Vor zwei Monaten begann ich, auf der Straße ausschließlich mit dem Apfeltelefon zu fotografieren und die DSLR zuhause zu lassen. Schon jetzt hat sich diese Entscheidung für mich mehr als gelohnt, wie der zweite Monatsbericht zeigen wird.
Ich erinnere mich noch genau: Ich fotografierte morgens noch das Blättern durch die Seiten meines Buches und ein paar Stunden später hatte ich eine Idee, die den kompletten Folgemonat bestimmen sollte.
Vor meinem inneren Auge sah ich verschwommene Menschen, abstrakte Bewegungen und eine ungewohnte Nähe zu den Menschen auf der Straße. Später dachte an die Fotografien von Alexey Titarenko.
Einige Gedankengänge später wusste ich auch schon, wie ich meine Idee umsetzen würde. Denn mir fiel die dazu passende App ein, die ich vor einem halben Jahr schon einmal ausprobiert hatte und die mir erlaubt, lange Belichtungen auch bei Tageslicht durchzuführen: SlowShutter.
Begeistert von meinem Vorhaben fuhr ich mit dem Rad zum Bahnhof Durlach und probierte aus. Und ich war erstaunt. Denn: Es funktionierte. Und sah ungefähr so aus, wie ich es vor meinem geistigen Auge gesehen hatte – ich gebe zu, das passiert mir sehr selten.
Und ich hatte auch gleich einen Namen dafür: Rauschen. Denn durch die längere Belichtung entstehen viele teils unscharfe Ebenen, die unter dem Begriff „Rauschen“ einen treffenden gemeinsamen Nenner finden.
Dabei hatte ich das Gefühl, etwas zu machen, was mir entspricht und eine Seite von mir ausdrückt, die ich bisher in der Straßenfotografie nicht konsequent in dem Mittelpunkt gestellt habe: Das Düstere, Unscheinbare und Chaotische.
Weiter ist für mich der philosophische Unterbau schon gegeben: Die Bilder ähneln in gewisser Weise der Erinnerung an Vergangenes. Das ist oft eine Mischung aus Emotionen und Eindrücken, die gemeinsam zusammengestückelt niemals im vollen Umfang und allen Details das wiedergeben, was gesehen wurde.
Diese Form der Revisualisierung ist für mich gerade auch ein aktuelles Thema, weil ich mich derzeit im Spezifischen mit meiner Kindheit beschäftige.
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Jedoch ist nicht alles Gold, was glänzt. Nachdem die erste Begeisterung verflog, wurde mir klar, dass eine längere Verfolgung der Thematik anstrengend, energiezehrend und unbequem würde. Warum das?
Weil diese Form der Fotografie weitaus mehr Konzentration erfordert als das übliche „Oh, das sieht gut aus, knips“. Ich muss vorausdenken, meine Bilder planen und immer damit rechnen, dass eine achtsekündige Aufnahme nichts wird.
Ich kann nicht fünf Aufnahmen von einer Situation machen und mir dann die beste herauspicken. Shoot and luck is’ nich’. Und das bedeutet auch, eine ganze Menge Kontrolle abzugeben.
Somit ist bis zum heutigen Tag noch nicht klar, ob ich mir die Rauschen-Fotos ganz zu eigen machen und weiter verfolgen werde. Eines ist jedoch sicher: Ohne iPhone hätte ich diese Serie nur sehr unwahrscheinlich gemacht, weil mir die App so manche Eingriffe in das Endergebnis erlaubt, die mir mit der DSLR verwehrt bleiben.
Wobei ich wieder beim Thema iPhone vs. DSLR bin. Das iPhone ist für mich mittlerweile die Kamera geworden. Gedanken an meine 5D verschwende ich seltenst, wobei diese nicht an Reiz verloren hat. Die Vorteile, auf der Straße unerkannt zu bleiben und nicht ernst genommen zu werden, sind nach wie vor evident und nicht zu vergleichen mit dem Fotografieren hinter dem Vollformat-Trümmer.
Neulich wurde ich in einem Interview, das bald in einer Fachzeitschrift erscheint, gefragt, ob der Markt der Streetfotografie nicht schon längst überladen wäre, auch mit Hinblick auf Facebook und Instagram. Ich möchte an dieser Stelle die Antwort nicht vorwegnehmen, jedoch fühle ich mich in diesem Sujet sehr wohl. Und gefühlt sind es nur ganz wenige Fotos, die ich innerhalb einer Woche in besagten Netzwerken sehe, die mich begeistern.
Meine eigene Ausdrucksweise zu finden, unverwechselbar zu werden und somit den einen oder anderen mit meinen Bildern zu berühren, das ist meine Intention. Dabei geht es mir nicht darum, möglichst bekannt zu werden, sondern eine Sprache zu sprechen, die andere „anspricht“. Das iPhone ist für mich die leichteste Möglichkeit, dies umzusetzen. Wenn auch, wie oben schon angesprochen, dennoch die Arbeit nicht wegfällt.
Im letzten Monat wurde ich häufig darauf angesprochen, wie ich denn die Fotos mache. Diese Frage ehrt mich und ich denke auch, dass sie eine gewisse Berechtigung hat. Jedoch:
Hier den exakten Ablauf mit sämtlichen Klicks einzudiktieren, ist mir ehrlich gesagt zu unpersönlich und sowas nimmt der Sache zu sehr den Zauber. Ich möchte diejenigen, die Interesse an der Herangehensweise gefunden haben, dazu ermutigen, selbst auszuprobieren.
Den eigenen Impulsen zu folgen und sich überraschen zu lassen, wohin die Reise geht. Dass ich mit SlowShutter und Snapseed arbeite, sei dabei nur am Rande erwähnt, da es Tausende Apps gibt, die das Gleiche ermöglichen.
Übrigens: Ich habe drei Fotos meiner Rauschen-Serie quadratisch auf A3 gedruckt und schon bald werden die Fotos in unserem Büro 5&30 im Schaufenster hängen. Mir gefallen die Ergebnisse sehr.
kwerfeldein – Fotografie Magazin
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