Vor ein paar Wochen trudelte bei uns folgender Kommentar ein, den wir mal ganz mutig aus dem Zusammenhang reißen und lesen:
„Allein die Flut solcher Bilder im Internet verrät, dass es sich hierbei um ein massenkompatibles Sujet handelt. Mir erschließt sich der Sinn solcher Bilder allerdings nicht so ganz. Was will der Fotograf hier zeigen? Der inflationäre Umgang mit dem Graufilter und das beharren auf einer Schwarzweiß-Wiedergabe stempelt die Aufnahmen für mich als reine Effekthascherei ab. Warum wird hier nicht mal mit Farben, Kontrasten und Perspektiven experimentiert? Zugegeben, es gibt wirklich wenige Fotografen, die auf dem Gebiet der Landschaftsfotografie neue Sichtweisen vermitteln können, aber ewig auf den selben Effekten herumzureiten kann es nun auch nicht sein. Dann lieber mal den Deckel auf dem Objektiv lassen, und einfach nur spazieren gehen.“
Martin: Daraus ergeben sich viele Fragen, denen wir uns in den nächsten Zeilen bewusst ausgesetzt haben: Macht es Sinn, ein Foto zu machen, das in dieser Form schon einmal ungefähr so gemacht wurde? Ist es erstrebenswert, immer nach Neuem zu suchen oder auch legitim, Vorhandendes weiterzutragen? Oder sollten wir doch lieber gleich „den Deckel auf dem Objektiv lassen und einfach nur spazieren gehen“?
Robert: Zuerst einmal finde ich es wichtig, zu verstehen, mit welcher Motivation Menschen Fotos machen. Und vielleicht hilft es auch für die Beantwortung dieser Fragen, einmal die zwanghafte Fotografie-ist-Kunst-Projektion auszublenden.
Frei nach Susan Sontag: Die meisten Leute, die ein Aufnahmegerät bedienen können, fotografieren gar nicht mit dem Drang, zwangsläufig Kunst zu machen.
Wie bei jedem Massenphänomen ist es für die meisten einfach ein Vergnügen oder Teil eines sozialen Ritus und vielleicht auch einfach das Bedürfnis, Erinnerungen festzuhalten, zu sammeln und mit anderen zu teilen.
Dass auf diese Weise verschiedene Fotografen bildinhaltliche Dopplungen erzeugen, ob nun absichtlich oder unbewusst, ist einfach Teil des Massenphänomens, sich mit Bildern über Erlebnisse und Erfahrungen auszutauschen.
Jemandem zu sagen „Mach das Foto nicht, das gibt es schon.“ wäre etwa vergleichbar mit „Halt bloß die Klappe. Den Satz, den Du gerade sagen willst, haben schon 3.972 Menschen vor Dir gesagt.“
Martin: Womit Du die Fotografie mit der alltäglichen Kommunikation vergleichst. Was mir sehr gut gefällt, denn zu solchen Zwecken wird sie ja auch eingesetzt. Und in einem Gespräch wird oft das noch einmal unterstrichen, was vorher jemand anderes gesagt hat.
Dass es sich hierbei nie exakt um das Gleiche handelt, hört man schon an der Stimme. Und diese lässt sich, um den Kreis zur Fotografie wieder zu schließen, auch in der Fotografie wiederfinden. Denn 100% kopieren, das will mit Sicherheit niemand, zumindest nicht auf Dauer. Wie sehen das die anderen?
Normen: Ich finde es grundsätzlich in Ordnung, wenn man während der eigenen Entwicklung in der Anfangszeit versucht, andere Fotografen zu „kopieren“, jedoch sollte man in so einem Fall dann so ehrlich sein und die Quelle der Inspiration mit angeben. Damit können die meisten kopierten Fotografen leben und der Kopierende bricht sich dabei nicht wirklich einen Zacken aus der Krone.
Ist es nicht oft sogar gut, ein ähnliches Foto noch einmal zu machen? So gibt es unzählige Fotos der Golden Gate Bridge, viele davon hätten nicht gemacht werden müssen, andere hingegen sind es absolut wert.
Katja: Normen, klar sind es einige absolut wert. Aber sind das nicht genau die wenigen, die aus einer anderen, selteneren Perspektive fotografiert wurden? Oder bei denen zum Motiv der Brücke noch weitere seltenere Gegebenheiten kommen, wie Nebel oder der Sonnenuntergang? Und damit sind diese wenigen doch keine einfachen Kopien mehr.
Den Versuch, ein Foto 1:1 kopieren zu wollen, kann ich zum Teil nachvollzielen. Es ist sicher eine Herausforderung und man kann dabei etwas über Technik, Licht und so weiter lernen. Was ich nicht verstehe, ist, dass diese Motive dann stolz gezeigt werden.
Und das geschieht sehr oft, wenn ich mir die Communities ansehe. Ich denke da gerade an das Motiv mit dem Ring zwischen zwei Buchseiten, dessen Schatten ein Herz wirft. Das habe ich schon so unglaublich oft gesehen und klicke meist direkt weg, egal wie gut es gemacht ist.
Normen: Da hast Du natürlich recht, dass die besseren Fotos irgendwelche Besonderheiten aufweisen.
Aber in mich hineinblickend kann ich sagen, dass ich es mir wohl kaum verkneifen könnte, ein Foto von der in Nebel gehüllten Brücke zu machen, obwohl ich weiß, dass es Fotografen gibt, die dies schon besser gemacht haben als ich. In dem Moment würde es mir auch nicht in den Sinn kommen, jemanden zu kopieren, da ich gar keine Vorlage zur Kopie im Kopf hätte.
Von daher würde ich jetzt erst einmal die Meinung vertreten, dass es in Ordnung ist, wenn man Fotos macht, die es in ähnlicher Weise schon gibt. Gerade in der Entwicklungsphase ist es sicherlich in Ordnung, sich an anderen Fotos zu orientieren, bevor man sich gar nichts mehr traut und lieber zu Hause bleibt.
Wie sehr beschäftigt Euch eigentlich der Gedanke, etwas Neues zu schaffen?
Martin: Aktuell überhaupt nicht. Ich habe einfach genug damit zu tun, viele gute Fotos zu machen und mir ist es letztendlich egal, wer wie wann wo was schon einmal gemacht hat. Der Vergleich mit anderen war bei mir nach den ersten drei Jahren Fotografieren gegessen, davon habe ich mich bewusst getrennt, weil mich das zu sehr unter Druck gesetzt hat.
Beim Fotografieren auf der Straße nehme ich alles auf, was irgendwie toll aussieht. Da schalte ich den Kopf aus und mache einfach, solange die Konzentration reicht. Hinterher suche ich dann die besten aus. Natürlich kann es sein, dass jemand ein Foto dieser Art schon einmal gemacht hat. Damit habe ich aber kein Problem.
Ich denke sowieso, dass niemand einfach aus sich heraus etwas Neues erschaffen kann. Denn wir sind nun einmal von anderen beeinflusst, ob wir das wollen oder nicht. Zu sagen, man mache etwas „ganz Eigenes“ ist für mich etwas naiv, denn jeder ist inspiriert von der Arbeit anderer und das beeinflusst – wenn auch nur unterbewusst. Und das ist auch gut so, ich finde daran nichts Schlechtes.
Wie würdest Du, Robert, die Frage von Normen beantworten?
Robert: Wenn ich ehrlich bin, steht für mich selbst gar nicht im Vordergrund, zwanghaft etwas Neues zu schaffen. Gut zu sampeln, das heißt, Vorbilder* zu sammeln, sie anders zu mischen, über Lücken und Brüche mithilfe der eigenen Vorstellungskraft hinweg zu improvisieren und so insgesamt etwas zu schaffen, womit ich selbst zufrieden bin, ist eigentlich alles. Fotografie ist Jazz. Nebenbei bemerkt ist auch dieser Satz nur geliehen.
* Hier wäre eigentlich „Vorideen“ ein angemessenerer Begriff als Vorbilder. Gerade die Inspiration aus fotofremden Bereichen ist mitunter würziger als die Wurst aus der eigenen Brühe.
Ich finde übrigens Katjas Bildbeispiele für den Ring, der einen herzförmigen Schatten auf die Seiten eines aufgeschlagenen Buches wirft, sehr interessant. Nicht wegen des Bildes selbst, sondern eher, weil Katja hier anhand eines Begriffes (der wiederum als Idee auf einem Bild basiert) relevantes Material aus den Datenbanken (hier: Flickr und Fotocommunity) herausgefiltert hat.
Die auf verfügbare Daten anwendbare Suchfunktion ist also das technische Hilfsmittel, das uns überhaupt erst zu erkennen ermöglicht, dass es viele solche sich ähnelnde Bilder gibt. Ich finde die Überlegung interessant, ob wir uns die eingangs gestellte Frage auch gestellt hätten, wenn es dieses technische Hilfsmittel nicht geben würde. Vielleicht führt das jetzt aber auch zu weit…
Normen: Vermutlich hätten wir anders argumentiert. Überlegt doch mal, wie lange das Internet erst als Instrument der Verbreitung genutzt wird. 15 Jahre? 20 Jahre? Weitergedacht werden in den kommenden 50 Jahren noch unfassbar viele Fotos gemacht werden und man wird immer mehr den Eindruck gewinnen, dass es alles schon gegeben hat und man nichts Neues mehr macht.
Ich denke auch, dass es oftmals auch eine Sache des Geldes ist, vorhandene (neue) Ideen umzusetzen. So würden sicherlich viele Fotografen gern Fotos mit einem Aufwand ähnlich wie bei Gregory Crewdson machen und so mancher Landschaftsfotograf würde sicherlich gern einen Helikopter haben, um andere Perspektiven zu bekommen.
Ich denke, dass man in seinem Sujet die Fotos einfach mit Liebe und Leidenschaft machen sollte. Diese Herangehensweise führt dann dazu, dass man eine eigene Bildsprache entwickelt und möglicherweise dann auch als Vorbild für andere dient.
Katja: Das klingt, als wären wir uns alle einig. Jeder soll fotografieren, was er möchte, auch gern dasselbe Motiv. Und wenn die „Inspiration“ einverstanden ist, darf man das Bild auch veröffentlichen. Warum auch immer man das möchte. Dieser Teil erschließt sich mir nach wie vor nicht.
Wurde denn schon einmal jemand von Euch auf irgendeine Art und Weise kopiert?
Robert: Naja, Katja, ich verstehe schon, dass es Dich verwundert, wenn mehrere Autoren das augenscheinlich gleiche Bild machen und dann stolz das Resultat auch (mit)teilen, womöglich noch so als wäre es auf ihrem eigenen Mist gewachsen. Die Motivation dafür steht, denke ich, kaum in irgendeinem nachvollziehbaren Zusammenhang mit dem Bild selbst.
Wenn man das Kopieren als legitim akzeptieren möchte, kommt es, finde ich, entscheidend darauf an, was eigentlich kopiert wird – ein Bild oder eine Idee?
Der massenhaft wiederholten Kopie eines Bildes kann man schnell überdrüssig werden, wie wir am Beispiel des Herzschattens schon festgestellt haben. Hingegen eine Idee zu kopieren, ist schwieriger und im direkten Vergleich mitunter weniger offensichtlich.
Und um nun endlich den Bogen mit einer Antwort auf Deine Frage zu schließen, Katja: Ja, es kam schon vor, dass Bilder, die ich gemacht habe, in technischer Weise imitiert wurden, wobei ich allerdings merke, dass meine Idee dahinter gar nicht verstanden wurde. Der „Look“ ist ähnlich, aber das „Warum“ fehlt. Respekt zolle ich Bildern, die mit einem Verständnis für das Warum ihrer Vorbilder diese kreativ nutzen und neu interpretieren.
Martin: Ja, auch von mir wurden schon Bildideen übernommen, ein und dasselbe Bild „kopiert“ hat aber noch niemand – und das geht technisch auch nicht, außer jemand klaut das Foto und setzt es bei sich in den Stream – was auch schon passiert ist.
In gewisser Weise bin ich jedoch davon überzeugt, dass wir alle kopieren, wenn auch nicht bewusst. Wir übernehmen einen Stil, eine Idee, eine Pose, eine Art, zu sehen und und und. Ich glaube, niemand kann von sich behaupten, etwas gänzlich Neues zu schaffen – denn wir alle sind in einem Netz (Web) von Menschen, die uns inspirieren.
Der Herzschatten ist ein gutes Beispiel dafür, wie Menschen imitieren. Bücher und Ringe sehen eben fast alle gleich aus, aber mit offener Blende Menschen auf der Straße fotografieren, da unterscheiden sich auch nur die Menschen und der Hintergrund – auch, wenn jedes Bild anders aussieht.
Wie gesagt: Ich finde es schwierig, hier von „klauen“ oder „kopieren“ zu sprechen, denn keiner ist eine Insel, wie schon Thomas Merton sagte.
Normen: Wenn man sich nun einmal umschaut, gibt es eigentlich in allen Richtungen, in denen etwas geschaffen wird, eine Art Epoche, also einen Stil, der für einen bestimmten Zeitraum besonders bevorzugt wurde. Sei es in der Architektur, der Malerei oder in der Musik; überall finden wir ähnliche Werke, die unweigerlich durch Inspirationen entstanden sind. Ich kann Martin also nur Recht geben. Es ist nicht möglich, sich nicht inspirieren zu lassen, selbst wenn man es nicht möchte.
Martin: Ich kenne ganz gut von mir selbst, dass mir das Streben nach Originalität manchmal sogar im Wege stand. Früher habe ich dann manchmal lieber gar kein Foto gemacht, als eines, das ich in dieser Form schon einmal gesehen hatte. Daraus entstand dann ein destruktiver Druck, der, zumindest was die Kreativität anbelangt, ein Schuss in den Ofen war. Kennt Ihr das auch? Oder läuft es bei Euch einfach?
Katja: Ich habe mir bisher keinen Druck bezüglich der Originalität gemacht, aber einige Ideen verworfen, wenn ich sie ähnlich öfter gesehen habe. Zum Beispiel gab es vor Kurzem viele kreative Portraitbilder, bei denen Mehl oder farbiges Pulver verwendet wurden.
Nachdem ich das erste Foto damit gesehen hatte, fand ich es großartig und überlegte, wie man dieses Pulver noch verwenden könnte. Die Tage darauf sah ich aber immer mehr dieser Bilder und verlor die Lust an dieser Idee; ja, sogar die Lust an den Fotos, die mich zu Beginn so faszinierten.
Versteht mich nicht falsch, ich finde Wiederholungen nicht an sich schlecht. Dass „I follow rivers“ von Triggerfinger gecovert wurde, ist großartig, denn die „Kopie“ ist viel besser als das Original. Aus „Covern“ kann auch in der Fotografie etwas Anderes und für mich Besseres, Interessanteres entstehen.
Vielleicht nimmt man sich mit dem Originalitätsdenken doch mehr Möglichkeiten als man manchmal denkt.
Robert: Ja, das sehe ich auch so. Wobei das Streben nach Authentizität und Originalität an sich erst einmal nichts Schlechtes ist. Es sollte nur nicht die oberste Direktive für das eigene Schaffen sein. Zu leicht baut man sich sonst einen Turm aus den Erwartungen eines ausgedachten Publikums und immer wieder Ausreden, um der eigentlichen Arbeit auszuweichen.
Und Martin, um auf Deine Frage einzugehen: Abgesehen davon, dass ich solche Situationen nur selten erlebe, gibt es, finde ich, überhaupt keinen Grund, ein Foto nicht zu machen, weil ich mich in diesem Moment an ein bereits existierendes Bild erinnere. Es kann ja auch sehr reizvoll sein, bewusst und unbefangen ein schönes Zitat zu erstellen, ohne sich zu ängstlich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob eine Kopie nun legitim ist oder nicht.
Man lernt auch nicht beim Nachdenken über seine Möglichkeiten, sondern beim Machen. Und virtuelle Ausreden zu konstruieren, weshalb man jetzt gerade nicht fotografieren sollte, ist nichts als hinderlich.
Martin: Da stimme ich Dir zu, Robert.
Und an dieser Stelle übergeben wir das Wort an unsere Leser. Wie seht Ihr das? Könnt Ihr unseren Gedanken folgen? Wo habt Ihr eine anderen Standpunkt? Wir sind gespannt und lesen mit.
kwerfeldein – Fotografie Magazin
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