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Die Schönheit des Verfalls

16 May

Ein Beitrag von: Jörg Rüger

Das Fotografieren von verlassenen Orten ist gerade oder immer noch sehr en vogue. Das verstehe ich auch nur zu gut, geht doch von diesen Orten ein ganz besonderer Reiz aus. Betritt man einen solchen Ort, wird man gefangen genommen von der Atmosphäre, die dort herrscht.

Es ist das Licht, es sind die Gerüche, die für jeden offensichtlich das Besondere an diesen Plätzen ausmachen. Für mich kommt aber noch etwas anderes, weniger Offensichtliches oder Greifbares hinzu.

Normalerweise würde ich von mir sagen, dass ich eher dazu neige, nur Dinge im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen, die man auch sehen, anfassen, riechen oder schmecken kann oder für deren Existenz in anderer glaubhafter Weise ein Beweis angetreten werden kann.

© Jörg Rüger

Hier ist es anders. Ich spüre irgendwie etwas, was die vielen Menschen, die an den unterschiedlichen Orten gelebt haben. Als hätte deren Wirken, Lachen oder vielleicht auch ihre Gefühle wie Schmerz, Trauer und Wut etwas hinterlassen, was untrennbar mit diesen Orten verbunden ist. Ihre Wände atmen förmlich spürbar diese gesammelten Erfahrungen der Menschen, die dort einst lebten.

Ich war einmal an einem Ort, einer ehemaligen sehr großen Kaserne, wo ich erst nach langem Durchwandern in einem Keller angelangte, der offensichtlich die Arrestzellen der Anlage beherbergte.

Niedrige Decken, wenig bis gar kein Tageslicht, einfache Holzpritschen, grob gezimmerte dicke Holztüren und die Wände voller eingeritzter Nachrichten derer, die an diesem Ort gezwungenermaßen Zeit zugebracht hatten.

© Jörg Rüger

Leider waren diese Inschriften alle in Kyrillisch, so dass ich nicht verstehen konnte, was sie bedeuten. Aber das war auch nicht notwendig, denn die ganze Atmosphäre dort sprach auch ohne Worte ganze Bände.

Oder da war dieses Krankenhaus. Viel war dort nicht mehr zu finden. Aber auch dort war das nicht unbedingt notwendig, um nachzuspüren, dass es sich um einen besonderen Ort handelte. Alte Liegen, die verlassene Kinderstation, OP- oder Seziertische – so etwas wirkt schon im Normalzustand in besonderer Weise auf einen ein.

Oder da war dieses ehemalige Kraftwerk von monströsen Ausmaßen. Es wirkte in seinen Dimensionen fast einschüchternd. Aber auch dort waren die kleinen Dinge zu finden, die daran erinnerten, dass das alles von Menschenhand geschaffen wurde und dass dort einst Menschen täglich zur Arbeit gingen.

© Jörg Rüger

Bei den Besuchen dieser Orte geht es mir nicht darum, diese zu dokumentieren und in ihrem Gesamtzusammenhang darzustellen. Mir geht es viel mehr darum, das Besondere dieser Orte, ihre Atmosphäre einzufangen und wiederzugeben.

Mich interessieren oft auch nur bestimmte Details, die man vielleicht auch an jedem anderen Ort finden könnte, die aber genau an diesem in Verbindung mit der Umgebung zu etwas Besonderem werden.

Wenn ich mir so meine gesammelten Bilder verlassener Orte anschaue, dann fällt mir auf, dass es vor allem immer auch wieder Türen, Fenster und Treppen sind, die meine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Oft sind es aber auch nur Farben im Zusammenspiel mit Licht und Schatten.

© Jörg Rüger

Fotografisch betrachtet sind diese Orte oft eine Herausforderung. In Ermangelung künstlicher Lichtquellen, oftmals aber auch wegen teilweise verschlossener Fenster und Türen ist die Lichtsituation eher schwierig.

Oft sind es Motive mit großem Kontrastumfang, die abgebildet werden sollen. Vielfach komme ich für den Bildeindruck, den ich erzeugen möchte, nicht um Belichtungsreihen herum. Bei der Bearbeitung der Bilder achte ich jedoch darauf, möglichst eine dem normalen Sehen entsprechende Bildwirkung zu erzielen.

© Jörg Rüger © Jörg Rüger

Man sieht oft Bilder gerade von verlassenen Orten, die (in meinen Augen) im Übermaß bearbeitet wurden. Mir geht es darum, die Orte möglichst so zu zeigen, wie ich sie tatsächlich gesehen habe.

Vielleicht gelingt es mir ja, mit den Bildern ein bisschen die Atmosphäre dieser Orte zu transportieren und diese Eindrücke zu konservieren, denn viele dieser Orten gibt es heute schon nicht mehr.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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