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Posts Tagged ‘fotografische’

Projekt Riga – eine fotografische Fahrradtour

28 Apr

Ein Beitrag von: Tobias Teich

Die Fotografie kam zu mir in Form einer Minolta X500. Analog. Manueller Fokus. Zwar hatte ich mich schon vorher mit digitalen Kameras versucht, sie boten mir jedoch nicht das, was ich benötigte. Was das war, wurde mir erst klar, als ich die ersten Filme der Minolta entwickelte.

Die manuelle Funktionsweise, die Festbrennweite – all das passte anscheinend wesentlich besser zu mir. Die Ergebnisse waren deutlicher mehr an dem, was ich mit den Fotos zeigen wollte, als die digitalen.

Anfänglich war mein fotografisches Interesse auf den urbanen Raum begrenzt. Ich wollte die Stadt Braunschweig, in der ich lebe und studiere, so zeigen wie ich sie empfinde. Sehr schnell konzentrierte ich mich dabei auf die vielen Fahrradleichen, die überall in der Stadt zu finden waren.

© Tobias Teich

So entstand mein erstes Projekt „Tretmühlen“. Bald erweiterte etwas anderes meinen fotografischen Horizont: Der soziale Aspekt. Durch den Austausch mit Menschen, die den gleichen Zugang zur Fotografie hatten wie ich, bekam meine Arbeit einen sichtlichen Schub.

Zunehmend versuchte ich, meine Projekte schärfer zu fassen. Es erwuchs der Wunsch nach Portraits und dem „guten“ Bild, ohne dabei eine gewisse Lässigkeit nicht zu verlieren.

So drängte es mich – wohl unterbewusst, aber bestimmt – zu einem „großen“ Projekt. Ein Projekt, das mir in vielerlei Hinsicht neue Horizonte eröffnen würde.

© Tobias Teich

So erschuf ich Projekt#Riga als Ausdruck des Wunsches, mit Kamera und Fahrrad nach Riga, der Hauptstadt Lettlands, zu fahren. Noch nie war ich allein im Ausland gewesen – und das in einer Zeit, in der gefühlt jeder Jugendliche schon einmal monatelang durchs australische Outback gewandert ist.

Zudem sollte diese Reise dann in einem Bildband und einer Ausstellung münden. Sehr schnell wurde mir bei der Planung klar, dass die Kosten für das fotografische Equipment sowie für den anschließenden Druck des Bildbandes immens werden würden.

Projekt Riga © Tobias Teich

Ein Freund gab mir den Rat, mich über Crowdfunding zu informieren. Letztendlich meldete ich mich bei Startnext an und erstellte dort eine Crowdfunding-Kampagne.

Eine Freundin erstellte ein Logo, weitere Freunde halfen mir bei den nötigen Videobeiträgen. Mit dieser Kampagne erhielt mein Vorhaben eine ganz neue Ebene.

© Tobias Teich

Ich musste mich und mein Projekt bewerben, musste argumentieren, warum ein künstlerisches Projekt, das auf den ersten Blick nur mich selbst betraf, wert war, unterstützt zu werden.

Nun gab es kein Zurück mehr. Ich konnte das Projekt nicht mehr einfach im Sande verlaufen lassen. Ich musste mich der Aufgabe stellen.

© Tobias Teich

Das Feedback war dann überwiegend positiv und so dauerte es nicht sehr lange bis ich den Betrag, der zum erfolgreichen Abschluss der Kampagne nötig war, beisammen hatte.

Er wurde sogar deutlich überschritten. So konnte ich Kleinbild- und Mittelformatfilme kaufen. Mit Unterstützung der Familie wurde ein adäquates Fahrrad gekauft.

Am 14. April 2013 ging es dann auf die am Ende 1760 Kilometer lange Reise. Zuerst durchquerte ich die Uckermark, dann ging es über Stettin (Polen) an die Ostsee.

Projekt Riga © Tobias Teich

Weiter entlang der polnischen Küste gelangte ich schnell nach Danzig. Diese erste Reisewoche ging ich sehr sportlich an und spürte, dass ich erst noch meinen Rhythmus finden musste, um meinen fotografischen Ansprüchen zu genügen.

Viel zu leicht rollt man mit dem Fahrrad an lohnenden Motiven vorbei. So entschied ich mich, die russische Exklave Kaliningrad mit teilweiser Hilfe der Bahn zu umrunden.

Projekt Riga © Tobias Teich

Dies gab mir die Zeit, mehr auf die nun litauische und dann lettische Küste und Natur einzugehen. Nach 20 Tagen hatte ich Riga erreicht.

Unglaubliche Tage lagen hinter mir, atemberaubende Natur hatte ich durchquert und unendlich lange, mal mehr oder weniger stark befahrene Straßen hatte ich befahren, krasse gesellschaftliche Brüche und Unterschiede waren mir begegnet.

Projekt Riga © Tobias Teich

Projekt Riga © Tobias Teich

Polen und das Baltikum erfahren teilweise einen unübersehbaren Boom. Überall wird viel gebaut, vieles soll noch gebaut werden. Dabei stehen oftmals gleich auf der anderen Straßenseite noch bewohnte Häuser aus einer anderen Zeit.

All das Gesehene habe ich letztendlich in den Bildband gefasst. Mit einer dreiwöchigen Ausstellung in der Braunschweiger Galerie ein Raum 5-7 (und einer in eine Party ausufernden Vernissage) beschloss ich das Projekt.

Projekt Riga © Tobias Teich

Doch auch ein Jahr nach dem Start gen Osten ist die Tour noch immer sehr präsent. Vor Kurzem stellte ich einige Bilder des Projektes im LOT-Theater Braunschweig aus, einige stellte ich für eine studentische Arbeit zur Verfügung und ein Bild wurde für eine Werbekampagne verwendet.

Zusammenfassend kann ich mit Sicherheit sagen, dass mich dieses Projekt deutlich selbstbewusster gemacht hat. Fotografisch wie persönlich. Das nächste Projekt kommt bestimmt!


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Meine fotografische Reise

31 Mar

Ein Beitrag von: Manuel Estheim

Jeder Mensch nimmt die Welt anders wahr und interessiert sich für andere Dinge. Was mich persönlich am Medium der Fotografie so sehr fasziniert, ist die Tatsache, dass alle Fotografen mehr oder weniger mit dem selben Werkzeug arbeiten, aber dabei von Grund auf verschiedene Arbeiten entstehen können.

Sieht man sich den Werdegang verschiedener Fotografen an, so wird einem ganz schnell klar, dass jeder seine ganz eigene, individuelle Reise beschreitet – und das ist meine:

Mein Arbeiten werden oft als dunkel, surreal und komisch beschrieben. Besonders in letzter Zeit frage ich mich oft, wie es dazu kommt, dass so gut wie alle meine Bilder eine zumindest unterschwellige Traurigkeit besitzen. Beantworten konnte ich mir die Frage noch nicht.

Es ist keinesfalls so, dass ich mich hinsetze und mich frage „Was könnte ich heute für ein trauriges Bild machen?“ Viel mehr gibt es da einfach diese Geschichten in mir, die unbedingt den Weg nach draußen finden müssen, um gehört bzw. gesehen zu werden.

Im Folgenden stelle ich Euch einige meiner Bilder chronologisch vor:

The ghost that haunts me, 2012 © Manuel Estheim

Dieses Bild bezeichne ich gern als meine „fotografische Geburt“. Es gab den Startschuss für eine Reihe von interessanten Entwicklungen – einerseits war es der Start eines 52-Wochen-Projektes (das ich später frühzeitig zugunsten eines 365-Tage-Projektes abbrechen sollte, dazu aber später mehr), wodurch ich nun viel öfter fotografierte.

Andererseits versuchte ich ab diesem Zeitpunkt, zu jedem Bild ein Konzept zu entwickeln und kam so meinem Ziel näher, „nicht nur schöne Fotos zu ma­chen“.

Tourist in the waking world, Februar 2012.© Manuel Estheim

Ich erinnere mich sehr gern an diese Zeit zurück, voller Motivation und Inspiration. Dies war auch das erste Bild, das von einer australischen Band als Albumcover verwendet wurde und mir so zeigte, dass ich mich wohl auf dem richtigen Weg befinde.

Take me to wonderland, März 2012 © Manuel Estheim

Auch wenn dieses Bild optisch nicht mehr viel mit meinen heutigen Arbeiten zu tun hat, halte ich es für einen unglaublich wichtigen Punkt in meiner persönlichen Entwicklung. Es war das erste Mal, dass ich über meinen Schatten sprang und mich selbst nackt in der Natur fotografierte.

Ich kann mich noch ganz genau an den Adrenalin-Kick erinnern und wie ich mich plötzlich fühlte, als würde mich nichts mehr zurückhalten. Dadurch, dass ich in dieser Zeit ausschließlich mich selbst als Modell fotografierte, lernte ich, mit dem menschlichen Körper als fotografischem Subjekt umzugehen.

Die Nachricht des Tages, Juli 2012 © Manuel Estheim

Das vielleicht wichtigste Bild in meinem gesamten Portfolio. „Die Nachricht des Tages“ war das Thema der Klausurarbeit der Aufnahmeprüfung an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz, die ich letztendlich bestand und somit seit Oktober 2012 Grafik-Design und Fotografie studiere.

Mir ist durchaus bewusst, dass unter Künstlern Kunst­schulen und Universitäten teilweise sehr negativ bewertet werden, aber für meine persönliche Entwicklung konnte mir nichts Besseres passieren. Endlich war ich unter Leuten, die meine Leidenschaft teilten, aber dennoch komplett anders arbeiten als ich, wodurch spannende, aber auch weniger spannende Diskussionen (Stichwort: Photoshop) praktisch vorprogrammiert waren.

The act of becoming nature, August 2012 © Manuel Estheim

Bis heute eines meiner absoluten Lieblingsbilder, nicht nur, weil es fast alles in einem Bild vereint, was ich liebe: Natur, ein nackter Mensch und die Verbindung dazwischen. Ich erinnere mich auch sehr gern daran zurück, wie mich mein Freund mit Moos und Dreck eindeckte, bis ich endlich zufrieden mit dem Bild war.

Good night, Oktober 2012 © Manuel Estheim

Mit diesem Bild brach ich mein 52-Wochen-Projekt zugunsten des berühmten 365-Tage-Projekts ab. Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich festgefahren in meinem Stil, die Ideen gingen mir aus und ich wollte unbedingt so schnell wie nur möglich besser werden.

Zwar war mir der enorme Zeitaufwand bewusst, den dieses Projekt mit sich bringt, aber wenn man es selbst nicht zumindest einmal probiert hat, hat man einfach keine realistische Vorstellung davon, wie hart es wirklich ist, jeden Tag ein Bild zu schaffen, mit dem man bestenfalls auch noch zufrieden ist.

The burden, November 2012 © Manuel Estheim

Während meines 365-Tage-Projektes entfernte ich mich immer weiter von Selbstportraits und mein Freund trat viel öfter vor die Linse. Dies ist eines der wenigen Selbstportraits zu dieser Zeit.

Es war einerseits eine Befreiung, ungewohnterweise einmal nur hinter der Kamera zu stehen, andererseits gab es doch besonders in der Anfangszeit einige Kommunikationsprobleme. Ich war es einfach nicht gewohnt, jemanden zu fotografieren, der nicht das fertige Bild zu 100 % im Kopf hat.

The end, Januar 2013 © Manuel Estheim

Mit diesem Bild beendete ich mein nerven- und zeitraubendes Projekt. Dafür gab es mehrere Gründe: Ich habe ganz klar den Stress, den ein Studium mit sich bringt, unterschätzt. Außerdem konnte ich es einfach nicht mehr mit mir selbst verein­baren, Bilder zu veröffentlichen, mit denen ich nicht zufrieden war und daher auch nicht überzeugt dahinter stehen konnte.

Mit dem Beenden des Projektes fiel ich in eine „fotografische Lethargie“. Plötzlich fehlten mir die Ideen und vor allem immer öfter die Motivation, meine mittlerweile angestaubte Kamera aus dem Schrank zu holen.

Half, Februar 2013 © Manuel Estheim

Umso sicherer ich mir vorher gewesen war, meinen eigenen Stil bereits gefunden zu haben, umso mehr machte sich jetzt Un­sicherheit breit. Ich kaufte mir die verschiedensten analogen Kameras und begann, mit fotografischem Film zu fotografieren.

Anfangs befriedigte mich das auch ganz gut, doch ich merkte immer mehr, dass ich mich zu eingeschränkt fühlte – konnte ich vorher meine Bilder mithilfe der Bildbearbeitung genau so umsetzen, wie ich sie in meinem Kopf hatte, so fehlte mir die­se Möglichkeit nun.

Dies soll keineswegs bedeuten, dass man Photoshop oder ähnliche Programme benötigt, um gute Bilder zu machen, es war lediglich in meinem ganz persönlichem Arbeitsprozess der Fall.

Part I, Mai 2013 © Manuel Estheim

Ich experimentierte immer mehr mit der Nacktheit, die ich nun nicht mehr versuchte, durch bestimmte Körperhaltungen oder Requisiten zu verdecken. Ich entschied mich ganz bewusst dazu, sie zu zeigen.

The longest wait, Mai 2013 © Manuel Estheim

Je mehr ich mit den verschiedensten Dingen experimentierte, desto mehr fiel mir auf, dass meine Bilder zwar optisch anspre­chend waren, jedoch immer mehr an Inhalt, der mir immer so immens wichtig war, verloren ging. Einmal mehr stand also fest: Etwas musste sich ändern.

Daher orientierte ich mich wieder mehr an meinen fotografischen Wurzeln und setzte da an, wo ich aufgehört hatte, zufrie­den mit meinen Arbeiten zu sein: Vor dem Start meines 365-Tage-Projektes.

Manche mögen dieses Bild vielleicht als Rückschritt sehen, doch für mich bedeutete es eine Rückkehr zu meinen Wurzeln und den Versuch, meine experimentellen Ansätze und die immer genauer werdenden Konzepte in einem Bild zu vereinen.

Human?, August 2013 © Manuel Estheim

Natürlich hatten auch mein Studium und die zahlreichen Gespräche mit meinem Fotografieprofessor, den ich sehr schätze, Einfluss auf meine Bilder. Ich begann, noch mehr über meine Bilder nachzudenken, aber auch Strukturen waren mir zu die­ser Zeit wichtig. In „Human?“ versuchte ich, einen Menschen darzustellen, der jedoch als Teil der Natur funktioniert.

The heavy weight, Oktober 2013 © Manuel Estheim

„The heavy weight“ ist bis heute mein ungeschlagenes Lieblingsbild. Das erste Mal seit meinen Anfängen war ich wieder richtig zufrieden und auch das Gefühl, endlich (wieder) einen eigenen Stil gefunden zu haben, bereitet mir immer noch ein warmes Gefühl im Herzen, wenn ich daran zurückdenke.

Entwined forever, Oktober 2013 © Manuel Estheim

Das Gefühl, endlich wieder auf dem richtigen Weg zu sein, beflügelte mich regelrecht und so traute ich mich auch an Bilder heran, von denen ich im Vorhinein absolut keine Ahnung hatte, ob sie denn überhaupt möglich wären bzw. ob ich gut genug wäre, sie möglich zu machen.

„Entwined forever“ machte mir eines klar: Das Limit bin ich selbst. Kann ich mir ein Bild vor­stellen, so kann ich es auch umsetzen. Vielleicht nicht beim ersten, zweiten oder sogar dritten Mal, aber irgendwann ganz bestimmt! Das mag sich jetzt sehr naiv anhören, aber diese Änderung meiner Einstellung half mir ungemein.

The Inbetween, März 2014 © Manuel Estheim

Als ich mit diesem Bild abgeschlossen hatte, war eines für mich klar und zwar, dass es sich um ein misslungenes Experiment handelt.

Erst, nachdem ich mich selbst davon distanzierte und es in einem neuen Licht noch einmal betrachtete, kam ich zu der Erkenntnis, dass es manchmal nur ein bisschen Abstand von seinen eigenen Arbeiten braucht, um sie wirklich schätzen zu lernen.

A sacrifice, März 2014 © Manuel Estheim

„A sacrifice“ ist mein aktuellstes Bild und sieht man genauer hin, so fällt einem auf, dass es mein gesamtes Portfolio in einem gewissen Sinn in einem Bild vereint: Der nackte Körper, die dunkle Natur als Hintergrund, die Verschmelzung von Mensch und Natur.

Ich blicke nun also auf meine bisherige Reise als Fotograf zurück und schon drängen sich wieder neue Fragen auf: Hätte ich etwas anders machen, an gewissen Punkten eine Abkürzung nehmen sollen? War das Experimentieren mit Film wirk­lich nötig oder hätte ich die Zeit lieber nutzen sollen, um meinen alten Stil weiterzuverfolgen?

Natürlich wäre mein Portfolio größer, hätte ich den einen oder anderen Umweg nicht eingeschlagen, doch letztendlich sind auch diese Umwege wichtige Pfade meiner Reise gewesen, ohne die ich jetzt nicht der Mensch wäre, zu dem ich geworden bin.

Ich kann mit Stolz sagen, dass ich jetzt an einem Punkt angekommen bin, an dem ich genau weiß, was mein Ziel ist: Dunkle, surreale und seltsame Bilder zu schaffen, die Menschen zum Denken anregen und mit denen sich vielleicht sogar der eine oder andere identifizieren kann.

In der BeHuman Galerie kann man übrigens seit dem 15. März einige meiner Arbeiten sehen. Wer also zufällig in Texas weilt, ist herzlich willkommen.


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Ein Plädoyer für das fotografische Flanieren

01 Mar

Ein Beitrag von: Eric Pawlitzky

Nichts provoziert das Auge mehr als eine fremde Landschaft, ein fremder Mensch, das Unbekannte. Und nichts ist langweiliger als Sehenswürdigkeiten zu fotografieren. Also fährt man am besten dort hin, wo die Begegnung mit Sehenswürdigkeiten eher nicht droht, z.B. nach Osteuropa.

Das Risiko, Bekanntem zu begegnen, kann man weiter reduzieren, indem man einen geografischen Zufallsgenerator zwischenschaltet. Das habe ich im Sommer 2012 getan, indem ich mit Frau und jüngstem Kind (zwei hervorragende Entschleunigungsfaktoren) den Versuch unternahm, einmal mit der Eisenbahn entlang der EU-Ostgrenze von Tallinn nach Constanta zu reisen.

Man kommt so etwa nach Paldiski, Tartu, Muszyna, Galati oder St. Gheorghe. Das sind Orte, an denen ich nie zuvor gewesen bin. Und das sind Orte, die von den Reiseführern bestenfalls einen Dreizeiler an Aufmerksamkeit erhalten. Man kommt also an und ist wunderbar planlos.

© Eric Pawlitzky

Fotografisch ist das eine Herausforderung. Klar, man könnte auf einer solchen Reise ohne Ende Bahnhöfe, Lokomotiven, Leute im Zug fotografieren, wenn man sechs Wochen an jedem dritten Tag Eisenbahn fährt oder immer das Rathaus oder den Blick aus dem Fenster nach dem Aufwachen am Morgen.

Mein Ziel aber war es, mein Sehen zu schulen, die Flüchtigkeit der Aufenthalte so gut wie möglich zu nutzen. Also in vergleichsweise kurzer Zeit Dinge zu finden, die ein Bild wert sind, Menschen, deren Sprache man nicht kennt, zu einem Portrait zu überreden (mit Gesten und freundlichen Blicken), etwas Typisches finden, den Klischees trotzen oder genau denen auch mal freien Lauf lassen.

Das habe ich zuvor in Berlin geübt. An einem verregneten Sommertag hatte ich die Idee, von Flughafen zu Flughafen zu laufen, von Schönefeld nach Tegel. Das sind etwa 30 km, die man in gut sechs Stunden schaffen kann. Also mit dem Lineal einen Strich über den Stadtplan gezogen und los.

Und siehe da, ich kam durch Straßen, deren Existenz mir völlig unbekannt war. Fast schon sprang mich die Langeweile an. Dann hatte ich meine Geschichte. Ein geradezu spöttisch wirkendes Plakat – in der gesamten Stadt verteilt. Das habe ich dann fotografiert mit dem umgebenden städtischen Raum, immer wieder.

© Eric Pawlitzky

Dann fiel mir auf, wie viele Gemüsehändler es auf den Fußwegen gibt, wie interessant die Spuren der fünfziger Jahre sind.

© Eric Pawlitzky

Das war die Fingerübung für die Reise durch immerhin sieben Länder. Ich wollte etwas über Osteuropa erzählen, das über einen klassischen Reisebericht hinausgeht. Ich suchte nach Bildern, nicht nach Motiven.

Das war der Versuch, die Umgebung anzusehen, als wäre sie eine Sammlung interessanter Grafiken. Die musste man eigentlich nur entdecken und ablichten. Ich wollte nicht zuerst erzählen, ich wollte zuerst die Bilder. Und siehe da – mit den Bildern kamen auch die Geschichten.

© Eric Pawlitzky

3.000 km und 3.000 Auslösungen später eine Ausstellung. Die Eindrücke waren noch frisch, für eine wirkliche Quintessenz fast zu früh. Ich habe 200 Bilder gezeigt – verpackt in zwanzig Schachteln, die die Besucher öffnen konnten, in denen man stöbern durfte.

Die Idee: Die Betrachter ein wenig verwirren und keine Sortierung nach Ländern oder Chronologie, sondern aus den Bildern Geschichten und Zusammenhänge filtern, die mit den Orten oft nur noch indirekt zu tun haben. Mit Themen, denen man unterwegs begegnet ist und die sich im Laufe der Reise oder erst danach als Erzählstrang verdichten.

© Eric Pawlitzky

Jede Schachtel eine Geschichte, „Black Box“ im doppelten Sinne. Und die Einladung zu den Geschichten jeweils ein großformatiger Print an der Wand der Galerie. 20 Einladungen, die Schachteln aufzumachen und die Geschichten anzusehen.

Das hat funktioniert: Die Leute waren neugierig und es gab zu einigen Schachteln, z.B. zu denen mit den Themen „Waiting Europe“ oder „Gott“ regelrechte Warteschlangen.

© Eric Pawlitzky

Warum dieses Plädoyer für das fotografische Flanieren? Bei einer klassischen Bildreportage reduzieren sich die Bilder oft auf Illustrationen des Erwartbaren. Der Fotograf hat die Geschichte im Kopf und sucht nach einer visuellen Umsetzung. Aber warum nicht auch einmal umgekehrt vorgehen und den Bildern den Vorrang geben?

Die Ausstellung „Tallinn – Constanta – 3.000 km Europa“ ist vom 28. Februar bis zum 5. April 2014 in der Galerie im Stadtspeicher des Jenaer Kunstvereins zu
sehen.


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Ein Plädoyer für das fotografische Flanieren

28 Feb

Ein Beitrag von: Eric Pawlitzky

Nichts provoziert das Auge mehr als eine fremde Landschaft, ein fremder Mensch, das Unbekannte. Und nichts ist langweiliger als Sehenswürdigkeiten zu fotografieren. Also fährt man am besten dort hin, wo die Begegnung mit Sehenswürdigkeiten eher nicht droht, z.B. nach Osteuropa.

Das Risiko, Bekanntem zu begegnen, kann man weiter reduzieren, indem man einen geografischen Zufallsgenerator zwischenschaltet. Das habe ich im Sommer 2012 getan, indem ich mit Frau und jüngstem Kind (zwei hervorragende Entschleunigungsfaktoren) den Versuch unternahm, einmal mit der Eisenbahn entlang der EU-Ostgrenze von Tallinn nach Constanta zu reisen.

Man kommt so etwa nach Paldiski, Tartu, Muszyna, Galati oder St. Gheorghe. Das sind Orte, an denen ich nie zuvor gewesen bin. Und das sind Orte, die von den Reiseführern bestenfalls einen Dreizeiler an Aufmerksamkeit erhalten. Man kommt also an und ist wunderbar planlos.

© Eric Pawlitzky

Fotografisch ist das eine Herausforderung. Klar, man könnte auf einer solchen Reise ohne Ende Bahnhöfe, Lokomotiven, Leute im Zug fotografieren, wenn man sechs Wochen an jedem dritten Tag Eisenbahn fährt oder immer das Rathaus oder den Blick aus dem Fenster nach dem Aufwachen am Morgen.

Mein Ziel aber war es, mein Sehen zu schulen, die Flüchtigkeit der Aufenthalte so gut wie möglich zu nutzen. Also in vergleichsweise kurzer Zeit Dinge zu finden, die ein Bild wert sind, Menschen, deren Sprache man nicht kennt, zu einem Portrait zu überreden (mit Gesten und freundlichen Blicken), etwas Typisches finden, den Klischees trotzen oder genau denen auch mal freien Lauf lassen.

Das habe ich zuvor in Berlin geübt. An einem verregneten Sommertag hatte ich die Idee, von Flughafen zu Flughafen zu laufen, von Schönefeld nach Tegel. Das sind etwa 30 km, die man in gut sechs Stunden schaffen kann. Also mit dem Lineal einen Strich über den Stadtplan gezogen und los.

Und siehe da, ich kam durch Straßen, deren Existenz mir völlig unbekannt war. Fast schon sprang mich die Langeweile an. Dann hatte ich meine Geschichte. Ein geradezu spöttisch wirkendes Plakat – in der gesamten Stadt verteilt. Das habe ich dann fotografiert mit dem umgebenden städtischen Raum, immer wieder.

© Eric Pawlitzky

Dann fiel mir auf, wie viele Gemüsehändler es auf den Fußwegen gibt, wie interessant die Spuren der fünfziger Jahre sind.

© Eric Pawlitzky

Das war die Fingerübung für die Reise durch immerhin sieben Länder. Ich wollte etwas über Osteuropa erzählen, das über einen klassischen Reisebericht hinausgeht. Ich suchte nach Bildern, nicht nach Motiven.

Das war der Versuch, die Umgebung anzusehen, als wäre sie eine Sammlung interessanter Grafiken. Die musste man eigentlich nur entdecken und ablichten. Ich wollte nicht zuerst erzählen, ich wollte zuerst die Bilder. Und siehe da – mit den Bildern kamen auch die Geschichten.

© Eric Pawlitzky

3.000 km und 3.000 Auslösungen später eine Ausstellung. Die Eindrücke waren noch frisch, für eine wirkliche Quintessenz fast zu früh. Ich habe 200 Bilder gezeigt – verpackt in zwanzig Schachteln, die die Besucher öffnen konnten, in denen man stöbern durfte.

Die Idee: Die Betrachter ein wenig verwirren und keine Sortierung nach Ländern oder Chronologie, sondern aus den Bildern Geschichten und Zusammenhänge filtern, die mit den Orten oft nur noch indirekt zu tun haben. Mit Themen, denen man unterwegs begegnet ist und die sich im Laufe der Reise oder erst danach als Erzählstrang verdichten.

© Eric Pawlitzky

Jede Schachtel eine Geschichte, „Black Box“ im doppelten Sinne. Und die Einladung zu den Geschichten jeweils ein großformatiger Print an der Wand der Galerie. 20 Einladungen, die Schachteln aufzumachen und die Geschichten anzusehen.

Das hat funktioniert: Die Leute waren neugierig und es gab zu einigen Schachteln, z.B. zu denen mit den Themen „Waiting Europe“ oder „Gott“ regelrechte Warteschlangen.

© Eric Pawlitzky

Warum dieses Plädoyer für das fotografische Flanieren? Bei einer klassischen Bildreportage reduzieren sich die Bilder oft auf Illustrationen des Erwartbaren. Der Fotograf hat die Geschichte im Kopf und sucht nach einer visuellen Umsetzung. Aber warum nicht auch einmal umgekehrt vorgehen und den Bildern den Vorrang geben?

Die Ausstellung „Tallinn – Constanta – 3.000 km Europa“ ist vom 28. Februar bis zum 5. April 2014 in der Galerie im Stadtspeicher des Jenaer Kunstvereins zu
sehen.


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China als fotografische Herausforderung

28 Dec

Ein Beitrag von: Paulina Metzscher

China ist kurios – ein Land der Andersartigkeit. Wo Lichter tanzen und alles in Bewegung ist, ein Ort, an dem nichts ruht. Die Straßen sind ein einziger Tumult, Menschenmassen drängen sich aneinander. Man spürt, wie China atmet, es pulsiert. Inmitten dieser fremden Welt befand ich mich für einen Monat mit meiner Freundin, reiste vom Süden in den Norden, die Reise an sich das Ziel.

© Paulina Metzscher

© Paulina Metzscher

Fremde ist eine Empfindung, in der man sich gleichermaßen glücksberauscht und verloren fühlen kann. Nicht selten aber fand ich pure Faszination in ihr.
Denn auch in der Ferne konnte ich mich auf ein Stückchen Vertrautheit berufen: Meine Kamera als ständigen Begleiter. So fing ich an, zu dokumentieren. Erst nur Orte, an denen wir uns befanden und dann immer mehr auch Menschen und ihre Umgebung.

Schnell legte ich, beflügelt durch Begegnungen, meine anfängliche Scheu ab, Menschen im Reich der Mitte zu portraitieren: Eine Einladung auf eine Tasse Tee oder ein kleiner Junge, der immer wieder voller Freude meine Kamera ausprobieren wollte. Fotografieren wurde damit noch viel mehr als es das sonst war, zu einer Begegnung.

© Paulina Metzscher

© Paulina Metzscher

Ehe ich mich versah, fand ich mich in einem für mich ganz neuen, bisher noch unbekanntem Bereich wieder: Der Straßenfotografie. Und was ich entdeckte, eröffnete neue Dimensionen. Erneut erlaubte mir das Fotografieren, zu reflektieren, mich mitzuteilen und den unglaublichen Schwall der Eindrücke von neuartigen Umgebungen, Menschen und einer andersartigen Kultur zu verarbeiten.

So hatte ich ein Stückchen Vertrautheit mit in die Ferne genommen und das schaffte Raum für die neuen Eindrücke. Oftmals wünschte ich mir, mehr als nur ein Augenpaar zu haben, um die Fülle an Eindrücken, die unentwegt auf mich einströmte, wirklich in mich aufsaugen zu können.

© Paulina Metzscher

© Paulina Metzscher

Wenn ich jetzt die Fotografien betrachte, die auf meiner Reise entstanden sind, sehe ich Menschen, die inne halten und eigentlich so gegensätzlich erscheinen zu dem, was mir in China begegnet ist: Nichts schien jemals zum Stillstand zu kommen. China – bunt, laut und schnell – findet sich nicht wirklich in meinen Fotografien wieder.

© Paulina Metzscher

© Paulina Metzscher

Die Inhalte bleiben dieselben, die mich auch sonst anziehen: Sehnsucht, Stille, Leere, Einsamkeit, Emotionen und Mystik. So sehr es mich selbst erstaunt, habe ich auf dieser Reise festgestellt, dass auch in neuen Umgebungen und unter anderen Umständen, ja sogar in einem neuen Bereich der Fotografie, diese Inhalte an mir zu haften scheinen bleiben.

Doch ich weiß auch, dass es genau das ist, wonach in China gesucht habe. Und ich glaube, ich bin fündig geworden. Fündig, nicht nur bei Menschen, sondern auch in den großartigen Landschaften Chinas, die mir flüchtige Momenten des Innehaltens und ruhige Augenblicke inmitten des Lärms und der Bewegung versprachen.

© Paulina Metzscher

© Paulina Metzscher

Durch die Linse meiner Kamera konnte ich mich in die kleinen Wunder des Alltags stehlen und an ihnen teilhaben. Dort ein kleines Mädchen, sehnsuchtsvoll aus dem Zugfenster schauend, hier eine alte Frau, in sich gekehrt auf der Straße, ein Wolkenmeer über den Bergen, ein Opa mit seiner Enkelin, gedankenverloren, Nebelschwaden in den Wäldern, Menschen, die innehalten, träumend in die Welt schauen, manchmal verloren wirkend, einsam.

© Paulina Metzscher

© Paulina Metzscher

Aus der Masse sind plötzlich Individuen geworden und das gefällt mir, denn auf diese Art und Weise ist es leichter zu erinnern. Und die Reise, plötzlich bestimmt von Gelegenheiten und Menschen, die uns begegneten und einen Blick in ihre Welt erhaschen ließen.

Menschen, die für mich, sobald ich Bilder mit ihnen verbinde, nicht mehr fremd erscheinen, sondern Teil meiner Erinnerung, meiner Fotografien wurden. Und so versuchte ich, mir in der Fremde einen Raum für Vertrautes zu schaffen und auf meine Art und Weise das Reich der Mitte zu erkunden.


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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