Ein Beitrag von: Anne Henning
Es ist großartig. Gute Bilder von guten Fotografen sind nur einen Klick entfernt. Tagtäglich verfolgen wir die Portfolios und Streams unserer Lieblingskünstler und lassen uns inspirieren, begeistern, nähren. Kurzum – wir konsumieren.
Ab und an schreiben wir vielleicht einen Kommentar unter ein Bild oder klicken es zu unserer digitalen Favoritenliste dazu. Diese Online-Sammlung unserer schönsten Bilderschätze wächst ständig. Aber wie oft schauen wir uns unsere alten Favoriten wirklich noch einmal an, wie lange schauen wir uns überhaupt Bilder an, die uns gefallen, bevor wir weiterklicken und das nächste konsumieren? Ich glaube, meistens weniger und kürzer als gute Fotos es verdienten.
Manchmal bin ich dieser Klickerei, dieser digitalen Bilderflut, absolut überdrüssig. Und dann kam letztes Jahr dieser Moment, als es in mir Klick gemacht hat.
Ich habe schon einige kleinere und größere bildhauerische Arbeiten von Künstlern und Kommilitonen gekauft oder getauscht und auch zwei ziemlich gute Rüdiger-Beckmann-Drucke hängen an meinen Wänden. Eine geschenkte Leinwand eines befreundeten Malers und auch ein paar fotografische und plastische eigene Arbeiten aus verschiedenen Schaffensphasen hängen um mich herum. Ich liebe den Dialog, den Kunstwerke miteinander eingehen, indem man sie in denselben Raum hängt oder stellt.
Sie wirken ganz anders, je nachdem, an welcher Wand und über welcher Skulptur sie hängen. Sie entfalten eine neue Präsenz und beeinflussen sich gegenseitig. Und auch, wenn mein relativ überschaubares WG-Zimmer schon aus allen Nähten platzt, hat es letztes Jahr wieder in mir drin geklickt und ich wusste:
Ich möchte ein Foto von Nastya Kaletkina kaufen!
Ich verfolge ihre Arbeiten seit längerer Zeit und finde sie fantastisch, surreal, betörend. Letztes Jahr im Februar habe ich dann dieses Foto gesehen. Eine halbnackte Frau liegt auf einem Bett. Um sie herum sind scheinbar wahllos Äpfel, Eier oder andere runde Kleinigkeiten verstreut. Halb fokussiert, halb verwackelt, schwarzweiß. Merkwürdig. Irgendwie nicht greifbar; ich verstehe dieses Bild nicht, doch fühle mich auf einen merkwürdige Art und Weise von ihm angezogen.
In mir wächst schlagartig der Wunsch, genau dieses Bild in meiner analogen Favoritensammlung an der Wand zu haben. Es nicht nur digital auf kleinem Monitor zu sehen, es laden zu müssen und am Ende doch wieder den Tab zu schließen. Ich will es real, hier an meinen eigenen vier Wänden. Gerahmt, groß, echt. Zum Anfassen und immer wieder Ansehen. Also nehme ich Kontakt auf.
Nach einigen Mails mit englisch-russischen Sprachbarrieren erfahre ich, wie es der Zufall so will, dass Nastya im Oktober nach Deutschland kommt, um in Düsseldorf an einer Ausstellung teilzunehmen. Sie wird diesen Akt mit Äpfeln auch ausstellen, ich darf das Original von da aus mitnehmen, habe Vorfreude, aber muss mich noch ein paar Wochen gedulden.
In der Zwischenzeit entdecke in im Luxad in Berlin einen wunderschönen Bilderrahmen. Mit Nastyas Bild im Hinterkopf muss ich das gute Stück einfach mitnehmen, dann habe ich immerhin schon den Rahmen, auch wenn ich auf den Druck noch warten muss. Ein Rahmen mit Geschichte für ein Bild mit Geschichte. Da die Bilderrahmen Einzelstücke aus recyceltem Holz sind und in ihrer Größe sehr individuell, möchte mein Rahmen auch das abenteuerliche Bildformat von 28 x 27,5 cm.
Wie erwartet, ist die Kommunikation etwas holprig und meine exakten Formatwünsche vielleicht auch etwas unpräzise, sodass Nastya im Oktober mit dem falschen Format nach Deutschland kommt. Die Ausstellung ist dennoch wundervoll, es ist spannend, die Fotografin kennenzulernen, etwas über die Entstehungsgeschichte des Fotos zu erfahren und aufregend, das Bild an der Wand zu sehen, das ich von ihr kaufen werde.
Endlich hat es eine Oberfläche, hat den Computer verlassen und hängt dicht vor mir in einer kleinen Galerie in Düsseldorf. Das Schwarz ist viel dunkler als in der digitalen Version, alles wirkt noch verschwommener und surrealer. Leider ist die Qualität des Drucks nicht sonderlich gut, sonst hätte ich es mir vielleicht anders überlegt und es trotz falscher Größe gekauft. Aber auch so bin ich mir absolut sicher: Dieses Bild möchte ich haben.
Nachdem Nastya wieder in Moskau ist und ich ihr meine genaue Wunschgröße mitgeteilt habe, passiert erst einmal länger gar nichts. Wir sind beide zu beschäftigt für die zähe E-Mail-Kommunikation, sodass sich die Odyssee um meinen Druck noch viele Wochen ins neue Jahr trägt. Anfang 2014 meldet Nastya sich plötzlich und fragt nach meinem Wunschpapier. Hahnemühle, natürlich, denn nach dem halben Jahr Warterei kann mir das Papier nicht dick und haptisch genug sein.
Es dauert noch ein paar Tage, dann liegt der Akt mit Äpfeln in Moskau frisch gedruckt und wartet auf die Reise nach Köln. Vielleicht hätten wir es an dem Punkt einfacher haben können, aber nachdem wir eine monatelange E-Mail-Kommunikation, eine Ausstellung mit einer Version im falschen Format und dutzende Übersetzungsprobleme hatten, musste auch die Reise nach Deutschland abenteuerlich sein.
Ein einfacher Paketversand kam also nicht in Frage. Wir entschieden uns dafür, das Bild von Flughafen zu Flughafen zu schicken. Nastya wollte es in Russland irgendjemandem mitgeben, ich sollte es in Deutschland entgegennehmen. Doch das war gar nicht so einfach, wir haben drei Versuche gebraucht, bis Nastya am Schalter in Moskau wirklich jemanden gefunden hat, der bereit war, den gut verpackten Druck per Handgepäck nach Düsseldorf zu bringen.
Nervös und doch voller Vorfreude stand ich also endlich vor ein paar Wochen am Düsseldorfer Flughafen, mit einem kleinen Schild in der Hand, auf der Suche nach einer wildfremden Frau mit Foto im Handgepäck. Die Odyssee ist gut ausgegangen, wir haben uns gefunden und mussten beide sehr lächeln bei der Übergabe. Und auch Nastya freute sich sehr über das gelungene Ende dieses Abenteuers.
Der merkwürdige Akt mit Äpfeln hängt nun an meiner Wand. Auch, wenn ich ihn nach über einem Jahr immer noch nicht ganz verstanden habe, immer noch Neues in ihm entdecke, ist das nun kein Problem mehr, denn ich habe jetzt alle Zeit der Welt, ihn zu betrachten. Kein Klicken, kein Laden, keine Pixel.
Nastyas Druck hängt, liebevoll signiert, in dem alten Holzrahmen, die Glasscheibe habe ich weggelassen, so wird er mit den Jahren vielleicht vergilben, aber dafür bin ich ihm ganz nah, kann über das Papier fahren und mich an diesem Kunstwerk mit der langen Reisegeschichte immer wieder erfreuen.
Umgeben von Erinnerungen an Ausstellungen drei meiner Lieblingsbildhauer, meinem Lieblingskinderbuch und einer schwebenden Wachsarbeit einer befreundeten Künstlerin, hat er genau diese Symbiose und Präsenz im Raum entwickelt, die ich an Drucken so liebe.
Drucke sind das kleine gallische Dorf der Fotografie-Szene, denn das allermeiste setzt sich nur digital fort. Doch Drucke sind widerstandsfähig und haben eine betörende Wirkung, wenn sie erst einmal den Weg in den Bilderrahmen gefunden haben. Darum kann ich jedem nur empfehlen, sich Bilder zu kaufen, die einem am Herzen liegen, die begeistern, die einem nicht aus dem Kopf gehen. Die man sieht und bei denen es Klick macht.
Durch deren Kauf man den Künstlern und Künstlerinnen ein wunderschönes Kompliment macht und ihre Arbeiten auf eine sehr ehrliche Art und Weise belohnt. Die Mühe, das Geld, die Warterei, all das ist es wert, sie raus aus der digitalen Favoritenliste rein in die eigenen Vier Wände zu holen.
Und wie sieht es bei euch aus, welche fotografischen Schätze haben den Sprung von eurer Favoritenliste bis an die Wand geschafft?
kwerfeldein – Fotografie Magazin | Fotocommunity
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