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Kosovo: „Für mich ist das Leben hier scheiße.“

17 Aug

Ein Kleinkind verschwindet hinter einer Tür.

Gjakove. Ich besuche mit Zef und Sara eine kleine Kommune für Roma, Ashkali und Ägypter – die Caritas hat hier einige Häuser für die Ärmsten gebaut. Nach einer kleinen Einführung mit der Projekt-Leiterin führt uns der Sozialarbeiter, der hier Angebote für Kinder macht, zum Haus einer Familie.
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Schau mich nicht an

01 May

Wir haben viele Möglichkeiten, unserem Gegenüber zu zeigen, wer wir sind und was uns wichtig ist. Anhand der Mimik und unseres Verhaltens lesen wir einander wie Bücher.

Alle paar Monate betrachte ich meine Bilder. Alle Bilder, die ich seit 2010 gemacht habe. Es sind eine Menge, aber zum Glück nicht so viele. Sie füllen lediglich drei Negativordner.

Ich versuche, in der Gesamtheit der Bilder etwas zu entdecken. Eine Botschaft oder eine Linie, der ich unbewusst folge. Ich bin ein sensibler Mensch, möchte ich behaupten, und ich denke oft erst nach, nachdem ich etwas getan habe. Das hat mir mein Vater schon als Kind vorgeworfen. Es scheint eine mich definierende Eigenschaft zu sein.

Im Alltag versuche ich natürlich angepasst erst zu denken und dann zu handeln, man möchte ja im Rudel überleben. Aber in der Fotografie läuft das anders. Mein Werkzeug ist die Kamera, die ich lernte zu beherrschen. Ich muss nicht mehr groß über sie nachdenken. Im Blindflug weiß ich, was ich einstellen muss und welche Hebel ich kurbeln und welche Knöpfchen ich drücken muss.

Aber alles andere läuft unbewusst ab. Ich fotografiere am liebsten Menschen, immer noch. Wir sind eine so spannende Spezies. Wir vereinen, was liebens- und hassenswert ist. Ich kann mich also ganz und gar auf mein Gegenüber konzentrieren, wenn wir uns treffen.

Bei der Durchsicht meiner Arbeiten fiel mir etwas auf: Das Gesicht der abgebildeten Person war oft nicht sichtbar. Es wurde verdeckt, oft natürlich absichtlich durch ein Buch, ein Bild oder lediglich mit den Händen.

Oft waren es die ersten Bilder, die ich von einem Menschen machte, manchmal handelte es sich aber auch um Menschen, die ich schon öfter traf und mit denen ich mehr verbinde als das, was auf den Bildern sichtbar ist.

© Marit Beer

© Marit Beer

Wozu diente also der Schutz des Gesichts, fragte ich mich rückblickend. Wenn wir weinen, dann schützen wir uns. Wir heben die Hände und wollen nicht zeigen, dass wir angreifbar sind. Schmerz und Trauer passieren im Verborgenen.

Wir wollen nicht schutzlos sein. Wir wollen uns nicht ausliefern. Wenn wir uns nicht als schön empfinden, dann wollen wir nicht fotografiert werden. Ein Foto ist unser Spiegel. Es zeigt uns unsere größte Angst, äußerlich zu versagen.

Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich die Bilder betrachtete. Sie bekamen plötzlich eine gewaltige Aussagekraft und ich erinnerte mich an die vielen Gespräche über Schönheit und Alter, über das Zeigen und Nichtzeigen, über die Scham schlaffer Haut an den falschen Stellen oder nicht der Norm entsprechend geformter Brüste oder Oberschenkel.

Es war alles dabei und ich kannte es auch von mir. All das war mir nicht unbekannt und doch forderte ich den Menschen vor mir. Wollte, das wir gemeinsam etwas zeigen, das zeigenswert ist, auch oder gerade auf die Gefahr hin, dem Schönheitsideal nicht zu entsprechen, eben weil wir doch Schönheit darin ausmachten.

© Marit Beer

© Marit Beer

Die Fotografie ist ein oberflächliches Ding, wie mir scheint, aber wir haben die Möglichkeit, diese Oberfläche Stück für Stück abzugraben. Denn die darunter liegenden Schichten sind immer die spannensten.

Ich möchte behaupten, dass jeder, der sich der Menschenfotografie annimmt, auch Verantwortung zu tragen hat. Die Verantwortung dem Menschen gegenüber, den er abbildet genauso wie das, Bild das er zeigt und somit das Gesellschaftsbild mitformt.

Ich möchte die Menschen, die ich bisher fotografiert habe, begleiten. Ich möchte sie auch noch in 50 Jahren ablichten dürfen. Ich möchte zeigen, wie schön der Mensch sein kann, wenn man ihn lässt.

Ich möchte nicht dem ewigen Jugendwahn hinterher jagen, nicht immer nur abbilden, was jeder kennt. Die Welt ist größer als das, was wir scheinbar vor uns sehen. Wir sollten uns aufmachen, danach zu suchen – in den Gesichtern, die ein Geheimnis in sich tragen.


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Alles, was mich am Leben interessiert

09 Jan

Ein Beitrag von: Chema Hernández

Meinen ersten ersthaften Kontakt mit der Fotografie hatte ich an der Universität, an der ich Kunstwissenschaften studierte. Ich interessierte mich für dokumentarische Fotografie und im Besonderen für Cartier-Bressons Arbeiten.

Nachdem ich mich jahrelang der Malerei gewidmet hatte, erwachte mein Interesse mit dem Aufleben der neuen Straßenfotografie im Internet. Dort fand ich Weggefährten mit den gleichen Vorlieben, die ich mit meinem Schaffen konfrontieren konnte. Und natürlich gab es eine ganze Menge Informationen.

© Chema Hernández

Ich nehme an, dass ich kein Fotograf im engeren Sinne bin. Ich mag es einfach, Bilder zu machen indem ich male, zeichne oder fotografiere. Und als Fotograf bin ich daran interessiert, Bilder aus meiner nahen Umgebung zu extrahieren, indem ich den direkten Stil der Schnappschuss-Fotografie auf eine offene, nicht gestellte Art benutze.

© Chema Hernández

Dafür benutze ich eine kleine Kamera, die ich in meine Tasche stecken kann. Wenn ich auf der Straße fotografiere, halte ich für gewöhnlich nicht nach einem bestimmten Thema Ausschau. Ich reagiere auf das, was mir ins Auge fällt: Zum Beispiel eine ungewöhnliche Situation, ein Licht-Effekt oder bestimmte Farben.

© Chema Hernández

Ich bevorzuge suggestive Fotos, die eine Geschichte erzählen, offen sind und dem Betrachter die Möglichkeit geben, das, was er sieht, zu interpretieren.

Manchmal ist der Inhalt des Bildes nicht so wichtig und die formalen Aspekte wecken meine Aufmerksamkeit. Ich versuche meist, eine bestimmte Magie einzufangen. Eine Kombination von Elementen, die unterschiedliche Interpretationen und Emotionen zulassen.

© Chema Hernández

In meinen Fotos treten anonyme Menschen auf. Sie sind Charaktere ohne Identität, deren Funktion die Darstellung menschlicher Archetypen ist. Gewöhnlich bin ich nicht an Gesichtsmerkmalen oder -ausdrücken interessiert, eher an menschlichem Behehmen oder Situationen, in die Menschen involviert sind.

© Chema Hernández

Wenn wir gerade schon beim Stil sind: Ich glaube ich nicht, dass ich einen eigenen habe. Meine Bilder sind unterschiedlich, wie alles, was mich am Leben interessiert. Vielleicht ist das der Stil ohne Stil?

Dieser Artikel wurde von Martin aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.


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Was für mich wichtig ist

02 Dec

Ein Beitrag von: Mike Peters

Die Fotografie hat mein Leben gerettet, als ich noch ein Teenager war. Sie gab mir etwas, in das ich eintauchen konnte und eine Rechtfertigung dafür, draußen in der Welt zu sein. Herumzugucken, zu glotzen und schließlich Menschen zu treffen. Über mich selbst etwas zu lernen.

Die Fotografie gab mir außerdem eine Stimme in einer Zeit, in der ich keine Stimme hatte. Sie war ein Mittel, um zu zeigen, wie ich die Welt sah. Und mit meinen Gefühlen verbunden zu sein, die ich dann in den Aufnahmen ausdrückte.

Ich fühlte mich allein, einsam und hatte kein Selbstvertrauen. Das Fotografieren war für mich dann sowohl Flucht als auch Rettung.

woman reading 1978 © Mike Peters

In der Hochschul-Bibliothek brütete ich über Fotomagazinen und las alles Mögliche von Kameras, über Objektive bis hin zu allen möglichen Techniken. Über die Fotografien selbst wurde nur wenig geschrieben und über die Beweggründe der Fotografen auch nicht. Es ging nur um Grundlagen und Kleinkram.

Dann fand ich die Arbeiten von Robert Frank, W. Eugene Smit, Henri Cartier-Bresson, Walker Evans, Robert Cape, Brassaï, McCullin, Andre Kertesz, Diane Arbus, Richard Avedon, Dorothea Lange und vielen anderen, die zu meiner Inspiration wurden.

Ich wusste nicht, was ihre Arbeit so gut machte, aber ich wusste, dass das, was ich beim Anblick der Bilder fühlte, mehr war als nur visuelle Freude. Es war tiefer und komplexer.

Wenn ich daran zurückdenke, waren alle Bilder, die für mich in den frühen Jahren wichtig waren, schwarzweiß. Jahrelang habe ich persönliche Projekte mit 35mm-Schwarzweißfilm durchgeführt, aber wenn ich mir diese nun ansehe, fühlen sich die meisten trivial an. Denn alle meine Arbeiten, die ernstzunehmen sind, sind in Farbe entstanden.

2 women NYC 1988 © Mike Peters

Ich bin mir nicht wirklich sicher, was ich daraus schließen soll, aber mir ist klar, dass ich vielleicht zu verkrampft versuchte, „wichtige“ Fotos zu machen, anstatt mehr Zeit in meine eigenen Interessen zu investieren und meinem Herz zu folgen.

Was ich damals noch nicht wusste: Ich musste mehr erleben, um zu herauszufinden, was für mich wichtig ist. Um eine eigene Meinung über die Welt zu haben und eine große Leidenschaft zu spüren, bevor ich jemals ein Foto mit Inhalt machen könnte.

Ich war zu sehr in die Fotografie verliebt, um ein guter Fotograf zu sein. Ich musste lernen, das Leben selbst mehr zu lieben.

Im College hatte ich gelernt, wie man eine 4×5-Großformatkamera benutzt. Mir gefiel die Schlichtheit des Prozesses und der schöne Anblick des Einstellbildes. Zusätzlich wurde mir klar, dass es eine besondere Herausforderung war, Menschen damit zu fotografieren. Denn ich war gezwungen, sehr genau zu planen, wen und was ich im Bild haben wollte.

4 kids Kearny 1984 © Mike Peters

Zuerst musste ich meine Furcht überwinden, Menschen zu fragen, ob ich ein Bild von ihnen machen dürfe. Weil es eine zeitlang dauerte, bis ich soweit war, konnten die Leute sich entspannen (ich auch) und schließlich setzten sie sich der Kamera aus.

Ich habe viele Jahre damit verbracht, die Straßen meiner Heimatstadt mit der Großformatkamera auf der Schulter abzulaufen. Ich traf Leute und fragte sie, ob ich sie fotografieren dürfe. Jedes mal war es fürchterlich für mich, Leute so anzusprechen, obwohl die Kamera selbst genügend Anlass zum Gespräch gab.

Die Signifikanz dieser frühen Aufnahmen ragt weit in mein Leben hinein und dennoch brauchte ich viele Jahre, um die Lehren zu verstehen, die sie mir vermitteln sollten.

Bis 2001 machte ich Portraits von Menschen mit der Großformatkamera. Doch dann interessierte ich mich mehr für eine spontanere Art und Weise, zu fotografieren. Außerdem fand ich die überzeugende Einfachheit des quadratischen Formates zunehmend spannend.

September 11, 2011, NYC © Mike Peters

2002 wechselte ich dann zu 6×6-Filmkameras und begann, ungestellte Bilder von Menschen auf der Straße zu machen.

Das Quadrat hat mich kompositorisch befreit. Ich bin sehr vertraut mit seinen Begrenzungen und mag die Herausforderung, das Bild passend zu komponieren. Weil ich mich nicht mehr entscheiden muss, ob ich quer- oder hochformatig fotografiere, kann ich mich einfach auf das konzentrieren, was vor mir ist und wohin ich mich stellen muss.

So zu fotografieren ist für mich sehr intuitiv und das Quadrat sehr bequem. Es unterscheidet auch meine persönliche Arbeit von der, die ich für Kunden mache: Die ist stets rechteckig. Wenn ich heute das Quadrat sehe, muss beim Fotografieren das Bild nur mir gefallen.

Durch diesen Übergang von 4×5 zum Quadrat begann ich, meine frühen Fotografien neu zu studieren. Bald konnte ich verstehen, warum und was diese Aufnahmen in mir zum Schwingen brachten.

Pursuit of Happiness Coney Island NYC © Mike Peters

Ich machte ganz bewusste Entscheidungen betreffend der Menschen, die ich fotografierte und begann, zu sehen, dass jede Person etwas ganz Besonderes hatte, das mich ansprach. Sei dies ein Gesichtsausdruck oder ihre Körpersprache.

Von da an konnte ich meine Bilder weiter studieren und dieselben Verbindungen herstellen. Endlich hatte ich meine Stimme gefunden!

Pursuit of Happiness Coney Island NYC © Mike Peters

In diesem Jahr, 2013, habe ich damit angefangen, digital im Quadrat zu fotografieren, um meine Zeit produktiver zu nutzen. Ich bin mittlerweile soweit, dass das Equipment, das ich benutze viel unwichtiger ist als das Bild selbst. Technik und Gadgets sind nur insofern wichtig, als dass sie das Bild liefern, ansonsten sind sie nebensächlich.

Wenn ich mich jetzt in der Welt bewege, kann ich mich selbst in den Gesichtern der anderen erkennen, sie von der Masse unterscheiden und schnell einen Kontakt herstellen. Wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde.

Meine Bilder repräsentieren meine Suche nach universellen Wahrheiten des Lebens – im Gesicht der anderen. Meine Fotografien sind der Versuch, zu zeigen, dass ich hier war und sie bestätigen, dass die Fotografierten auch da waren. Alles, was ich anbieten kann, ist meine Perspektive.

Ich möchte einen Beweis hinterlassen, dass wir existiert haben. An diesem Ort, zu dieser Zeit. Meine einzige Hoffnung ist, dass meine Aufnahmen in den Herzen und Gedanken anderer etwas bewegen.

July 4th Parade, Ridgefilend Park, NJ © Mike Peters

Im Jahrzehnt nach den Anschlägen in New York City am 11. September 2001, die ich von ein paar Meilen entfernt sah, versuchte ich, meine Gefühle über das, was ich gesehen hatte, zu sortieren. Ich schaute in die Gesichter der Menschen um mich herum und fotografierte, was ich in dieser Zeit des Übergangs und Aufruhrs sah und fühlte. Diese Arbeit trägt den Namen „The Dream“.

Ich habe mich immer gefragt, was aus dem amerikanischen Traum geworden ist – dass man mit harter Arbeit alles erreichen kann. Ist das überhaupt realistisch und verfolgenswert? Ist der amerikanische Traum heute immer noch stimmig oder müssen wir unsere Erwartungen ändern?

Was ich weiß, ist, dass das Leben für viele Menschen, die ich täglich treffe sehr viel härter geworden ist. Und dennoch ist da die Hoffnung, dass die Dinge sich ändern werden. Auch ein Verständnis dafür, dass egal, wie hart es wird, wir uns glücklich schätzen dürfen, hier zu leben.

Seit 2011 arbeite ich an einem weiteren Projekt über eine Gegend in Manhattan, die der „Meatpacking District“ genannt wird. Früher was es dort dreckig, es stank und sah nachts und an Wochenenden total desolat aus. Der optimale Ort für eine wachsende Straßenprostitution und Bars zum Abstürzen.

Meatpacking District, NYC © Mike Peters

Heute ist der Ort viel moderner geworden. High-End-Geschäfte, Restaurants und Clubs haben Schotter und Ruß durch Glanz und Glitzer ersetzt. Menschen aus aller Welt strömen in die Gegend, um eine gute Zeit zu haben.

Für dieses Projekt fotografiere ich nachts mit einem Blitz. Ich halte Menschen an, die ich interessant finde und frage, ob ich ein Bild machen darf. Ich ihren Gesichtern erkenne ich denselben verzweifelten Drang, Spaß zu haben, wie ich ihn als junger Mann hatte.

Meatpacking District, NYC © Mike Peters

In den (geplanten) Unterhaltungen kann ich meistens Momente der Spontanität und Individualität entdecken. In diesen Sekunden, in denen ich wieder in Kontakt mit meinem Subjekt bin, wenn ich den Menschen meine Aufmerksamkeit für ihr Dasein gebe, teilen sie ihre kostbare Zeit mit mir und öffnen sich für den Prozess, von mir und Euch, den Betrachtern, gesehen zu werden.

Wie immer bin ich dankbar für die Menschen, die ich fotografiere, denn sie sind es, die mir eine Art Bestimmung geben, wenn ich einen kleinen Teil ihrer Geschichte erzähle. Und langsam aber sicher meine eigene herausfinde.

Meatpacking District, NYC © Mike Peters

Die Fotografie hört nicht auf, mein Leben zu retten, hält mich jeden Tag in Kontakt mit Menschen, draußen in der Welt und ernährt mich. Ich bin dankbar für all die Gaben, die die Fotografie mir und meiner Familie gebracht hat. Ich bin in der Tat ein glücklicher Mensch.

Dieser Artikel wurde von Martin Gommel aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.


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Holt mich hier raus!

08 Feb

Ein Beitrag von: Nico Baumgarten

Wachstum ist noch immer das Leitmotiv unserer Zeit. Nur wirtschaftliches Wachstum kann uns aus der Krise holen, eine Firma vorm Bankrott retten, unsere Bildung und Altersvorsorge sichern.

Ohne Wachstum keine Zukunft. Die Weltbevölkerung wächst und wächst, aus Städten werden Großstädte, aus Großstädten werden Mega-Cities. Wachstum ist +, Wachstum ist positiv, Wachstum ist gut, Wachstum ist groß, ist hoch, ist weit.

Doch gleichzeitig gibt es Orte der Schrumpfung, Orte an denen die Dinge irgendwie anders funktionieren müssen. Weil die großen Firmen nicht mehr da sind, weil die Arbeitslosigkeit langweilig wird, weil die Sterberate über der Geburtenrate liegt, weil die Menschen wegziehen.

Auf mich haben diese Orte schon immer einen großen Reiz ausgeübt. Ich stellte mir vor, dort alternative Lebens- und Überlebenskonzepte finden zu können. Es müssten Orte sein, an denen man frei ist, sich zu entfalten.

Denn es gibt genug Platz. Das Leben kostet nicht viel. Die Zeitungen berichten nicht mehr. Es ist kein Geld da für staatliche Kontrolle. Und auch die sich ständig beschwerenden Nachbarn sind längst weggezogen.

Doch die Bilder der Fotografen, die sich seit dem Beginn der aktuellen Wirtschaftskrise diesem Thema gewidmet haben, entsprechen so gar nicht meinen Fantasien dieser Orte.

Ihre Fotoserien zeigen leere Häuser, „zu verkaufen“-Schilder, Junkies und gelangweilte Jugendliche auf dem Weg zum Junkie. Verlassenheit, Depression, Schatten, Verfall, Trauer. Eine visuelle Untermauerung der Wachstumsdoktrin.

Doch wo sind die Potenziale, die neuen Ideen, die Querdenker? Im Frühjahr 2010 habe ich mich auf die Suche begeben und bin nach Dessau gefahren. Und tatsächlich: Die leerstehenden Gebäude drängen sich mir geradezu auf und auch in den Gesichtern der Passanten sehe ich mehr Leere denn sprudelnde Ideen.

Ein Viertel der Einwohner haben seit der Wende die Stadt verlassen und ich spüre, dass sich auch die Menschen hier verlassen fühlen. Dessau hat es auch wirklich nicht leicht gehabt: Die meisten Betriebe haben den überstürzten Wechsel vom Sozialismus zum Kapitalismus nicht überlebt.

Die Lokalpolitiker wollten die Schrumpfung nicht als Zukunftsszenario akzeptieren und haben für immer weniger Einwohner immer mehr Einkaufszentren gebaut.

Bis zum Jahr 2002. Mit einem Paukenschlag kündigten Politiker und staatliche Institutionen ihren Kurswechsel an: „Less is future“ lautete das Motto der Internationalen Bauausstellung.

Internationale Experten und Künstler gaben über die Köpfe der lokalen Bevölkerung hinweg mehr als 200 Millionen Euro aus, um ein altes Konzept neu zu verkaufen: Abnahme an Bevölkerung = Abriss von Gebäuden.

Nur sollten diesmal „von grünen Bändern umgebene urbane Kerne“ entstehen, es sollte also gezielt abgerissen werden. Das Ergebnis war ein Desaster: Durch Aufrechterhaltung der flächenmäßigen Ausdehnung der Stadt bei abnehmender Einwohnerdichte wurde die Instandhaltung der Infrastruktur zu teuer.

Und so könnte Dessau bald so aussehen wie ein Foto der Krisenfotografen: Stillgelegte Bushaltestellen, verstopfte Kanalisation und verrottende Straßen.

Aber vielleicht auch nicht. Denn es gibt Leute wie Alex, der zusammen mit seinen Freunden auf einem stillgelegten Güterbahnhof eine Dirtramp gebaut hat. Agi, deren „erotischer Sozialservice“ sich auf eine ältere Kundschaft spezialisiert hat.

Einen Verein, der eine Bierbrauerei zu einer Kletterhalle umgebaut hat. Und Sergej, ein Ex-Balletttänzer, der mittlerweile einen hervorragenden Automechaniker abgibt.

Es sind vereinzelte Leute, ihre Gesten, ihre Ansichten und Projekte, die meine Fantasien der schrumpfenden Städte als Orte enormer Potenziale gerettet haben. Aber es sind Fantasien geblieben.

Dessau © Nico Baumgarten

Und so wusste ich, dass ich soeben den Titel meiner Fotoserie gefunden habe, als ich im Staub einer Fensterscheibe las: „Es ist so weit, holt mich hier raus.“

Meine Suche geht weiter.


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Ey, gib mich ma ein Bier!

18 Jan

Ein Beitrag von: Dennis Skley

Meine letzten Experimente, die Filmentwicklung mit Urin sowie die Fixierung mit Salz, waren nun schon eine ganze Weile her und in mir loderte ein Feuer. Ich wollte – nein, ich musste – mal wieder etwas Neues wagen!

Nur was?

Ein „neuer Entwickler“ sollte es werden, doch leider kenne ich mich mit dem chemischen Kram kaum aus. Vitamin C beschleunigt die Entwicklung, also muss Säure eine wichtige Rolle spielen. Sowohl Kaffee als auch Wein oder Urin beinhalten Säure, die Theorie kann also nicht ganz falsch sein.

Ist in Bier Säure drin? Ich suchte schnell im Internet und fand heraus, dass Bier einen ähnlichen pH-Wert wie Wein hat – und mit Wein funktioniert es ja auch.

Ich startete eine weitere Suche mit „Film Bier entwickeln“, doch hier wurde ich nicht fündig. Na gut, dachte ich mir, versuchst Du es halt selbst, im schlimmsten Fall geht halt ein Film drauf.

In meiner Mittagspause fing ich an, den Film – einen Agfa APX 100 – zu belichten. Die Pause war wie immer zu kurz, also mussten die restlichen Bilder auf dem Heimweg gemacht werden. ISO 100, Dunkelheit und kein Stativ dabei. Tolle Voraussetzungen – aber der Film wurde voll.

Bier hatte ich keines zu Hause, also musste der Spätkauf aufgesucht werden. Der Spätkaufverkäufer begrüßte mich mit einem Lächeln, nach über zehn Jahren kennt man sich halt. Er staunte nicht schlecht, als ich zum Kühlschrank ging und mir eine Flasche Pilsator heraus nahm, das billigste Bier vor Ort.

„Das ist nicht für mich, ich will damit einen Film entwickeln“, raunte ich ihm zu. Ich rechnete mit einem erstaunten Blick und/oder einer Nachfrage. „Das macht 70 Cent, Dennis, ich wünsche Dir viel Spaß.“ Er lachte.

Manchmal frage ich mich, was dieser Mann schon alles erlebt haben muss…

Zu Hause angekommen ging es dann los, der Hexenkessel wurde rausgeholt, um den Entwickler anzurühren.

Mein Rezept:

  • 400 ml Bier
  • 9 g Vitamin C
  • 25 g Waschsoda

Mit einem Milchaufschäumer verrührte ich das Ganze. So wollte ich gleichzeitig auch die Kohlensäure loswerden. Ich ließ das Gebräu noch etwa eine halbe Stunde in der Küche stehen, danach hatte es eine Temperatur von 20°C. Perfekt!

In der Zwischenzeit hatte ich den Film bereits in die Entwicklerdose gespult, wo er auf sein Besäufnis wartete. Es ging los und er „Entwickler“ kam in die Dose. Für den ersten Versuch setzte ich eine Zeit von 30 Minuten an. Ein guter Grundwert für „alternative“ Entwickler. Dazu alle 30 Sekunden die vertraute Schwenkbewegung.

Nach diesen 30 Minuten entleerte ich dann die Dose. Das Bier hatte sich von uringelb zu giftgrün verfärbt. Mhhhh, lecker! Es folgte das übliche Prozedere: Zwischenwässern, Fixieren, Wässern, Anti-Statik-Bad. Der Film war fertig, nun kam der Moment der Wahrheit, ich öffnete die Dose und…

TATSACHE! Schöne, kräftige Negative, die sogar für Kontaktabzüge geeignet wären. Fantastisch!

500 Jahre Reinheitsgebot … und ich entwickle einen Film damit. Prost!

Es ist wirklich erstaunlich, mit was für Mitteln man so tolle Ergebnisse erreichen kann. Gern würde ich auch eine chemische Erklärung dafür haben. Langt eventuell auch Wasser mit genügend Vitamin C? Oh, das muss getestet werden, demnächst vielleicht mehr dazu!

Die Bilder des Films kann man in meinem Flickr-Album finden.


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Plötzlich schauen mich fremde Menschen an

06 Dec

Ein Beitrag von: Michael Weyl

Zur Ausstellung „Exodus – Christen im Irak“ wurden 20 analog fotografierte Bilder in feinster Dunkelkammer-Arbeit auf edles Barytpapier ausbelichtet. Für Andy Spyra, bekannter Presse-Fotograf mit Affinität zur analogen Kamera-Arbeit, wurde mit dieser Ausstellung ein Traum wahr.

Schon immer wollte er eine Bildstrecke zeigen, die im reinen Analog-Prozess entstanden ist – von der Aufnahme bis zur Ausbelichtung auf Fotopapier. Presse-Fotografen müssen Bilder machen, sie leben von Bildern, verdienen ihr Geld mit Bildern, immer neuen Bildern.

Deshalb hatte er selbst keine Zeit, um die Bilder für die anstehende Ausstellung am 8. Dezember 2012 in Braunschweig auszubelichten. Aus diesem Grund habe ich die Dunkelkammer-Arbeit übernommen – Michael Weyl, Geschäftsführer der Spürsinn UG. Als gelernter Werbefotograf war diese Arbeit zu Anfang nur Pflichterfüllung, Dienstleistung, mehr oder weniger Routine. Aber dann veränderte sich etwas.

Als ich vor wenigen Tagen mit Martin Gommel telefoniert und über meine Dunkelkammer-Erlebnisse bei der Ausarbeitung der Exodus-Serie erzählt habe, wurde mir plötzlich klar, wie außergewöhnlich das Erlebte ist. Und dies nicht nur in Beziehung auf die aktuelle Ausstellung und deren gesellschaftliche Relevanz. Dieser Bericht ist sehr persönlich. Er betrifft mich.

Gleichzeitig betrifft er die Christen im Irak, den Fotografen Andy Spyra, das Thema Verfolgung und Verdrängung von Christen in islamischen Ländern, Menschenrechte, Unterdrückung von Minderheiten, Diskriminierung, die Fotografie, Leben und Sterben.

Im Grunde muss ich die Geschichte zur Ausstellung von Anfang an erzählen. Andy Spyra ist schon lange Zeit Kunde von Spürsinn. Einen Teil, wenn auch ein kleiner Teil, seiner Presse-Fotografie macht er analog und schwarzweiß. Dabei vertraut er auf Negativ-Entwickler unseres Unternehmens.

Da er nicht das Normale sucht, sondern oft in Grenzbereichen fotografiert, findet er hier genau die Produkte, die seiner Vorstellung entsprechen. Selbstverständlich hatte er zu Anfang einige Fragen, die wir fachlich am Telefon diskutierten. So lernten wir uns kennen. Ich persönlich bin von seiner Arbeit sehr begeistert – sowohl von seinen analogen wie auch von seinen digitalen Aufnahmen.

Irgendwann schlug ich ihm vor, eine Ausstellung in der Spürsinn-Galerie zu machen. Analog, klar, weil Spürsinn ein analoger Laden ist. Er war sofort begeistert. Nahezu zeitgleich findet eine Ausstellung seiner Exodus-Serie in Hagen statt.

Dort hängen hybrid ausgearbeitete Bilder, unter dem exakt gleichen Ausstellungstitel. Eine rein analog ausgearbeitete Ausstellung zu machen, hatte mit diesem Hintergrund einen besonderen Reiz. Nicht, dass analog besser als hybrid oder rein digital ist, aber mit Sicherheit ist es anders.

So sendete er uns seine Negative zu, per Einschreiben und richtig gut verpackt, und mich traf fast der Schlag, als ich die Negative auf dem Lichtpult ansah. Jede Aufnahme zeigte mir, unter welchen gewaltigen Druck Andy Spyra bei seiner Arbeit stand. Keine optimale Belichtungsmessung, häufig Bewegungsunschärfen, manchmal Fokussierungsfehler.

Gleichzeitig erkannte ich, wie authentisch diese Bilder durch diese Mängel sind. Echtheitszertifikate auf Film gebannt. Und da die Negative schon mehrfach gescannt und herum gereicht wurden, hatten sich auch Kratzer und einige fest anhaftende Staubpartikel auf dem Film verewigt.

Unclean, war mein erster Gedanke. Nicht perfekt, nicht geglättet. Aber genau das zog mich in eine Bildwelt, die mich von nun an nicht mehr loslassen sollte.

Der Ausstellungstermin war festgelegt, die Bildformate geplant. Jetzt hieß es nur noch, die Bilder auf Barytpapier „zu brennen“. Manuelle Splitgrade-Belichtung, ordentliches Fotopapier, einen guten Positiv-Entwickler und alles müsste im Prinzip passen.

Das tat es auch, aber gleichzeitig erlebte ich nun etwas, was mich bisher in meiner beruflichen Laufbahn nur ganz selten ereilte – plötzlich schauten mich fremde Menschen an, deren Gesichter gezeichnet von ihren Lebensumständen sind. Gesichter, die mich sofort gefesselt haben. Bildszenen, die mich nachdenklich machten. Bildaussagen, die mich betroffen machten.

In allen Negativen fand ich keine spektakulären Motive, keine reißerischen Perspektiven. Aber immer wieder, wenn sich das belichtete Fotopapier in der Entwicklerschale langsam zum fertigen Bild entwickelte, schauten mich fremde Menschen an und ich hatte das Gefühl, sie wollen mir etwas mitteilen.

Da ist die alte Frau, deren Alter ich nur grob schätzen kann, die am unteren Bildrand gerade in die Kamera blickt und im Hintergrund sehe ich an der Wand hängend einen Rosenkranz mit einem Kruzifix. Das Bild ist nicht sehr scharf, die Lichtsituation eher von Düsternis geprägt, Kummerfalten im Gesicht und helle, wachsame Augen übermitteln mir eine Botschaft.

Da ist das Bild vor einer kleinen Kirche. Eine Gruppe Männer im mittleren Alter, in ihrer Mitte der örtliche Priester, haben sich zum Gruppenbild zusammengefunden. Davor kniet eine Reihe junger Männer – in ihren Händen halten sie Sturmgewehre. AK-47, die meistproduzierte Handfeuerwaffe der Welt, gefürchtete Kriegsmaschinerie, im Hintergrund Christen als Menschen und christliche Symbole als Rahmen drumherum.

Da ist das Bild, das lediglich einen Ausschnitt eines zerschossenen Busses zeigt. Wenige Tage zuvor hatten islamischen Extremisten diesen voll besetzten Reisebus angegriffen und ich kann sehen, welche durchschlagende Wirkung die Geschosse hatten. Nein, ich will nicht sehen, wie es in diesem Bus aussieht, welche Verwüstung die Kugeln und Granaten hatten. Andy Spyra zeigt uns diese Bilder nicht, sondern belässt es bei der Außenansicht.

Auf dem nächsten Bild zeigt er uns eine Friedhofszene, eine Gedenktafel mit einem Bild des Verstorbenen – das Kreuz als Zeichen des religiösen Bekenntnisses ist zerschlagen, einfach zerstört und die Brocken liegen einfach so am Boden. Betroffen macht mich, dass der Schatten von Andy Spyra und einem mir nicht bekannten Menschen in genau diese Szene hinein ragt.

Und da ist das Bild einer Landschaft, deren Trostlosigkeit ich kaum beschreiben kann, über der sich ein mit zarten Wolken fast unschuldig scheinender Himmel ausbreitet. Sicher hätte so mancher Landschaftsfotograf mit einem ordentlichen Weitwinkelobjektiv und langer Belichtungszeit seine wahre Freude an diesem Bild. Aber hier macht es nur betroffen, weil sich die Geschichte aus einzelnen Facetten zusammenfindet.

Langsam begann ich zu begreifen, wie es zu dem Ausstellungstitel Exodus kam. Christen im Irak finden in ihrem Heimatland keinen Platz mehr, an dem sich ein Leben lohnt.

Ich habe 20 Bilder für die Ausstellung ausbelichtet. Zugegeben, bei einigen Bildern musste ich regelrecht zaubern, um sie richtig gut und aussagekräftig auszubelichten. Andy Spyra und ich waren uns schnell einig, dass ich auch die kompliziertesten Dunkelkammer-Methoden einsetzen sollte, mit tiefem Griff in die Trickkiste des Analogen, um einmalige Bilder auszubelichten.

Und nein, nichts wurde dokumentiert, bei keinem Abzug wurde aufgeschrieben, was und wie ich es gemacht habe. Jedes Bild ist ein Unikat, in dieser Art niemals wieder nachzumachen. Bei einigen Bildern habe ich über 15 Arbeitsschritte unter dem Vergrößerer durchgeführt, bevor es in den Entwickler getaucht wurde.

Und immer wieder kam dieser magische Augenblick, wenn mich fremde Menschen im Rotlicht der Dunkelkammer anschauten und mir ihre Geschichte immer vertrauter wurde. 20 Bilder in dieser Art auszubelichten, bedeutet schon so einige Stunden in der Dunkelkammer. Da ich das immer nach den normalen Geschäftszeiten gemacht habe, also in den Abend- und Nachtstunden, verfolgte mich so manches Bild bis hinein in den Schlaf.

Und immer wieder dieser magische Augenblick, wenn ein Gesicht, das ich bisher nur vom Negativ her kannte, plötzlich zum Positiv wird, mich anschaut und mir eine Botschaft übermittelt.

Mittlerweile bin ich zu nahe dran an den Bildern, um sie noch objektiv sehen zu können. Am 8. Dezember werden dann zum ersten Mal auch andere Menschen die gesamten Bilder sehen und ich bin sehr gespannt, ob auch sie beim Betrachten des Fertigen ähnliche Augenblicke erleben. Aber eines bleibt lediglich mir vorbehalten: Der magische Augenblick.

Bildbeispiele? Nein, es gibt keine Bildbeispiele! Lediglich die angefallenen Probestreifen kann ich zeigen – besser gesagt, will ich zeigen. Die ganzen Bilder, mit allen Details gehören in die Ausstellung und nicht ins Web.

Entstanden ist etwas, was sich nur in seiner Gesamtheit zusammenfügt, im Rahmen mit Passepartout an die Wand gehört, mit einem erklärenden Text darunter. Und trotzdem kann jedes einzelne Bild gekauft werden.

Ja, es werden Bilder aus der Ausstellung heraus verkauft. Eine Lücke entsteht, so wie auch eine Lücke gerissen wird, wenn ein Mensch sich zum Verlassen seiner Heimat entschließt. Exodus.

Bevor der Käufer sein Bild nach Hause trägt, wird ein Bild auf Polaroid gemacht, ein Schnappschuss des Bildes. Danach werden wir exakt dieses kleine Polaroid in den Rahmen hängen, als Zeichen der Lücke. Und da sind wir wieder in der Realität angelangt. Wenn ein Mensch auswandert, seine Heimat verlässt, hinterlässt er eine Lücke. Exodus.

Was bleibt, sind nur einige wenige Bilder, Schnappschüsse, von einer Familienfeier oder einem Zusammentreffen mit Freunden. Am 8. Dezember werden die Bilder erstmals ausgestellt. Danach sollen die Bilder an andere Orte wandern, erneut ausgestellt werden. Käufer werden sich finden, Lücken werden gerissen, Exodus wird begreifbar.

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Erzählungen über mich

04 Dec

Ein Beitrag von: Rafael Wild

Meine Serie, die ich euch heute vorstellen möchte, entstand in einem Blockseminar an der Freien Fotoschule Stuttgart. An dieser Schule belegen wir in einem Semester drei solcher Seminare. In einem dieser Seminare müssen wir innerhalb von vier Tagen eine Serie von fünf bis sieben Fotos vorlegen.

Das Thema wird von unseren Dozenten gestellt und wir erarbeiten dann innerhalb einer Stunde ein Konzept unserer ersten Ideen. Danach heißt es, an Abgabe und Präsentation fleißig zu arbeiten. Dabei sollen wir auch lernen, die Fotografien richtig zu präsentieren. An der Wand, im Rahmen, im Buch und so weiter. Wir sollen auch lernen, über diese Fotos zu sprechen, Kritik zu üben, Kritik anzunehmen und das Kritisierte beim nächsten Mal erneut anzuwenden und zu verbessern.

In dieser dargestellten Aufgabe sollten wir sieben Bilder mit dem Thema „Erzählungen über mich“ fotografieren, darin etwas über uns erzählen. Innerhalb einer Stunde hatte ich mein Konzept geschrieben, es meiner Dozentin vorgelegt und 1000 Ideen im Kopf entwickelt.

Da ich jeden Tag eine Stunde von Ulm nach Stuttgart im Zug sitze, habe ich dort genügend Zeit, mir Gedanken über mich und meine Fotos zu machen. Meine eigentliche Idee war, die Lieblingsorte meiner Kindheit zu fotografieren.

Aber wie? Wie fotografiere ich so etwas, ohne dass es nach langweiligen Landschaftsfotos aussieht? Wie bringe ich einen Eyecatcher hinein? Wie kann ich die anderen davon überzeugen, meine Fotos anzusehen? Und wie schaffe ich es überhaupt, die Lieblingsorte meiner Kindheit erkennbar rüberzubringen? Viele Fragen, keine Antworten.

In meinem Konzept stand zwar, dass ich die Orte meiner Kindheit fotografieren wollte, aber noch nicht genau wie. Meine erste entscheidende Idee war es, nachts zu fotografieren – damit ich Verwischungen ins Foto bekomme und durch die künstliche Beleuchtung andere Schatten und sowas erhalte.

Mir fehlte also noch das gewisse Etwas. Die nächste Idee war, mich selbst in die Fotos mit einzubauen. Aber wie baue ich mich in ein Foto ein, das durch eine Langzeitbelichtung entstehen soll, ohne zu verwackeln? Wenn ich mich bewege, verwische ich und werde eventuell sogar durchsichtig. Verwischt, durchsichtig – das erinnerte mich an einen Geist.

Wie kann ich mich aber als Geist in ein Foto einbauen – ohne Photoshop? Das Foto belichten, ganz schnell hineinspringen, umher hüpfen und wieder rausspringen? Dazu müsste ich mich hell kleiden, damit etwas im Foto zu erkennen ist. Soll ich dazu eine Taschenlampe benutzen, um eine helle, ausbegrannte Stelle zu erzeugen? Wieder Fragen über Fragen.

In einem Artikel auf kwerfeldein habe ich einmal bei einer Serie gesehen, was bei einer längeren Belichtungszeit von 1/8 oder 1/6 Sekunde und mit einem Vorhang entstehen kann. Das Modell darin hatte sich einen weißen Vorhang übergeworfen und bewegte sich. Durch diese Bewegungen bei einer langen Belichtungszeit kamen Verwischungen zustande.

Es waren nur noch Umrisse, Schatten und dunkle Teile des Gesichtes zu erkennen. ?Genau das, was ich wollte! Ich startete mit meiner Kamera, einem Stativ und einem alten, stinkenden Vorhang an meinen ersten Lieblingsort.

Dworzak wurde einmal gefragt, wie man Fotograf wird.
Seine Antwort fiel knapp aus: Man nimmt einen Fotoapparat und fährt irgendwohin.

Das erste Foto entstand auf dem Spielplatz hinter unserem Haus. Ich richtete meine Kamera – ein 50mm f/1.4 an einer Canon EOS 5D Mark II – aus und schoss erste Testfotos zur Kontrolle der Belichtungszeit, des Ausschnitts und der Schärfe. Und nun – Vorhang schnappen, Selbstauslöser an und sprinten!

Zur Info: Es ist wirklich nicht einfach, während des kurzen Sprints vor die Kamera den Vorhang umzuwerfen und nicht hinzufallen, so mitten in der Nacht…

An der richtigen Stelle angekommen, mit dem Vorhang über mir, beobachte ich die Kamera – in der Hoffnung, dass ich selbst nicht beobachtet wurde. Das blinkende Licht bleibt stehen, das heißt in drei Sekunden belichtet die Kamera, das Licht geht aus – klick. In einer gebückten Stellung bewegte ich mich langsam hin und her. Klick – nach 20 bis 30 Sekunden ist die Kamera fertig.

Also schnell wieder zurück, um mir das Ergebnis anzuschauen. Ich war begeistert! Ich hatte einen Geist in ein Foto gezaubert!

Einige Versuche, Änderungen an den Kameraeinstellungen und meiner Position später, ging es weiter zur nächsten Location. 20 Meter nach rechts, zur Schaukel. Dort und auch bei den anderen Locations: Jedes Mal das gleiche Spiel.

Bei meiner Ausführung habe ich auf den gleichen Bildausschnitt, die Größe des Geistes, die Höhe des Horizontes und ähnliche Dinge geachtet. Die letzten beiden Fotos, in der Badewanne und bei meinen Eltern im Bett, musste ich leider eine Ausnahme machen. Für mich persönlich gehören sie dennoch zur Serie, sie erzählen so viel über mich und meine Kindheit. Und das ist für mich in meiner Serie essenziell.

Für die Bearbeitung habe ich in Lightroom nur die Sättigung etwas rausgenommen, das Schwarz und Weiß leicht angehoben und einen dezenten Grünstich mit eingebaut. Diese Färbungen sind mir sehr wichtig.

Vor zwei Jahren bin ich in der Türkei während der Fahrt von meinem Roller gefallen, und soweit ich mich erinnern kann, habe ich in diesem „Moment des Sturzes“ alles mit einem Mix aus Grün und Sepia gesehen.

Bei der Präsentation meiner Serie in der Schule wussten alle Dozenten und Kommilitonen sofort, dass es sich um Erzählungen aus meiner Kindheit handelt. Ziel erreicht, oder? Ein paar wenige meinten, ich solle alle Fotos noch einmal neu fotografieren, allerdings ohne diesen Geist. Sind es dann nicht nur langweilige Landschaftsfotos?

Die Serie ist für mich noch nicht vollständig. Es fehlen vor allem noch einige Fotos von meinem allerliebsten Lieblingsort auf der Welt – der Türkei – meiner zweiten Heimat. Außerdem werde ich noch Fotos meiner Jugend, dem Erwachsenwerden und so weiter fotografieren. So wird das dann hoffentlich auch bis zum Schluss weitergehen.

Für mich persönlich ist diese Serie eine wundervolle Bereicherung. Alte, fast vergessene Erinnerungen kommen wieder hoch. Hoffentlich gefällt Euch meine Serie, vielleicht konnte ich den einen oder anderen inspirieren, auch so etwas oder Ähnliches zu fotografieren.

Auf Kritik und Anregungen in den Kommentaren freue ich mich schon sehr!


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Ich freue mich auf Herbst & Winter

28 Sep

Ich fotografiere gern – egal, bei welchem Wetter. Ob brechend heiß, schwül oder bei Regen – egal. Doch auf eines freue ich mich immer ganz besonders: Die kalten Monate des Jahres. Eine Ode an Herbst und Winter.

Seitdem ich mir angewöhnt habe, jeden Tag ein wenig zu fotografieren, drängt es mich auch täglich nach draußen. Mir fehlt direkt etwas, wenn ich morgens den nicht Auslöser gedrückt und mindestens eine halbe Stunde in Lightroom an den Bildern rumgefrickelt habe. Seither weiß ich auch die Vor- und Nachteile unterschiedlichen Wetters zu schätzen.

Bei knalligem, direktem Sonnenlicht bekommen die Karlsruher Straßen einen ganz besonderen Reiz, ich spiele gern mit Schatten und harten Kontrasten. Wenn es regnet, hüpfe ich ins Auto und integriere die an der Frontscheibe herunterkullernden Wasserkugeln ins Bild.

Bei Gegenlicht bin ich sowieso voller Freude, da ich dann mit Silhouetten die Menschen von der Sonne umzeichnen lassen kann. Zu später oder früher Stunde belichte ich bis zu einer achtel Sekunde aus der Hand und so versinken Menschen in der Bewegungsunschärfe, während die Architektur scharf bleibt.

Und so weiter und so fort.

Doch meine Freude am Fotografieren bekommt ein extra Sahnehäubchen, wenn es draußen kühler wird, die Menschen mit Schals und schwarzen Mänteln zur Arbeit laufen. Dann, wenn eigentlich niemand raus will, aber einem drinnen die Decke auf den Kopf fällt. Dann – und ich kann gar nicht begründen, warum – geht es mir innerlich richtig gut.

Ich freue mich auf Wälder voller Nebel, den Schnee auf den Straßen (wenn er denn liegen bleibt) und auf die Farben des Herbstes. Da ich nur schwarzweiß fotografiere, werde ich das Herbstrot ganz ohne Kamera genießen, was der Sache meines Erachtens keinen Abbruch tut.

Ich freue mich darauf, jeden Tag ein bisschen davon festzuhalten, wie sich die Menschen frierend und bibbernd an ihren Schirmen festhalten und ihr Atem als Rauch gen Himmel steigt. Glühwein, Einkaufen, Mützen tragen – das volle Programm. Das eigentlich Schaurig-Düstere nehme ich oft gar nicht als solches wahr, sondern entwickle da eine Freude dran, die mir (zugegeben) teilweise selbst etwas suspekt ist.

Doch so bin ich nunmal, die heißen Monate haben mich schon von der Kindheit her nie so interessiert, wie der kalte November, in dem auch mein Geburtstag liegt. Meine sonnenempfindliche Haut, der Hang zu melancholischer Musik, all das hängt eng verwoben zusammen.

Dass ich mit meiner Vorliebe für Herbst und Winter nicht ins Klischee eines strandverliebten Deutschen passe, ist mir schon klar. Das ist mir aber herzlich egal. Ich werde wieder viele neue Fotos machen und den Auslöser genau so oft drücken wie im Sommer.

Da ich mich innerlich zu den kalten Monaten hingezogen fühle, ist auch das Fotografieren im Winter für mich eine Freude. Ich weiß, das klingt widersprüchlich, ist es aber in meinen Augen (durch meinen Sucher) nicht. Dazu ein paar Beispiele:

Bei Regen tragen viele Menschen Schirme. Und Menschen mit Schirmen finde ich zeitlos und interessant. Außerdem addiert dieses Element Aufmerksamkeit. Auf einem Foto mit Schirm schaue (ich zumindest) erst zum Schirm, denn es ist eine vertraute, schöne Form.

Regen auf dem Boden ist eine perfekte Vorlage für ein Spiegel-Bild. Jetzt muss nur noch eine Person durchs Bild laufen und der Hintergrund einigermaßen passen. Perfekt.

Nebel ist am frühen Morgen, wenn die Studenten in Karlsruhe zur Uni radeln (oder rennen) für mich Gold wert. Wenn andere sagen “och nö, alles grau und neblig draussen”, denke ich: “Geil.” Insbesondere mit schwarzweiß bringt Nebel immer eine ganz eigene Stimmung mit sich, die ich häufig in einem Foto nochmal verstärken kann, wenn ich die Farbdimension herausnehme. Selbiges gilt auch für reine Landschaftsaufnahmen, beispielsweise, wenn eine sich schlängelnde Straße im Nichts verschwindet.

Bei Schnee kann ich (ähnlich wie bei Regen) mich einfach in ein Auto oder eine Bahn setzen und die Schneeflocken als natürliche “Dust & Scratches” benutzen, um die Bilder etwas trashiger zu gestalten.

Weiter ergibt sich durch das viele Weiß ein natürlicher Kontrast zu den herumwuselnden Menschen, die oft in dunklen Kleidern durch den Schnee stapfen.

In der Landschaft kann ich Bäume mittels Schnee von der Umgebung etwas “isolieren” (siehe Bild ganz oben) und auch so kann ein und die selbe Landschaft mit Schnee bedeckt einen komplett anderen Charakter haben als im Sommer.

Das sind nun ein paar wild herausgegriffene Aspekte, die das Fotografieren im Herbst und Winter für mich so verlockend machen. Ich werde die kommende Zeit dazu nutzen, möglichst viele Fotos zu machen. Und ich freue mich drauf. Ich freue mich auf Herbst und Winter.


KWERFELDEIN | Fotografie Magazin

 
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