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Die ästhetische Form des Kapitals

08 Jan

Ein Beitrag von: Ingo Dammasch

Das Problem ist: Das Bankenviertel beeindruckt nur von oben. Zwischen den Türmen selber ist nichts los. […] Es gibt hier nichts zu sehen, wovon man später erzählen könnte. […] Touristen sieht man hier nicht, worüber man sich nicht wundert.

So beschreibt der Schriftsteller Wilhelm Genazino das Bankenviertel Frankfurts.

Und er hat Recht: Was einem stattdessen zuweilen begegnet, sind hektische Menschen, die abwechselnd einen Blick auf ihre Uhr und auf die Kamera des „Fremden“ werfen. Die Sterilität der Straßenzüge und Fassaden, deren Eingänge von modernster Kameratechnik überwacht werden, erinnern mehr an Orwells „1984“ als an die Möglichkeit, kreative Fotos zu machen.

© Ingo Dammasch

Wer sich dagegen unbeeindruckt von der „Tristesse“ zeigt und sich den Details der Wolkenkratzer widmet, erfährt ein Gefühl der kühlen Faszination für diese Gebilde. Während man Panoramabilder der Skyline schon unzählige Male gesehen hat, gibt es nur wenige Arbeiten, die sich dieser abstrakt nähern.

„Abstrakt“ heißt für mich persönlich, bestimmte Details der Fassaden oder architektonische Besonderheiten hervorzuheben. Dabei geht es mir darum, mit dieser Reduktion die Ästhetik der Architektur zu zeigen.

© Ingo Dammasch

Ob ins scheinbar Unendliche reichende Fensterfassaden oder sich darin spiegelnde Gebäude – bei jedem Spaziergang ergeben sich wieder neue Perspektiven und andere Lichtverhältnisse, die die Bildstimmung jedes Mal aufs Neue variieren lassen.

Die Motivation, ein und dasselbe immer wieder neu zu entdecken und mich bei der Motivwahl auf die Enge und das Beängstigende der Bauten einerseits und die Grenzenlosigkeit der in den Himmel ragenden Wolkenkratzern andererseits einzulassen, fasziniert mich.

© Ingo Dammasch

So zeigen die Fotos eine Eindeutigkeit, die uneindeutig bleibt. Zusammen ergeben sie eine „fotografische Spurensuche“, wie Kröner die abstrakte Fotografie definiert. Eine Spurensuche der Struktur und Beschaffenheit des Bankenviertels.

Ganz besonders hat es mir dabei der „Silver Tower“ (auch: Dresdner-Bank-Hochhaus oder Jürgen-Ponto-Hochhaus) angetan, in dem die Deutsche Bahn zuhause ist.

© Ingo Dammasch

Dieser ist architektonisch höchst reizvoll, da er als das „einzige Gebäude in Frankfurt mit runden Ecken“ gilt. Mit seinen 167 Metern Höhe war der Silver Tower bis 1991 sogar das höchste Gebäude in Deutschland.

Aufgrund der runden Ecken und der verschiedenen Bestandteile des Towers lassen sich hier unzählige lohnenswerte Perspektiven und Standpunkte ausmachen.

© Ingo Dammasch

Am Ende eines jeden Fotospaziergangs sehe ich meine Fotos durch und freue mich schon auf die Sichtung am Rechner. Im Gegensatz zu den meisten verlasse ich also mit einem Gefühl der Zufriedenheit das Bankenviertel.

In diesem Sinne lässt sich am Ende Genazino vielleicht zustimmen, wenn er sagt:

Wer Frankfurt für ungenießbar hält, hat nicht verstanden […], dass die Dynamik des Kapitals eine Macht ausstrahlt, die selber längst ästhetische Formen angenommen hat.

© Ingo Dammasch

Angefangen habe ich mit dieser Serie erst im September des vergangenen Jahres. Ich möchte das Projekt auf jeden Fall weiterführen und obwohl ich nicht sehr oft in Frankfurt bin, nutze ich doch jede Gelegenheit, einen Abstecher in diese Stadt der Gegensätze zu machen, in der urige Apfelweinwirtschaften und gewaltige Finanztürme in enger Nachbarschaft existieren.

Alle Zitate sind dem folgenden Buch entnommen: „Tarzan am Main – Spaziergänge in der Mitte Deutschlands.“ von Wilhelm Genazino. Ullstein Verlag. 2013.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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