Ein Beitrag von: Helen Sobiralski
Helen Sobiralskis Arbeiten können fantasiereich und überladen, aber auch still und zurückhaltend sein. Ihr Handwerk hat sie ganz klassisch mit einer Ausbildung zur Fotografin erlernt. Aber der Grundstein hierfür lag im Keller des elterlichen Hauses, wo sie die Dunkelkammerausrüstung und Spiegelreflexkamera ihres Vaters entdeckte.
Nach ihrer Handwerksausbildung folgte ein Studium des Kommunikationsdesign, in dem sie sich immer mehr auf konzeptionelle Inszenierungen und Portraits spezialisierte. Heute lebt sie in Berlin und arbeitet als freiberufliche Fotografin in den verworrenen Gefilden zwischen angewandter und künstlerischer Fotografie.
Drei ihrer Serien – „Cockaignesque“, „Intimacy“ und „Sophie“ fand ich besonders spannend und aufwühlend. Ich wollte mehr darüber erfahren und freue mich, dass sie mir dafür Rede und Antwort stand.
Helen, ich habe mir Deine Arbeiten alle etwas genauer angeschaut und die Serie „Cockaignesque“ hat bei mir die meisten Fragen aufgeworfen. Sie ist opulent, seltsam, anmaßend und so grausam wie ein Roman von John Irving. Erzählst Du uns ein bisschen was darüber?
„Cockaignesque“ entstand im Rahmen meiner Diplomarbeit an der Fachhochschule Dortmund, an der ich 2012 mein Fotodesign-Studium abgeschlossen habe. Insgesamt habe ich circa ein halbes Jahr, von der ersten Idee bis hin zur fertigen Strecke, daran gearbeitet.
Da alles von mir selbst, also low-budget, produziert wurde, war die Planung, Organisation und Umsetzung der einzelnen Motive sehr aufwändig und zeitintensiv. Das Shooting an sich dauerte insgesamt zwei wundervoll intensive Wochen. Soweit erst einmal zum Hintergrund der Produktion.
Jetzt etwas mehr zum Inhaltlichen: Der Titel „Cockaignesque“ verweist auf den englischen und französischen Begriff für das Utopia Schlaraffenland, Cockaigne bzw. Cacogne. Ursprünglich erzählte man sich die Legende dieses „Landes, in dem Milch und Honig fließen“ schon im Mittelalter, um sich von den Entbehrungen und der harten Arbeit des damaligen Alltags Ablenkung und Hoffnung zu verschaffen.
Im Kontext unserer heutigen, verschwenderisch-ignoranten Zeit ergibt sich für das Thema natürlich wieder eine andere, neue Relevanz. Inspiriert wurden meine Motive von bekannten Szenen dieser Legende und ich verpaarte sie mit der opulenten Ästhetik des Barock, seinen Stillleben-Motiven und dem damit einhergehenden Vanitas-Gedanken.
Es ging nicht um das Kopieren historischer Gemälde oder ihrer Ästhetik, sondern viel mehr um das Aufgreifen und Uminterpretieren einzelner Sinnbilder und das Verbinden visueller Epochen.
Innerhalb dieses Rahmens erzähle ich die Geschichte eines Mädchens, das sich im sinnlichen Überfluss dieser Welt und seiner Gestalten verliert. Die einzelnen Motive stehen im Zusammenhang miteinander und begründen sich gegenseitig. Wer möchte, kann sich aber auch auf die Suche nach seiner eigenen Geschichte in den Bildern machen, das ist mir immer am liebsten.
Ich bin gespannt, was Du über Deine Serie „Intimacy“ zu sagen hast; das Katzenbild und das Rückenbild finde ich bezaubernd. Wobei das Rückenbild auch ein seltsames Gefühl auslöst. Was steckt hinter den Bildern, welche Geschichte verbirgt sich hier?
„Intimacy“ entstand auch als eine Studienarbeit während eines Modefotografie-Seminars. Ich beschloss, mich dem Thema kritisch anzunähern und beschäftigte mich mit der Art und Weise, wie wir konsumieren, wie wir uns von der alles beschönigenden Werbung beeinflussen lassen und wie groß der Stellenwert unserer äußeren Erscheinung in unserer Gesellschaft wiegt. Das Thema ist ja so verquer.
Aus diesem Hintergrund heraus entstand die Idee, die Modelle sehr zart und zerbrechlich darzustellen und sie ihren Schmuck wie Implantate direkt unter der Haut tragen zu lassen. Hauttöne dominieren und unterstützen die Thematik; die nackt gezüchtete Katze tritt als skurriles Spiegelbild des Ganzen in Erscheinung und Interaktion.
Aber auch hier gilt: Eigentlich ist es für mich nur wichtig, was jeder Einzelne in diesen Bildern findet. Ich mag diese Serie immer noch sehr, obwohl sie mittlerweile schon einige Jahre auf dem Buckel hat. Ich freue mich, dass Du sie ausgewählt hast!
Die Serie mit dem Titel „Sophie“ ist im Vergleich zu den anderen Serien sehr still. Ich liebe die Poesie in den Bildern.
Ja, Sophie. Diese Strecke ist für mich tatsächlich etwas Neues, ich habe vorher noch nie so gearbeitet. Sie ist irgendwie ein Zwitterwesen zwischen einer inszenierten, fiktiven und der wahren Geschichte einer Person.
Die Bildideen für diese Strecke entstanden eigentlich ziemlich schnell, nachdem ich Sophie das erste Mal getroffen und fotografiert hatte. Die Motive ersponnen sich um das Bild, das ich damals von ihr gewonnen hatte. Sie hat auf mich etwas intensiv Trauriges und Zeitloses ausgestrahlt, das mich irgendwie inspirierte und berührte.
Als ich sie schließlich fragte, ob sie diese Bilder mit mir machen würde und ich ihr meine Motivideen vorstellte, sagte sie zwar direkt zu, später erzählte sie mir aber, dass sie kurz unsicher gewesen sei, weil sie privat tatsächlich gerade in einer sehr schwierigen, melancholischen und unsicheren Phase war.
Wir schlossen uns also einen Tag lang zusammen in einer leeren Wohnung ein, fotografierten den ganzen Tag über und machten zwischendurch immer wieder lange Pausen, während denen wir einfach nur redeten. Es war ein sehr intensiver und bitterschöner, irgendwie intimer Tag. Die vorherrschende Stimmung spiegelt sich tatsächlich auch in den entstandenen Bildern wider.
Vielen Dank, Helen, für den Einblick in Deine Arbeitsweise und die Entwicklung Deiner Konzeptideen.
kwerfeldein – Fotografie Magazin | Fotocommunity
You must be logged in to post a comment.