Ein Beitrag von: Marius Vieth
Jeden Tag irre ich durch die Straßen meiner Stadt auf der Suche nach wundervollen Charakteren und einzigartigen Momenten. Man mag es Straßenfotografie nennen. Für mich fühlt es sich seit einiger Zeit wie ein Goldrausch nach seltenen Millisekunden an. Doch wenn ich ganz ehrlich bin, suche ich nach etwas ganz anderem: Mir selbst.
Ich habe mich lange Zeit unsicher gefühlt, weil ich in der Fotografie zwar eine Heimat gefunden habe, aber kein echtes Zuhause. Portraitfotografie war für mich die wünschenswerte Vorstadtvilla mit Garten, Landschaftsfotografie das rustikale Fachwerkhaus zwischen Wald und Wiese, Architekturfotografie der bewundernswerte Wolkenkratzer und Tierfotografie der idyllische Bauernhof.
All das müsste sich doch so unglaublich richtig anfühlen – aber leider nicht für mich. Ich gehöre auf die Straße, so beunruhigend diese Einsicht auch erst war.
Ich nahm all meinen Mut zusammen und begann Anfang des Jahres einfach, Menschen auf der Straße zu fotografieren. Meine anfänglichen Ängste sorgten dafür, dass ich mich der Thematik ganz sanft näherte. Mit dem klassischen „35mm schwarzweiß mittendrauf“ hatte das nicht im Ansatz zu tun.
Auch, wenn es mich am Anfang verunsicherte, beschloss ich nach kurzer Zeit, einfach so zu shooten, wie ich das Genre interpretiere. Ich probiere alle möglichen Facetten und Strömungen der Straßenfotografie aus. Dabei ist jeder Tag ein weiteres Puzzlestück auf dem Weg zu meiner ganz eigenen Vorstellung von Straßenfotografie.
Manche passen, manche weniger. Wenn ich meinen Stil beschreiben müsste, würde ich ihn als farbenfroh, aufgeräumt und sanft beschreiben. Ich spüre, dass ich meiner Idee von Straßenfotografie täglich näher komme, allerdings noch längst nicht da bin.
Straßenfotografie polarisiert. Für die einen ist es eine einzigartige, gar magische Dokumentation zeitgenössischen Seins, für die anderen Rumgeknipse aus Hipsterhausen. Was auch immer man in ihr sieht, ich sehe in ihr eine der größten Lehrstunden meines Lebens.
Selten habe ich mich persönlich so sehr mit dem Leben und Sein anderer Menschen auseinandergesetzt. All diese unterschiedlichen Charaktere, Lebensweisen und Sinngebungen halfen mir nicht nur, zu verstehen, wer ich überhaupt bin, sondern wie essentiell es ist, leben zu lassen.
Ich möchte ganz ehrlich sein: Wie ich am Ende des Tages zu 100 Mal X in Lightroom oder einer goldenen Millisekunde komme, unterscheidet sich nicht groß von anderen Straßenfotografen. Das hat Martin in diesem Magazin bereits in wundervoller Weise erläutert.
Auch, wenn mich diese riesige Flut von unglaublich talentierten Fotografen auf der ganzen Welt noch immer sehr einschüchtert, ist mir eines mittlerweile bewusst geworden: Mein Herz, meine Gefühle und meine Gedanken gibt es wirklich nur einmal.
Jeder dieser Menschen wird durch meine Fotografie ein Teil von mir, der mich mein Leben begleiten wird. Am liebsten würde ich ihnen sagen, wie viel sie mir bedeuten und warum sich mein Herz an diesem Tag für sie entschieden hat. Warum eigentlich nicht?
kwerfeldein – Fotografie Magazin
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