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Wieso Zoom? Ich kann doch laufen.

29 Jan

Ein Beitrag von: Peter Breuer

Die Straße ist das mobilste Bühnenbild der Welt. Ein paar Schritte vorwärts und im Sucher der Kamera verschieben sich der Hintergrund und das komplette Mobiliar der Szene gegeneinander – die Laterne, die eben noch das Bild am Rand begrenzte, zerschneidet plötzlich die Szenerie in zwei Hälften. Lässt sich das für die Dramaturgie nicht nutzen oder ist sogar kontraproduktiv? Dann lauf weiter.

Street I © Peter Breuer

Straßenfotografie kann das antizipierende Flanieren eines Henri Cartier-Bresson, Brassaï, Alfred Eisenstaedt oder Robert Doisneau sein, die ihre bildnerischen Zufälle nicht bloß fanden, sondern sie sogar provozierten: Indem sie warteten, bis die Situation, deren Geschehen sie nur vermuteten, sich tatsächlich in dem Bildausschnitt ereignete, den sie als Bühne für ideal hielten.

Oder extremer noch – wie Lee Friedlander – der Schicht um Schicht überlagerte: Spiegelungen von Glas, Himmel und Chrom oder gestaffelte urbane Landschaften, die durch die Personen, die ins Bild traten, zur Erzählung wurden. Kontaktabzüge von Cartier-Bresson belegen, dass vor dem auf den Punkt genauen „decisive moment“, für den er bekannt wurde, auch etliche weniger entscheidende Augenblicke lagen.

Street II © Peter Breuer

Mit dem Erscheinen von Robert Franks Bildband „The Americans“ in 1958 änderte sich der Fokus der Straßenfotografie erstmals – vom genialen Einzelbild zum Denken in filmischen Serien, die sich von der Totalen in die Halbnahe bewegen und auch mit unterstützenden Bildern und Bildpaaren arbeiteten.

Street IV © Peter Breuer

Einer der konzeptionellsten Straßenfotografen der Fotografiegeschichte ist lediglich eine literarische Figur: Der von Paul Auster erdachte Auggie Wren ist der Besitzer eines Tabakladens in Brooklyn. Im von Paul Auster und Wayne Wang inszenierten Film „Smoke“ spielt Harvey Keitel jenen Auggie, der jeden Morgen die gleiche Kreuzung vor seinem Geschäft dokumentiert.

Ohne Rücksicht auf Komposition und Licht lässt er seine Fotografien der Kreuzung Atlantic Avenue und Clinton Street einfach „passieren“ und baut aus der schieren Monumentalität von 4000 Fotografien ein Zeitdokument, in dem Menschen sich auf dem Weg zur Arbeit begegnen, laufen, stolpern und zwangsläufig auch altern.

Street III © Peter Breuer

Was einen Straßenfotografen auszeichnet, ist seine eigene Unsichtbarkeit. In dieser Disziplin ohne Regieanweisungen ist es kein Nachteil, eine unscheinbare Erscheinung zu sein. Auffällig lange Teleobjektive verbieten sich ohnehin von selbst: Ein Straßenfotograf ist weder ein Sniper, noch ein Paparazzo, sondern lediglich ein Passant, der seine Augen durch eine Kamera ersetzt.

Es ist kein Zufall, dass die ideale Brennweite für viele Straßenfotografen zwischen 28 und 50 Millimetern liegt und nicht nur dem Vergrößerungsfaktor des menschlichen Auges, sondern auch dessen Fähigkeit zur Tiefenschärfe ähnelt. Mal ganz abgesehen von den Vorteilen verwacklungsfreier Aufnahme durch kürzere Objektivbauweise und höhere Lichtstärke.

Street V © Peter Breuer

Die gezeigten Fotografien entstanden 1987 mit einer zweiäugigen Rolleiflex auf Tri-X 400 Film von Kodak. Der Vorteil der zweiäugigen Kamera liegt in der Konzentration auf das leuchtende Bild der Fresnel-Mattscheibe, die man vor seinem Oberkörper trägt – die seitenverkehrte Abbildung entkoppelt dieses Bild noch weiter vom Augenblick und lenkt den Blick nur noch auf die Komposition.

Mit dieser Kamera ist es leicht, unsichtbar zu bleiben, ohne zum Voyeur zu werden. Für mich selbst habe ich einen ähnlich diskreten Charme von Technik erst viele Jahre später wieder mit einer Sony RX100 erlebt, die ich als stabiles, sucherloses Teil schätze, das in jede Hosentasche passt. Mit einer Chipgröße, die auch höhere ASA-Zahlen erlaubt.

Dass Bilder nicht nur nicht „gestohlen“ werden, sondern den Abgebildeten auch gezeigt werden können, ist natürlich im Digitalzeitalter ein Vorteil. Kein Fehler, wenn man zwar bei der Aufnahme unsichtbar war, während des Fragens aber so charmant wie möglich ist.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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Bilder lernen laufen, indem man sie herumträgt

25 Jan

Ich möchte Euch ein Buch über Fotografie vorstellen, das über 250 Seiten hat, in dem aber nur 19 Fotos abgebildet sind. Wer zurecht erst einmal findet, dass das etwas mager klingt, sei beruhigt: Beim Lesen entstehen unendlich viele Fotos im eigenen Kopf.

Was ist das nun für ein Buch? Es handelt sich um „Bilder lernen laufen, indem man sie herumträgt“*, geschrieben von Deutschlands einzigem professionellen Daumenkinographen Volker Gerling. Im Jahr 2012 habe ich ihn bereits interviewt. Damals endete unser Gespräch damit, dass Volker sagte, er arbeite gerade an einem Buch über seine Wanderschaften.

Volker Gerling, Bilder lernen laufen..., Verlag Metrolit

Volker Gerling, Bilder lernen laufen..., Verlag Metrolit

Hier ist es nun, wenn man so will. Das vorliegende Buch ist in weiten Teilen das Tagebuch, das Volker Gerling auf seiner ersten Wanderschaft von Berlin nach Basel geführt hat. Versehen mit einigen nachträglichen Anmerkungen und Einzelbildern aus Daumenkinos, die an verschiedenen Stellen erwähnt werden.

Nachdem Volker im Sommer 2002 bereits monatelang den Menschen auf den Straßen und Plätzen Berlins seine Daumenkinos als Wanderausstellung auf seinem Bauchladen gezeigt hatte, beschloss er, im Sommer 2003 auf Wanderschaft zu gehen. Sein Plan für dieses dreimonative Vorhaben: Von Berlin über Leipzig, Regensburg und München nach Basel reisen. Zu Fuß, ohne Geld. Unterwegs neue Daumenkinos machen.

Volker Gerling, Bilder lernen laufen..., Verlag Metrolit

Volker Gerling, Bilder lernen laufen..., Verlag Metrolit

Anfangs läuft er zwar euphorisch, aber auch etwas ängstlich, was ihn erwarten wird, los. Relativ schnell ist er erschöpft, weil er an das stundenlange Gehen mit dem Gepäck noch nicht gewöhnt ist. Doch schnell macht er die ersten Begegnungen mit gastfreundlichen, interessanten oder auch einfach nur seltsamen Menschen. Sie geben ihm Verpflegung mit auf seine Reise und während sie seine Daumenkinos durchblättern, kann er das Leuchten und die Faszination in ihren Gesichtern beobachten.

In 36 Kapiteln kann man Volkers Reise nachvollziehen und immer mal wieder auf das hintere Vorsatz blättern, auf dem die Route quer durch Deutschland abgebildet ist. In jedem Kapitel hat mich immer wieder aufs Neue erstaunt, was für Begegnungen er hat. Wie viele Menschen neugierig auf diesen fremden Mann sind, ihm ihre Geschichten erzählen oder ihm einfach mit etwas Wasser aushelfen.

Manchmal ist er auch allein, zweifelt an allem und steigt einmal sogar als Tramper für ein paar Kilometer in ein Auto. Diese Spritztour endet aber mit dem Gefühl, dem eigenen Ich zu schnell vorausgeeilt zu sein und nun erst einmal warten zu müssen, bis man vollständig an Ort und Stelle ist. Wenn man monatelang zu Fuß unterwegs ist, bewegt man sich in einem ganz anderen Tempo.

Volker Gerling, Bilder lernen laufen..., Verlag Metrolit

Volker Gerling, Bilder lernen laufen..., Verlag Metrolit

Warum beschreibe ich das hier alles, obwohl es nur wenige Fotos zu sehen gibt und es auch nicht darum geht, eine Anleitung zum Fotografieren zu lesen? Weil der Blick in Volkers Tagebuch meiner Meinung nach für mein fotografierendes Ich viel wertvoller ist als jede normale Anleitung und jeder Fotoband es sein könnte.

Man erfährt einige der innersten Gedanken von jemandem, der sich für ein paar Monate der Welt relativ schutzlos ausgeliefert hat, um ihr seine Fotos zu zeigen. Seine Fotos, die in den Händen der Betrachter zu kleinen Filmen werden, zu Ausschnitten des Lebens, die sich beliebig wieder und wieder sehen oder auch anhalten oder ganz langsam, Bild für Bild, betrachten lassen.

Volker Gerling, Bilder lernen laufen..., Verlag Metrolit

Volker Gerling, Bilder lernen laufen..., Verlag Metrolit

Hier erfahre ich aus erster Hand, wie anstrengend, aber auch wunderschön – für sich selbst ebenso wie für die Menschen, die man trifft – es sein kann, sich ganz seinen Bildern zu verschreiben und der Aufgabe, sie anderen zu zeigen.

Volker hat für sich beschlossen, dass es das Beste für ihn und seine Bilder ist, mit ihnen auf Wanderschaft zu gehen. Mich regt die Lektüre seiner Erfahrungen also dazu an, mich zu fragen, was das Beste für mich und meine Bilder ist. Wie sollten sie entstehen? Wie sollte ich sie der Welt zeigen? Und muss ich dafür vielleicht auch einfach mal aus meinem bequem eingerichteten Alltag heraus?

Was aus dieser Überwindung, dem Schritt hinaus, entstehen kann, erfährt man im Epilog zur Wanderschaft. Dem möchte ich hier natürlich nicht vorgreifen, nur soviel: Die Begegnungen und Begebenheiten seiner ersten Wanderschaft wurden zu den Ausgangspunkten neuer Wanderungen und Treffen mit Fremden nach vielen Jahren. Verbindungen zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Volker Gerling, Bilder lernen laufen..., Verlag MetrolitVolker Gerling, Bilder lernen laufen..., Verlag Metrolit

Wem kann ich „Bilder lernen laufen, indem man sie herumträgt“ nun besonders empfehlen? Allen, die sich manchmal fragen, ob Bildermachen allein schon alles ist. Allen, die manchmal das Gefühl beschleicht, dass ihre Bilder nicht allein vom Tutorialslesen besser werden. Allen, die sich für die Geschichten und Gedanken hinter Bildern interessieren.

Informationen zum Buch

„Bilder lernen laufen, indem man sie herumträgt“*
Autor: Volker Gerling
Verlag: Metrolit
Seiten: 256
Abbildungen: 20, schwarzweiß
Sprache: Deutsch
Maße: 21 x 12,8 x 2 cm
Einband: Hardcover, gebunden
Preis: 18,99 €

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kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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