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Immer wieder Menschen

14 Mar

Ein Beitrag von: Normen Gadiel

Normalerweise fotografiere ich überwiegend inszenierte Portraits. Vermutlich liegt das daran, dass ich die Unterschiedlichkeit der Menschen sehr interessant finde. In den letzten Monaten hat sich aber immer mehr gezeigt, dass ich unterwegs auch gern Menschen fotografieren möchte – nur eben nicht mehr inszeniert, sondern in Form der Straßenfotogafie.

So richtig begonnen hat es für mich im Jahr 2012 auf dem Melt-Festival. Es ging mir damals nicht darum, die Bands zu fotografieren oder die Meute vor der Bühne. Mein Fokus lag auf Personen, die umherliefen, standen oder tanzten und sich dadurch von der Masse etwas isolierten. Wenn mir dann die Personen aufgrund ihres Aussehens, ihrer Bewegung oder Ähnlichem aufgefallen sind, wollte ich diesen Moment festhalten.

© Normen Gadiel

Bei der späteren Bearbeitung fand ich diese Bilder sehr ehrlich, da die Personen mich als Fotografen nicht wahrgenommen und somit ihre Haltung und Mimik nicht geändert haben. Durch diese Erfahrung bin ich auf die Idee gekommen, diesen dokumentarischen Stil öfters einzusetzen.

Also habe ich auch im nächsten Jahr meine Kamera wieder eingepackt und bin aufs Melt gefahren. Glücklicherweise habe ich dieses Mal vom Veranstalter einen Fotopass bekommen, was mir die Arbeit dort erleichtert hat.

Keine Kontrolleure, die einen schief angucken, wenn die Kamera etwas größer ist – ach, war das schön. Großen Männern in schwarz, ausgestattet mit einer Neonweste, den Unterschied zwischen Festbrennweite und Zoom-Objektiv zu erklären, konnte ich mir somit ersparen.

© Normen Gadiel

© Normen Gadiel

Aufgefallen ist mir auch, dass es mich bei der Straßenfotografie kaum interessiert, was andere Fotografen machen. Was nicht bedeuten soll, dass ich mich nicht gern durch Portfolios klicke. Viel mehr ist es so gemeint, dass ich nicht das Gefühl bekomme, Fotograf XY macht richtig gute Fotos und das würde ich so auch gern können.

Die Fotos sind etwas Persönliches, dokumentieren sie doch auch irgendwie mein Leben, den Raum, in dem ich mich bewege und meine Interessen. Alles, was in meine Bilder einfließt, sind die Inspirationen, denen man sich nicht entziehen kann, wenn man Bilder konsumiert. Ein Potpourri aus allem, was ich bisher gesehen habe.

© Normen Gadiel

© Normen Gadiel

Ich weiß, dass ich erst am Anfang stehe und meinen Blick noch üben muss. Allerdings habe ich jetzt schon einige Schätzchen, auf die ich stolz bin. Immer, wenn ich diese Fotos betrachte, merke ich, wie viel Freude sie mir bringen. Die Fotografie ist ein Medium, das es uns ermöglicht, auch nach Jahren die Erinnerungen zurückzuholen – ich finde das wunderbar.

Letztes Jahr ging es dann für mich nach Italien. Es war mein erster Urlaub, in dem ich wirklich bewusst nach Motiven gesucht habe. Ich habe mir bisher darüber nie Gedanken gemacht, aber warum sollte ich Dinge fotografieren, die schon Abertausende Male von anderen Menschen fotografiert wurden?

Während ich nach einem guten Motiv suche, passiert es oft, dass ich das Auge nicht vom Sucherfenster nehme, um den Augenblick nicht zu verpassen. Ich gebe zu, das mag bescheuert aussehen, aber ein Moment ist manchmal einfach zu kurz, um ihn durch das Ausrichten der Kamera vergehen zu lassen.

© Normen Gadiel

© Normen Gadiel

Bei diesem Foto bin ich froh, dass ich den Kuss fotografieren konnte, allerdings stören mich die anderen Menschen und der Roller. Der Blickwinkel hätte auch besser sein können. Aber das ist genau die Schwierigkeit bei der Straßenfotografie. Ich denke, dass man eine Art Gespür für Situationen entwickeln muss, um schon vor dem eigentlichen Foto am richtigen Fleck zu stehen.

Da in meinen Fotos der zufällige Moment eine große Rolle spielt und ich nicht bewusst versuche, Missstände aufzuzeigen, habe ich auch kein Problem damit, Menschen ungefragt zu fotografieren. Die entstandenen Fotos sind am Ende nur Abbildungen des mich umgebenden öffentlichen Raumes und der darin enthalten Gesellschaft. Ich finde es wichtig, dass diese Art der Fotografie immer einen Platz haben wird. Scripted reality brauchen wir in der Fotografie nicht.

© Normen Gadiel

© Normen Gadiel

Auch, wenn viele andere Fotografen ganz bewusst eine kleine, leise und somit unauffällige Kamera für die Straßenfotografie nutzen, macht es mir nichts aus, mit der doch eher klobigen 5D Mark II zu fotografieren. Wobei ich natürlich nichts gegen eine kleine und leise Leica hätte.

Ich werde einfach abwarten, wie sich meine Fotografien entwickeln. Sollte ich irgendwann zu dem Entschluss kommen, dass mich die Kamera aufgrund ihrer Größe daran hindert, Situationen so einzufangen, wie ich es mir vorstelle, dann werde ich mich nach Alternativen umschauen.

Das schöne an Fotos, die einen dokumentarischen Hintergrund besitzen, ist, dass sie sich wie ein Wein verhalten können. Die Fotos werden zwar nicht besser, jedoch steigt ihre Bedeutung im Sinne eines Zeitzeugen und die Fotos werden wertvoller – auch ohne monetären Hintergrund und zumindest für einen persönlich.


kwerfeldein – Fotografie Magazin | Fotocommunity

 
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Immer wieder Menschen

13 Mar

Ein Beitrag von: Normen Gadiel

Normalerweise fotografiere ich überwiegend inszenierte Portraits. Vermutlich liegt das daran, dass ich die Unterschiedlichkeit der Menschen sehr interessant finde. In den letzten Monaten hat sich aber immer mehr gezeigt, dass ich unterwegs auch gern Menschen fotografieren möchte – nur eben nicht mehr inszeniert, sondern in Form der Straßenfotogafie.

So richtig begonnen hat es für mich im Jahr 2012 auf dem Melt-Festival. Es ging mir damals nicht darum, die Bands zu fotografieren oder die Meute vor der Bühne. Mein Fokus lag auf Personen, die umherliefen, standen oder tanzten und sich dadurch von der Masse etwas isolierten. Wenn mir dann die Personen aufgrund ihres Aussehens, ihrer Bewegung oder Ähnlichem aufgefallen sind, wollte ich diesen Moment festhalten.

© Normen Gadiel

Bei der späteren Bearbeitung fand ich diese Bilder sehr ehrlich, da die Personen mich als Fotografen nicht wahrgenommen und somit ihre Haltung und Mimik nicht geändert haben. Durch diese Erfahrung bin ich auf die Idee gekommen, diesen dokumentarischen Stil öfters einzusetzen.

Also habe ich auch im nächsten Jahr meine Kamera wieder eingepackt und bin aufs Melt gefahren. Glücklicherweise habe ich dieses Mal vom Veranstalter einen Fotopass bekommen, was mir die Arbeit dort erleichtert hat.

Keine Kontrolleure, die einen schief angucken, wenn die Kamera etwas größer ist – ach, war das schön. Großen Männern in schwarz, ausgestattet mit einer Neonweste, den Unterschied zwischen Festbrennweite und Zoom-Objektiv zu erklären, konnte ich mir somit ersparen.

© Normen Gadiel

© Normen Gadiel

Aufgefallen ist mir auch, dass es mich bei der Straßenfotografie kaum interessiert, was andere Fotografen machen. Was nicht bedeuten soll, dass ich mich nicht gern durch Portfolios klicke. Viel mehr ist es so gemeint, dass ich nicht das Gefühl bekomme, Fotograf XY macht richtig gute Fotos und das würde ich so auch gern können.

Die Fotos sind etwas Persönliches, dokumentieren sie doch auch irgendwie mein Leben, den Raum, in dem ich mich bewege und meine Interessen. Alles, was in meine Bilder einfließt, sind die Inspirationen, denen man sich nicht entziehen kann, wenn man Bilder konsumiert. Ein Potpourri aus allem, was ich bisher gesehen habe.

© Normen Gadiel

© Normen Gadiel

Ich weiß, dass ich erst am Anfang stehe und meinen Blick noch üben muss. Allerdings habe ich jetzt schon einige Schätzchen, auf die ich stolz bin. Immer, wenn ich diese Fotos betrachte, merke ich, wie viel Freude sie mir bringen. Die Fotografie ist ein Medium, das es uns ermöglicht, auch nach Jahren die Erinnerungen zurückzuholen – ich finde das wunderbar.

Letztes Jahr ging es dann für mich nach Italien. Es war mein erster Urlaub, in dem ich wirklich bewusst nach Motiven gesucht habe. Ich habe mir bisher darüber nie Gedanken gemacht, aber warum sollte ich Dinge fotografieren, die schon Abertausende Male von anderen Menschen fotografiert wurden?

Während ich nach einem guten Motiv suche, passiert es oft, dass ich das Auge nicht vom Sucherfenster nehme, um den Augenblick nicht zu verpassen. Ich gebe zu, das mag bescheuert aussehen, aber ein Moment ist manchmal einfach zu kurz, um ihn durch das Ausrichten der Kamera vergehen zu lassen.

© Normen Gadiel

© Normen Gadiel

Bei diesem Foto bin ich froh, dass ich den Kuss fotografieren konnte, allerdings stören mich die anderen Menschen und der Roller. Der Blickwinkel hätte auch besser sein können. Aber das ist genau die Schwierigkeit bei der Straßenfotografie. Ich denke, dass man eine Art Gespür für Situationen entwickeln muss, um schon vor dem eigentlichen Foto am richtigen Fleck zu stehen.

Da in meinen Fotos der zufällige Moment eine große Rolle spielt und ich nicht bewusst versuche, Missstände aufzuzeigen, habe ich auch kein Problem damit, Menschen ungefragt zu fotografieren. Die entstandenen Fotos sind am Ende nur Abbildungen des mich umgebenden öffentlichen Raumes und der darin enthalten Gesellschaft. Ich finde es wichtig, dass diese Art der Fotografie immer einen Platz haben wird. Scripted reality brauchen wir in der Fotografie nicht.

© Normen Gadiel

© Normen Gadiel

Auch, wenn viele andere Fotografen ganz bewusst eine kleine, leise und somit unauffällige Kamera für die Straßenfotografie nutzen, macht es mir nichts aus, mit der doch eher klobigen 5D Mark II zu fotografieren. Wobei ich natürlich nichts gegen eine kleine und leise Leica hätte.

Ich werde einfach abwarten, wie sich meine Fotografien entwickeln. Sollte ich irgendwann zu dem Entschluss kommen, dass mich die Kamera aufgrund ihrer Größe daran hindert, Situationen so einzufangen, wie ich es mir vorstelle, dann werde ich mich nach Alternativen umschauen.

Das schöne an Fotos, die einen dokumentarischen Hintergrund besitzen, ist, dass sie sich wie ein Wein verhalten können. Die Fotos werden zwar nicht besser, jedoch steigt ihre Bedeutung im Sinne eines Zeitzeugen und die Fotos werden wertvoller – auch ohne monetären Hintergrund und zumindest für einen persönlich.


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So jung kommen wir nie wieder zusammen

15 Nov

Ein Beitrag von: Oliver

Entwickeln mit uraltem Rodinal.

In der Fotografie gibt es immer wieder Fabeln und Legenden, die von vielen gern nacherzählt und in allerlei Publikationen verbreitet werden. Das reicht von der Robustheit mechanischer Nikon-Kameras, die angeblich zwei Weltkriege überstehen, über lebensrettende Leica-Kameras, bis hin zum angeblich unverwüstlichen Filmentwickler Agfa Rodinal.

Da kennt meist irgendwer immer irgendwen, der wen kennt, der aus sicherer Quelle weiß, dass in irgendeiner aufgelösten Dunkelkammer noch eine uralte, verstaubte und mit pechschwarzem Inhalt gefüllte Flasche Rodinal gefunden wurde und diese auch noch ganz normal entwickeln würde.

Die meisten dieser Geschichten lassen sich mit etwas Recherche überprüfen, so gibt es durchaus Menschen, die auch heute noch mit einer über fünfzig Jahre alten Nikon F fotografieren. Ebenfalls befindet sich im Leica-Museum in Wetzlar eine Kamera, an deren Gehäuse tatsächlich eine Gewehrkugel abgeprallt ist und dem Fotografen das Leben gerettet hat. Und wie steht es mit der so legendären Haltbarkeit von Rodinal?

Frisches Rodinal ist heutzutage leicht zu bekommen, die bekannten Versandhändler bieten das klassische Rodinal meist als R09 One Shot an und die Produktion wird wohl noch bis zum Sanktnimmerleinstag fortgeführt werden. Aber was ist mit altem, richtig altem Rodinal? Und damit meine ich nicht einmal Wiedervereinigungs- oder Flowerpower-Rodinal, sondern richtiges Weltkriegs- und Kaiser-Wilhelm-Zeugs. Vulgo: Echt alt halt.

Bei einem bekannten Auktionshaus sind die berühmten Dunkelkammerauflösungen zwar schon wieder selten geworden, mit etwas Geduld und Glück finden sich dort aber immer noch wahrliche Schätze. So war es mir möglich, eine geöffnete und benutze Glasflasche und sieben Plastikflaschen Agfa Rodinal zu ersteigern.

Die Plastikflaschen stammten aus den frühen neunziger Jahren und fristen nun ihr Dasein als mein normales Entwicklungs-Rodinal, die Glasflasche stammt aus den späten sechziger oder frühen siebziger Jahren. Schon gut alt, aber immer noch nicht wirklich meinen Vorstellungen entsprechend.

So wollte es wohl der Zufall, dass ich kurze Zeit später über einen vierundvierzig Jahre abgelaufenen Orwo-NP27-Rollfilm sowie eine Flasche Rodinal stolperte, deren Etikett verdächtig nach Jugendstil aussah und deren Innenleben offenbar komplett mit Sediment gefüllt war.

Kurzum, dies musste meine Flasche werden, auch auf die Gefahr hin, dass kein Tropfen Flüssigkeit mehr in der Flasche verblieben war. Um die Sache etwas abzukürzen: Die Flasche wechselte für einige kapitalistische Werteinheiten den Besitzer und die Vorfreude (oder Nervösität?) auf den Inhalt stieg mit jeder neuen Bearbeitung in einem Paketzentrum.

Im gut verschnürrten Paket und einem halben Quadratmeter Luftpolsterfolie fand die Flasche Rodinal dann alsbald den Weg zu mir und ein erstes zaghaftes und gespanntes Schütteln erzeugte das in diesem Moment süßeste Klimpern meines Lebens. Es war also flüssig! Zwischen diesen beiden Sedimentbergen am Boden und dem Verschluss war tatsächlich flüssiges Rodinal.

Jetzt drängte sich in mir natürlich ebenfalls die Frage nach dem Alter auf, für mich ja ein essentieller Bestandteil dieses Experiments. Man könnte ja einfach mal den Hersteller (oder was noch davon übrig ist… hüstel) befragen, aber meine Anfrage bei Agfa-Gevaert ist bis heute unbeantwortet und ich mag ihnen auch nicht sonderlich böse sein. Vermutlich wissen die für Anfragen zuständigen Halbtags-Studenten nicht einmal, was Rodinal überhaupt sein soll.

Dann also selbst suchen. Erster Anhaltspunkt: Das auf auslaufenden Jugendstil hindeutende Etikett der I.G. Farben. Die I.G. Farben wurde 1945 nach dem Krieg von den Alliierten aufgelöst, die Flasche dürfte damit zumindest aus Zeiten des Dritten Reiches stammen. Aber ein Etikett im Jugenstil auf einem Produkt eines Vorzeigeunternehmens vermaledeiter und jämmerlicher Herrenmenschen?

Wohl kaum, zumal ein Treffer im Forum eines bekannten Versandhändlers eine Flasche Rodinal aus dem Dritten Reich zeigte, die neben einem sachlicheren Etikett offenbar auch mit einem Schraubverschluß ausgestattet ist. Meine Flasche hatte entweder einen Gummipfropfen oder einen Korken als Verschluß.

Nach weiterer Recherche dann eine alte Rodinal-Anzeige mit einem pompösen Adler im Etikett, einer völlig anderen Flaschenform und einer Jahresangabe um 1900, aber wirklich sachdienliche Hinweise waren es nicht. Aileen aus der hiesigen Redaktion half mir sehr mit einem Eintrag im Flickr-Forum der Rodinal-Gruppe und meine Vermutung wurde dort bekräftig: Die Flasche stammte aus den zwanziger oder dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts.

Es konnte also gar nicht besser werden und mit allen zugedrückten Augen sowie etlichen mitgedrückten Hühneraugen war es also sogar Kaiser-Wilhelm-Zeugs.

Der für diesen Versuch ausgewählt Rollfilm war weitaus unspektakulärer, ein im August 1968 abgelaufener Orwo NP27 mit 400 ISO aus der DDR. Die von Mäusen aus Berlin angeknabberte und leicht muffige Verpackung lies erahnen, dass dieser Film seine besten Tage schon hinter sich hatte.

Wieviel Empfindlichkeit mag ein Film noch haben, der vermutlich über vierzig Jahre ungekühlt in irgendeinem alten Keller herumgelegen hat? In diesem Fall von einem Grauschleier zu reden, wäre sicher schon an der Grenze zur Obszönität, aber das sollte mich nicht davon abhalten, zu tun, was getan werden musste.

Nun ein paar Worte zur Kamera für dieses Experiment: Da ich sehr wenig im Mittelformat arbeite und ein Spiegelreflexsystem daher für mich wenig Sinn macht, ist meine Mittelformatkamera eine Adox Golf 63 S aus den fünfziger Jahren. Prontoverschluss, 75mm f/6.3 Adoxar-Objektiv und ein winziger, nur wenige Milimeter kleiner – naja – Sucher.

Optisch zwar schon etwas mitgenommen, aber sie funktioniert einwandfrei und liefert erstaunlich scharfe Bilder. Welche sechzig Jahre alte Kamera kann das schon von sich behaupten? Drahtauslöser und Stativ sind in diesem Fall per se obligatorisch, mehr als ISO 50 traute ich der Emulsion nun wirklich nicht mehr zu und selbst da quoll mein unbändiger Optimismus bereits links und rechts aus allen Poren heraus.

Zählt man einmal das Alter des Entwicklers, der Kamera und des Films zusammen, so dürften die drei insgesammt um die einhundertneunzig Jahre alt sein. Da drängt sich doch etwas der Gedanke auf, die zwölf Belichtungen des Films in einer ebenfalls betagten Umgebung zu verschießen.

Wie es der Zufall so will, liegt quasi vor meiner Haustür eine zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gebaute und seit vielen, vielen Jahren stillgelegte Eisenbahntrasse. Alte überwucherte Gleise, modrige Prellböcke, ein verkommener Bahnhof und ein über einhundertdreißig Jahre alter Tunnel schienen mir ein überaus passender Rahmen für die ganze Aktion zu sein.

An einem Sonntag im April wurde der Film schließlich in einigen Stunden auf der eben genannten Eisenbahntrasse und unter Zuhilfenahme einer Nikon D3 als Entfernungs- bzw. Belichtungsmesser belichtet. Wieder in meinen vier Wänden angekommen, ging es alsbald daran, an das kostbare Rodinal zu gelangen, ohne die Flasche zu zerstören. Ein erster Versuch, den Verschluss durch Drehen und Ziehen zu öffnen war erfolglos, ein zweiter ebenfalls.

Schnell wurde mir bewusst, dass der Stopfen nicht aus Kork, sondern aus Gummi war und er mit dem sedimentierten Rodinal bombenfest zusammenklebte. Die einzig sinnvolle Lösung schien mir zu sein, mit einem kleinen Bohrer ein Loch durch den Verschluß und durch die feste Sedimentschicht zu bohren, die für eine Standentwicklung benötigte Mindestmenge tropfenweise zu entnehmen, diese zu filtern und die Flasche dann wieder luftdicht mit Wachs zu verschließen.

Das äußerst mühselige Bohren durch das alte Gummi ging nur sehr langsam voran, in meinem Hinterkopf war auch weiterhin die Sorge, der Bohrer könnte vielleicht verkanten und die Flasche oder den Flaschenhals sprengen. Nach einigen Minuten stieß der Bohrer aber unfallfrei durch das Sediment und der Entwickler konnte in Zeitlupe durch die winzige Öffnung tropfen.

Bei der von mir gewählten Standentwicklung brauchte ich 4,85 ml Rodinal. Da durch das Bohren und das schiere Alter der Entwickler allerdings sehr mit Gummiresten und Kristallen verunreinigt war, würde ich alles vor der Verwendung filtern müssen und dabei etwas Verlust erzeugen. Mit 10 ml sollte ich auf der sicheren Seite sein, lieber etwas zu viel als zu wenig.

Trotz kräftigen Schüttelns setzte sich das kleine gebohrte Loch immer wieder rasch mit Sediment und Bohrresten zu, sodass ich am Ende über jeden kleinsten Tropfen froh war und ich nach etwa zwanzig Minuten knappe 10 ml Rodinal aus der Flasche gewinnen konnte.

Für die anschließende Filtrierung spaltete ich ein Papiertaschentuch in seine einzelnen Lagen und ließ den Entwickler dadurch in einen Messbecher laufen. Aus 10 ml Entwickler wurden so knappe 6 ml reines Rodinal.

Nicht viel, aber es langte für eine Entwicklung. Das Loch in der Flasche verstopfte ich grob mit einem zurechtgeschnittenen Ohrenstöpsel, später versiegelte ich noch alles mit Kerzenwachs, auf dass es das alte Zeug noch weiter konserviere.

Die Entwicklung verlief ohne Zwischenfälle, nur meine Anspannung und Nervosität stiegen nach dem Stoppen, Fixieren und Wässern in quasi astronomische Höhen. Dose auf, Spule raus, Spule öffnen, Film raus und ich sah nichts. Ein tropfnasser, blanker Streifen Rollfilm? Sollte etwa alles für die Katz gewesen sein? Noch einmal ganz, ganz genau hinschauen: Was ist das, was sind das für Schemen?

Im Gegenlicht meiner Badezimmerlampe und unter Zuhilfenahme eines weißen Blattes Papier erkannte ich schwach, ganz schwach die Orte und Motive der Eisenbahntrasse! Die ersten Belichtungen waren kaum zu sehen, die späteren, weitaus längeren Belichtungen sind vor einem hellen Hintergrund als schwache Schatten erkennbar. Es hatte tatsächlich funktioniert! Jetzt in Ruhe trocknen lassen, abfotografieren und schauen, was mit moderner Bildbearbeitung noch aus diesen Negativen zu machen ist.

Das Digitalisieren des störrischen und sperrigen Films entwickelte sich zu einer größeren Aufgabe, der Autofokus konnte kaum Strukturen finden und ein optimaler Fokus erwies sich mehr als reine Glückssache. Eine geschlagene Stunde später ging es dann per Photoshop weiter, Farben invertieren, spiegeln und dann die Tonwerte grob zurechtschieben. Aus den fast komplett grauen Bildern schälte sich langsam ein Bild heraus, in der Bildmitte sogar von ganz passabler Qualität.

Der letzt Feinschliff erfolgte dann per Lightroom und die Aufnahmen sehen am Ende wunderschön kaputt, zerstört und alt aus, aber trotzdem detailliert und lebendig. Der Film hatte einfach eine Menge Zeit und Folter hinter sich, Battlescars, wenn man so möchte.

Für mich aber ein voller Erfolg und ein weiterer Grund für das Erlebnis der analogen Fotografie. Kein Photoshop-Filter, keine Lightroom-Vorgabe und kein Hipstamatic-Filter wird so etwas optisch simulieren können. Und erst recht nicht das Gefühl dabei.

Der Mythos des unkaputtbaren Entwicklers hat für mich seine Bestätigung gefunden. Wären alle Rodinal-Vorräte der Welt aufgebraucht, ich würde keine Sekunde zögern, wieder zum Bohrer greifen und es Tropfen für Tropfen aus der alten Flasche heraustropfen lassen.

Aber jetzt entschuldigt mich, ich habe da noch einen 1951 abgelaufenen Eichelberger, bei dem ich nicht einmal die Empfindlichkeit weiß, laut Hersteller aber völlig lichthoffrei und feinkörnig. — Pah, das werden wir ja sehen!


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Nach Norden, immer wieder

31 Oct

Ein Beitrag von: Werner Bollmann

„Was magst Du denn bloß daran? Da ist es doch immer kalt und nass und so schrecklich einsam und erst die Mücken!“ Tja, wie soll man Menschen, die all diese Ressentiments haben, von seiner großen Liebe überzeugen? Und eine große Liebe ist es nun wahrhaftig, die mich seit so vielen Jahren mit den nordischen Ländern verbindet – mit Schweden, Norwegen und Finnland.

Die Kritiker haben nicht ganz unrecht: Es ist dort meistens wirklich ziemlich kalt und es regnet auch sehr oft. Von den geflügelten Plagegeistern gar nicht zu reden. Und tatsächlich, einsam ist es auch. Ich glaube, was mich an diesen entlegenen Regionen so unglaublich fasziniert, sind eben genau diese Umstände. Es ist alles andere als einfach, dort zu guten Bildern zu kommen.

Papageitaucher

Es ist manchmal sogar ziemlich hart. Die Distanzen, die man im Norden zurücklegen muss, sind riesig, die Witterungsbedingungen stellen Körper und Equipment oft vor echte Herausforderungen, die Tiere leben versteckt und sind in der Regel sehr scheu. Hinzu kommt die majestätische Weite dieser Landschaften, die Monotonie der endlosen Taiga, die brutale Schönheit der kargen Tundra und die grandiose Kulisse der sturmumtosten Küsten.

Man fühlt sich dort klein, unbedeutend und hineingeworfen. Und trotzdem so frei, auf eine ganz eigentümliche Art. Konfrontiert mit sich selbst, mit seinen persönlichen Grenzen, seien sie mental oder physisch. Die Kälte und Dunkelheit der Wintermonate, die irritierende Lichtflut der Mittsommerzeit, wenn an Schlaf gar nicht mehr zu denken ist – das alles mag an Seele und Körper zehren.

Und doch wird gleichzeitig eine ganz große Sehnsucht gestillt. Wer so fühlt, ist zweifelsohne vom „Nordland-Virus“ befallen, einer „Krankheit“, die fast jeden befällt, der einmal dort oben war, im fernen Norden und die einen zeitlebens nicht mehr freigibt.

Steinadler

Die Artenvielfalt im Norden mag nicht groß sein, doch die Vertreter der Fauna, die diese Regionen bevölkern, sind echte „Persönlichkeiten“: Bären, Elche, Adler, Kraniche und Singschwäne, Papageitaucher und Kampfläufer, Auerhähne und Doppelschnepfen. Diese außergewöhnlichen Geschöpfe in ihrem natürlichen Lebensraum zu fotografieren, ist für mich immer wieder Anreiz genug, nach Norden aufzubrechen.

Die meisten von ihnen sind ausgesprochen scheu, so dass es ohne Tarnversteck und großes Teleobjektiv mit Konverter kaum gelingt, sie einigermaßen erkennbar auf’s Bild zu bannen. Manche Tierarten – vor allem Bären und Adler – konnte ich nur mit Hilfe professioneller Anbieter von Fotoansitzen fotografieren.

Diese Tiere hinreichend gut ohne fremde Hilfe fotografieren zu können, dazu fehlte mir definitiv die notwendige Zeit, sofern dieses Vorhaben für einem ortsunkundigen und in Mitteleuropa beheimateten Fotografen überhaupt umsetzbar ist. Vor allem dann, wenn es um spektakuläre Verhaltensweisen oder intime Portraits geht. Doch die meisten Bilder entstanden „irgendwo im Nirgendwo“, auf Wanderungen und Pirschfahrten durch die Wälder oder auf der Tundra.

Siebenstern

Wieder einmal bestätigt sich in diesem Zusammenhang die altbekannte Naturfotografen-Weisheit: Man kann gar nicht oft genug draußen unterwegs sein, irgendetwas Spannendes erlebt man fast immer, wie ich auch in meinem Buch „Nordische Momente“ festgehalten habe.

Die Fotografie aus gemieteten Ansitzen heraus ist in diesen Regionen noch die komfortabelste. Um ohne diese Annehmlichkeiten in Taiga und Tundra erfolgreich zu arbeiten, bedarf es schon einer gewissen Hartnäckigkeit. In vielen Augenblicken muss man die Zähne zusammenbeißen, geduldig bleiben und herbe Rückschläge wegstecken.

Es gab in den letzten Jahren immer wieder Momente, in denen ich einfach nur alles hinschmeißen und nur noch nach Süden, nach Hause, fahren wollte. Als beispielweise der Orkan wochenlang über die Varangerhalbinsel im äußersten Norden Norwegens tobte und gar kein Gedanke daran bestand, ein Tarnzelt am Balzplatz der Kampfläufer aufzubauen. Oder im Februar 2010, als mir beim Fotografieren bei -28°C gleich acht Fingerkuppen abgefroren sind.

Braunbaeren

Auch das Arbeiten in der Taiga im Frühsommer treibt mich jedes Mal wieder an den Rand des Wahnsinns: Wenn man vor einem kleinen Siebenstern liegt, um im Abendlicht eine stimmungsvolle Gegenlichtaufnahme zu machen und man das Motiv vor lauter Stechmücken gar nicht mehr richtig sieht, fragt man sich, warum man sich das alles eigentlich antut.

Dass die fotografische Ausbeute unter solchen Bedingungen in der Regel gering bleibt, lässt die einzelnen Erfolge umso wertvoller erscheinen. Und auch, wenn viele fotografische Vorhaben misslingen, es bleiben doch immer großartige Erinnerungen zurück, an die Begegnungen mit den scheuen Bewohnern des Nordens, an traumhafte Landschaften und einzigartige Lichtstimmungen.

Werner Bollmann in Aktion

Erlebnisse, die ich niemals vergessen und für immer im Herzen tragen werde. Und die mich motivieren, auch in Zukunft wieder dem Ruf des Nordens zu folgen.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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