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Posts Tagged ‘Geschichten’

Geschichten in Haut

09 Jan

© Elena Helfrecht

Ein Beitrag von: Elena Helfrecht

Als Fotografin komme ich mir oft behindert vor, denn ich kann nicht alles. Ich habe Schwierigkeiten damit, Fremde zu fotografieren und bei Aufträgen, in die ich mich nicht hineindenken kann, werden die Bilder leer und kraftlos.

Wenn ich mit Modellen arbeite, kann ich nicht mit jedem; spüre ich keine Verbindung zum Fotografierten, geht es mir schlecht, ich werde zittrig und meine Brust verspannt sich. Bevor ich einen Menschen fotografiere, muss ich ihn kennen, begreifen und ihm vertrauen, denn im Moment des Fotografierens bin ich emotional nackt und absolut angreifbar.

Meine Bilder erzählen Geschichten und geben abstrakten Emotionen ein greifbares Gewand – ein Gewand, das aus meiner persönlichen Realität geschneidert ist. Dabei interessiere ich mich nicht für Makellosigkeit, sondern für Geschichten und die Schönheit, die allem innewohnt. Ich möchte zeigen, was hinter Oberflächlichkeiten oft übersehen wird.

Nackte Frauen liegen und hängen an einem Baum.

Ein Mund mit ausgestreckter Zunge, auf der eine tote Wespe liegt.

Ich liebe Körper, die Aufschluss über ihr Innenleben geben, ich betrachte sie als Bücher. Narben sind in Fleisch geschriebene Geschichten und ein bisschen wie Fotografie, denn auch sie halten bestimmte Momente fest, die aber nur der Narbenträger lückenlos entschlüsseln kann. Was auf den ersten Blick auf viele roh und brutal wirkt, trägt bei genauerem Hinsehen Zartheit, Liebe und Geschichte in sich. Eine Narbe erzählt nicht nur die Verletzung, sondern auch die Heilung.

Zu Beginn habe ich mich ausschließlich selbst als Modell für meine Bilder benutzt. Bei mir weiß ich, wie weit ich gehen darf und wie ich das, was in meinem Kopf ist, am besten umsetze. Bei Modellen kostet mich die soziale Interaktion viel Kraft. Es ist unglaublich erfüllend, einem Menschen so nahe sein zu dürfen, sich zu öffnen und Öffnung zu erfahren, aber danach bin ich am Ende meiner Kräfte.

Ein nackter Frauenkörper. Dreck bedeckt den Intimbereich.

Eine Frau mit Narben steht nackt neben einem deformierten Baum.

Früher wollte ich sein, wie das, was ich überall um mich herum sah. Dünn, glatthäutig, verführerisch. Heute kann ich mich zumindest in vielen guten Momenten lieben (es liegt trotzdem noch ein weiter Weg vor mir) – mit all meinen Narben, die nicht nur von Fehlern, sondern auch von Fortschritten erzählen, mit meinem Körper, der nicht perfekt nach gesellschaftlichen Definitionen, aber dafür einzigartig ist.

Nach viel zu langer Zeit kann ich ohne Arroganz frei heraus das sagen, was jeder sagen dürfen und können sollte: Ich finde mich schön. Zumindest kann ich es schon öfter sagen als früher – und irgendwann werde ich es immer sagen können.

Ausschnitt eines Männergesichts mit Narbe auf der Wange.Zwei Hände mit fehlendem Finger berühren sich.

Eine Hand streckt sich richtung Kamera. Ein Finger hat eine ringförmige Wunde.

Die Fotografie heilt mich. Sie hat mir einen ganz anderen Blick auf mich und die Welt ermöglicht. Diesen Blick möchte ich teilen, denn ich wünsche mir oft, jemand hätte mir früher erzählt, dass es in Ordnung ist, ich selbst zu sein.

Ich werde oft gefragt, warum ich in meinen Bildern so viel Nacktheit zeige. Ob ich mich nicht schäme, ob sich meine Modelle nicht schämen, ob es im Internet nicht genug „nackte Weiber“ (ich setze mich übrigens langsam auch mit männlichen Körpern auseinander) gäbe. Warum also?

Ich will die Essenz zeigen. Das, was uns vereint und menschlich macht. Kleidung kann viel aussagen, aber dennoch versteckt sie. Körper sind zeitlos; sie sind unser Mittel der Kommunikation. Jeder Muskel und jede Bewegung sendet eine Botschaft.

Eine Collage einer Frau mit Narben am Oberkörper.

Eine Schnecke liegt auf Narben.Eine nackte Frau hält einen toten Vogel mit ausgebreiteten Flügeln über sich.

Die größte Belohnung und Freude ist es, wenn ich sehe, dass meine Bilder nicht nur mir, sondern auch anderen helfen. Ich habe mittlerweile so viele Nachrichten erhalten, in denen mir Menschen mitteilen, dass ich ihnen helfe, sich mit anderen Augen wahrzunehmen. Dass sie lernen, sich schön zu finden. Dass sie endlich erkennen, dass es nicht abnormal ist, bestimmte Dinge zu fühlen. Vor allem, dass sie nicht allein sind.


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Menschenleere Gassen voller Geschichten

29 May

Vor ein paar Monaten war ich das zweite mal in Tunesien. Vom ersten Besuch habe ich nur wenige Fotos von den spannenden Orten mitgebracht, weil ich viel zu überrumpelt von den vielen neuen Eindrücken war. Dieses Mal habe versucht, mehr mitzunehmen.

Eigentlich wollte ich, nach all den Warnungen, die mir von vielen Seiten mitgegeben wurden, nicht allein umherstreifen. Aber mit einer Linse vor dem Auge kann man einfacher so tun, als wäre das mulmige Gefühl nur Teil einer Geschichte. Selbst vom offenen Tragen eine „großen“ Kamera wurde mir abgeraten, aber das habe ich erst recht nicht übers Herz gebracht.

Gasse in Sousse, TunesienGasse in Sousse, Tunesien

Den Basar in den Straßen der Medina von Sousse habe ich zwei Mal besucht und obwohl ich ihn schon von meinem ersten Aufenthalt in Tunesien kannte, war es auf’s Neue ein Abenteuer.

Ich werde mich wahrscheinlich nie daran gewöhnen, mit welcher unerschöpflichen Wehemenz die Verkäufer versuchen, die Touristen in ihre engen Läden zu locken und ihre Ware an den Mann zu bringen. Im Notfall auch an die Frau. Immerhin habe ich gelernt, genauso wehement Nein zu sagen und freundlich bestimmt weiter zu gehen.

Gasse in Sousse, TunesienGasse in Sousse, Tunesien

Ich fliehe dann gern in die kleineren Gassen, die in der glühenden Nachmittagshitze verlassen liegen. Sie haben mich sofort in ihren zeitlosen Bann gezogen. In jeder gibt es etwas Neues zu endecken. Die Fassaden sind viel bunter und vielfältiger als in den von Bebauungsplänen geprägten deutschen Straßen.

Die Bewohner sehen das wahrscheinlich anders, aber die Spuren des Zahnes der Zeit machen einen großen Teil ihres Charmes aus. Als hätte jede Geschichte in diesen Gassen ihre Spuren an die Wände gemalt.

Gasse in Sousse, TunesienGasse in Sousse, Tunesien

Weil jede Gasse anders aussieht und ihre eigene Geschichte erzählt, haben sie mich geradezu dazu aufgefordert, sie in einer Serie nebeneinander zu stellen. Wie ein roter Faden verläuft nur der gleichbleibende Bodenbelag, der Staub und die heimelige Enge durch das Laybrinth der Stadt. Es ist wunderbar, dass man nie weiß, was hinter der nächsten Biegung liegt.

Gasse in Sousse, TunesienGasse in Sousse, Tunesien

Selbst jetzt, viele Wochen später, schaue ich die Bilder der Gassen immer wieder gern an. Ich kann das ferne Geräusch der belebteren Gassen hören und der Geruch von staubiger Hitze und alten Gemäuern liegt wieder in der Luft.

Ich erinnere mich daran, wie sehr es mir gefiel, dass die Gassen, bis auf wenige Details, wunderbar zeitlos wirken. Fast könnte man denken, die fernen Rufe stammen nicht von Touristen, sondern einer Gruppe Korsaren.

Gasse in Sousse, TunesienGasse in Sousse, Tunesien

Ich bin verliebt in Orte, die eine Geschichte erzählen. Denn obwohl jeder Ort seine Geschichten haben mag, sind sie selten so spürbar. Selten wurde ich so leicht in eine andere Zeit und Welt entführt und nahm ein so eindringliches, besonders Gefühl des Ortes mit nach Hause.


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Dunkle Geschichten aus den Black Mountains

20 Mar

Ein Beitrag von: Rosie Anne

Ich bin Fineart-Fotografin und lebe in den Black Mountains in Wales, worauf sich vor allem ein sehr großer Teil meiner Arbeiten stützt. Ich fotografiere verlassene ländliche Orte, Natur und kleine Schätze vom Dachboden meiner alten Familie, die sie „hinter sich gelassen“ haben, um meine Geschichten zu erzählen.

Dabei habe ich mich auf Selbstportraits spezialisiert. Obwohl meine Fotografien nicht streng autobiografisch sind, ziehe ich Inspiration aus meinen eigenen Erfahrungen und oft merke ich auch, was für eine große Rolle mein Unterbewusstsein spielt. Ich übernehme oft die Rolle einer Heimatlosen, die in seltsamen und leicht surrealen Welten gefangen ist. Diese Charaktere kämpfen selten gegen die Landschaften an, sie sind ruhig und verständnisvoll.

© Rosie Anne

© Rosie Anne

Ich habe in den Black Mountains fast mein ganzes Leben gelebt. Ich ging nur kurz weg und als ich wiederkam, realisierte ich, wie sehr mich dieser Ort verfolge, aber nicht auf eine schlechte Art. Ich fühle eine starke Präsenz hier. Ich spüre die Atmosphäre der Landschaft; sie spricht zu mir, erzählt mir Geschichten.

Ich bemühe mich, stimmungsvolle Erzählungen mit einem Hauch von Mysterium zu erschaffen. Bilder, mit einer Stille, die den Betrachter anhalten, erwartungsvoll gemeinsam mit dem Charakter dem Fortgang der Geschichte zu harren.

© Rosie Anne

© Rosie Anne

Ich kreiere Welten, die von der Form her an Märchen erinnern, aber mit einer bedrohlichen Präsenz, einer provozierenden Geschichte, die Fantasie anregen. Sie zeigen auch die Entfremdung von der Natur und die Verbindung zwischen Mensch und Natur auf.

Es gibt einen gewissen Grad von Intimität in dem Raum, den die Charaktere einnehmen, sodass der Betrachter fast versucht ist, nach ihnen zu greifen. Meine Arbeiten sind gekennzeichnet durch die Verwendung von starken atmosphärischen Stimmungen, der Nutzung kräftiger Farben und effektvollem Licht, was zusammen etwas beinahe Malerisches erreicht.

Dieser Artikel wurde von Katja Kemnitz für Euch aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.


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Lebendige Geschichten über nicht lebende Wesen

31 Jan

Ein Beitrag von: Dina Belenko

Ich bin Autodidaktin. Meine erste Kamera kam durch Zufall in meine Hände, aber seitdem ich zum ersten Mal versucht habe, etwas Magisches mit Hilfe ganz gewöhnlicher Dinge zu erzählen, kann ich nicht mehr aufhören, zu fotografieren.

Ich glaube, einfache Dinge können genauso ausdrucksstark sein wie menschliche Gesichter. Sie besitzen meist Abdrücke unserer eigenen Emotionen, Erwartungen und Empfindungen. Sie altern und gehen kaputt, ganz genau so wie wir auch.

Pastry adventurer © Dina BelenkoUFO: kitchen thief © Dina Belenko

Jedes Ding, jede Sache trägt irgendein geschicktes Rätsel, ein Geheimnis in sich, das die menschliche Fantasie anregt. Ich liebe dies alles: Tassen, Puzzle, Glasstückchen, Papierflugzeuge, ich liebe all das, was sie mitteilen können. Dies alles ist unsere menschliche Welt, nur etwas langsamer, etwas ausgewogener, etwas harmonischer.

In Russland gilt das Stillleben als eines der eher unbeliebtesten Genres. Es wird lediglich als eine langweilige Anhäufung von Blumen und Früchten angesehen. Das ist etwas unfair, weil auch ein ganz anderes Stillleben als die genannten existiert: Ein metaphorisches, ein erzählerisches und ein interessantes Stillleben.

In solchen Aufnahmen gibt es meist eine wirkliche Geschichte. Diese schafft man dafür, um auch mal nicht schöne Dinge zu präsentieren und ihre Verbindung miteinander aufzuzeigen. Solche Stillleben erzählen Geschichten und ich glaube, dass solche das absolut Wichtigste in jedem Fotogenre sind.

The best coffee in the world © Dina Belenko

Ich bevorzuge das Stillleben, weil genau hier die Rolle des Zufalls unglaublich beschränkt ist. Jedes einzelne Detail kann aufs Genaueste kontrolliert werden. Man darf sich als Regisseur fühlen, dem alles, was sich auf der Fläche vor ihm befindet, unterliegt. Jeder Misserfolg ist nur sein eigener Misserfolg, aber dafür ist auch jeder Sieg komplett sein eigener Sieg.

Jedes einzelne Ding befindet sich in einem Knäuel aus Assoziationen, Erfindungen und Mythen. Man muss nur an einem einzigen Fädchen ziehen und schon eröffnen sich unglaublich viele Geschichten, die man mit anderen teilen will. Ich suche mir einfach die am besten gelungenste Geschichte aus und mache dann davon ein Foto.

Reindeer (Powdered sugar) © Dina BelenkoUnderground © Dina Belenko

Dieser Artikel wurde von Ljuba Gonchar für uns aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt. Danke!


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Gesichter erzählen Geschichten – Menschen aus Westnepal

19 Nov

Ein Beitrag von: Christoph Gysin

Seit rund sieben Jahren arbeite ich, als Fotograf ehrenamtlich, für die Hifsorganisation Govinda. Der Verein unterstützt in Nepal rund 5000 hilfsbedürftige Menschen. Im Frühjahr 2013 bin ich zum vierten Mal nach Nepal gereist. Mein Ziel war, Fotografien für den Jahreskalender des Vereines zu machen und die Arbeit von Govinda zu dokumentieren.

Nepal ist eines der ärmsten Länder der Welt; die Menschen dort gehören zu den herzlichsten, denen ich je begegnet bin. Von 1996 bis 2006 tobte ein blutiger Bürgerkrieg in Nepal, das Ergebnis waren Tausende Tote und eine völlig unstabile politische und wirschaftliche Situation. Unterdessen hat sich das Land wieder etwas erholt.

Aber auch heute gibt es täglich stundenlange Stromausfälle und lange Warteschlangen vor den Tankstellen, die das exklusive Benzin nur zu gewissen Tageszeiten verkaufen. Betroffen sind vor allem Taxi- und Lastwagenfahrer. 80 Prozent der Bevölkerung leben ohne eigenen Wasseranschluss im Haus.

Santi © Christoph GysinSapana © Christoph Gysin

Die Portraits, die ich hier zeige, sind in der Karnalizone im Nordwesten von Nepal entstanden – fern von den Touristenzentren des Landes. Die großartigen Bergkulissen des Anapurna-Gebiges und des Mounteverest befinden sich in der nördlichen Mitte des Landes und im Nordosten.

Zum Jahreswechsel von 2006 auf 2007 war ich das erste Mal in Nepal. Zusammen mit einem Journalisten und Jugendfreund arbeitete ich am Buchprojekt „Die Kinder von Shangrila“ für Govinda. Wir haben Portraits von Waisenkindern in Text und Bild erstellt.

Im Jahr 2008 bin ich während meiner zweiten Nepalreise zum ersten Mal in die Karnalizone in Westnepal gereist. Von Kathmandu aus fliegt täglich ein Flugzeug der Firma Yeti Airlines nach Nepalgunj. Die Stadt Nepalgunj, übersetzt „Tor nach Nepal“, liegt im Südwesten des Landes und ist ein Grenzort zu Indien.

Von Nepalgunj aus ging die Reise – nach langer Wartezeit am Flughafen – mit einer fragilen Propellermaschine nach Norden ins Gebirge. Nach einer knappen Stunde landete die Maschine, eine Dornier 228, auf dem kleinen, von Stacheldraht umzäunten Flughafen von Jumla. Der Ort war während des Bürgerkriegs die Hochburg der maoistischen Rebellen.

Suchana Kami © Christoph GysinYem © Christoph Gysin

Das Licht war grell und die Luft warm und staubig. Menschen warteten mit einer primitiven Tragbahre am Rand des Flugfeldes. Sie kamen von weit her, um eine schwerkranke Frau mit dem nächsten Flug nach Nepalguj zu bringen. Bestimmt hatte die ganze Familie ihr Geld zusammengelegt, um den Flug zu bezahlen. Diese Szene hat mich damals sehr berührt. Die medizinische Versorgung dort oben in den Bergen ist auf das Einfachste reduziert – das lokale Spital muss mit einem Jahresbudget von 1500 Euro auskommen.

Im Jahr 2008 gab es noch keine Straße, die nach Jumla führte und darum auch keine Autos oder Motorräder. Sämtliche Waren wurden durch die Berge getragen, unter anderem auch Baumaterial für Häuser und Brücken. Heute, fünf Jahre später, führt eine schlecht befestigte, gefährliche Straße nach Jumla. Entlang dieser Straße sind viele neue Geschäfte und Übernachtungsmöglichkeiten entstanden – es herrscht eine Art Goldgräberstimmung, jeder will von der neuen Verkehrsader profitieren.

Von Jumla aus besuchten wir in ein- bis zweitägigen Fußmärschen die Dörfer der Region. Auf dem Weg dorthin begegnet man immer wieder Frauen, die sperrige und schwere Lasten auf ihren Rücken von einem Ort zum anderen transportieren. Bei ihren kurzen Verschnaufpausen rauchen sie gelegentlich gemeinsam mit ander Trägerinnen eine Haschischpeife – vielleicht, um die körperlichen Strapazen etwas zu mildern. Wenn man die Trägerinnen mit einem freunlichen „Namaste“ und einer leichten Verneigung begrüßt, fangen sie an, zu kichern.

Bijula Aidi © Christoph GysinSune Budha © Christoph Gysin

Die Dörfer und die Menschen, die dort leben, sehen aus, als wären sie aus einer vergangenen Zeit. In den Dörfern leben ausgesprochen viele Kinder. Man bekommt fast den Eindruck, die Dörfer würden von den wilden und staubigen Kleinen beherrscht.

Bereits bei meinem ersten Besuch in Westnepal war ich von den ausgeprägten Gesichtern dieser Menschen fasziniert. Bei der Planung meiner letzten Reise im Frühjahr 2013 wusste ich, dass ich diese Menschen unbedingt portraitieren wollte.

Die Portraitserie entstand in den Bergdörfern Puru, Godasim, Pipalgaon, Luma und Padmara. Mein Ziel war, die Menschen so authentisch wie möglich zu portraitieren. Das heißt, ich habe die Leute genau so fotografiert, wie ich sie angetroffen habe. Ich nahm keinen Einfluss auf Kleidung, Schmuck, Kopfbedeckung und so weiter. Durch meinen kleinen, improvisierten Studioaufbau mit Hintergrund, Stuhl, Blitz und Stativ waren die Leute während den Aufnahmen sehr konzentriert.

Sukabir  © Christoph GysinTilak  © Christoph Gysin

Das Fotokonzept habe ich vor meiner Abreise gemacht, dadurch konnte ich mich – trotz der vielen Schaulustigen – wärend des Fotografierens voll auf meine Arbeit konzentrieren. Es war mir klar, dass ich nicht viel Gepäck mitnehmen konnte. Alles musste, neben Schlafsack und ein paar Kleidern, in einen Rucksack passen. Mein Fotomaterial bestand aus einer Kamera, zwei Objektiven, einem Systemblitz mit Schirm, zwei leichten Stativen und einem grauen Stoff als Hintergrund – schwer war der Rucksack dann trotzdem.

In den Dörfern habe ich jeweils einen gedeckten schattigen Ort gesucht, um mich einzurichten. Die Dorfbewohner waren natürlich neugierig und beobachteten mich gespannt. So konnte ich mir die vielversprechendsten Gesichter in aller Ruhe aussuchen. Auf die Frage, ob ich sie porträtieren dürfe, bekam ich meistens eine positive Antwort.

Heute macht es mich glücklich, dass ich diese Leute so nah portraitieren konnte. Ich denke, die Bilder erzählen etwas über das Leben der Menschen. Einige der Portraitierten gehören zur Kaste der „Dalits“, man nennt sie auch die Unberührbaren. Sie haben in Nepal nur wenige Rechte und dürfen nur die unterste und schmutzigste Arbeiten verrichten. Die Fotografien dieser Menschen haben für mich einen ganz besonderen Wert.

Namaste.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Mit der Straßenfotografie Geschichten erzählen

20 Sep

Ein Beitrag von: Justin Vogel

Vor fünf, sechs Jahren habe ich damit begonnen, auf der Straße zu fotografieren. Ich denke, dass mein Interesse daran von meiner Begeisterung fürs Geschichtenerzählen herrührt. Ich habe es immer sehr genossen, beim Erzählen Fakten bis ins Extreme zu ziehen, Unfälle einzubauen und sie in den größeren Lebensbegriff zu setzen.

Dinge, die ich gesehen hatte, so unterhaltsam wie möglich zu beschreiben, beizeiten ins Erfundene abzudriften. Und irgendwie bietet mir die Fotografie den besten Weg, das zu tun.

Jesus Died © Justin Vogel

Grundsätzlich arbeite ich immer daran, bessere Straßenfotos zu machen. Ich betrachte die Straßenfotografie als eine Übung im Problemlösen.

Ich liebe Puzzle. Und die Straßenfotografie stellt mich immer wieder vor neue zu lösende Probleme – und die Lösung für sie zu finden, ist unglaublich herausfordernd. Jeder Fotoausflug liefert mir daher die Möglichkeit, ein Problem zu adressieren, das mir zuvor entging.

Outlier © Justin Vogel

Mein Interesse an dieser Form von Fotos wurde geweckt, als ich über die Flickr-Gruppe HCSP (Hardcore Street Photography) stolperte und das hat in der Tat mein Leben verändert.

Von Bryan Formhals, Jared Lorio, John Goldsmith und James Dodd zu lernen, die schon eine ganze Weile länger unterwegs waren, war für mich eine massive Schatztruhe voller Wissen und Erfahrung und für meine Straßenfotografie-Bildung unverzichtbar.

In dieser Gruppe zu partizipieren, verlieh mir eine Disziplin, die ich wahrscheinlich ohne die Gruppe nicht erzielt hätte. Eine Sache, die ich lernte, war, die Variablen so stark wie möglich zu reduzieren, um die Resultate beim Fotografieren zu kontrollieren. Ich benutze meistens nur zwei Kameras.

Snake Lady © Justin Vogel

Eine Leica M2 und eine Olympus XA4. Beide mit einer 28mm-Linse und beide nur mit Farbnegativen. Gewöhnlich fotografiere ich mit natürlichem Licht und bevorzuge die langen Schatten am Spätnachmittag.

Nachdem ich mich bei HCSP ein paar Jahre lang eingebracht hatte, wurde ich schließlich zum Administrator der Gruppe ernannt. Seither fühle ich mich dazu verpflichtet, dort mein Wissen und meine Erfahrung mit den jüngeren, weniger erfahrenen Straßenfotografen zu teilen. Auch das ist sehr lohnenswert.

Weiter hatte ich das Glück, anderen Fotografen-Kollektiven beizutreten: Strang.rs und Burn My Eye. Mit solch vielfältigen Gruppen von Fotografen zu arbeiten, hat mir geholfen, bezogen auf das, was ich sehen will und das, was ich kreieren möchte, meinen Blick zu schärfen.

100 yards from september ground zero © Justin Vogel

Ich kann es daher jedem nur empfehlen, gleichgesinnte Fotografen zu suchen, um Ideen zu entwickeln und Achtsamkeit zu sensibilisieren.

Ganz zu Beginn, als ich anfing, mit diesen Fotografen zu arbeiten, war ich wirklich sehr konservativ bezüglich den „Regeln“ der Straßenfotografie. Doch einem so weiten Spektrum von Ansätzen und Techniken ausgesetzt zu sein, hat mein Empfindungsvermögen enorm erweitert.

Ich habe keine rigiden Überzeugungen mehr, insbesondere dazu, was erlaubt ist oder was zu weit geht. Für mich ist die Idee der Straßenfotografie durch die Intentionen des Fotografen definiert. Ich hänge nicht mehr daran, ein Purist zu sein. Weder auf Inhalte bezogen, noch bezüglich des Arbeitsansatzes.

Lingering Doubts © Justin Vogel

Mein Ansatz ist konsistent, egal, was oder wen ich fotografiere. Ich überlasse es anderen, zu kategorisieren. Viel mehr bin ich bemüht, die Geschichten, das Leben, den Humor und die Traurigkeit des Alltags so effektiv wie möglich zu vermitteln.

* Dieser Artikel wurde aus dem Englischen von Martin Gommel übersetzt.


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Über Fotografien, die Geschichten erzählen

30 Oct

Ein Beitrag von: Jürgen Bürgin

„Haltet die Uhren an. Vergesst die Zeit. Ich will euch Geschichten erzählen.“

Ich will als Straßenfotograf Geschichten erzählen, ich will vom Leben in den Städten berichten, von Begegnungen mit Menschen, von Ereignissen auf den Straßen. Ich möchte mit meinen Fotografien von Einsamkeit, Liebe, Freundschaft, Traurigkeit, Leidenschaft, Neugierde und mehr erzählen – vom Leben.

Zu einer Geschichte gehört aber das Vergehen von Zeit. In einer Geschichte verändert sich etwas, es gibt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In der Tat sind Fotografien in der Lage, etwas zu erzählen. Hier sind einige meiner Straßenfotografien – und Ideen, wie die Geschichten dazu aussehen könnten:

Ich höre das Rauschen des Regens und ich höre die eilenden Schritte eines Mannes, der durch den Regen rennt, mit jedem Schritt spritzt Wasser auf. Die Regentropfen, die auf den Regenschirm des Mannes fallen erzeugen ein ploppendes Geräusch. Er trägt einen Anzug und eine Aktentasche. Er kommt von der Arbeit, es ist schon spät, pflichtbewusst hat er die Zeit im Büro verbracht, bis es dunkel war.

Die Geschäfte sind immer noch hell erleuchtet, aber der Strom der Kunden ist mit dem Einsetzen des Regeschauers beinahe zum Erliegen gekommen. Er will nur noch nach Hause, in die winzige Zweizimmerwohnung, aber er wird die Kinder wieder nicht sehen, weil sie schon schlafen, wenn er nach Hause kommt.

Es ist kalt und dunkel, wenigstens hat es jetzt aufgehört zu regnen. Da steht diese Frau an der Bushaltestelle, sie ist nicht mehr jung, ihre Haare sind grau, ihr Mantel ist etwas zu weit, der Wind weht ihn zur Seite. Sie will nach Hause, aber ist das der richtige Bus?

Lieber fragt sie den Busfahrer, der ihr unfreundlich entgegenschnauzt, welches die richtige Linie ist. Sie ist ziellos durch die Geschäfte geirrt, denn eigentlich kann sie sich nichts leisten. Aber nun ist sie müde und will nach Hause in ihre enge, zugestellte Plattenbauwohnung, wo niemand auf sie wartet, wo niemand sie besucht.

Unsanft zerrt die Mutter am Arm des Mädchens, das schon wieder zu trödeln scheint, dabei muss die Mutter dringend zur Arbeit, aber vorher muss die Kleine noch im Kindergarten abgegeben werden. Aber das Mädchen hat sich umgedreht und blickt erstaunt auf den riesigen Hund, der fast so groß ist wie sie selbst.

Sie ist fasziniert von seinem sanften, gutmütigen Blick und sie würde ihn gerne streicheln, aber sie hat auch Respekt vor ihm, weniger weil ihre Mutter ihr verboten hat, fremde Hunde zu streicheln, sondern weil einer kürzlich nach ihr geschnappt hat, als sie ihn streicheln wollte. Aber dieser hier, da ist sie sich sehr sicher, würde es sehr genießen, wenn sie ihn streicheln würde. Aber sie muss weiter, in den Kindergarten.

Seit einigen Monaten betreibt der Mann nun seine mobile Straßenküche. Und es macht ihn glücklich, er ist in seinem Element, er kocht mit Leidenschaft und er berät seine Kunden voller Begeisterung. Gerne hört das junge Paar ihm dabei zu, wenn er Vorschläge macht, was er heute Leckeres für sie kochen könnte, irgendetwas mit Huhn und mit Sesam und mit Ingwer. Und das bestellen sie auch, zwei Mal.

Und es bedeutet Glück für ihn, weil er sich sicher ist, dass die beiden begeistert sein werden. Und er ist sich dessen bewusst, dass seine kleine Straßenküche nicht nur für das leibliche Wohl der Passanten und der Nachbarschaft sorgt. Sie ist auch ein Ort, an dem sich Menschen treffen, wo man seine kleinen Probleme des Alltags loswerden kann, wo man den neuesten Klatsch und Tratsch austauschen kann.

Sie sind ein junges Paar, noch nicht sehr lange zusammen, aber es ist die erste richtig ernsthafte Beziehung von beiden. Sie sind beide sehr verliebt, sie treffen sich häufig nach der Schule, sie nehmen dieselbe U-Bahn nach Hause. Sie dreht sich auf der Rolltreppe zu ihm um, um ihm nahe zu sein. Sie blickt ihn zärtlich an und wischt ihm Essensreste aus dem Mundwinkel – und er weiß diese Geste nicht wirklich einzuordnen, es ist beinahe eine mütterliche Geste.

Lange war der alte Mann nicht mehr an dem Ort gewesen, an dem er solch einen bedeutenden Teil seines Lebens verbracht hatte, an dem seine Karriere begonnen hatte, damals als Neuling, kurz nach der Uni – an dem Ort, wo er seine ersten Erfolge gefeiert, Niederlagen durchlitten, wo er Menschen kennengelernt hatte, die ihm wichtig waren, wo er Feinden auf Augenhöhe begegnete und triumphale Erfolge feierte.

Aber der Ort hat seinen Glanz von damals verloren, heute geht es nur noch um den kurzfristigen Erfolg, Geld. Freunde zählen heute nichts mehr, es gibt keinen Respekt mehr vor dem Konkurrenten. Er trauert dieser Zeit hinterher.

Die junge Frau sitzt in einem Bus auf der Fahrt nach Hause, sie ist in ihren Roman vertieft. Vielleicht ist es eine traurige, melancholische Erzählung, eine emotionale Geschichte, die sie hineinzieht und die sie ihre Umgebung vergessen lässt. Doch da fällt ihr Blick nach draußen, es wird bereits dunkel und es herrscht eine düstere Atmosphäre. Für einen Augenblick vermischt sich in ihren Gedanken die Welt aus dem Roman mit der wirklichen Welt draußen.

~

Wie erzähle ich mit meinen Fotografien Geschichten? Wie funktioniert das, obwohl Fotografien nur den Bruchteil einer Sekunde zeigen?

Betrachten wir die Wahrnehmung eines Bildes als Prozess. Der Betrachter sieht sich ein Bild an, es löst in ihm Emotionen und Erinnerungen aus – und es ist in der Lage, Assoziationsketten in ihm anzustoßen. Der Betrachter wird zu einer aktiven Instanz in der Wahrnehmung eines Bildes.

Es sind Emotionen, die ich in meinen Bildern zeige, die diese Assoziationsketten anstoßen und die Geschichten in Gang bringen. Es sind Erinnerungen an Gerüche und Geräusche, die ein Bild auslöst. Es sind die Blicke der abgebildeten Personen, die der Betrachter zu deuten versucht und die ihm etwas über das Innenleben, die Gedanken der Protagonisten verraten.

Es sind Situationen, die einer Vor- und einer Nachgeschichte bedürfen, die den Erzählprozess im Betrachter auslösen. Und es sind Elemente, die im Unklaren gelassen werden; Geheimnisse, Rätsel, die Dinge, die im Dunkeln, im Schatten, in der Unschärfe, außerhalb des Bildrahmens bleiben.

Der Betrachter will diese Rätsel lösen. Aber das Bild wird diese fehlenden Informationen nicht liefern, egal wie lange er es ansieht. Daher beginnt er selbst, sich das Unerzählte zu erzählen: Mit seinen eigenen, persönlichen Geschichten, seinen eigenen Erinnerungen, seiner eigenen Fantasie.

Jede Geschichte sieht anders aus, sie ist beeinflusst von der Person des Rezipienten, von seiner Vergangenheit, von seinen Erfahrungen, von der Situation, in der er das Bild sieht. Der Betrachter wird damit Teil des Wahrnehmungsprozesses. Er wird Teil des Bildes.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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