die mich in der Fotografie antreiben: Menschen im Allgemeinen und tanzende Menschen im Besonderen.

Diese Leidenschaften prägen entsprechend stark meine Arbeiten. Zugleich gibt es aber Tanz- und Portraitfotografen – zweifellos naheliegende Kategorien – mit denen ich jenseits des Sujets de facto nichts gemeinsam habe.

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Du fotografierst analog und häufig schwarzweiß, warum?

Portraits fotografiere ich fast ausschließlich analog und in der Tat viel schwarzweiß. Vor allem, weil ich die reduzierte und konzentrierte Wirkung schätze oder auch das grobe Korn bei gepushter Entwicklung.

Die Schwarzweiß-Fotografie hat aber nichts Programmatisches bei mir, ich arbeite durchaus auch gern mit Farbfilm und Polaroid.

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Was im Allgemeinen und im Besonderen bewegt und fasziniert Dich an der Fotografie?

An der Portraitfotografie fasziniert mich vor allem die Intensität, mit der man sich mit einem – bis dahin häufig fremden – Menschen auseinandersetzt. Die Bereitschaft, innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit eine besondere Form von Vertrauensverhältnis zu schaffen, sich aufeinander einzulassen, ein Stück weit jemanden zu entdecken bzw. sich entdecken zu lassen.

Es gibt im „normalen Leben“ kaum vergleichbare Situationen. Das funktioniert wahrscheinlich auch in der Fotografie nur, weil es hier einen relativ geschützten Raum mit klarer Rollenverteilung und Zielsetzung gibt. Ich glaube nicht, dass man die Essenz eines Menschen in einem Foto festhalten kann. Aber zumindest essentielle Aspekte einer Persönlichkeit lassen sich durchaus entdecken und auf Film bannen.

Das ist ein immer wieder faszinierendes Abenteuer.

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Die Beschäftigung mit dem Tanz reicht bei mir ebenfalls weit zurück. Als Kind habe ich selbst Ballett getanzt – aber relativ bald eingesehen, dass weder Disziplin noch Talent für ambitioniertere Pläne ausreichend vorhanden sind. Die Begeisterung ist aber geblieben.

Aus fotografischer Sicht vereinen sich in der Tanzfotografie gleich mehrere faszinierende Aspekte. Die rein ästhetische Faszination für die Schönheit der Bewegungen und der Körper. Die Konzentration und Hingabe, mit der Tänzer häufig so in ihrer Kunst aufgehen, dass man als Fotograf kaum mehr wahrgenommen wird. Das ermöglicht ein sehr freies Arbeiten und einen unverstellten Blick, was ich sehr schätze.

Dann ist Tanzfotografie so, wie ich sie praktiziere – also: Auf der Bühne oder jenseits des Studios irgendwo im öffentlichen Raum – ein Feld, auf dem man als Fotograf vor allem reagiert und improvisiert. Man weiß nie, was gleich passiert oder wie Dinge sich entwickeln, der einzelne Moment ist nicht wiederholbar.

Man gibt so viel Kontrollmöglichkeit ab, aber gleichzeitig arbeitet man sehr fokussiert und es entsteht ein Dialog, man tanzt in gewisser Weise mit. Das gilt sogar fast wörtlich, denn ich bin ständig in Bewegung, brauche viel Platz. Je nach Choreografie nähert sich mein Kalorienverbrauch dem des Tänzers an.

Abschließend mag ich auch die rein technische Herausforderung: Man arbeitet mit einem flüchtigen Motiv in ständiger, schneller und unvorhersehbarer Bewegung, dazu extremen Lichtsituationen, häufig in raschem Wechsel. Über das Fotografieren selbst darf man da nicht nachdenken, jeder Griff muss einfach sitzen. Das ist auch ein schöner Ausgleich zur Portraitfotografie, bei der ich mir gern Zeit nehme, ja, wo Ruhe und eine gewisse Langsamkeit geradezu wichtig sind.

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Wie kam es dazu, dass Du Dich der Fotografie zugewendet hast?

Über Neugier, Faszination und Experiment – und als reiner Autodidakt. Ich würde mich als visuellen Menschen beschreiben, will sagen: Ich habe eine sehr bildhafte Fantasie, verbinde Atmosphären, Emotionen oder Eindrücke schnell mit starken Bildern. Die Aussicht, Bilder festhalten und mit anderen teilen zu können, war insofern schon früh sehr reizvoll.

Die ersten Schritte in die Richtung: Mit zwölf oder dreizehn Jahren habe ich die Spiegelreflexkamera meines Vaters gekapert und damit wild drauflos geschossen. Das war ein vollmechanisches Relikt ohne funktionierenden Belichtungsmesser, entsprechend breit gestreut war die Qualität der ersten Ergebnisse. Sehr wohlwollend gesprochen.

Aber irgendwie war das auch ein Glücksfall, denn so war ich gezwungen, mich intensiver mit den Grundlagen auseinanderzusetzen. Und auch meine Vorliebe für die analoge Fotografie geht wahrscheinlich zu einem Teil darauf zurück. Nach einer Phase der Abstinenz habe ich letztlich während des Studiums angefangen, mich wieder ernsthaft und dauerhaft der Fotografie zu widmen. Und bin seither dabei geblieben.

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Menschen zu porträtieren ist etwas sehr Intimes und Spezielles. Auf welche Art und Weise stellst Du den Kontakt her zu den Menschen, die Du fotografierst?

Das ist ganz unterschiedlich. In Sachen Portrait durchaus auch über einschlägige Onlineportale, obwohl das in letzter Zeit nachgelassen hat. Im tänzerischen Bereich läuft viel über persönliche Kontakte oder gemeinsame Bekannte. Interessante Tänzer für künstlerische Projekte spreche ich auch direkt an, sei es bei Proben und Aufführungen oder auch via Facebook.

Und dann kommt es mitunter vor, dass mir im Kaufhaus oder der U-Bahn derart faszinierende Menschen begegnen, dass ich sie ganz dreist ansprechen und zu einer Zusammenarbeit einladen muss. Zu guter Letzt werde ich angesprochen – über Homepage, Facebook oder Empfehlungen – woraus sich auch immer wieder interessante Begegnungen ergeben.

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Gibt es ein bestimmtes Gefühl, das Du mit Deiner Fotografie transportieren möchtest?

Ein spezifisches Gefühl sicher nicht, nein. Ein breites Spektrum emotionaler Zustände reizt mich. Verbindende Elemente in meiner Fotografie gibt es eher auf abstrakterer Ebene. Ich mag sehr natürliche Fotos, unverstellt, ohne Make-up, mit natürlichem Licht.

Ausdruck und Atmosphäre sind mir wichtig. Die Person, mit der ich mich beschäftige, steht ganz klar im Zentrum. Ihr will ich mich annähern, Facetten beleuchten. Dabei geht es um Nähe und eine Form von Intensität. Vermeintliche Schönheitsideale oder persönliche Eitelkeiten spielen da kaum eine Rolle, das muss man aushalten können.

Eine Begegnung auf dieser Ebene zwischen Fotograf und Subjekt gelingt natürlich nicht immer, dennoch ist es ganz klar das Ziel. Dann gibt es auch noch verbindende Elemente auf ästhetischer Ebene, zum Beispiel eine Vorliebe für starke Kontraste, grobes Korn, Raum für Schatten, Unschärfe und Erahntes.

Auch in der Tanzfotografie bin ich gern sehr nah an den Tänzern, interessiere mich mindestens ebenso für Ausdruck und Persönlichkeit wie für Grazie und physische Präsenz. Gerade in diesem Grenzbereich zwischen Tanz und Portrait entstehen häufig die für mich stärksten Tanzaufnahmen.

Vielen Dank, Daniel!


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Im Gespräch mit Anja Millen

19 Mar

Ein Beitrag von: Anja Millen

Anja Millen ist eine Geschichtenerzählerin. Beim Betrachten ihrer Bilder fühle ich mich wieder selbst wie ein Kind, das am Lagerfeuer sitzt und ihren Worten lauscht. Nur, dass es eben keine Worte sind, sondern Bilder, die direkt durch mich hindurch gehen.

Dass aber nicht die Fotografie, sondern die Bildbearbeitung ihre Passion ist und ihre Welten somit in der digitalen Dunkelkammer entstehen, hat mich veranlasst, ein bisschen nachzufragen, um mehr über sie und ihre Bilder zu erfahren.

Lieben Dank, dass Du Dich zu einem Interview bereit erklärst. Du hast mir geschrieben, dass Du weniger Fotograf als viel mehr Pixelschieber bist. Aber bevor wir dort anknüpfen, erzähl uns doch ein wenig über Dich. Wer bist Du und was machst Du?

Wer ich bin, frage ich mich manchmal selbst. Manchmal verliere ich mich ganz in meinen Bildern und ein anderes Mal verlieren sich die Bilder in mir. In erster Linie bin ich wohl Mensch, das kann ich nicht ändern, auch wenn der Gedanke durchaus reizvoll wäre. Aber die Realität in Bildern und auf Bildern kann ich ändern, neu erschaffen oder aber Träumen ein Gesicht geben.

Ich liebe alle Arten von künstlerischen Tätigkeiten, die traditionelle Kunst, das Schreiben vor allem von Lyrik und Prosa, ebenso wie das Fotografieren oder mein mich am meisten einnehmender Part, das Manipulieren und digitale Neuerschaffen.

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Natürlich würde ich viele Bilder mit entsprechendem Equipment und Crew auch rein fotografisch annähernd so darstellen können – allein: Weder Zeit- noch Geldaufwand wären erschwinglich. Ich liebe Ruhe und Stille und arbeite nachts am kreativsten und am Tag leide ich unter meinen durchwachten Bilderwelten, wenn ich meinen Beschäftigungen nachgehe.

Ich komme aus einem Elternhaus, in dem Kunst nicht wirklich eine Rolle spielte und auch nicht entsprechend gefördert wurde. Ich gehöre noch zu der Generation, die „etwas Anständiges lernen“ und arbeiten musste. Also wurde ich Köchin und beendete diese unerwünschte „Karriere“, nachdem ich länger in Südfrankreich arbeitete.

Dann, inzwischen selbst Mutter zweier, mittlerweile erwachsener, Töchter, machte ich mein Abitur nach, besuchte die Fachoberschule für Gestaltung, begann ein Studium und verbrachte einige Zeit an der hier ansässigen Europäischen Kunstakademie.

Ich habe irgendwann die Fotografie und digitale Kunst für mich entdeckt und bin dabei geblieben, auch wenn mich sehr viele andere Bereiche der Kunst und des Designs interessieren und ich am liebsten ein Tausendsassa wäre.

So bearbeite ich seit nunmehr 15 Jahren Bilder digital, zeichne und manipuliere, zum Teil mit eigenen Fotografien, aber auch sehr viel basierend auf Stockbildern. Da es nicht wirklich genug Anfragen oder Nachfrage gibt, betreibe ich dies weitestgehend als Hobby und freue mich daran, wenn Menschen für einen Moment in meiner Kunst abtauchen und auf eine Reise aus dem Alltag gehen können.

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Was inspiriert und motiviert Dich, diese anderen Welten zu erschaffen und wie gehst Du dabei vor?

Ich werde durch alles beeinflusst: Bewusst Gesehenes, Errochenes, Gelesenes, Gehörtes, beiläufig Wahrgenommenes, Erlebtes.

Kurzum, das Leben, die Natur und die Umwelt sind die Künstler, die mich ständig beeinflussen. Wann ich das verarbeite, kann ich nicht steuern; ich gehe ohne Vorhaben an ein Bild heran.

Stockbilder inspirieren mich häufig, ich sehe ein Foto einer Fliege und denke: Ooh, die würde sich gut auf einem Auge machen. Ob ich sie letztendlich dorthin setze oder am Ende gar nicht mehr in das Bild integriere, weiß ich im Voraus nicht.

Ein Bild zu machen ist bei mir ein völlig freier Verlauf und ja, da kann es passieren, dass ich nach Stunden einfach auf den kleinen Papierkorb klicke und alles lösche, weil das Bild mir nichts mehr gibt.

Ich brauche keine Motivation, ich fühle mich wie ein Silo, aufgefüllt mit unzähligen irrealen Bildern, die alle herauswollen, als sei ich nur das Werkzeug, um sie aus mir zu entlassen. Würde ich keine Bilder mehr machen, würde ich wohl irgendwann implodieren oder verrückt werden oder beides.

Einzig wenn ich kleinere Serien mache, folge ich ein Thema oder einem Bearbeitungsstil und weiß bereits zu Beginn, wohin die Manipulationsreise mich führen wird.

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Du hast Eingangs erwähnt, dass Du zeitweise auch fotografierst. Das ist sicher ein ganz anderes Arbeiten, weil Du dann auch Kontakt mit dem Mensch vor Deiner Kamera aufnimmst. Sehe ich das richtig?

Natürlich ist ein direkter Kontakt mit Menschen immer anders und da ich mich nicht als Profi sehe, ist auch ein bisschen Nervosität dabei. Allerdings ist mein Arbeiten auch dort nicht viel anders als am Computer oder auf der Leinwand. Ich bin keine Dienstleisterin, sprich, ich mache selten „Wunscherfüllung“.

Das ist nicht mein Job, dazu sind entsprechende Fotografen da. Somit „schiebe“ ich statt Pixeln halt den Menschen über meine Leinwand, bis ich die Positionen, Mimik oder Szenerien eingefangen habe, die ich mag.

Ich habe einige Bilder in meinem Portfolio, die nicht manipulierte Arbeiten sind, liebe es aber, diese Welten zu erschaffen, zu denen mir die Mittel fehlen, sie durch reine Fotografie zu kreieren. Somit wird die Fotografie dann für mich lediglich Mittel zum Zweck, der abgelichtete Mensch erkennt sich häufig danach nicht einmal mehr selbst.

Wo andere Fotografen die Visagisten bereithalten, bitte ich das Modell, ungeschminkt zu kommen, das verunsichert manchmal. Auch die Bitte um ungewohnte Bewegungen oder schlicht Ausdruckslosigkeit, fernab des typischen Posings, ist für manche gewöhnungsbedürftig.

Von daher ist es für mich schon anstrengender, da ich nicht der geduldigste Mensch bin und auch nicht gern Überredungsarbeit leiste. Sprich: Wer es wirklich wagt, sich vor meine kleine Canon zu stellen, sollte funktionieren und sich keine Gedanken machen, ob er noch „schön“ genug aussieht, wenn er den Mund aufreißen soll.

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Bildbearbeitung und Fotografie. Wieviel ist erlaubt? Hier scheiden sich immer wieder die Geister. Bildmanipulation als eigenes Medium, abgekoppelt von Malerei und Fotografie oder Verbindung beider Genres?

Zur Frage, wieviel erlaubt ist: Fragt man sich das auch bei einem Maler, Zeichner oder Bildhauer?

Ich sehe die Fotografie als meine „Ölfarbe“ und Photoshop als meinen Pinsel oder als meinen Marmorstein und Meißel. Ein Zuviel gibt es schlicht nicht in meiner Art der Kunst, eher ein Zuwenig, denn dann würde ich ja „nur“ noch ein Foto etwas aufpimpen. Ich möchte eine komplett neue Welt erschaffen, in der man am besten die fotografischen Einzelteile als solche nicht mehr erkennt.

Manipulationen und Kompositionen wurden solange von verängstigten und auch verärgerten Fotografen verschrien und erst in den letzten ein, zwei Jahren mehr und mehr anerkannt. Bei vielen entstand es vor allem aus der Angst heraus, dass die Wertigkeit der Fotografie leidet und auch aus der Scheu, sich mit Produkten wie Photoshop auseinanderzusetzen. Für mich persönlich leidet die Fotografie nur unter der Bearbeitung, wenn jemand, der sein Werkzeug nicht beherrscht, sich daran versucht, z.B. an übertriebenen Beautyretuschen und ähnlichem und das machen besagte Fotografen leider meist selbst.

Ja, ich bin für Bildmanipulationen natürlich vom Bild als Basis abhängig, jedoch nicht für digitale Kunst zwangsläufig, da ich auch digital zeichne, male, rendere. Fotografie ist ein eigenständiges Genre, ebenso wie die darauf basierende künstleriche Verarbeitung.

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Wir haben jetzt viel über Bildmanipulation gesprochen und darüber, dass der Computer Dein Werkzeug ist. Wie aber verhält es sich mit der Präsentation Deiner Bilder? Reicht Dir dafür das Netz oder möchtest Du auch eine haptische Erfahrung?

Ich würde gern auch Ausstellungen meiner Bilder oder Installationen verschiedener Ideen machen, Angebote habe ich durchaus, national wie auch international. Der springende Punkt ist, dass dies sehr viel Geld erfordert. Abgesehen vom reinen Drucken, den Rahmen, Materialien und auch Anreisen und Transport.

Das klingt nun vielleicht etwas merkwürdig, ist aber tatsächlich der Hauptgrund, wieso ich das Netz als meine Galerie bevorzuge. Mäzene laufen einem nicht die Tür ein. Ich habe auch bereits als Book on Demand ein Buch gemacht und plane dahingehend durchaus mehr.

So sehr das Internet auch ein Segen für die Verbreitung und Betrachtung von Kunst ist, so sehr können sich die Leute heute daran sattsehen, um danach auf ihre nackten Wände zu schauen, ohne sich Kunst „erarbeiten“ zu müssen, gleich in welcher Form: Durch den Gang zur Galerie, ins Museeum, in den Buchhandel oder durch entsprechende Bilder an eigenen Wänden.

Mit diesem letzten Satz möchte ich das Interview gern beenden. Es lässt Raum für eigene Gedanken.

Vielen Dank für den Einblick in Deine Welt. Es hat auch bei mir einiges umgeworfen und ich konnte einige meiner Vorurteile, dank Deiner Ansichten, etwas geraderücken.

Wer nun mehr von Anja Millen sehen möchte, der schaut bei Facebook vorbei. Dort gibt es immer die neuesten Bilder zu bewundern.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Im Gespräch mit Przemek Strzelecki

08 Mar

Schräg, komisch, absurd – das sind die Adjektive, mit denen sich Przemek Strzeleckis Fotografien beschreiben lassen. Sie sprühen zugleich vor Lebensfreude und zeigen das ausgeprägte Feingefühl für Situationskomik ihres Uhrhebers. Ich habe den Meister des Moments zu einem Gespräch eingeladen.

Hey Przemek. Schön, dass ich Dich für ein Interview gewinnen konnte. Deine Fotos sind – wie soll ich es sagen? – extrem erfrischend. In jedem steckt immer irgendwie ein Grinsen. Seit wann fotografierst Du und wie hast Du gemerkt, dass die Fotografie das richtige Medium für Dich ist?

Zuerst einmal danke, dass Du mich hierzu eingeladen hast. Schön, dass Du diese zwei Worte gesagt hast: Erfrischend und Grinsen.

Mit dem Grinsen hast Du etwas in meinen Bildern erkannt, das immer in mir steckt. Und erfrischend gefällt mir, weil ich vor ein paar Jahren meine Denke über Fotografie geändert habe. Ich habe angefangen, nach etwas Neuem und Frischem zu suchen, nach etwas Anderem und Unkonventionellem.

Mongolia 2012 © Przemek Strzelecki

Ich mache schon ziemlich lange Bilder und kann mich sogar noch an meine erste Smena – eine alte russische Kamera – erinnern und haha an meine ach so tollen Fotos von Vogelnestern.

Dann hatte ich eine ganze Menge Zenit-Kameras, zwei davon habe ich immer noch, bis mir meine Eltern damals meine erste Canon kauften. Eine EOS 5000, glaube ich.

Vor ungefähr sechs Jahren erst habe ich erkannt, worum es bei der Fotografie wirklich geht und bin inzwischen total verrückt danach.

Mongolia 2009 © Przemek Strzelecki

Mir gefällt die Ironie, mit der Du auf Deine früheren Bilder schaust. Du sagtest, Du hast erkannt, worum es bei der Fotografie geht. Worum denn Deiner Meinung nach?

Wenn man feststellt, dass das Leben eigentlich ein großer Witz und voller Ironie ist, warum soll man dann nicht auch versuchen, Ironie in Bildern zu finden?

Vor einigen Jahren habe ich aufgehört, typische Touristenfotos zu machen. Ich mag solche Bilder, wie sie die meisten Leute von ihren Reisen mitbringen, nicht.

„Hier bin ich am Denkmal, neben dem Denkmal, vor dem Denkmal …“ – und so weiter.

Solche Bilder bringen einem nichts bei. Ich habe meine Sicht auf die Welt geändert, habe angefangen, Stereotypen zu durchbrechen und meinen eigenen Stil zu entwickeln.

Mongolia 2012 © Przemek Strzelecki

Aber es ist schwierig zu erklären, was Fotografieren bedeutet, weil es für jeden etwas anderes ist. Für mich hat es viel mit Gefühl und Intuition zu tun.

Ich muss nur einen Blick auf ein Foto werfen, um zu wissen, ob es mir gefällt oder nicht, aber ich kann nicht sagen, warum. Es ist schwierig, das zu definieren. Es ist eher wie Poesie.

Du fotografierst nach wie vor analog. Entwickelst Du selbst?

Ja, ich nutze immer noch Film, den ich der Digitalfotografie vorziehe. Ich entwickle Schwarzweißnegative selbst, scanne sie ein und drucke sie dann aus.

Mein Traum ist eine eigene Dunkelkammer, aber das ist leider nicht billig.

Egypt 2008 © Przemek Strzelecki

Poland 2012 © Przemek Strzelecki

Welche sind Deine Lieblingsfotografen? Hast Du Vorbilder?

Hier ist eine Liste meiner Lieblingsfotografen:
• Josef Koudelka
• Alex Webb
• Jindrich Streit
• Anders Petersen
• Larry Towell
• Marry Elen Mark
• Ragnar Axelsson
• Nikos Economopoulos
• Junku Nishimura
• Pentti Sammallahti
• Kim Thue

Und noch viele, viele mehr.

Besonders zwei von ihnen finde ich einfach irre: Josef Koudelka und Alex Webb. Ich versuche, eine Sammlung wie ihre zu erreichen.

Mongolia 2006 © Przemek Strzelecki

Du reist sehr oft, oder? Was motiviert Dich dazu?

Ja, ich reise, aber eigentlich nicht sehr viel. Pro Jahr mache ich normalerweise eine große Reise in die Mongolei und einen kürzeren Trip – meist mit dem Fahrrad – an irgendeinen Ort in Osteuropa.

Ich unternehme auch sehr viele Wochenendtrips in die Slowakei oder nach Tschechien, weil es mir dort einfach sehr gefällt.

Ich stecke mir immer etwa 25 Euro ein, das reicht dann für drei Tage. Ich schlafe im Wald oder in verlassenen Häusern, bewege mich zu Fuß oder mit dem Fahrrad und trinke viel Bier mit den Einheimischen, was mir Gelegenheit gibt, eine Menge guter Bilder zu machen.

Und meine Motivation? Ich werde mal die Worte eines unbekannten Autors verwenden, um den zweiten Teil Deiner Frage zu beantworten: „Reise weit. Bleib lange. Schau genau hin. Und möge die Sonne zwei Mal aufgehen, bevor Du schlafen gehst.“

Mongolia 2011 © Przemek StrzeleckiMongolia 2012 © Przemek Strzelecki

Dass Du den Menschen nahe bist, spiegelt sich sehr gut in Deinen Bildern wider, insbesondere in Deinen Fotos aus der Mongolei. In ihnen steckt eine gewisse Vertrautheit. Was ist es, das Dich Jahr für Jahr immer wieder zurück in dieses Land führt?

Die Mongolei ist ein Ort, an dem man sich absolut frei fühlen kann. Ich habe dort alles gefunden, was ich in all den Jahren des Reisens gesucht habe.

Wenn ich dort bin, fühle ich mich, als wäre mein Traum wahr geworden. Ein Traum, den ich als Kind hatte, wenn ich bis spät in die Nacht Bücher von Jack London las, die mir mein Vater gegeben hatte.

Für mich ist die Mongolei einer der letzten Orte auf der Erde, an denen man Stille und Weite finden kann, raue Menschen und einen so klaren Sternenhimmel, dass man den Eindruck hat, die Sterne seien so nah wie Äpfel an einem Baum. Das ist wirklich erstaunlich.

Mongolia 2011 © Przemek StrzeleckiMongolia 2011 © Przemek Strzelecki

Das klingt fantastisch. Würdest Du Dich selbst als Romantiker bezeichnen?

Ich find’s eher schwierig, mich selbst zu beschreiben. Romantiker? Vielleicht, ja, doch, ich denke schon. Ich lebe in einer Welt von Träumen und ich wurde zu spät geboren.

Die Zeit der großen Abenteuer und Entdeckungen ist längst vorbei. Als ich klein war, habe ich Hunderte Bücher gelesen, die mich verrückt danach machten, etwas Neues zu entdecken und zu erleben. Ich bin immer noch ein Kind im Körper eines fast vierzigjährigen Mannes. Habe die ganze Zeit Tausende neue Ideen.

Mongolia 2011 © Przemek Strzelecki

1993, als ich gerade 16 Jahre alt war, machte ich meine erste große Reise zum Baikalsee. Danach habe ich drei bis vier Jahre lang unter offenem Himmel geschlafen.

Ich habe festgestellt, dass ich krank bin – infiziert mit der Abenteuerkrankheit – und ich hoffe, dass ich niemals geheilt werde. Ich möchte an dieser Stelle Joe E. Lewis zitieren: „Man lebt nur einmal, aber wenn man es richtig anstellt, ist einmal genug.“

Es gibt nichts Schöneres als in einem Schlafsack unter dem Sternenhimmel zu liegen. Egal wo, es geht überall.

Przemek, herzlichen Dank für das Interview und Dir alles, alles Gute für die Zukunft.

Wir haben das Interview auf Englisch geführt. Ich habe es anschließend ins Deutsche übersetzt.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Im Gespräch mit Samuel Poromaa

19 Feb

Ein Beitrag von: Samuel Poromaa

Kurzes Vorwort, langes Interview: Manchmal findet man als Interviewer erst im Gespräch selbst heraus, dass der Künstler, den man sowieso vorstellen möchte, noch viel interessanter ist als man dachte. Und jede Menge spannende Gedanken hat, die er im Folgenden mit uns und Euch teilt.


„Contact“ aus der Serie „The Silence Of Many“

Hallo Samuel. Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview mit uns nimmst. Zuerst, erzähl uns doch mal ein bisschen was über Dich: Wer bist Du, was machst Du?

Mein Name ist Samuel Poromaa, ich bin ein schwedischer Künstler und lebe in Stockholm. Ich wurde 1960 in Kiruna geboren, das ist eine kleine Bergbau-Gemeinde weit oben im Norden von Schweden nahe dem Gebirge, das die natürliche Grenze zwischen Schweden und Norwegen bildet.

Ich bin eigentlich wirklich kein Fotograf. Na gut, man könnte wohl sagen, dass ich ein Fotograf geworden bin, da ich ja Fotos mache, aber in meiner Vorstellung bin ich ein konzeptioneller Künstler, dessen Handwerkszeug im Moment die Kamera und die digitale Dunkelkammer sind.


„Bones“ aus der Serie „The Site“

Obwohl ich schon seit den späten 70er Jahren mit einer Kamera Schnappschüsse mache, vor allem, um Fotos als so eine Art Skizzenbuch für meine Gemälde zu benutzen, habe ich damals nicht eine Sekunde daran gedacht, dass die Kamera selbst auch das hauptsächliche Werkzeug für Kunst sein könnte.

Nachdem in den 1990er Jahren mein Studium abgeschlossen war, habe ich im Grunde nur gemalt und alles, was ich machte, um mir eine Karriere mit Ausstellungen in ganz Schweden aufzubauen, drehte sich ständig um Farben und Pinsel und Leinwände und das ganze Zeug.

Daher denke ich heute auch mehr wie ein Maler, wenn ich mit der Kamera und der digitalen Dunkelkammer arbeite – und ich bin überzeugt davon, dass es einen Unterschied im Denken gibt. Das ist meine Erfahrung, nachdem ich Künstler und Fotografen getroffen und mit allen über die Fragen der Gemeinsamkeiten diskutiert habe. Heute fühle ich mich etwas zwischen zwei Welten hängend, aber im Herzen werde ich wohl immer ein Maler sein.


„Yellow Skeleton“ aus der Serie „Playground“

Wie bist Du denn überhaupt zur Kunst – also zuerst zur Malerei – gekommen?

Als Kind und Jugendlicher in Kiruna drehte sich mein Leben ziemlich um die Kunst der Cartoons, ich habe eine Menge gezeichnet und mochte Superhelden sehr gern, habe also Comics (vor allem von Marvel) gesammelt, die zumindest damals dort sehr schwer zu bekommen waren.

Genau genommen war es so eine Art Wettstreit zwischen uns Jungs, an die Magazine heranzukommen, sie aus den Staaten zu importieren, sie untereinander zu tauschen oder sie manchmal sogar zu stehlen. Ich denke, dass mein heutiges großes Interesse und die Inspiration aus aktueller Popkultur damals angeregt wurden, als ich Mitte der 70er als Teenager von den Fantastischen Vier oder Captain America las und davon träumte, Cartoonzeichner zu werden.


„12“ aus der Serie „Numbers“

Meine erste echte Begegnung mit der Malkunst trug sich auf einer Schulexkursion nach Amsterdam zu. Ich war 15 und es war meine erste Reise außerhalb Schwedens ohne meine Eltern. Daher drehten sich meine Gedanken natürlich nicht primär um Kultur und Kunst. Aber wir landeten trotzdem im Rijksmuseum und dieser Besuch änderte einfach alles für mich: Ich entschied, Maler zu werden.

So studierte ich nach meinem Abitur zwei Jahre lang an der Sunderby Folkhögskola die technischen Grundlagen der Kunst und später Malerei am Konstfack University College of Arts, Crafts and Design in Stockholm, wo ich 1989 meinen Abschluss als Master of Fine Arts MFA machte.


„Reserved“ aus der Serie „Keep On Walking“

Wie ist es passiert, dass sich dieser Maler dann in einen Fotografen verwandelte?

Etwa um 1997 habe ich die Malerei aufgegeben, weil ich genug von dem hatte, was ich tat und weil die Galerie, mit der ich seit fast acht Jahren zusammengearbeitet hatte, geschlossen wurde. Es war also Zeit für mich, weiterzuziehen und ich wollte auch, dass sich etwas änderte; ich wollte diesen ziemlich traditionellen Kunstweg verlassen und andere Möglichkeiten erkunden.

Also begab ich mich in die virtuelle Welt und machte quasi alles, was nichts mit Malerei zu tun hatte: Video, digitale Bilderzeugung, Fotografie und sogar Grafikdesign. Ich bewegte mich also von eher klassischen Landschaftsmalereien beinahe romantischer Tradition hin zu Dingen, bei denen es eher um Konzepte und Ideen ging. So weit wie möglich weg von den ästhetischen Auffassungen, die bisher mein Alltag gewesen waren.


„Together“ aus der Serie „Keep On Walking“

Aber auf diesem Weg fühlte ich mich irgendwann auch, als würde ich genau die Dinge machen, die ich machen musste, um „zeitgenössisch“ zu sein. Ich hatte mehr und mehr ein Gefühl der Unzufriedenheit, fragte viele „Warums“ – und mich selbst, was ich machen muss, um mir treu zu bleiben.

Es war dann etwa um das Jahr 2000, dass ich anfing, nach einem Weg zu suchen, Kunst so zu machen, dass ich nicht zurück zu den Landschaften, mich aber trotzdem auch nicht dem Strom der anti-ästhetischen oder sogar anti-visuellen Kunst anschließen musste. Die Fotografie schien ein Medium zu sein, das zwischen diesen beiden Extremen liegt und das ich genauer entdecken wollte.


„Composed“ aus der Serie „Keep On Walking“

Als ein Künstler, der schon mit so vielen verschiedenen Medien gearbeitet hat, hast Du eine ganz grundlegende Philosophie bei allem, was Du machst?

Ich bin ein Ästhet. Die Ästhetik eines Bildes ist das Herzstück dessen, worum ich mich als Künstler immer kümmern muss. Aber gleichzeitig glaube ich, dass es mehr geben muss als nur das visuelle Vergnügen der Ästhetik, um ein interessantes Bild oder Kunst zu machen.

Manchmal denke ich, dass die Ästhetik die Funktion einer Tür hat, die bestenfalls zu einem Raum führt, wo das Konzept des Kunstwerks auf das Publikum wartet. Man kann ohne diese Tür nicht in den Raum mit dem Konzept gelangen, aber andererseits ist eine Tür, die nirgendwohin führt, ziemlich sinnlos.


„Square One“ aus der Serie „Square One“

Für mich ist die Fotografie das Bild in seiner reinen Form und es geht dabei auch um visuelles Vergnügen und die Kunst, zu sehen, aber sie kann auch einer konzeptuellen Art, die Welt und seine eigenen inneren Gedanken zu erkunden, dienen.

Die Fotografie wird immer mit dem Auge und mit „Realität“ verbunden sein, was eine interessante Abgrenzung ist, mit der man umgehen muss, weil die Arbeit mit der Kamera immer durch das definiert ist, was man selbst und was die Kamera sieht. Das ist aber per Definition nicht das Gleiche, wie die Realität objektiv oder wahrheitsgetreu zu beschreiben.

Das ist nicht möglich; es ist und wird immer eine Sache der Subjektivität und der Komplexität, eine dreidimensionale Wahrnehmung auf die flache Oberfläche eines Fotos zu übertragen, sein. Dadurch entfernt sich alles umso weiter von Objektivität. Die Wahrheit über die Realität wird immer ein offenes Problem sein. Das ist ein wichtiger Faktor und das, was mich antreibt, künstlerisch zu arbeiten.


„Omen“ aus der Serie „Underneath“

Was für ein Fotograf bist Du, was willst Du zeigen?

Ich versuche, das zu benutzen, was ich sehe, dabei erkunde ich das urbane Umfeld, dessen Teil ich auch bin und versuche, eine andere Geschichte zu erzählen, die dann aber fast immer auf meiner eigenen Türschwelle endet, wenn man so will.

Zum Beispiel war eines meiner ersten Projekte, Fotos von der Straße zu machen. Aber nicht so, wie es vielleicht ein Straßenfotograf tun würde, sondern indem ich die Kamera auf den Boden gerichtet und Aufnahmen vom Asphalt gemacht habe. Also den Beton als eine Art Repräsentation für eine Landschaft oder sogar einen alternativen Atlas der Welt benutzt.


„The Monument“ aus der Serie „Underneath“

Ich erhalte viele Kommentare, dass meine urbanen Fotos sehr leer und fast immer auch ohne die Präsenz von Lebens seien. Und das ist natürlich richtig, zumindest oberflächlich betrachtet. Ich habe darüber viel nachgedacht: Ich meine, mit Urbanität zu arbeiten, sollte das nicht gerade vom Leben und der Anwesenheit der Menschheit handeln?

Wenn man das einen Straßenfotografen fragt, ist die Antwort zweifelsfrei „ja“, aber für mich ist die Frage nicht so leicht zu beantworten. Wenn man genau hinsieht, stellt man fest, dass meine Bilder indirekt auch vom Leben handeln. Das ist auch die Idee dahinter und sehr wichtig für mich.


„Perimeter Patrol“ aus der Serie „Schematics“

Was inspiriert Dich?

Diese Idee, das Leben auf indirekte Art darzustellen, wurde bei mir von der Welt eines Spiels inspiriert. Genauer gesagt eines Spieles, das ich 2000 gespielt habe und auch durch einen Film, der um die gleiche Zeit hier im schwedischen Fernsehen ausgestrahlt wurde.

Das Spiel war die erste Ausgabe von „Deus Ex“, einem Computer-Rollenspiel, das eine dunkle Story über eine Verschwörung und Technologie und die Andeutung vom Gott in der Maschine hat, angesiedelt in einer urbanen und dystopischen Umgebung. Die Ästhetik dieses Spiels hat mich sehr inspiriert, obwohl ich jetzt weiß, warum die Umgebung dort so dunkel und leer war – eine Konsequenz der unzureichenden Technologie zu dieser Zeit.


„Proboscis II“ aus der Serie „The Elephant Song“

Der Film, den ich sah, war „Langoliers“, nach einem Buch von Stephen King, in dem es um eine Gruppe von Menschen geht, die irgendwie in einem Zwischenraum von Jetzt und Damals gefangen werden. Sie treiben in einem Limbus, in dem alles schon passiert ist und Dinge, die erst kommen, noch nicht passiert sind. Also ist die Welt leer bis auf die Spuren der menschlichen Aktivität, die man auch in leeren Räumen in der Realität vorfindet.

Diese Ideen sind sozusagen der Schlüssel dazu, wie ich mit meinen urbanen Erkundungen umgehe. Ich versuche, die Umgebung zwischen zwei Ereignissen zu benutzen, indem ich nach Überresten suche, die für mich viel interessanter sind als die Ereignisse selbst. Ich würde sagen, dass fast jedes Bild aus meiner Serie „Urban Walks“ das Ergebnis der Suche nach diesen Spuren zwischen den Ereignissen, nach Spuren des Lebens, menschlicher Aktivitäten ist.


„Out“ aus der Serie „A Place Of None“

Du scheinst immer in Serien zu arbeiten.

Um ehrlich zu sein, kann ich mich gar nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal nur ein einzelnes Bild gemacht habe. Diese Art zu arbeiten sagt natürlich alles über mich aus, der ich immer versuche, eine Geschichte zu erzählen. Obwohl die meisten dieser „Geschichten“ in ihrer Form recht frei sind – eher wie fragmentierte Ideen oder Fragen in visueller Form – bin ich mir sicher, dass diese Arbeitsweise meinem Kindheitstraum, ein Cartoonzeichner zu werden, entspringt.

Irgendwie bin ich wieder da, wo ich angefangen habe – nur ohne die Superhelden.

Da sind Serien, die wie Comicstrips sind: Kurz und hoffnungsvoll süß wie etwa „The Elephant Song“ oder „Schematics“ und dann sind da auch die niemals endenden Geschichten. „Urban Walks“ ist eine, an der ich ständig weiterarbeite und 2011 ein Buch mit 144 Bildern dieser fortlaufenden Geschichte veröffentlicht habe. Das Gleiche gilt für die Serie „Resonance“, die ich gerade für eine Ausstellung hier in Stockholm vorbereite.


„Red Devil“ aus der Serie „A Place Of None“

Welche Funktion haben die Titel der Bilder und Serien in Deinen Arbeiten?

Titel sind essentiell und ich muss sogar sagen, dass ich manchmal Bilder, die ich eigentlich mochte, aus einer Serie oder überhaupt ausgeschlossen habe, weil ich es nicht geschafft habe, den richtigen Dreh für den Titel zu finden. Sie sind also sicherlich ein zentraler Teil meines künstlerischen Konzeptes.

Aber es gab auch Zeiten, in denen ich meinen Bildern überhaupt keine Namen gegeben habe. Ich hatte diese Idee, das Feld für den Betrachter komplett offen zu lassen, damit er selbst eine Idee entwickeln oder meine Arbeit selbst konzeptuell erleben kann. Vollkommen getrennt von jeglichen Ideen, die ich vielleicht hatte, als ich das Bild kreiert habe.


„Take A Seat“ aus der Serie „Urban Walks“

Und da Worte, die geschriebene Sprache, in ihrer Natur so suggestiv sind, wenn sie in den Kopf kommen, weil sie so viel stärker als Bilder sind, dem Publikum eine Idee zu suggerieren oder sogar in den Geist zu pflanzen, hatte ich entschieden, gar keine Titel zu vergeben. Ich wollte auch klar machen, dass ich nicht Literatur mache, sondern ein visueller Künstler bin.

Diese Idee, dass die Kunst zwangsläufig so etwas wie eine offene Frage ist, ist natürlich immer noch im Zentrum dessen, was ich tue. Ich glaube, dass man als Künstler seine Arbeiten an einem bestimmten Punkt „aussetzen“ und sie den Betrachtern übergeben muss. Für die Umsetzung der Idee von offenen Fragen wiederum sind Bilder sehr viel stärker, verglichen mit dem geschriebenen Wort.


„Biscuit“ aus der Serie „Urban Walks“

Warum setzt Du Titel heute in Deinen Arbeiten dann doch wieder ein?

Wenn ich ehrlich bin, mag ich es ja, Ideen anzuregen und Geschichten zu erzählen. Ich bin ein konzeptueller Künstler und Ideen kommen in diesem Territorium von ganz allein, sozusagen. Wenn man also nicht gerade Kunst in Form von Installationen macht, sondern Bilder allein, dann können die Titel eine Möglichkeit sein, das Erlebnis einer übertragenen Idee oder – präziser – einer gestellten Frage, zu verbessern.

Titel funktionieren für mich auf die gleiche Weise für das Konzept eines Werkes wie die Ästhetik dazu beiträgt, das Konzept zu erreichen; also wieder so etwas wie eine Tür für den Zugang. Und obwohl ich immer noch nicht sicher bin, ob das wirklich notwendig ist, finde ich es fesselnd, Titel als Teil oder zur Verbesserung der Erfahrung zu benutzen. Oder sogar, um Dinge zu problematisieren, die Frage genauer zu stellen.

Wenn Du all das bedenkst, kannst Du die Komplexität des Prozesses, Bilder mit Titeln für eine Serie zu versehen, verstehen und wie schwer das sein kann. Aber gleichzeitig auch, wie interessant es ist, diese Gegensätze auszubalancieren. Den Drang zu haben, über Ideen zu „sprechen“, Fragen zu stellen oder zumindest, sie sichtbar zu machen, gleichzeitig dem Betrachter aber nicht vorgeben zu wollen, was er denken soll, die Antwort zu verraten oder die ganze Geschichte auf einem Silbertablett zu präsentieren.


„Happy Days I“ aus der Serie „Urban Walks“

Deine Serien wie auch die Bilder innerhalb der Serien haben eigene Titel – da stellst Du aber viele Fragen!

Es gibt da einen feinen Unterschied in meinem Denken, wenn es darum geht, Titel für Serien zu finden oder für einzelne Bilder. Die Serie ist sozusagen der Körper und die Titel dieser Körper entspringen fast immer Dingen, die nicht zwingend offensichtlich sind.

„Urban Walks“ ist natürlich ein Titel, der ist, was er ist: Ich laufe in der urbanen Landschaft rum und versuche, diese Spaziergänge irgendwie zu visualisieren. Aber selbst hier ist eine leichte Störung im Titel, da die Art der Darstellung gerade nicht dokumentarisch ist. Wenn man Titel wie „The Village“, „The World Map“ oder „Resonance“ betrachtet, sind sie schon eher am offensichtlichen Ende der Skala angeordnet.

Happy Days II (Urban Walks) © Poromaa
„Happy Days II“ aus der Serie „Urban Walks“

Kannst Du noch mehr über diese Beispiele sagen?

Als ich „The Village“ machte, war mein erster Gedanke, es irgendwas um „The Ghost Town“ herum zu nennen, weil der Ort, an dem ich fotografierte, eine Ahnung von genau dem hatte: Einer Stadt voller Geister. Und ich stellte mir vor, wie die Graffiti auf den Wänden und in der Umgebung so eine Art fortdauernde Unterhaltung der Geister an diesem Ort wären, dass die Tags, Krakeleien und unvollständigen Nachrichten in einer Geistersprache geschrieben wurden oder sogar ihre visuellen Stellvertreter sind.

Aber als ich dann mit der Nachbearbeitung begann, fühlte ich eine auffällige Ähnlichkeit mit dem Ort und dem dargestellten Milieu, an das ich mich aus dem Film „The Village“ erinnerte. Der Film spielt an einem Ort, der von hohen Wänden und einem „beobachtenden“ Wald umgeben ist. Das Licht und die Atmosphäre vor Ort erinnerten mich auch sehr an meine Erfahrung des Films und die Idee seiner darunterliegenden Geschichte war nicht so weit von meinen ursprünglichen Gedanken entfernt, aber offener, soweit die Ideen ähnlich sind.

It's A Living (Urban Walks) © Poromaa
„It’s A Living“ aus der Serie „Urban Walks“

„The World Map“ ist ein Titel, der sich ganz darum dreht, die Welt auf eine alternative Art als Landschaften oder Orte wahrzunehmen. Die Bildebene beschäftigt sich auch mit dem Wechsel der Perspektive. Oberflächlich betrachtet sind es Bilder, die zeigen, was man sieht, wenn man die Kamera auf die Asphaltoberfläche oder einfach den Boden richtet. Aber ich habe die Bilder immer als fast topografische Ansichten eines alternativen Universums gesehen.

„Resonance“ entstand aus einer Idee von Geräuschen und Musik. Ich erinnere mich daran, dass ich sehr viel über die verschiedenen Klänge nachdachte, die die Container machen, wenn man auf ihnen klopft – je nachdem, ob sie leer oder mit etwas gefüllt sind. Diese fundamentale Idee funktioniert seitdem für die Serie, obwohl es um so viel mehr geht als nur ein Metallecho, das durch die Stille hallt.

Aber da der Titel so offen gehalten ist wie ich es mag, habe ich ihn behalten und denke inzwischen auch nur sehr selten an Klänge, wenn ich neue Bilder zur Serie hinzufüge. Wenn man sehr lange an einer Serie arbeitet, tendiert sie immer dazu, sich zu bewegen und zu verschieben, ein Eigenleben zu entwickeln – und das ist ja gerade das wirklich Interessante daran.


„The Ballad Of Yang Ming“ aus der Serie „Resonance“

Steckst Du manchmal besondere Wendungen oder Hinweise in Deine Titel, um den Betrachter etwas mehr in eine bestimmte Richtung zu lenken?

Wenn ich meinen Bildern Titel gebe, versuche ich alles, um Hinweise zu geben, zu problematisieren oder die Wahrnehmung des Betrachters vom Offensichtlichen abzulenken und etwas von der Realität in die imaginäre Welt zu ziehen. Verbunden damit, wie ich meine Vorstellungskraft benutze, wenn ich Dinge sehe, aber ohne ein Dogma.

Das kann alles sein von Ironie über Humor bis zu poetischen Reflexionen oder schlichtem Unsinn. Es kann darum gehen, etwas zu sagen, das im Widerspruch zum Sichtbaren steht oder etwas, das ich direkt vom Bild aufgreife, nicht immer das Offensichtliche, eher Dinge, die hinter den Kulissen warten – die kleineren Dinge, sozusagen.

Beispiele wären die zwei Bilder „Happy Days“ 1 und 2 und „It’s A Living“ aus der Serie „Urban Walks“, dort sind die Titel ein bisschen ironisch oder, um genauer zu sein, tragi-komische Reflexionen dessen, was ich gesehen oder erlebt habe.


„There Is A Zebra Outside My Window“ aus der Serie „The World Map“

Im Kontrast dazu hat „The Ballad Of Yang Ming“ aus „Resonance“ einen Titel, der einen anderen, eher romantischen und poetischen Ton anschlägt, ein Hauch von Zeit und Reise, die Echos des Jetzt und Damals.

Aus „The World Map“ ist „There Is A Zebra Outside My Window“ erwähnenswert; der Titel ist fast eine direkte Reflexion dessen, was man im Bild sehen kann, aber er suggeriert etwas anderes.

Und schlussendlich fällt mir noch „Let Us Enter“ aus der Serie „The Village“ ein, bei dem der Titel sehr eng mit der Idee der Geister verbunden ist. Es geht um meinen Eindruck, dass die Geister sich in Form der Graffiti materialisieren, darauf drängen, einzutreten, vielleicht nur in den Raum hinter der Metalltür, aber vielleicht auch in Deinen Kopf. Wer weiß?


„Let Us Enter“ aus der Serie „The Village“

Titelbild: „You Shall Not Pass“ aus der Serie „The Village“.

Ich habe das Interview mit Samuel auf Englisch geführt und anschließend ins Deutsche übersetzt.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Im Gespräch mit David Olkarny

11 Feb

David Olkarny, 25-jähriger Fotograf aus Belgien beeindruckte mich mit seinen Arbeiten sofort. Deshalb bin ich sehr froh, dass ich die Möglichkeit hatte, ihm in einem Interview etwas auf den Zahn zu fühlen. Seine Arbeiten könnt Ihr Euch auf Flickr, Facebook und auf seiner Webseite anschauen.

Hallo David, Deine Fotografien sind ziemlich beeindruckend. Wie bist Du zur Fotografie gekommen und wie lange dauerte es, bis zu dem Punkt zu kommen, an dem Du jetzt stehst?

Danke. In meinem zweiten Studienjahr entdeckte ich die Fotografie für mich. Ich habe Film studiert und meine erste Kamera war eigentlich für Dreharbeiten und verschiedene Aufnahmen gedacht. Ich war von der Qualität der Bilder, die mein neues Spielzeug fabrizierte, aber so begeistert und der Gedanke, dass ich nun atemberaubende Szenarien einfangen oder sogar kreieren konnte, ließ mich erzittern. Es war klar: Ich musste Fotograf werden.

copyrigth by David Olkarny

Die meisten Deiner Fotografien sind gekennzeichnet durch Farben, Accessoires und eine Menge Licht. Kannst Du uns Deine Arbeitsweise, angefangen von der Idee bis zum fertigen Bild, beschreiben?

Ich beginne damit, einen Ort zu wählen, der mich visuell anspricht. Dann suche ich ein geeignetes Modell dafür. An dieser Stelle fange ich an zu improvisieren. Ich bereite mich nicht im Vorfeld darauf vor, die richtige Location sorgt immer für spontane Dinge und ich kann mir immer eine Szenerie während des Shootings vorstellen.

Zuhause wähle ich die besten Fotos aus und bearbeite sie in Photoshop. In Photoshop kann es schon mehrere Stunden dauern, um die Farben zu verändern und die Realität zu verzerren, um es kurz zu fassen: Ich bringe etwas Magisches in die Bilder.

Copyrigth by David Olkarny

Wie hast Du gelernt, mit Blitzlicht und anderen Lichtquellen umzugehen?

Größtenteils habe ich den Umgang mit Licht in meinem Filmstudium gelernt. Es hat mir sehr geholfen, durch Licht verschiedene Stimmungen zu erzeugen und ich habe viel Equipment, das es mir erlaubt, das Licht so einzusetzen, wie ich es möchte.

Wie sieht bei Dir die Nachbearbeitung aus?

Ich benutze zunächst Lightroom, um meine Raw-Dateien zu sortieren und etwas zu bearbeiten und wenn ich sie dann sorgfältig ausgewählt habe, übernehme ich sie in Photoshop für die weitere Bearbeitung. Was ich prinzipiell in Photoshop benutze, sind die zwei Bearbeitungsmodi Gradationskurven und Tonwertkorrektur, die mir wunderschöne Farben und einen starken Kontrast garantieren, um das im Bild hervorzuheben, was mir wichtig ist.

Copyrigth by David Olkarny

Welche Art von Fotos machst Du am liebsten?

Am liebsten mag ich Geschichten in einem Bild, die dem Betrachter etwas erzählen und bei denen er die Möglichkeit hat, zu interpretieren. Farbenstarke Bilder, ein Universum, das draußen stattfindet, weit weg von den Studios, mit einer Dosis Surrealität, Fantasie und Schwerelosigkeit. Meine Arbeiten haben einen Hang zum Surrealen, es gibt viele Szenarien, die ziemlich konstruiert sind. Das erlaubt mir, mich von der Realität zu lösen und meine eigene Sicht der Welt darzustellen.

Copyright by David Olkarny

Welche Ratschläge hast Du für Anfänger, die gern mit Blitzlicht fotografieren möchten?

Ich habe bemerkt, dass Fotografen sich immer mehr aufs Blitzlicht verlassen und dabei vergessen, auf das natürliche Licht einer Szene zu achten. Das ist schade. Der beste Tipp ist, erst das natürliche Licht zu analysieren und zu nutzen und dann unter Umständen einen Blitz auf einem Stativ zusätzlich zu verwenden. Das Ergebnis wird überzeugender und schöner ausfallen.

Copyright by David Olkarny

Zusammen mit Rafael Deprost hast Du bereits einige Backstage-Videos veröffentlicht, bei denen der Zuschauer einen Blick hinter Deine Kulissen werfen kann. Wie bist Du auf die Idee gekommen?

Es war einfach der Gedanke, meine Arbeit etwas zu entmystifizieren. Ich wollte zeigen, dass ich mich selbst nicht zu ernst nehme und dass Fotografieren vor allem erst einmal Spaß bedeutet.

Wenn Du mit einem anderen Fotografen zusammenarbeiten könntest, wen würdest Du Dir aussuchen?

Ich würde unheimlich gern mit Christophe Gilbert zusammenarbeiten. Er ist ein belgischer Werbefotograf und seine Arbeiten sind unglaublich.

Was sind Deine Pläne für die Zukunft? Gibt es vielleicht ein geheimes Projekt, das Du über kwerfeldein zuerst bekanntgeben möchtest?

Ich werde in die Welt der Werbefotografie zurückkehren. Mehr als zuvor und ich hoffe, mich professionell weiterzuentwickeln. Kleines Geheimnis: Derzeit ist ein neues Konzeptvideo in Produktion und es wird bald erscheinen!

Copyright by David Olkarny

David, ich danke Dir für dieses Interview und wünsche Dir viel Erfolg mit Deinen Plänen. Hast Du abschließend noch einen Ratschlag für aufstrebende Fotografen?

Mein Ratschlag zum Ende: Macht Fotos für Euch und versucht nicht, einer Galerie oder der Öffentlichkeit zu gefallen. Ich denke, dass das sehr wichtig ist und dass viele Fotografen in diese Richtung abdriften. Seid verrückt, impulsiv, leidenschaftlich und waghalsig, aber ein wenig technisches Verständnis hat noch niemandem geschadet.

Danke für das Interview!


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Im Gespräch mit Erik Johansson

02 Feb

Zum ersten Mal bin ich über die tollen Fotomontagen von Erik Johansson vor ein paar Jahren in einem Magazin gestolpert. Später fand ich seine Arbeiten im Internet wieder und stellte fest, dass er sich in der Zwischenzeit sogar noch weiter verbessert und an verblüffendere Ideen gewagt hatte.

Höchste Zeit also, Erik hier allen vorzustellen, die ihm bisher in den Weiten des Internets noch nicht über den Weg gelaufen sind. Im Interview erzählt er von seiner Herangehensweise, der Wichtigkeit der Ideen und vom Lernen durch Ausprobieren.

Hallo Erik. Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview mit uns nimmst. Zuerst, erzähl uns doch mal ein bisschen was über Dich: Wer bist Du, was machst Du?

Ich bin ein Fotograf und Retusche-Künstler aus Schweden. Ich fange nicht Momente ein, sondern Ideen. Für mich ist die Fotografie nur ein Weg, um Material zu sammeln, aus dem ich dann die Ideen aus meinem Kopf realisieren kann.

Obwohl ein einziges Foto aus Hunderten von Ebenen bestehen kann, möchte ich immer, dass es so aussieht, als könnte es genau so aufgenommen worden sein. Jedes neue Projekt wird so zu einer neuen Herausforderung und mein Ziel ist es, sie alle so realistisch wie möglich umzusetzen.

Wie bist Du überhaupt zur Fotografie und den komplexen Kompositionen, die Du kreierst, gekommen?

Ich wurde 1985 in der Nähe der kleinen Stadt Götene mitten in Schweden geboren. Soweit ich mich überhaupt zurückerinnern kann, habe ich es immer geliebt, zu zeichnen. Möglicherweise liegt das an meiner Großmutter, die Malerin war. Ziemlich früh habe ich mich außerdem für Computer interessiert und bin durch Computerspiele in andere Welten geflüchtet. Im Alter von 15 Jahren habe ich dann meine erste Digitalkamera geschenkt bekommen, die regelrecht eine neue Welt für mich geöffnet hat.

Da ich ans Zeichnen gewöhnt war, fühlte es sich sehr seltsam an, schon fertig zu sein, nachdem ich ein Foto aufgenommen hatte; es war einfach nicht der gleiche Prozess, etwas zu erschaffen. Da ich mich ja auch für Computer interessierte, war es ein ziemlich natürlicher Schritt für mich, damit anzufangen, mit den Fotos herumzuspielen und so etwas herzustellen, was man mit der Kamera nicht aufnehmen kann. Es war ein toller Weg, so zu lernen, Lernen durch Ausprobieren.

Im Jahr 2005 bin ich dann nach Göteborg gezogen, um Technische Informatik an der Chalmers University of Technology zu studieren. Während meiner Studienzeit habe ich mein Interesse an der Retusche wieder aufgenommen. Ich hatte viele Ideen, die ich umsetzen wollte und sah es einfach als Problemlösung an, diese Umsetzungen so realistisch wie möglich zu gestalten.

Wie kommst Du auf neue Ideen, was inspiriert Dich?

Ich versuche immer, möglichst originelle Ideen zu entwickeln und mag dabei perspektivische Illusionen besonders. Ich denke, dass es vor allem darum geht, die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Dabei kann ich Inspiration aus allen Dingen um mich herum beziehen. Das kann alles sein, angefangen von Dingen, die ich im Alltag sehe bis zu den Werken von anderen Künstlern und Fotografen. Wobei ich wohl mehr von Malern als von Fotografen inspiriert bin.

Auf dem schwedischen Land aufzuwachsen, hatte dabei einen besonders großen Einfluss auf meinen visuellen Stil. Eine Menge der Umgebungen auf meinen Fotos sind nahe den Orten aufgenommen, die ich kenne, rund um mein Elternhaus mit weiten, offenen Landschaften und kleinen, roten Häuschen. Inspiration ist einfach überall und das ist nur der Anfang.

Wenn Du erst einmal eine Idee hast, was kommt als nächstes? Wie wird aus der gedanklichen Skizze ein echtes Bild?

Der erste Teil besteht aus der Planung. Wenn ich am Anfang eine bloße Idee habe, von der ich denke, dass sie gut genug für eine Umsetzung ist, muss ich als nächstes die Orte finden, von denen ich Fotos brauche, um das Bild zusammenzusetzen. Das kann beliebig lange dauern zwischen ein paar Tagen und mehreren Monaten, manchmal sogar Jahren, wenn es schwer ist, den perfekten Ort zu finden oder wenn es einfach gerade die falsche Jahreszeit dafür ist.

Das ist auch der wichtigste Schritt, weil er das Aussehen und auch das Gefühl des Fotos bestimmt, es ist ja mein Ausgangsmaterial. Ähnliches Licht und Perspektive sind dabei auch extrem wichtig, um ein realistisches Ergebnis zu erhalten, wenn die Fotos kombiniert werden. Diese Phase beinhaltet auch das Lösen von Problemen wie der realistischen Umsetzung von Reflexionen, Materialien und anderen Dingen.

Der zweite Schritt ist dann das eigentliche Aufnehmen und Sammeln des Materials. Ich benutze nie Stock-Fotos in meinen eigenen Projekten, ich möchte immer die vollständige Kontrolle über meine Fotos behalten und auch das Gefühl, alles daran selbst gemacht zu haben.

Das schränkt mich natürlich insoweit ein, dass ich nicht alle Ideen, die ich habe, auch umsetzen kann, aber manchmal sind diese Grenzen gut, um die eigenen Arbeiten überhaupt zu definieren. Nur etwa eine von zehn Projektideen setze ich dann auch um. Viele sind auch einfach ein bisschen zu komplex.

Der letzte Schritt ist dann das Zusammenfügen der Fotos. Eigentlich ist das sogar der einfachste Schritt, wenn ich in den ersten beiden Schritten anständig gearbeitet habe. Das ist wie ein Puzzle: Ich habe alle Teile und muss sie nur noch zusammenfügen.

Hast Du Ratschläge für die, die nun auch gern atemberaubende Kompositionen machen wollen?

Diese Bildmontagen zu machen, ist wirklich als würde man malen. Der Unterschied besteht darin, dass die Fotos Deine Farben sind und der Computer Deine Leinwand. Ich glaube daran, dass der beste Weg, das zu lernen, ist, es selbst auszuprobieren.

Dabei lernst Du es vielleicht nicht auf die schnellste oder „richtigste“ Art und Weise, aber Du lernst die verschiedenen Werkzeuge kennen, die Dir zur Verfügung stehen und was Du damit machen kannst. Gut zu werden, erfordert eine Menge Geduld und Übung. Aber denk immer daran, dass die Idee an sich ebenso wichtig ist wie ihre Umsetzung.

Es gibt nicht wirklich einen Plan, wie man es macht. Es geht einfach darum, es so echt wie eine Aufnahme aussehen zu lassen, es wie die wirkliche Welt wirken zu lassen. Für mich war der Realismus immer sehr wichtig und es ist eine Herausforderung, eine Skizze in einem Foto Realität werden zu lassen. Am Ende ist es die eigene Vorstellungskraft, die die Grenzen setzt. Versuche, anders über unsere Welt zu denken.

Meinst Du, dass es wichtig oder erforderlich ist, eine spezielle Ausrüstung zu haben, um großartige Bilder zu machen? Was sind Deine wichtigsten Werkzeuge?

Nein, definitiv nicht. Alles, was man braucht, ist eine anständige Kamera und Bearbeitungssoftware. Die wirkliche Herausforderung besteht darin, gute Ideen zu entwickeln. Natürlich taugt eine besonders gute Kamera für wirklich nette, große Drucke, aber man muss keine außergewöhnliche Ausrüstung haben, um die Art von Arbeiten zu machen, die ich mache.

Ich habe gelesen, dass Du keine Tutorials gibst, aber Du hast ein sehr interessantes Video über die Entstehung eines Bildes gemacht. Wie stehst Du zum modernen Austausch von Wissen über das Internet?

Ich liebe es, mein Wissen mit anderen zu teilen! Aber zu diesem Zeitpunkt möchte ich mich darauf konzentrieren, mehr eigene Projekte in Fotos umzusetzen und an Auftragsprojekten zu arbeiten. Es gibt später noch genug Zeit, um Tutorials zu machen. Erst einmal möchte ich, dass die Leute für eine Weile selbst nachdenken.

Im letzten Frühjahr bist Du nach Berlin gezogen. Wie gefällt’s Dir hier?

Es ist fantastisch! Ich liebe Berlin und die schier unerschöpflichen Möglichkeiten, hier verschiedene Dinge zu machen. Es ist eine wirklich sehr inspirierende Umgebung für mich. Als Selbstständiger bin ich ja auch nicht so abhängig von bestimmten Orten und mochte Berlin einfach schon immer.

An welchem Punkt siehst Du Dich selbst jetzt und was möchtest Du in der Zukunft machen?

Inzwischen arbeite ich einerseits an persönlichen, aber auch an Auftragsprojekten. In 2011 habe ich außerdem angefangen, Straßenillustrationen zu machen und seit 2012 habe ich mir vorgenommen, den Schritt zu bewegten Bildern zu machen und auch ein Buchprojekt in Angriff zu nehmen.

Vielen Dank, Erik!

Ich habe das Interview mit Erik auf Englisch geführt und anschließend ins Deutsche übersetzt.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Im Gespräch mit Astrofotograf Sylvain Girard

25 Jan

Heute nehmen wir uns wieder einem fotografischen Genre an, das kaum verbreitet, aber deshalb mitnichten weniger interessant ist. Wer hat nicht schon einmal einen Moment erlebt, in dem er fasziniert in die nächtlichen Weiten des Himmels geschaut hat, in denen Abermillionen Sterne und Galaxien zu sehen sind?

Genau diesen, weit entfernten Phänomenen nimmt sich der Franzose Sylvain Girard an, der etwas aus dem Nähkästchen über Philosophie und auch Technik plaudert.

Um in den optimalen Genuss seiner Fotos zu kommen, empfehlen wir dringend, die Bilder ganz groß in der Lightbox zu betrachten, da die verkleinerte Anzeige hier leider bei den besonders detaillierten Bildern zu Artefakten führt!

Hallo Sylvain. Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview mit uns nimmst. Zuerst, erzähl uns doch mal ein bisschen was über Dich: Wer bist Du, was machst Du?

Ich bin ein Astro- und Landschaftsfotograf. Schon seit meiner Kindheit war ich von Astronomie begeistert. Mein erstes Teleskop hatte ich im Alter von 12 Jahren. 2006 kaufte ich mir dann eine DSLR für Astrofotografie.

Sie ließ mich auch die normale – taghelle – Welt neu entdecken und meine Liebe für Natur und das Wandern brachten mich zur Landschaftsfotografie. Nun, wenn der Himmel klar und ohne Mond ist, fotografiere ich Objekte, die tief im Himmel versteckt sind. Und in der übrigen Zeit wandere ich in den Bergen und betreibe dort Landschaftsfotografie.

Warum Astronomie? Was fasziniert Dich an Sternen und Nebeln?

Das ist eine sehr gute Frage! Tatsächlich weiß ich es nicht so richtig. Ich denke, ich war schon immer fasziniert von Dingen, die dahinter sind: Hinter einem Wald, hinter einem Berg, hinter dem, was meine Augen sehen können. Die Unermesslichkeit des Universums bietet eine riesige Anzahl an Möglichkeiten.

Wenn wir mit den Augen durch ein Teleskop eine Galaxie betrachten, sehen wir nur einen undeutlichen, verschwommenen Punkt. Das ist weit entfernt von dem Anblick, den ein Foto bietet. Dieser undeutliche Punkt wird von Billionen von Sternen geformt. Aktuelle Erkenntnisse zeigen, dass die meisten Sterne auch Planeten haben, einige von ihnen könnten bewohnbar sein. Wie viele Zivilisationen könnten da draußen sein? Und das ist nur ein Beispiel.

Anders als die meisten anderen fotografischen Genres hat die Astronomie nur einen einzigen Himmel, in den wir alle hinaufschauen und es gibt auch nur eine Perspektive dafür. Fühlst Du diese Grenzen? Gibt es Dinge in der Astrofotografie, die das ausgleichen?

Ja, manchmal nehme ich diese Grenzen wahr und frage mich, was ich wohl tun werde, wenn ich einmal jedes Objekt fotografiert haben sollte, das ich fotografieren kann. Aber wenn man bedenkt, dass ich eine ganze Nacht für ein einziges Foto brauche, habe ich noch viel Arbeit vor mir!

Die wichtigste Einschränkung für mich ist der künstlerische Aspekt. Astrofotografie ist ziemlich technisch und es gibt wenig Raum für künstlerische Überlegungen. Man kann nicht mit Tiefenschärfe spielen, weil alle Objekte praktisch in der Unendlichkeit angeordnet sind und die Kompositionen etwas simpel sind.

Meistens besteht die Komposition daraus, das jeweilige Objekt in der Mitte des Bildes zu platzieren. Ich versuche, mit Kompositionen zu spielen, indem ich die Bildgegenstände außerhalb der Mitte positioniere, die Drittel-Regel anwende oder mit etwas anderem optisch ein Gegengewicht ins Spiel bringe. Eine kleine Galaxie in der unermesslichen Weite eines Sternenfeldes oder ein Nebel inmitten von Staub, zum Beispiel.

Die Deep-Sky-Fotografie kann spezialisiert werden. Was ich tue, nennt sich Wide-Field-Abbildung. Ich benutze kurze Brennweiten, um große Teile des Himmels aufzunehmen. Nunja, man sollte es vom astrofotografischen Standpunkt aus bewerten, denn die Brennweiten, die ich benutze – 387mm und 530mm – sind für die traditionelle Fotografie natürlich schon sehr lang.

Einige Astrofotografen benutzen Filter, um Falschfarbenaufnahmen zu machen, andere nutzen lange Brennweiten, bis zu mehreren Metern, um detaillierte Bilder von kleinen Objekten wie Galaxien und planetarischen Nebeln zu machen. Der Fortschritt der digitalen Abbildungstechniken erlaubt uns, Bilder zu machen, die selbst für professionelle Observatorien vor 10 oder 15 Jahren völlig unmöglich waren. Wir entdecken also Teile des Himmels ganz neu.

Wie bereitest Du eine Session vor? Wie wählst Du Deine Motive aus?

Ich wähle meine Motive vor allem abhängig von der Jahreszeit. Man kann Orion nicht im Sommer fotografieren, weil er einfach nicht sichtbar ist. Der Frühling ist die Galaxien-Jahreszeit und der Sommer ist am besten für Nebel und die Milchstraße geeignet. Das Zielobjekt muss für eine möglichst lange Zeitspanne der Nacht sichtbar sein.

Ich benutze auch Astronomie-Softwares wie Cartes du Ciel, WIKISKY oder Microsoft WorldWide Telescope, um meine Zielobjekte auszusuchen, zu planen, wie ich sie ins Format setze und um ihre Sichtbarkeit zu überprüfen.

Wenn der Neumond sich nähert, beginne ich, das Wetter im Auge zu behalten. Wenn der Himmel klar ist, packe ich meine Ausrüstung ins Auto und fahre zu einem meiner für Astrofotografie tauglichen Orte in den Bergen, wo es keine Lichtverschmutzung gibt.

Wahrscheinlich ist die eigene Ausrüstung in der Astrofotografie wichtiger als in vielen anderen Genres. Hast Du ein paar Tipps für Anfänger?

Ja, die Ausrüstung ist wichtig und kann auch schnell teuer werden. Die Qualität des verfügbaren Himmels und die Erfahrung des Astrofotografen kann auch große Unterschiede machen. Aber man kann mit einem relativ günstigen Teleskop anfangen. Ein 150/750mm Newton-Teleskop mit parallaktischer Montierung und eine günstige DSLR sind ein guter Anfang für die Deep-Sky-Fotografie. Damit habe ich auch angefangen.

Man kann es gut schrittweise aufbauen: Man beginnt erst damit, für ein paar Hundert Euro ein Teleskop zu kaufen und Erfahrung in der Beobachtung astronomischer Phänomene im Allgemeinen zu sammeln. Ich denke, dass es sinnvoll ist, eine solide Erfahrung in der Beobachtung zu haben, bevor man mit der Fotografie beginnt.

Danach versucht man sich am Fotografieren mit der DSLR, die man schon hat oder kauft sich eine günstige. Alles, was man an diesem Punkt noch braucht, ist ein Fotoadapter vom Teleskop auf den T2-Anschluss und ein T2-Adapter auf das eigene Kamera-Bajonett.

Wenn man dann immer noch der Astrofotografie verfallen ist, wird man wahrscheinlich die parallaktische Montierung gegen eine bessere austauschen, da sie der wichtigste Teil in der Abbildungskette ist. Danach wird man seine DSLR modifizieren, indem man den Infrarot-Filter entfernt, ein Autoguider-System (Anm.: zum Nachziehen bei langen Belichtungszeiten) nachrüsten, das billige Newton-Teleskop gegen einen High-End Apochromat-Refraktor austauschen, die DSLR durch eine teure Kamera mit CCD-Sensor ersetzen…

Nunja, wenn man noch Geld hat. Man sollte nicht vergessen, dass auch hier, wie in jedem anderen Genre, die Ausrüstung nicht den ganzen Job macht. Es braucht immer noch Feineinstellung und die Bearbeitung nimmt einen guten Teil der Zeit ein, die man braucht, um ein Bild zu machen.

Der Himmel ist auch sehr wichtig. Alles ist viel schwieriger, wenn man in einer Stadt lebt und nicht bereit ist, stundenlang zu fahren, um einen Platz zu finden, an dem der Himmel überhaupt dunkel genug ist.

Wie sieht’s mit der Nachbearbeitung aus? Welche Rolle spielt sie in Deinen Arbeiten?

Dieser Punkt ist der wichtig in der Astrofotografie, fast so wichtig wie das Bildmaterial an sich. Aber wie in anderen Genres auch, wird man nie ein gutes Bild machen können, wenn die Ausgangsdaten schlecht sind. In der Astrofotografie sind die Raws hässlich, völlig verrauscht. Die Details sind im Rauschen begraben. Die Farben sind schlecht, speziell mit einer umgebauten DSLR.

Grundsätzlich besteht die Technik nun darin, während der Nacht sehr viele Belichtungen des gleichen Objekts zu machen. Anschließend wenden wir Kalibrierungsbilder auf jede Belichtung an und überlagern sie, da Überlagern (Anm.: alle Bilder werden übereinander „gestapelt“) Rauschen drastisch reduziert. Dafür benutzen wir spezielle Software wie Iris oder PixInsight.

Nachdem wir das gestapelte Bild erstellt haben, bearbeiten wir es, indem wir die Farben anpassen, Verläufe entfernen, die Dynamik erhöhen, noch einmal Rauschen reduzieren und so weiter. Die abschließende Bearbeitung kann mit traditionellen Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop gemacht werden.

Ich verwende so einige Stunden auf die ganze Nachbearbeitung. Normalerweise fange ich direkt am nächsten Tag, nachdem ich nachts draußen unterwegs das Ausgangsmaterial aufgenommen habe, damit an. Danach lasse ich das Bild ein paar Tage liegen und schaue es danach noch einmal an, um zu sehen, ob meine Bearbeitung gut war oder nicht.

Meistens habe ich danach noch einmal Änderungen gemacht. Manchmal mache ich sogar die ganze Nachbearbeitung komplett neu. Ein Bild kann eine Menge Informationen enthalten: Schwache Objekte im Hintergrund, Details in den hellen Bereichen. Es ist schwer, alle diese Dinge auch zu zeigen, aber das ist der besonders interessante Teil an der Nachbearbeitung.

Lässt Du Dich auch von anderen Astrofotografen inspirieren und tauschst Dich mit ihnen aus oder ist es eher ein Genre voller Einzelkämpfer, die alle allein durch ihre Teleskope blicken?

Andere Astrofotografen sind auf jeden Fall eine gute Quelle für Inspiration. Ich mag es, auf ihren Webseiten zu stöbern, um neue Objekte für meine Fotos zu finden und zu sehen, wie sie die Dinge angehen. Auch ist es sehr hilfreich, Tipps, Tricks und Kritiken in Foren auszutauschen.

Manchmal passiert es auch, dass ich draußen zufällig andere Astrofotografen treffe, aber meistens bin ich allein. Wenn nicht, dann bin ich mit anderen Amateurastronomen unterwegs, die keine Fotos machen, sondern nur beobachten.

Das Gefühl von Einsamkeit ist schon dominant, aber manchmal fühle ich mich auch privilegiert, verrückt genug zu sein, um ganze Nächte allein draußen in der Dunkelheit zu verbringen.

Letzte Frage: Was sind Deine Träume und Pläne für die Zukunft?

Ich habe schon ein paar Träume in Sachen Astronomie verwirklicht, zum Beispiel habe ich ein starkes Refraktor-Teleskop in einen großartigen Himmel über den Alpen, wo ich wohne, richten dürfen. Ein Traum wäre, es auf die Plattform des Very Large Telescope in Chile zu stellen.

In den nächsten Jahren würde ich gern nach Chile oder Namibia reisen, um den Himmel der südlichen Hemisphäre zu entdecken. Die Atacamawüste ist der beste Platz auf der Erde überhaupt für Astrofotografie. Ich träume davon, eine große Mosaikaufnahme des ganzen Orion-Sternbildes zu machen.

Ich wünsche mir mehr Gelegenheiten, um rausgehen und Astrofotos machen zu können. Ich habe angefangen, ein paar meiner Astrofoto-Abenteuer mit Zeitraffer-Sequenzen aufzunehmen. Und ich würde gern mehr Inspiration für meine Landschaftsfotografie bekommen.

Danke, Sylvain!

Ich habe das Interview mit Sylvain auf Englisch geführt und anschließend ins Deutsche übersetzt.


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