Ein Beitrag von: Anne-Kathrin Knuth
Meine Reise begann lange vorher. Lange vor dem Jahr 2011, als ich durch New York reiste, um aufrüttelnde Bildmotive zu finden und zu zeigen, dass es so nicht weitergehen konnte. Dass Arme keine Chance auf ein besseres Leben haben sollten und Banker und Reiche viel zu fettbäuchig, satt und selbstgefällig durch die Straßen eilten. Blind für das Elend zu ihren Füßen und unwillig, zu helfen.
Ich bin aufgewachsen mit den Werten einer Kriegsgeneration. Zwar bin ich erst 26 Jahre alt und weit davon entfernt, aber mein Vater ist 81 – ein Generationensprung. Geschichten und Weltanschauungen übertragen sich oft unbewusst auf die Kinder. Mein Vater war Banker. Immer im Anzug. Die Haare immer säuberlich gekämmt. Er war immer sehr sparsam, um nicht zu sagen geizig.
Ich bekam die Lebenseinstellung vermittelt, dass man anderen helfen sollte. Die Sparsamkeit habe aufzuhören, wenn einer einen um Hilfe bittet. Auf der anderen Seite verachte ich meinen Vater aber auch für sein Gönnertum. Ich denke, er ist kein guter Mensch. Er teilt zwar sein Essen, aber man hat immer das Gefühl, er tut es, um sich dadurch besser zu fühlen.
Ich denke immer darüber nach, wie ich den Menschen helfen könnte, mit dem, was ich ausrichten kann. Mit Geld kann ich nicht dienen. Mein Traum war es immer, ein Heim für Obdachlose zu errichten und so beschloss ich, Fotografien zu erstellen, um die Menschen, die Mittel und Wege besitzen, durch Fotografien darauf aufmerksam zu machen.
Im September 2011 war ich auf einem Fotoworkshop in New York und sollte mir für die Ausstellung, die an die Reise anschloss, ein Thema überlegen. In der Stadt herrschte tiefe Trauer, da es gerade zehn Jahre her war, dass zwei Flugzeuge die Twin Towers zum Einsturz gebracht hatten.
Doch kam für mich ein anderes Themengebiet mehr in Frage: Ich wollte mich mit den sozialen Unterschieden in dieser Stadt befassen. Schon in Berlin hatte ich angefangen, mich fotografisch mit armen Menschen auseinander zu setzen.
Jedoch fiel mir mit der Zeit auf, dass in Berlin das soziale Netz die meisten Menschen durchaus auffängt und dass die Ursachen hier eher Alkohol und anderen Drogen zuzurechnen ist, die Menschen zu Boden fallen lassen und sie nicht mehr aufstehen lassen.
Menschen in Deutschland müssen nicht auf der Straße leben. Sie bekommen ein Bett und etwas zu essen, solange sie es noch schaffen, aufzustehen, zum Amt zu gehen und einen Antrag zu stellen.
Als ich nach New York kam, wurde mir sehr bald bewusst, dass hier ein anderes System herrscht. Ich sprach mit einem Bekannten, der in der Nähe von New York lebt und ich erfuhr, dass es dort durchaus nicht der Standard ist, eine Ausbildung zu bekommen.
Er erzählte mir, dass er für sein Studium 80.000 USD bezahlt habe und es ganz normal sei, dass eine Ausbildung in den USA soviel koste. Wenn man keine Ausbildung hat, bekommt man keine Arbeit. Keine Arbeit, kein Arbeitslosengeld. Das heißt, auf der Straße leben zu müssen.
Ich lief durch New York von einem Viertel ins nächste und es war erschütternd, welche Kontraste dort herrschten. Die sonnigen Gesichter der im Anzug gekleideten Bankertrüppchen neben dem perspektivlosen Ausdruck derer, die alles verloren hatten.
Ich schoss jeden Tag ein paar Bilder, auf denen beide Extreme vereint waren: Reich und arm und erstellte daraus eine Serie. Am 28. September, kurz vor meiner Abreise, begann eine Demonstration der „Occupy Wall Street“-Bewegung. Ein Kampf gegen die Armut und die Macht der Banken.
Die Demonstration schien zunächst relativ unbedeutend zu sein, aber ich machte dennoch Fotos, da sich ja genau damit meine Fotoserie befasste. Als ich dabei dann von Polizisten von der Straße gejagt wurde, schlich sich bei mir das Gefühl ein, dass es nicht erwünscht war, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Kaum war ich wieder in Berlin, war in den Nachrichten zu hören, dass die Situation in New York eskaliert war. Hunderte Demonstranten waren festgenommen worden.
Nach der Abschlussausstellung des Workshops, in der viele Teilnehmer Portraits präsentierten und bunte Bilder von New York, die weder Unglück noch Armut zeigten, fragte ich mich, warum ich mich eigentlich immer wieder mit Themen auseinandersetze, die doch eher die grauen Seiten der Menschen zeigen. Und ich wusste, dass es das Resultat meiner Erziehung war.
Meine Serie soll zeigen, dass es viel zu wenige Menschen gibt, die Mitgefühl für andere Menschen entwickeln können. Ich hoffe, dass mein Projekt dazu beiträgt, mehr Empathie in jedem Einzelnen auszulösen.
kwerfeldein – Fotografie Magazin
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