Ein Beitrag von: Marius Vieth
Was war das denn bitteschön? Da fotografiert man 285 Tage lang die Straßen von Düsseldorf, packt voller Stolz seinen mühevoll entwickelten eigenen Street-Photography-Stil ein, fliegt hocherkältet 9000 Kilometer nach Süd-Korea, nur um voller Euphorie festzustellen: Der funktioniert hier gar nicht.
Ich habe den Großteil meines 365-Tage-Projektes in Düsseldorf verbracht. Es ist zwar eine Großstadt, aber trotz der üblichen Lamborghini-Burnouts und Champagnerduschen geht es hier sehr gemächlich zu.
Übersichtliche Szenerien, wenige Menschen und Lichter bilden die typischen Bühnen für meine Helden des Alltags. Daraus ist ein sehr sanfter, aufgeräumter und intensiver Stil entstanden.
Vor Seoul war ich bereits in Städten wie New York, Bangkok und Shanghai, allerdings nie mit der Absicht, ernsthaft zu fotografieren. Als ich in den ersten Tagen die Straßen von Seoul fotografieren wollte, fiel es mir schwerer denn je zuvor. Alles war so unaufgeräumt, pulsierend und unruhig.
Ich war völlig in Trance. Das liegt bestimmt an meiner Erkältung, dachte ich mir. Lag es aber nicht, das war wirklich so. Ich versuchte anfangs, Seoul erst einmal auf mich wirken zu lassen. Ganz ohne Hintergedanken. Also ab in die nächste Seitengasse, einen Sochu trinken und etwas auf der Straße essen.
Selbst um 5 Uhr morgens an einem Montag war in der 27-Millionen-Metropole noch so viel los, dass man kaum einer einzelnen Person eine große Bühne wie in Düsseldorf geben konnte. Also versuchte ich nach zahlreichen Versuchen, meinem Stil ein Update zu verpassen: Bühnen kleiner machen, all die störenden Elemente als Ganzes reduzieren und trotzdem einem Menschen unwissend sein Rampenlicht geben.
Irgendwo schwirrte in meinem Kopf immer der Gedanke herum, im Sinne einer Reisedokumentation typische Szenen aus Seoul fotografieren zu müssen. Ich hab’s versucht mit den Sehenswürdigkeiten und Postkartenmotiven, aber es ging und wollte einfach nicht.
Dafür liebe ich diese unscheinbaren, intimen Momente in all der Großstadthektik einfach zu sehr. Im Laufe der Reise begriff ich, dass meine Fotos nicht Seoul sind, sondern ich in Seoul. Und das ist okay so.
Auch, wenn ich die meiste Zeit nachts fotografiert habe, weil die Seele Seouls für mich erst nachts so richtig zum Vorschein kommt, wollte ich trotzdem versuchen, auch tagsüber etwas zu entwickeln. Bei meinem Rundgang durch das entzückende „Bugchon Hanok“-Dorf entdeckte ich eine tolle Bühne mit natürlichem Rampenlicht.
Während der nächsten 40 Minuten wartete ich nervös auf meinen persönlichen Star des Moments und musste permanent an diesen einen Satz denken, den man immer von Regisseuren hört: „Leute, wir verlieren Licht!“ Kurz bevor der Vorhang sich zuzog, erschien dann doch noch meine Traumbesetzung. Puh!
Nachdem ich bereits Thailand und China gesehen hatte, war Korea nun mein drittes asiatisches Land. Eine komplett neue Erfahrung, die ich jedem nur empfehlen kann. Unglaublich leckeres gegrilltes Essen, abgedrehtes Karaoke, wunderschöne Parkanlagen, bezaubernde Natur und wirklich liebenswerte, höfliche Menschen haben diese Reise zu einer der schönsten meines Lebens gemacht.
Na gut, wenn ich schon Werbung für dieses tolle kleine Land hier mache, dann aber auch richtig – mit Postkartenmotiv. Aber pssst.
Seoul war für mich eine riesige Herausforderung. Selten hatte ich das Gefühl gehabt, so viel geschafft zu haben und doch erst ganz am Anfang zu stehen. Ich habe gelernt, dass es kein Ziel gibt. Es gibt nur einen Weg, der mal steinig, mal traumhaft schön ist und in der Regel keine Wegbeschreibung hat. Obwohl das manchmal etwas beängstigend ist, weiß ich eines ganz sicher:
Diesen Weg will ich jeden Tag mit einem Lächeln bestreiten, wo auch immer er mich hinführen wird.
kwerfeldein – Fotografie Magazin
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