Heute möchte ich euch ein Fotobuch vorstellen, das mich sehr begeistert. Die Stadt, die es portraitiert, habe ich im vergangenen Herbst selbst kennen und mögen gelernt.
Die Fotos zeigen Szenen aus dem nächtlichen Hanoi und thematisieren den Umgang seiner Menschen mit dem öffentlichen Raum.
Es sind Szenen, wie sie sich in Gassen und Straßen, in Parks und am Ufer der Seen, in den Läden und Häusern allabendlich ereignen. Die Bilder sind eine Sequenz, eine Bewegung durch die Räume der Stadt. Sie veranschaulichen, wie sehr dort Privatheit und Öffentlichkeit miteinander verschmelzen.
Parallel zu André Lützens Bildern schafft ein Essay der Autorin und freien Journalistin Nora Luttmer mit Worten ein Portal in die Stimmungswelt dieser Stadt.
Die Straßen Hanois erscheinen wie Teile eines Bühnenbildes; seine Akteure sind die Bewohner der Stadt. Diese Momente des Spiels, des Handels und der Interaktion spiegeln sich in André Lützens Bildern wider. Mit dem Mittel der Straßenfotografie erzählt er kleine Alltagsgeschichten, erzeugt aus Details und Fragmenten Stimmungen, immer mit einem Sinn für den individuellen Charakter der Stadt.
Eine Besonderheit der vietnamesischen Kultur ist die tiefe Verwurzelung von Handel im Alltag. Nahezu jedes Haus hat einen Verkaufsraum oder mindestens einen kleinen Tresen zur Straße.
Einige Bilder des Buches zeigen immer wieder diese wunderbaren Mikrokosmen – kleine Welten im bunten Reichtum der Gemischtwaren. In Wirklichkeit sind dies aber weit mehr als nur dem Handel vorbehaltene Räume. Sie sind Lebensräume.
Eines der Bilder zeigt die Perspektive über einen Tresen hinein in einen dieser Räume. Man fühlt sich beinahe voyeuristisch, als blickte man heimlich in eine private Welt. Unscharf im Hintergrund sitzt abgewandt von der Kamera eine junge Frau – vermutlich die Verkäuferin – während sich im Vordergrund ein Stubentiger über den feilgebotenen Waren ausbreitet. Hier spürt man förmlich, wie die schwüle Luft auf die abendlichen Straßen der Stadt drückt.
In den Straßen und auf den Plätzen, auf denen tagsüber der Verkehr durchrauscht, scheinen am Abend ganze Scharen von Essständen aus dem Nichts zu wachsen.
Eins der faszinierendsten Bilder des Buches zeigt eine Szenerie, wie sie surrealer kaum sein könnte. Ein paar Herren sitzen in kleinen Gruppen auf Plastikstühlen an Tischen und genießen im Schein der Straßenlaternen gemeinsam in entspannter Runde Hanoi Bier und Zigaretten.
An sich nichts Außergewöhnliches, wenn da nicht die Betontrasse der Schnellstraße wäre, die sich aus dem Hintergrund kommend monströs über ihre Köpfe erhebt und träge die dunkle Hälfte des Bildes ausfüllt.
Public Private Hanoi* ist meine Empfehlung für alle, die sich ein Stück Leben ins Bücherregal holen möchten – für alle, die Neugier nach der Fremde haben und Vertrautheit in der Ferne suchen. Das Buch ist im Kehrer Verlag erschienen und kostet neu 40,- Euro.
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KWERFELDEIN | Fotografie Magazin
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