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Posts Tagged ‘Wirklichkeit’

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

10 Oct

Ein Beitrag von: Kristina Leimkühler

Es war ziemlich heiß, den ganzen Tag über, und jetzt auf dem Meer gen Abend endlich kühler, sogar schon kühl genug, um ins Fleece zu schlüpfen. Über dem Schiff tauchen die ersten Sterne auf, je mehr Zeit vergeht, desto düsterer werden Wasser und Himmel und umso funkelnder die Lichter der Insel in der Ferne.

Durch die rostigen Stufen hindurch sehe ich die meist weißen Autos im Bauch der Fähre schaukeln. Die Vorhersage, dass beim Verreisen mit Großformatkamera sowieso gleich ein Koffer voll sei, habe ich zunächst nicht glauben wollen, bis es zum Packtag kam und dann, zusammen mit digitalem Equipment und Zubehör, mein Handgepäck von zwölf Kilogramm ausgefüllt war.

Die Linhof wiegt auf ihrer Stange nur etwa so viel wie eine Mamiya Rb67, also um die drei Kilogramm, aber mit Tuch, den Kassetten, fünf an der Zahl, dem Film, einem Puster, Wasserwaage, Putztuch, Wechselsack und Drahtauslöser addiert sich so einiges an Gewicht auf. Was noch auf die zwölf Kilogramm fehlte, habe ich dann mit einer 5D mit 50mm und 100mm aufgefüllt.

Ich war nun zum dritten Mal im Oman, konnte mir also genug Gedanken machen, was ich abbilden möchte bzw. was ich da überhaupt sehe. Es war unkompliziert, die Kamera mitzunehmen, auf der Hinreise musste ich sie nicht auspacken. Vor Ort hatten wir ein Auto gemietet, also ideale Bedingungen für Großformat.

Die Berge und die Weite im Oman machen mich staunen. Das Format 13x18cm sollte genau das richtige sein, um sie abzubilden. Während ich mit einem Mal all die Farben wirklich sah, an die ich mich von meinen vorherigen Bildern nur noch traumartig erinnert hatte, verloren wir uns zwischen grauem Staub und Steinen, zwischen rotem Sand und Geröll.

© Kristina Leimkühler

Die Kamera war schnell auf- und abgebaut. Schwieriger, viel schwieriger war es, den wirklich richtigen Punkt für eine Aufnahme zu finden. Auch, weil das Gelände schwer zugänglich ist. Während ich einige Bilder bereits im Kopf hatte, überkamen mich während der Reise Zweifel, zu wenige Bilder gemacht zu haben und Unglaube, dass ich das, was ich abbilden wollte, schon in der silbernen Schachtel hatte.

Die Filme habe ich immer nachts gewechselt, im Zelt, im Wechselsack. Fünf Kassetten hatte ich dabei, das war auch am besten Tag genug. Die Hitze der Tage machte es unmöglich, sich während des Bildermachens zu enthusiastisch zu gebärden, allerdings war ich jeden Abend voller Vorfreude, wenn ich ein oder zwei Blatt Film mehr in meine selbst gebaute, lichtdichte Aufbewahrungsdose gelegt hatte.

In einem Fall haben wir uns entschlossen, die Kamera mit in einen Wadi zu nehmen, zum Glück hat B. die meiste Zeit den Koffer getragen. Hier hatte ich die Kamera aufgebaut, um ein Bild von mir zu machen, beziehungsweise machen zu lassen, und obwohl wir an einem schwer zugänglichen Ort waren, kam eine Gruppe Saudis vorbei, die tatsächlich an der Kamera interessiert war.

Da ich zunächst noch auf irgendeinem Felsbrocken klettern war, hörte ich amüsiert zu, wie der Liebste den Jungs das erklärte, was ich ihm wiederum Minuten zuvor erklärt hatte, damit er das Bild machen könne und stelle mich dann dazu: Hier Blende und Belichtung einstellen, da drunter schlüpfen, um Bild und Schärfe einzustellen, da dann die Filmkassette einschieben und dann auslösen. Und dass die Kamera etwa 40 Jahre alt sei.

© Kristina Leimkühler

Eines Mittags, am Ende einer Ebene, nach einem kurvenreichen, langen Aufstieg durch leeres Land, durch frisch gesprengten Fels und rotbraunes Geröll, eröffnete sich vor uns plötzlich eine Weite, in der ich Berge sah, wie ich sie bisher nur gezeichnet kannte. Ich stellte die Linhof auf eine Anhöhe und kroch unters Tuch. Ein Auto schlich langsam hinter uns vorbei, daraus schauten drei Paar misstrauische Augen.

Die Fotos von diesem Tag sind, als einzige, auf mir nicht erklärbare Weise ins Licht gekommen; so bleiben sie denn nur in meinem Kopf. Zurück in Berlin habe ich die Negative bei Fotoimpex entwickeln lassen. Auf dem Stapel war dann vermerkt, dass ich den Belichtungsmesser checken sollte, weil die Bilder alle unterbelichtet seien. Zuvor hatte ich keine Probleme mit dem Belichtungsmesser gehabt. Vielleicht war mein f/45-Projekt nicht die beste Idee.

Ich habe einige wenige perfekt belichtete Fotos und viele, die leider nur ein recht dünnes Negativ abgeben. Noch habe ich keine exzessive Dunkelkammerarbeit betreiben können, um zu sehen, was sich rausholen lässt. Die digitalen Scans lassen mich in Details verlieren und durch graue Riesengebirge tauchen. Ich glaube, dass meine Idee, die Größe dessen, was ich im Oman sehen kann, mit einem umso größeren Negativ besser darstellen zu können, nicht aufgegangen ist.

Detail © Kristina Leimkühler

Zumindest nicht, wenn ich in meinen bisherigen Maßen denke, mit denen ich Bilder im Internet oder meinem Vergrößerer erzeuge und betrachte. Es ist vorstellbar, dass das Ausmaß dessen, was zu sehen ist, sich auf Abzügen ab einer Größe von A2 erschließt. Vielleicht hat der außerordentlich hell strahlende Himmel das Ergebnis der Belichtungsmessung verfälscht. Vielleicht ist aber auch einfach der Größe des Negativs wegen viel mehr Detailarbeit nötig, die sich auch bereits jetzt bei den Scans sichtbar auszahlt.

Mit den Bildern bin ich eigentlich nur in zwei Fällen zufrieden. Bei manchen mag ich Details. Ich stelle die Bilder also nicht rein unter der Idee zu dem Artikel, weil ich sie top gelungen finde, sondern um zu zeigen, was (mir) möglich war und um zu bebildern, wie es mir damit ergangen ist. Die Kosten halten sich übrigens, sofern man bei schwarzweiß bleibt, in relativen Grenzen.

Adox wird diesen Planfilm nicht weiter produzieren (hier lag man bei einem Euro pro Negativ), dann bleibt Ilford, was dann, soweit ich mich erinnere, 1,50€ pro Negativ bedeutet. Die Entwicklung kostet ab vier Stück 2,26€. Ich weiß nicht so recht, ob ich die Kamera weiterhin für Außenaufnahmen nutzen werde, denn ich denke bei der Motivauswahl bedarf es da mehr Sorgfalt.

Im Innenraum habe ich gute Erfahrungen gemacht mit ihr; auch, was die Belichtung angeht. Da war es dann genau der Großformateffekt, den ich mir vorgestellt hatte und von einer Sinar kannte – wow.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Zerstäubte Wirklichkeit: Filmkorn

14 Aug

Ich war schon beim ersten Mal verliebt. Sie sahen aus wie tausend kleine Nadelstiche. Bleistiftspitzen, die ratternd über das Papier fahren. Verdichtete Geschichten in schwarzweiß auf einer Vergrößerung aus dem Chemiebad. Was war ich angetan.

Ich meine das Filmkorn. Nicht dieses feine, um das sich immer alle scharen, sondern das raue, sich in dunklen Geschichten suhlende. – Ist ja gut, ich hör schon auf. Aber Du kannst Dich sicher an alte Filmklassiker erinnern. Nosferatu – eine Symphonie des Grauens – in Farbe und glatt gebügelt? Geht nicht, oder?

Na also.

Aline © Marit Beer

Meine absoluter Lieblingsfilm ist der Ilford Delta 3200. Also ein stark lichtempfindlicher Film. Ich mag seine Zerissenheit, wie eine Explosion feinster Silberpartikelchen wirken die Ergebnisse, die ich damit erziele.

Selbst das grau Zermatschte hat mich im Sturm erobert. Aber auch der Kodak Trix-400 kann einiges mit einer, zugebenermaßen, besseren Schattenzeichnung als der Delta.

Die Liebe zu Filmkorn ist sicher wie der Genuss von raubeinigem Whisky aus dem Hochland. Nicht jeder mag ihn, manche verabscheuen ihn und andere können nicht anders, als darin den höchstmöglichen Genuss zu sehen.

Knoydart © Marit Beer

Einer meiner Lieblinge unter den Fotografen, der mit damit spielt, ist Michael Ackerman. Unstet, verwirrend, grob und zurückhaltend sind nur die ersten Adjektive, die mir zu seinen Bildern einfallen.

Sie sind verwackelt, verwischt und manchmal unfassbar klar, obgleich des zerstaubten Hintergrunds. Er erzählt beklemmende Geschichten von der Straße und wenn man nach oben schaut, sieht man gerade noch eine Hand, die einen Vorhang loslässt. Augen dahinter, die Dich beobachten und Dein Herz pocht und Du versuchst, nicht über den grauen Asphalt zu rennen.

Solch beklemmende Gefühle lösen diese Bilder in mir aus.

Knoydart © Marit Beer

Ich habe oft und viel herumprobiert. Nach Jahren nun habe ich einfach das gefunden, was mich atemlos macht, was den Bildern im Kopf am nächsten kommt. Die Klarheit wird erst sichtbar, wenn das Bild berührt, wenn es mich stillstehen lässt. Dann tauche ich hinein, teile das graue Meer vor mir in zwei Bahnen, um tiefer zu dringen.

Es ist schon seltsam, wenn man seine eigene Entwicklung beobachtet und sich die Linie von klaren Strukturen zur Unklarheit bewegt, sich auf den Bildern immer weniger befindet, was das Gehirn nun selbst zusammenbauen muss.

Und ich frage mich, ob es einen Nullpunkt geben wird. Ob es immer weiter geht und sich auf dem Negativ irgendwann nur noch eine wilde Ansammlung von silbernen Partikelchen befinden wird, deren Zusammenhang niemand mehr begreift.

verwoben © Marit Beer

Es stellt sich ja immer wieder die eine Frage, warum macht man das, was man macht und wer ist oder wird man dabei. Mit jedem Schritt, ob nach vorn oder nach hinten, verändert sich Deine Handschrift und auch Deine Ansicht vom Leben und das, was Du abbildest.

So sehe ich meine Bilder immer wieder als Zeugnis meiner Selbst. Ich schreibe meine eigene kleine Biografie und irgendwie freue ich darauf, eines Tages, hoffentlich in weiter Zukunft, mit pergamentgrauen und zerschlissenen Händen über die Bilder zu fahren, die einst mein Leben waren.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Stanka Koleva und die Wirklichkeit

27 Feb

Vorsicht, in diesem Artikel liegt der Fokus auf künstlerische Fotografie. Es werden auch seltsame Wort- und Sinnkonstrukte erstellt sowie eine Geschichte erzählt, für die ich an dieser Stelle keine Haftung übernehmen kann. Das Weiterlesen geschieht daher auf eigene Gefahr.

Es geht hier um Stanka Kolevas Arbeiten und Anfänge. Ihre Bilder sind nicht so einfach verdaulich, auch springt einem die Absicht nicht sofort ins Gesicht. Es sind eher die leisen Töne, die den Betrachter, lässt er sich drauf ein, zum Schauen bewegen.

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So sehen wir Gesichter, nie ganz da, als wären sie in einer Welt hinter dem Bild und wir sehen nur einen Abdruck dessen, was einmal war. Oder es schweben schwarz umrankte Geisterwesen auf uns zu. Vieles ist möglich in Stankas Bildern.

Begonnen hatte alles mit der alten Kamera ihres Großvaters. Ich weiß, viele Geschichten von Fotografen beginnen so, aber warum auch nicht. Bei einigen ist es der Anfang einer wunderschönen Geschichte.

Ihre Großmutter also – bestimmt war es ein vernieselter Tag in Bourgos – einer Hafenstadt am schwarzen Meer, überreichte Stanka, Ihr erinnert Euch, die Großmutter war es, die Kamera ihres kürzlich verstorbenen Mannes.

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Sie nahm die Kamera und betrat ein Fotostudio in ihrer Stadt, um ein paar Filme zu kaufen. Als der Verkäufer sie fragte, ob Farb- oder Schwarzweißfilm, war sie für einen Moment verwirrt. Sie wusste nicht, welcher Filme in ihre Kamera passt und tippte auf schwarzweiß.

Der Verkäufer lachte und entschlüsselte das Geheimnis: Beide Filme würden passen. Als sie ihn fragte, ob er auch Filme entwickne, sagte er: „Ja, Sie können die Filme zu mir bringen und Sie entwickeln sie.“ Stanka schüttelte den Kopf: „Nein, das ist ein Missverständnis, ich bezahle Sie und Sie entwickeln die Bilder!“ Er nickte: „Ja, Sie werden mich bezahlen, aber Sie werden die Bilder selbst entwickeln.“

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Von da an war er für fünf Jahre ihr Lehrer. Er brachte ihr alles bei, was er über sein Handwerk wusste. Für Stanka war dieses kleine Fotostudio ein Tempel, in dem sie neue Welten, neue Visionen und Sichtweisen kennenlernte. Auch heute noch arbeitet sie in der Dunkelkammer und stellt ihre Abzüge mittels des Silbergelantineverfahrens her.

Wenn sie Bilder macht, dann folgt sie ihrem Instinkt. Sie sagt:

Ich sehe etwas und es muss jetzt passieren, eine Aufnahme zu machen. Wenn ich ein Modell für Aufnahmen vorbereite, bitte ich es, bestimmte Dinge zu machen, die ich im Bild haben möchte (zum Beispiel etwas zu tragen oder zu halten). Dann lasse ich die Person die Situation fühlen, in der sie ist und spreche mit ihr, während ich fokussiere. Normalerweise spreche ich über unsinnige Dinge. Dann fangen wir beide an, uns wohler zu fühlen und die Szene und Atmosphäre zu spüren. Ich muss das Bild sehr schnell machen, weil ich sonst den Moment der Wahrhaftigkeit verliere.

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Es ist die Wirklichkeit, die sie motiviert und provoziert, zu fotografieren.

Weil dort mehr ist als wir mit unseren Augen sehen, es gibt unbekannte Kräfte, die darauf warten, in uns als Menschen enthüllt zu werden. Meine Arbeiten sind ein Schnappen von mir nach dem Unbekannten, das über meinen Körper hinaus geht.

Dass ein Fotograf aber keine Insel ist, hat Martin in seinem Artikel schon so schön beschrieben und so hat sich auch Stanka von vielen Menschen um sich herum inspirieren lassen. Da sind als erstes natürlich ihr Lehrer Borislav Penkov und Künstler wie Sally Mann, Roger Ballen, Bastian Pons, Patricia Ujehovska und Bruce Mozertom. Sie geben ihr die Kraft, weiter zu fotografieren.

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Ohne es fühle ich mich unvollständig und leer. Fotografie ist eine Art ständige Suche nach mir, ich versuche, mehr über das zu erfahren, was ich noch nicht verstehe und neue Kräfte in mir und jedem anderen Menschen zu entfesseln.

Und mit diesem Zitat möchte ich die Geschichte von Stanka hier vorerst enden lassen. Wer sich in ihren Worten wiederfindet oder sich durch ihre Bilder berühren lässt, der wird sie bestimmt weiter erzählen und ihre Webseite besuchen. Ich bin froh, über Umwege ihre Bilder gefunden zu haben. Sie reiht sich nun wiederum ein in die Reihe der Menschen, die mich beeinflussen.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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