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Identität oder Die Macht der Wörter

06 Oct

Lauren Renner ist eine New Yorker Fotografin, die sich seit 4 Jahren mit ihrem Projekt „In Others’ Words“ mit dem Zusammenhang zwischen Identität, menschlicher Interaktion und Stereotypen in der westlichen Gesellschaft auseinandersetzt.

Oftmals ist die Selbst- eine ganz andere als die Fremdwahrnehmung. Je mehr wir von der Gesellschaft um uns herum mit Etiketten versehen werden, desto weniger wissen wir, wer wir eigentlich sind. Die Grenzen verschwimmen mit jedem Wort, das uns an den Kopf geschmissen wurde und unsere eigene Identität verblasst dahinter.

Identität ist als ein Gefühl der Identität, d. h. der Kontinuität und Einheit mit sich selbst zu verstehen. Dieses Gefühl der Identität wird durch Interaktion mit anderen und im Kontext der eigenen Kultur geklärt und es ist als ein Prozess zu verstehen, der lebenslang dauert.1

Identität muss sich Schritt für Schritt erarbeitet werden und diese komplexe Entwicklung ist bei jedem Menschen durchzogen von Krisen, die vor allem durch unsere Wahrnehmung in der Gesellschaft ausgelöst werden. Lauren Renner hat es sich zum Thema gemacht, dieses Phänomen mit ihrer Serie „In Others’ Words“ zu visualisieren und den Teilnehmern damit zu helfen, sich von den Beschreibungen anderer zu lösen.

„Der Stempel, den wir von der Gesellschaft aufgedrückt bekommen, unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von dem, wie wir uns selbst sehen“, erklärt sie und fotografiert darum nackte Menschen, die mit nichts bekleidet sind als mit den Beschriftungen, die sie im Laufe ihres Lebens unfreiwillig durch andere erfahren haben. Diesen Mantel der Fremdwahrnehmung wollen sie dadurch ablegen.

Zwei nackte und beschriftete Personen stehen auf einem Balkon.

Zwei nackte und beschriftete Frauen.

Lauren hat Freiwillige gesucht, die Lust hatten, sich auf dieses Experiment einzulassen. Unabhängig von individueller enthnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, sexueller Orientierung, Alter oder kulturellem Hintergrund wollte sie Menschen zusammenbringen, die sich vorher nie begegnet waren und die doch durch dieses Foto-Projekt vereint werden sollten.

Trotz dieser offenen Kriterien sind es fast ausschließlich junge Menschen, die sich zusammengefunden haben. Es scheint, als seien es gerade junge Erwachsene, die sich an der Schnittstelle von Kindheit und Adoleszenz ihrer eigenen Identität besonders unsicher sind. Sie lassen sich vermehrt von ihrem Umfeld irritieren und dennoch ist die Meinung anderer von höchster Wichtigkeit für das Selbstkonzept. Dies kann die berühmte Schere zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung öffnen.

Eine nackte und beschriftete Frau steht auf einer Brücke.

Vor jedem Shootingtermin sollten die Teilnehmer eine handschriftliche Liste anfertigen, auf der sie all diese Labels notierten, die ihnen an irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens begegnet sind. Ein vielleicht gut gemeintes Kompliment kann genauso Stereotype erzeugen wie eine Beleidigung und auch Bezeichnungen wie Freak oder Langweiler geben dem Menschen einen Stempel, den er gar nicht haben möchte.

Ob diese Zuschreibungen positiv, negativ oder selbstbezeichnend sind, war für die Liste der Teilnehmer also egal, das einzige Kriterium war, dass es aus dem eigenen Erfahrungsschatz stammte. Die fertige Liste wurde dann zur Vorlage für die Körperbeschriftungen am Shootingtag.

Liste mit Zuschreibungen

Liste mit Zuschreibungen

Am frühen Morgen trafen sich die Teilnehmer mit Lauren Renner, um sich kennenzulernen, auszutauschen und gemeinsam die nackten Körper zu beschriften. Diesen Prozess hat die Fotografin ebenfalls dokumentiert und die entstandenene Making-Of-Bilder stehen gleichberechtigt neben den eigentlichen Fotos, die im Laufe des Tages geschossen wurden, auf ihrer Webseite. Die Freude an dem Projekt und dem Miteinanderteilen ist den Menschen oftmals ins Gesicht geschrieben und die besondere Stimmung und Energie ist spürbar.

Eine Frau lacht herzlich.

Eine Frau bemalt den Bauch einer anderen Frau.

Ein Mann beschriftet einen anderen Mann.

Die „In Others’ Words“-Fotos enstanden dann an einem öffentlichen Ort. Lauren Renner benutzt meistens eine 4×5-Großformatkamera, Nikon D80, Minolta X700, Canon A-1 oder Polaroid 360 Land Camera für ihre Bilder. Sie arbeitet seit inzwischen vier Jahren an dem Projekt und ist immer weiter auf der Suche nach Freiwilligen.

Die Teilnehmer beschrieben das Experiment als positiv, einprägsam und auch als lebensverändernd, weil es ihnen dadurch möglich wurde, sich selbst aus der Enge der Wörter zu befreien und in ihre eigene Haut mit ihren eigenen Sichtweise zu schlüpfen.

Zwei nackte und beschriftete Männer stehen auf einer Straße.

Vier nackte Menschen stehen auf einer Wiese.

Zwei nackte und beschriftete Männer stehen am Strand.

Lauren Renner möchte Stereotype nicht beseitigen, sondern die Menschen mehr dafür sensibilisieren, diese Zuschreibungen zu differenzieren und zu filtern, sich nicht mehr einem Stereotyp unterordnen zu lassen. Die Macht der Wörter sollte uns allen bewusst sein, wenn wir mit und über Menschen reden. Dieses großartige Projekt ist noch lange nicht abgeschlossen und sie plant zur Zeit eine große Tour durch Europa.

Wenn Du also Lust hast, am Projekt teilzunehmen, bietet Lauren Dir einen Platz bei „In Others’ Words“ im Austausch gegen Kost und Logis. Jede_r ist willkommen, schreib einfach eine E-Mail mit dem Betreff „IOW Travel Exchange“ an lauren@laurenrenner.com.

1 Erikson, 1968


kwerfeldein – Fotografie Magazin | Fotocommunity

 
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