Ein Beitrag von: Abdullah Genc
„I have never felt salvation in nature. I love cities above all.“ So oder so ähnlich sprach einst Michelangelo. Und mir aus der Seele. Ich frage mich, wie es wohl heute um seine Ansichten stünde, wenn er die Möglichkeit hätte, den Victoria Peak in Hong Kong zu besteigen und ein Panorama unter seinen Füßen zu haben, das durch die Kraft seiner Einzigartigkeit eine Aura der Erhabenheit aus jedem noch so kleinen Winkel ausstrahlt.
Hong Kongs urbane Ästhetik trägt nicht zu Unrecht ihren Titel als vertikalste Stadt der Welt. Vielleicht hielte Michelangelo einfach nur still, schweigend, staunend und genießend. Denn manchmal ist es die Stille, die es vermag, Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen, wenn Worte nicht mehr ausreichen. So wie beim Anblick dieser visuellen Pracht. Und nicht selten ergeht es mir in ähnlicher Weise.
Sehr oft frage ich mich, woher diese persönliche Faszination nach jenen künstlichen Welten wohl kommen mag, welchen Ursprung sie in mir hat. Eine Faszination, die mich verleitet, zu behaupten, wenn nicht gar festzustellen: Ja, ich bin ein Träumer. Denn oft ertappe ich mich dabei, wie ich wegdrifte und mir eine nicht unähnliche Welt nach eigenen Zutaten vorstelle, in die ich gedanklich flüchte: Stadt.
Formvollendete Bauten, die in ihrer Gesamtheit eine noch schönere optische Symbiose ergeben. Tag. Dämmerung. Nacht. Stille. Wasser. Vorbeiziehende Wolken. Atmosphäre. Licht und Schatten. Leuchtende Farben und Lichter der Nacht, die ihr Nötiges tun, um dem Ganzen Seele zu verleihen. Und meine Person mittendrin.
Es ist fast so, als wünschte ich, die Mittel wie Dom Cobb in Nolans Inception zu besitzen, der sich mit Hilfe künstlich erzeugter Träume seine eigene faszinierende Stadtwelt kreiert. Nicht zuletzt deswegen zählt jener Film zu meinen absoluten Lieblingswerken, die mich immer wieder inspirieren.
Inspiration gehört zu meinen wichtigsten Antriebsquellen. Denn vor nicht allzu langer Zeit entdeckte ich die Fotografie für mich, die mittlerweile zu einem sehr wichtigen Teil meiner Persönlichkeit geworden ist.
Einem nicht mehr wegzudenkenden Teil, da ich mit ihr ein Werkzeug gefunden habe, jene Faszination, Emotionen, Gedanken und was auch immer in mir drin ist, nach außen zu kanalisieren.
Und mich meiner Umgebung in einer Weise mitzuteilen, von der ich denke, dass sie zuweilen direkter und unmissverständlicher ist als meine eigene wörtliche Sprache. Meine Fotografie konzentriert sich, wie insofern unschwer herauszulesen ist, auf das Thema Stadt. Sei es die Darstellung von ästhetisch anmutenden Stadtszenerien sowohl bei Nacht als auch bei Tag.
Seien es Portraits von Menschen in nächtlichen Stadtkulissen inspiriert durch etliche Filme, die in mir als Filmnerd und in meinen Gedanken rumschwirren. Oder auch das authentische Leben auf den Straßen der Städte: Urbanität ist ein Thema, das mich sicher noch lange beschäftigen wird.
Mit dem großen Wunsch, auch einmal über den Tellerrand meiner heimatlichen Umgebung in Kiel und Istanbul zu blicken und auf der Suche nach neuer Inspiration, begab ich mich 2012 auf eine Reise nach Hong Kong und Dubai. Und ich war letztlich nicht enttäuscht, die Entscheidung für diese Städte aus dem Bauch heraus getroffen zu haben.
Denn was ich vorfand, war nicht nur atemberaubend wie mein Tag auf dem Victoria Peak; es ist auch furchteinflößend, vor einem Gebäude wie dem Burj Khalifa zu stehen. Sprich: Jede Menge unmittelbarer Momente städtischer Inspiration. Und die Kamera als Werkzeug und Ventil, jene Emotionen in Bildern auszudrücken.
Mein Equipment beschränkte sich dabei auf das Nötigste: Die zuverlässige Canon 5D Mk II, die 24-70mm f/2.8 und 70-200mm f/2.8 der gleichen Marke, ein Stativ und zwei Graufilter für Langzeitbelichtungen am Tag. Womit wir auch bei meiner bevorzugten Methode wären, das Werkzeug anzuwenden.
Denn die Langzeitbelichtung ist für mich ein probates Mittel, den Moment der seelischen Zeitdehnung auf die Bilder zu übertragen, die entstehen, nachdem ich etwas für mich entdeckt habe und für einen Moment innehalte.
Durch jene Momente auf meiner Reise entstanden die Bilder, die ich neben bisherigen aus Kiel und Istanbul zu einem Album mit dem Titel „Dimensions of urban aesthetics around the world“ zusammengefügt habe.
Die Werke liegen hier in verschiedenen Formaten vor und sind sowohl bei Tag als auch bei Nacht aufgenommen, da es mir hier wichtig war, meine Fotografie der Szenerie anzupassen und nicht umgekehrt.
Denn für mich macht es keinen Sinn, eine Umgebung, die prädestiniert für ein Panorama ist, in ein Bild mit Normalformat zu quetschen.
Nun, was bleibt festzuhalten? Woher kommt jene Faszination für das Urbane? Ich weiß es nicht und kann es nicht sagen. Nur soviel, dass sie da ist. Denn auch durch persönliche Erlebnisse weiß ich mittlerweile, dass es nicht leicht ist, den Ursprung von Emotionen und Gefühlen zu ergründen. Sie sind entweder da. Oder auch nicht.
Aber dass man sie ausdrücken kann, weiß ich nicht zuletzt auch dank der Fotografie. Und ich bin mehr als glücklich, die Kamera als ein Ventil hierfür gebrauchen zu können. Klingt alles nach naiver Stadtromantik, Stadtmelancholie, was auch immer. Ist aber so.
Auch wenn das Thema der Urbanität sicher genug Raum dafür bietet, die Stadt als solche zu kritisieren, empfinde ich dies jedoch nicht als meine Aufgabe. Vorerst nicht.
„Dimensions of urban aesthetics“ ist meine fotografische Abhandlung über die Schönheit von Urbanität. Nicht mehr und nicht weniger. Aber zum Glück bietet die Fotografie und das Betrachten von Bildern auch reichlich Raum für subjektive Erfahrungen, die mit den Intentionen des Fotografen nicht immer deckungsgleich sein müssen.
Jeder entdeckt etwas Anderes und manchmal auch Persönliches. Und auch das ist das faszinierende Wesen der Fotografie.
kwerfeldein – Fotografie Magazin
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