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Die Kraft des Meeres und die Stille des Waldes

16 Jan

Tosende Wellen unter stürmischem Himmel

Ein Beitrag von: David Baker

In den vergangenen drei Jahren habe ich zwei Projekte entwickelt: „Sea Fever“ und „Ridge Trees“.
Das erste konzentriert sich auf die Kraft und Gewalt des Meeres. Menschen fühlten sich schon immer zur See hingezogen, was möglicherweise an der Kraft liegt, die sie ausstrahlt und an ihrem hypnotischen Klang.

Tosende Meereswellen unter heiterem Himmel

Das Projekt streift diese Kraft und ist meine Interpretation der engen Verbundenheit zwischen Himmel und Meer. Im März 2012 hielt ich mich auf den Äußeren Hebriden im Nordwesten Schottlands auf. Während meiner vorherigen Reise dorthin, im Februar 2008, hatte ich überwiegend Aufnahmen in Langzeitbelichtung erstellt.

Doch während meines zweiten Aufenthalts machte ich keine einzige. Da ich zum Ende hin deshalb etwas unruhig wurde, begann ich einige Aufnahmen, um die Kraft der See in einer Art einzufangen, wie ich es nie zuvor getan hatte.

Tosende Meereswellen unter dramatischem Himmel

Das erste Bild, Hebridean Sea III, lud ich Ende April 2012 auf meinen Fotoblog hoch und das war es dann auch vorerst. Das Projekt entwickelte sich bis in den August hinein nicht weiter, bis ich dann ein zweites Bild bearbeitete.

Noch hatte ich nicht bemerkt, dass ich da ein potenzielles Projekt am Wickel hatte. Doch von März 2013 an begann ich, mit weiteren Aufnahmen zu experimentieren, um „Hebridean Sea III“ eine würdige Ergänzung zu geben.

Tosende Meereswellen unter bewölktem Himmel

Ich experimentiere vor Ort immer mit einer Reihe von Verschlusszeiten und Brennweiten und verwende Filter, wobei ich versuchte, auf die Beziehungen zwischen Wellen und Wolken zu achten, die sich ergaben. Ich legte es darauf an, immer mindestens eine Linie in den Vordergrund oder eine zentrale Welle in das gesamte Bild zu bekommen.

Ich versuche mich der Sache mit einem malerischen Ansatz zu nähern, wenn man so will, denn ich möchte, dass die Bilder transportieren, wie es sich anfühlt, bei stürmischem Wind, mit dem Salz in der Luft, in der Gischt und dem dumpfen Schlagen der Wellen am Ufer zu stehen und einen Sinn von der eigenen Verletzlichkeit zu bekommen.

Tosende Meereswellen unter heiterem Himmel

Tosende Seewellen

Die meisten Belichtungen sind nur zwischen 0,3 und 0,6 Sekunden lang, da längere Zeiten dazu tendieren, der See die Struktur und Bewegung zu nehmen. Ich betrachte das Meer kaum vor dem Hintergrund einer statischen Momentaufnahme und für diese Serie war mir wichtig, den ständigen Strom und die Gewalt des Meeres wiederzugeben.

Tosende Wellen treffen auf eine steinerne Küste

Ich hatte Glück und durfte im Juli 2013 an der Ausstellung „Masters of Vision“ teilnehmen. Dort traf ich am ersten Wochenende David Breen von Triplekite Publishing und Dav Thomas. Ich kannte bereits einige von Davids fotografischen Arbeiten und natürlich auch Davs Buch „With Trees“*, das kurz zuvor bei Triplekite erschienen war.

Eine tosende Welle trifft auf den Strand.

Anfang August schlug mir David dann vor, ein Buch zu veröffentlichen, das auf auf mein „Sea Fever“-Projekt aufbauen sollte und das er zuvor in der „Masters of Vision“-Ausstellung gesehen hatte. Welch ein großartiger Tag! Das Buch „Sea Fever“* kam schließlich im Dezember 2013 heraus.

Ein Pferd steht neben einem Baum auf einer nebligen Wiese.

Mein zweites Projekt „Ridge Trees“ konzentriert sich auf den New Forest Nationalpark in der Grafschaft Hampshire. Es wird durch drei Dinge charakterisiert: Dämmerung, Nebel und die Besonderheit des Ortes. Der New Forest Nationalpark ist das ganze Jahr über und besonders bei Tageslicht ein bei Touristen überaus beliebter Ort.

Zartes Morgenlicht stößt durch den Morgennebel in einem Kiefernwald.

Ich möchte zeigen, wie der Wald bei Dämmerung aussieht, im Herbst, im Winter und bei Nebel. Damit hoffe ich, andere Fotografen zu motivieren, ihren eigenen Zugang zum Wald zu finden. Der New Forest wirkt bei Nebel besonders dann wie verwandelt, wenn man auf eine Schonung wunderbar gerader Kiefern blickt, die frei von hohem Dickicht und Unterholz ist.

Neblige Schonung in einem Kiefernwald.

Der Nebel zeichnet das Licht so weich, so dass es gut ist, zuerst einmal nur über mögliche Perspektiven nachzudenken, denn gelegentlich fällt noch Schnee und der Wald verwandelt sich erneut.

Bis Mai 2013 konnte man fast alle meine Werke bis auf einige Ausstellungsdrucke nur digital anschauen. Ich war mit einem Freund auf Fototour und er machte mich darauf aufmerksam, dass ich meine gesamte Bildverarbeitung in Eigenregie durchführte, nicht aber den Druck. Er hatte recht, das ließ ich bis dahin immer andere machen.

Von Raureif bedecktes Unterholz an einer Birkenwaldschonung.

Warum versuchte ich das mit dem Drucken nicht auch einmal selbst? Infolge dieser Überlegungen erwarb ich einen Epson 3880*, kaufte mir etwas Cotton Rag Paper (Fotospeed SC300 und NST Bright White 315g/m²) und begann, meine Kunstdrucke selbst herzustellen.

Die Herstellung von Kunstdrucken bedarf eines langen Lernprozesses, aber es gefällt mir sehr. Ein DIN-A2-Druck auf Cotton Rag Paper von 315 g/m² Gewicht hat eine wunderbar taktile Qualität.

Herbstliche Sonnenstrahlen dringen durch die Wipfel eines Nadelwalds auf einen Weg durch das Unterholz.

Immer wenn ich gefragt werde, wie man ein gutes Fotoprojekt entwickelt, sage ich immer: Glaube an den Wert Deiner Bilder und Dein Talent. Experimentiere und habe Spaß dabei. Wenn Du über ein Projekt nachdenkst, vergewissere Dich, dass es einen persönlichen Bezug zu Dir hat und suche Dir ein Thema, das Dir ermöglicht, die Bilder aufzunehmen, die Du haben willst.

Schlammiger Waldpfad

Und denke nicht zuletzt auch daran, was Du dazu zu erzählen hast und wie die Arbeit einmal präsentiert werden könnte – sei es im eigenen Blog, in einer Ausstellung oder gar in Form eines Buches.

* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas bestellt, erhält kwerfeldein eine kleine Provision, Ihr bezahlt aber keinen Cent mehr.

Dieser Gastartikel wurde von Robert Herrmann für Euch aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.


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Veränderung versteckt sich in der Stille

17 Sep

Natürlich bin ich eine ernstzunehmende Fotografin des 21. Jahrhunderts und natürlich bestätigen mich meine Facebook-Freunde und Flickr-Beobachter in meinem Schaffen. So läuft das heutzutage eben. Daran müssen sich auch die Älteren langsam mal gewöhnen.

Scherz beiseite. Auch wenn darin natürlich immer ein kleiner Funken Wahrheit, aber vor allem ein großes Blitzgewitter an Selbstironie liegt. Die Aufklärung dazu folgt später im Text.

Ich habe es wieder mal getan. Ich habe die Dunkelkammer aufgebaut. Es ist mühsam, aber ich beschwere mich nicht oft darüber. Nach dem ganzen Aufbau hat man oft schon gar keine Lust mehr, dann noch Negative auf Papier auszubelichten. Ich muss meinen inneren Schweinehund immer besänftigen oder ablenken.

Aber gesagt getan, da stand ich im Dunkeln und musste mir jeden Handgriff ins Gedächtnis rufen. Es war niemand da zum Fragen, zum Kontrollieren und Bestätigen. Die ersten fünf Abzüge gingen schief. Aber ich hatte genug Kaffee intus und vorher genug gegessen, so dass meine Energiereserven nicht sofort aufgebraucht waren.

Also forschte ich nach den Ursachen, immer mit dem Gedanken in meinem Kopf: „Du kannst die Duka gleich wieder abbauen; es hat keinen Sinn, du kannst es einfach nicht.“ Aber ich hörte meinen Gedanken einfach nicht zu und machte weiter.

Nach drei Stunden war mir dann klar, dass die Negative, die ich ursprünglich zum Lithen rausgelegt hatte, sich dafür nicht gut eigneten.

Eine Frau mit Punkten im Gesicht sitzt auf einem Tisch.

Hier ging eindeutig etwas schief. Ich hatte den Abzug im Entwicklerbad nicht genug bewegt. Es entstanden merkwürdige Streifen. Doch dann wuchs mir plötzlich Kreativität aus dem Kopf und ich malte einige Punkte.

Ich nahm mir eine Stunde Zeit und suchte mir neue Negative raus. Ich entschied mich für einen Film von 2011. Ich hatte sie noch nie abgezogen und war gespannt. Und tatsächlich: es erschien mir wie ein Wunder. Nach fünf Stunden Dunkelheit und dem Einatmen von Chemie kann man schon mal an Wunder glauben.

Da war es! DAS Negativ! Der Grund, weshalb ich das alles aufgebaut hatte und warum sich das alles lohnen sollte. Ansel Adams und Susan Sontag standen hinter mir und nickten anerkennend. Natürlich sind die beiden nicht gerade Lith-Experten, aber das sagte ich ihnen nicht.

Ich benötigte noch einmal zwei Stunden um vom perfekten Negativ auch einen perfekten Lithabzug abzuziehen – oder sagen wir eher – einen, mit dem ich zufrieden war.

Eine nackte Frau auf dem Tisch. Hinter ihr liegen kleine Knöchlein eines Fuchses.

Als sich das Bild langsam herausschälte, hatte sich der ganze Aufbau und die Mühe für mich gelohnt.

Aber das Spannendste an der Arbeit in der Dunkelkammer im Eigentlichen waren meine Gedanken während des Prozesses. Ich war fast sieben Stunden komplett allein in der Dunkelheit. Nur eine rote Glühbirne erleuchtete den Raum. Meine Gedanken und ich versammelt auf wenigen Quadratmetern.

Ich hinterfragte meinen Umgang mit meinen Bildern. Warum ich beispielsweise nach dem Entwickeln und Scannen meiner Negative, die gerade mal ein paar Tage alt sind, die Bilder immer schon gleich auf Flickr & Co hochladen muss?

Natürlich liegt eine Form der Selbstbestätigung darin, etwas zu können und sich von Anderen abzuheben, und gleichzeitig die Suche nach Gleichgesinnten. Also die Suche nach der fotografischen Identität.

Das ist nicht verwerflich. Aber als ich am Ende mit gerade mal einem wirklich, wirklich guten Abzug in der Hand da stand, wünschte ich mir auch Ruhe und Zurückgezogenheit. Ich wünschte mir fünf Jahre Leere, nur angefüllt mit Dunkelkammerarbeit, Essen und Trinken.

So eine Dukasession verändert Dich.


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Nirav Patel und die stille Fotografie

18 Apr

Nirav Patel lebt heute in San Francisco, Kalifornien und ist eigentlich Hochzeitsfotograf. Seine Eltern stammen aus Indien und als Nirav zwei Jahre alt war, siedelten sie mit ihm in das große und so anders anmutende Land, die USA.

Er wuchs mit der Mentalität auf, dass Kunstmachen nur ein Hobby ist und sich damit kein Geld verdienen lässt. Doch er sollte eines anderen belehrt werden. Nach der Beendigung seines Studiums entdeckte er wie viele andere auch die Liebe zur Fotografie. Doch die Leidenschaft ließ ihn nicht los und so beschloss er, diesen neuen Weg zu gehen und seiner Fotografie Stabilität zu geben.

In seiner Arbeit konzentriert er sich auf die stillen Momente und verleiht seinen Bildern dabei einen filmischen Charakter. Vor allem seine Schwarzweiß-Arbeiten haben es mir angetan und setze ich die Bilder aneinander, glaube ich, eine Geschichte zu entdecken:

© Nirav Patel

© Nirav Patel

© Nirav Patel

© Nirav Patel

Seine Arbeiten sind sehr einfach und der Einsatz von Licht erzeugt bei vielen Bildern ein Gefühl von Geheimnis, Stille und Ruhe. Manchmal auch Einsamkeit.

Die Landschaften, mit oder ohne Menschen, erscheinen dabei majestätisch. Ist ein Mensch Teil des Bildes, rückt er zur Seite und gehört zur Gesamtheit der Komposition, ist aber nicht alleiniger Träger des Augenblicks. Auf seinen Landschaften lässt sich soviel entdecken und fast schon könnte man meinen, selbst das Rauschen des Meeres hinter den Klippen zu hören oder den Nebel zu schmecken.

© Nirav Patel

© Nirav Patel

© Nirav Patel

Aber neben seinen Landschaften konzentriert er sich auch gern auf das Subjekt Mensch. Nimmt er sich diesem an, dann spielt er auch hier mit Licht und Schatten, mit Formen und Linien. Er lässt den Menschen als Teil seiner Komposition wirken oder aber transportiert tiefere Gefühlsschichten an die Oberfläche.

Was mich an den Bildern in der Gänze so fasziniert, ist, dass sie mich immer wieder festhalten, obwohl sie nie laut sind. Sie halten sich zurück und ich kann mir vorstellen, dass nicht jeder so empfindet und sie schnell wieder vergisst. Doch nimmt man sich die Zeit und schaut über seine Arbeiten, so findet man darin eine Ordnung, die beruhigend wirkt.

© Nirav Patel© Nirav Patel
© Nirav Patel© Nirav Patel
© Nirav Patel© Nirav Patel

Und ob Mensch oder Landschaft, ob mit Mensch in einer Landschaft oder mit Landschaft in einem Menschen, so hat sich Nirav Patel – und das sage ich aus tiefster Überzeugung – für das Richtige entschieden. Nämlich darin, seiner Passion Stabilität zu verleihen. Seine Bilder tragen einen stillen Zauber, der nicht immer sofort sichtbar ist.

Sie benötigen etwas, das im Konsum von Bildern nicht mehr gern gegeben wird, nämlich Raum und Zeit. Raum, um das Ausmaß des Sichtbaren zu begreifen und Zeit, um sie wirken zu lassen.

© Nirav Patel

Ich bin jedenfalls froh, seine Bilder im Pool der Möglichkeiten entdeckt zu haben und konnte nicht unkommentiert lassen, was sie in mir auslösen.

Da Du hier nur eine kleine Auswahl an Bildern entdecken konntest, darfst du gern Niravs Webseite besuchen oder auf Facebook und Tumblr seine Arbeiten verfolgen.

Und natürlich kannst Du ihn auch gern auch als Hochzeitsfotograf buchen.


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Stille und Isolation

19 Aug

Ein Beitrag von: Rupert Vantervell

Natürlich klingt es wie ein Klischee, aber die Fotografie ist für mich – wie für viele andere – eine Art des Ausdrucks. Sie führt sowohl die emotionale als auch die kreative Seite meines Charakters zusammen und erfüllt mich. Andere Menschen schreiben, zeichnen, musizieren, gestalten; das ist ihre Art. Aber für mich ist das die Fotografie. Sie ist das beste Medium für meine Persönlichkeit.

Obwohl durch meine Arbeit viele unterschiedliche Kameras involviert waren, bin ich nicht besonders interessiert an ihrer Technologie. Sie sind ganz einfach ein Mittel zum Zweck. Sie erlauben mir, auf die Straße zu gehen und die Welt da draußen zu fotografieren. Aber sie sind nicht die treibende Kraft meiner Kreativität.

Die Qualität des Lichts ist natürlich der wichtigste Faktor und zwischen Licht und Schatten die richtige Balance zu finden, ist die große Herausforderung in meinen Bildern. An feineren Details bin ich nicht so sehr interessiert, sondern was in den Schatten versteckt sein könnte, das fesselt mich. Das ist das Mysterium, dort liegt die Geschichte.

Meine aktuelle Serie „Man On Earth“ unterstreicht den dramatischen Kontrast zwischen urbanem Hintergrund und der kleinen, aber wichtigen Präsenz des menschlichen Lebens und der einzigartigen visuellen Charakteristika.

Space © Rupert Vandervell

Fragile © Rupert Vandervell

In The Line Of Light © Rupert Vandervell

Man On Earth © Rupert Vandervell

Fade To Black © Rupert Vandervell

Lightness Of Being © Rupert Vandervell

Metaphysical Moment © Rupert Vandervell

The Healing Place © Rupert Vandervell

Dabei ist es mir wichtig, die menschliche Form in ihrer alltäglichen Welt auf eine Weise festzuhalten, die normales menschliches Benehmen darstellt. Genau das definiert, wer wir sind.

Beim Arbeiten begann ich zu sehen, dass sogar in der Geschäftigkeit einer übervollen Stadt Stille und Isolation zu finden sind. Eine bestimmte Art Einsamkeit. Diese Momente, in denen wir getrennt von anderen und vielleicht zu einem bestimmten Maß verletzlich sind.

Distanziert bleiben, jedoch ein bisschen in diese Vertrautheit dringen und zeigen, wie faszinierend wir in unserer Umgebung sind, eingeschlossen in der großen Stadt: Für mich ist das essentiell. In unserer Welt mit immer weiter wachsenden Bevölkerungszahlen werden stille Momente wie diese immer schwerer vorstellbar.


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Die stille Stadt

17 Apr

Ein Beitrag von: Thomas Graichen

Dieses Interview ruht seit Ende November in meiner Manteltasche. Nun finde ich die Zeit, das Gespräch aufzuschreiben und fühle mich just in dem Moment wieder an diesen Ort, mit all seinen Geräuschen und Gerüchen, zurückversetzt.

Wir befinden uns in Berlin, es ist noch Herbst. Die Gehwege sind leergefegt und ich eile zum Treffpunkt, einem Cafe in Friedrichshain. Extra für diesen Termin habe ich mir ein Diktiergerät gekauft. Ich treffe Thomas Graichen, Fotograf, und Ann-Christin Kumm, Geschichtenerzählerin.

Im Café ist noch keiner der beiden. Ich wähle den Platz nahe der Tür. Ich habe vor mir ein kleines helles Buch mit dem Titel „Die stille Stadt“ liegen, das ich nun schon in- und auswendig kenne.

Immer wieder spähe ich zur Tür.

Und da kommen sie, vielleicht zwei bis vier Teeschlucke voneinander entfernt, durch die Tür gestolpert. Erst Ann-Christin, mit Regentropfen im Haar und dann Thomas. Nach einer herzlichen Begrüßung, Lachen und Aufwärmen an der Heizung stelle ich die erste Frage.

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aus: Die stille Stadt

Ihr habt zusammen das Buch „Die stille Stadt“ herausgebracht, mit Bildern von Dir, Thomas, und drei Kurzgeschichten von Dir, Ann-Christin. Wie kam es zur Zusammenarbeit?

Ann-Christin: Es begann mit einem Gespräch über die Selbstzweifel der kunstschaffenden Menschen. Wir redeten darüber, dass man so seine Zweifel hat und ob das, was man macht, eigentlich Sinn ergibt. Und ob man das der Öffentlichkeit preisgeben möchte. Thomas fragte: „Darf ich das mal sehen oder hören, was Du schreibst?“

Thomas: Du bist dann vorbeigekommen, hast einen Stapel Zettel dabei gehabt und ich war der Zuhörer.

Ann-Christin: Und Thomas’ Idee war, meine Geschichten mit seinen Fotografien zu kombinieren.

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aus: Die stille Stadt

Und Thomas, Du wusstest schon, welche Fotos Du dafür auswählen würdest?

Thomas: Ja, ich hatte sie im Hinterkopf. Sie sind im langen, kalten und schneereichen Winter 2010/2011 entstanden. In den Kurzgeschichten war etwas, von dem ich dachte, es könnte passen. Es war sehr stimmungsvoll und ich hatte die Idee, weil die Geschichten und Bilder sich nicht explizit gegenseitig illustrieren, dass die Bilder damit eine Art Kulisse bilden und einen Raum schaffen, in dem die Geschichten leben könnten.

Ann-Christin: Ich wollte allerdings keine schon bereits existierenden Texte verwenden, sondern es sollten eigene Geschichten sein, die in der stillen Stadt verortet sind, aber wiederum völlig eigenständig existieren.

Die erste Geschichte, die fertig war, war das Vogelmädchen. Ab dann wusste ich, in welche Richtung es gehen wird.

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aus: Die stille Stadt

Wie habt Ihr die Bilder und Geschichten dann zusammen gebracht, so dass sie miteinander funktionieren?

Thomas: Die Bilder existierten schon und da es ein herausragender Winter war, konnte ich danach nicht einfach weitermachen. Es gab diese Stimmung nicht mehr. Ich hatte die Bilder Ann-Christin in der Anfangsphase gezeigt und fand es gut, es sich so von da an selbst entwickeln zu lassen. Ich fand es schön, dass die Texte eigenständig waren und eine sanfte Verbindung zu den Bildern existierte. Das war auch meine Idee: Es eher lose zu koppeln.

Ann-Christin: Ich habe die Bildauswahl abgegeben. Habe gesagt: „Du bist der Fotograf, Du entscheidest das.“ Wir haben dann nur hin- und hergemailt und ich habe meine Meinung kund getan, wo die ausgewählten Bilder dann letztendlich stehen sollen. Uns war klar, dass es eben keine Illustration sein soll.

Thomas: Peter Gebert, der für das Layout des Buches verantwortlich ist, hat dabei dann auch noch einige Ideen im Bezug auf das Zusammenspiel von Bildern und Texten mit eingebracht, die wir gemeinsam diskutiert und zum Teil auch übernommen haben.

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aus der Serie: entrance to paradise

Fotos können Geschichten erzählen, Geschichten erzeugen Bilder …

Ann-Christin: Mir fiel auch auf, dass Fotografie und Kurzgeschichten viel gemeinsam haben, weil sie beide einen Moment festhalten, nicht wie bei einem Roman, in dem eine lange Handlung entwickelt wird.

Ein Bild oder eine Kurzgeschichte, das ist ein völlig subjektiver Blickwinkel: Kommt jetzt die Laterne mit ins Bild, kommt der Satz rein oder nicht, was gebe ich von meinen Figuren preis und was nicht? Und jeder kann etwas ganz anderes wahrnehmen. Deswegen passt das auch so gut zusammen.

„Ich gehe zu Fuß, mit knirschenden Schritten, ich mag die Jahreszeit. Ich mag es, wenn alles zugedeckt ist. Das hat sie nie verstehen wollen. Ich will deine Verstecktheiten nicht, sagte sie. Schrie sie. Warum sagst du nicht einfach, was in dir vorgeht. Einfach, dachte ich. Wenn überhaupt ein Wort nicht auf uns zutrifft, dann: Einfach.

aus: Die stille Stadt, Ann-Christin-Kumm

Die stille Seite der Stadt …

Ann-Christin: Die Bilder von Thomas haben etwas tief Einsames, Verlassenes. Die Bilder sind menschenlos.

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aus der Serie: entrance to paradise

Thomas: Ja, und das passt ja auch wieder zu den Geschichten. Die Menschen darin sind ja auch verlassen.

Ann-Christin: Deswegen finde ich es wichtig, von verlassen zu reden und nicht von leer – da ist klar, da geht es um Menschen, aber die sind gerade nicht da, sie sind nicht fassbar.

Deswegen passen sie auch so zum Übergang von Winter zu Frühling. Man sieht eine verlassene Bushaltestelle und weiß, da kommt gleich ein Bus und Menschen steigen aus; oder man schaut auf einen zugefrorenen See und weiß, wenn der Frühling kommt, dann ist die Eisschicht weg.

Thomas: Ich versuche ein anderes Bild der Stadt zu finden, die Rückseite, nicht die spektakuläre, sondern eine sehr stille Seite. Ich gehe sehr viel durch die Stadt und nehme dabei viel wahr. Ich sehe einfach nur und versuche, diese Orte oder Dinge festzuhalten, an denen die Leute in der Hektik des Alltags vorübergehen.

Hast Du Deine Kamera immer dabei, Thomas?

Ich hab zwar fast immer eine dabei, aber ich benutze sie oft nicht. Ich bin nicht der typische Straßenfotograf. Ich fotografiere auch sehr wenig, weil ich die meisten Bilder schon gar nicht mehr mache. Wenn ich etwas sehe, sortiere ich schon stark aus, bevor ich den Auslöser drücke oder eben nicht drücke.

Ansonsten nehme ich unterwegs das Mobiltelefon als ein Art Notizbuch für Orte, um später noch einmal wiederzukommen. Das Telefon als Kamera selbst ist für mich übrigens kein adäquates Medium. Ich gehe dann ein andermal gezielt los, muss Zeit haben, in der Stimmung sein, eine Idee haben. Ich brauche meistens sehr lange, bis ich ein erstes Foto mache und wenn ich es gemacht habe, dann komme ich oft in einen Fluss, ergründe den Ort Stück für Stück.

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aus der Serie: entrance to paradise

Machst Du das auch so mit Geschichten, Ann-Christin?

Ich überlege gerade, ob es da eine Verbindung gibt. Ich habe auch ein Notizbuch, in dem ich mir Sätze aufschreibe, die ich vielleicht mal verwenden will. Geschichten bilden immer auch ein Stück der Wirklichkeit ab, das ist wie bei einem Bild.

Oft denke ich aber, was ich mache ist nicht gut, da schlage ich wieder den Bogen zum Anfang unseres Gesprächs. Was ich mache, ist schon so oft gemacht worden, dass es nicht den Aufwand wert ist, das überhaupt zu machen.

Was überwiegt dann, dass Du es doch machst?

Das Bedürfnis, etwas zu verarbeiten oder auszudrücken. So wie Du ein Grundthema hast, Thomas, habe ich ja auch ein Grundthema. Es geht immer um Beziehungen und Kommunikation.

Meine Figuren reden so, wie ich finde, dass sie nicht miteinander reden sollten. Die Geschichten und auch die Figuren sind so lakonisch. Oft isoliert. Sie interagieren mit anderen, sind aber eigentlich isoliert.

Das klingt jetzt so traurig.

lacht

Ich schreibe gern über die Gedankenwelt der Figuren.

Ich habe gar nicht so viel mit Orten zu tun in meinen Geschichten und denke, dass es deswegen so gut mit den Bildern von Thomas zusammenpasst.

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aus der Serie: entrance to paradise

Thomas: Mit den Bildern werden die Orte in Deinen Geschichten dann auch konkreter.

Ann-Christin: Die Orte werden zwar kurz umrissen. Aber beim Schreiben denke ich dann, das passiert in einem Jugendstilgebäude und die Leser und Leserinnen bringen es mit einem Hochhaus in Verbindung.

Ich bleibe daher gerne unkonkret. Ich beschreibe auch meine Figuren nicht so ausführlich.

Thomas: Das verbindet uns dann auch wieder. Ich will nicht alles vorgeben. Ich will eigentlich eher den Leuten einen Impuls geben. Dann sollen die sich da selbst reinfinden. Es soll klar eine Richtung vorgegeben sein, aber eben nicht die Antwort.

Ann-Christin: Die Rezipienten sollen gefälligst ihren eigenen Kopf verwenden und nicht nur konsumieren.

Das ist ein schöner Satz, den lassen wir jetzt erst einmal wirken.

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aus der Serie: absence | presence

Gibt man mit Worten mehr preis als mit einem Bild?

Thomas: Man kann auch in Bildern sehr viel preisgeben.

Ann-Christin: Man gibt ja in beiden Fällen einen subjektiven Blick preis. Ich habe auch nicht Angst davor, dass jemand weiß, wer ich bin. Ich habe da eher in die Richtung Angst, dass es schlecht bewertet wird. Eher in die Richtung: Es ist nichts Besonderes. Wie bei Dir, Thomas, wenn Du sagst, Du machst ein Bild nicht, weil es das ja eh schon gibt. Aber irgendwie ist die Motivation doch da, trotzdem was zu machen. Wie ein Musiker, der trotzdem wieder was schreibt obwohl alle Akkorde, die es gibt, schon verarbeitet wurden.

Thomas: Ich glaube ja auch, dass die Erstellung des Buches ein neuer Prozess war – quasi einen Dialog zu haben.

Ann-Christin: Ja, und die Balance zu finden, zwischen „es ist ein Gemeinschaftsprojekt“ und „es ist meine Geschichte”. Ich habe die Zusammenarbeit als sehr konstruktiv gesehen und bin Thomas auch dankbar für die Idee, zusammen ein Buch zu machen.

Thomas: Wir wollten es im letzten Winter fertig bekommen und es hat nicht geklappt. Aber als es trotzdem ein Jahr später mit genau der gleichen Energie weiterging, zeigte sich, dass es nicht nur eine fixe Idee war, sondern dass alle drei Beteiligten voll und ganz dabei waren. Und nun ist das Buch da.

Ann-Christin: Das war auch ein großartiger Moment, das Buch in den Händen zu halten. Eben war es noch eine Spinnerei von „wir könnten mal und sollten mal“, und dann ist es plötzlich da. Also, ein gefühltes Plötzlich.

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aus der Serie: absence | presence

Fotografie soll anfassbar sein?

Thomas: Für mich hat Fotografie immer etwas Haptisches. Bilder an der Wand, in Büchern.

Ann-Christin: Eine Veröffentlichung exisitiert nur, wenn ein anderer noch mit darüber entschieden hat. Ich könnte meine Texte jetzt auch in einem Webblog veröffentlichen, aber das wäre für mich dann nicht wirklich veröffentlicht. Ich brauche noch ein Gegenüber, der das freigibt. Deswegen war die Erstellung des Buchs auch so wichtig für mich.

Thomas: Das ist ja auch bei einer Ausstellung so. Es sind einfach mehrere Leute daran beteiligt und der Prozess, wie etwas entsteht, ist gut. Man erarbeitet sich dabei auch etwas. Beim Fotografieren ist es genauso: Wenn ich im Fluss bin, dann bin ich ganz dabei und vergesse alles um mich herum. Das hast Du beim Schreiben bestimmt auch?

Ann-Christin: Ja, geht mir genauso. Ich muss aber immer diesen Moment überwinden, der davor kommt, bevor ich da sitze und schreibe. Ich denke oft: Dann mach ich das halt morgen. Und dann mache ich es doch nicht.

Thomas: Ich glaube, alles hat einfach auch seine Zeit.

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aus der Serie: absence | presence

Ann-Christin, fotografierst Du auch?

Ich finde das spannend, aber es ist nicht mein Medium. Ich habe nicht den Zugang, den ich gern hätte und benutze das lieber, um bestimmte Momente für mich festzuhalten.

Thomas: Ich glaube, man hat nur eine bestimmte Energie, um bestimmte Sachen richtig gut zu machen. Daher konzentriere ich mich inzwischen lieber auf wenige Sachen; versuche, sie wirklich gut zu machen und mit Tiefe auszufüllen. Andere Dinge, die ich auch gern machen würde, lasse ich dann eher und erfreue mich daran, dass sie andere richtig gut können. Dies so zu sehen, entspannt unglaublich.

Vielen Dank für das mutmachende Gespräch, vielleicht selbst einmal solch ein Gemeinschaftsprojekt zu wagen und danke für Eure Zeit und Eure Gedanken.

Das Taschenbuch „Die Stille Stadt“ mit drei Kurzgeschichten von Ann-Christin Kumm und 13 Fotografien von Thomas Graichen ist für 9,50€ hier oder direkt in der aff Galerie in Berlin zu erwerben.

Und wer noch mehr über den Fotografen Thomas Graichen erfahren möchte, der schaut sich am besten seine Webseite in aller Ruhe an.

alle Fotos © Thomas Graichen


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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