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Fotografie mit flimmernden Fäden

03 Dec

Ich traf den chilenischen Künstler Jose Romussi in seinem Berliner Atelier. Eingedeckt mit Künstlerbüchern, Fäden und Nadeln, einer Nähmaschine und inspirierender Kunst an den Wänden lud der kleine Studier- und Arbeitsraum zu einem längeren Gespräch ein.

Vor einiger Zeit begann ich, mich für fotografische Collagen zu interessieren, die mit Fäden gearbeitet sind. Als eine der Gründerinnen der „Stick- und Fadencollage“ gilt Annegret Soltau, die private Bilder unter Berücksichtigung eines biografischen Hintergrunds vernäht hat.

Neuere Beispiele stammen von Maurizio Anzeri, Melissa Zexter, Claudia Gutierrez oder Inge Jacobson.

Ich stieß schließlich im kürzlich im Gestalten Verlag erschienenen Buch „The Age of Collage“ auf Jose Romussis Kunst. Besonders interessant fand ich das Zusammenspiel aus historischen Fotografien und neuzeitlichen Elementen.

Mann mit roten und blauen Fäden.

Fotografie mit Stickerei.

Jose ist ein chilenischer Künstler, der eigentlich Landschaftsarchitektur studiert hat. Damals war dies, wie er berichtet, eher ein Versuch, bestimmten gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen. Ein großes Bedürfnis, sich künstlerisch auszudrücken, verspürte er aber schon während seiner Studienzeit, als er bemerkte, dass Landschaftsarchitektur nicht zu seiner Berufung gehört.

Zur Kunst kam er eher durch Zufall. Ein Bekannter aus Amerika fragte ihn, ob er ein Künstler sei und er sagte spontan, aber nicht unüberlegt: „Ja!“ Der Bekannte bat ihn, ein paar Arbeiten zu schicken. In kürzester Zeit erstellte Jose Romussi eine große Anzahl an Collagen, auf denen er unter anderem Bilder seiner Familie integrierte. Er zeigte die Arbeiten dem Bekannten, der ihm begeistert ein Kooperationsprojekt vorschlug.

Fotocollage zweier Personen.

Nach einigen Wochen war er genauso gut wie Freunde, die Kunst an der Universität studierten. „Das war der aufgesparten Leidenschaft zu verdanken“, erzählt Romussi. Schnell hatte er sich in der Künstlerszene einen Namen gemacht. Ein stolperhafter Einstieg in die Kunst, der nur knappe drei Jahre zurückliegt.

Seitdem hat Jose Romussi an einer Vielzahl ein Einzel- und Gruppenausstellungen teilgenommen und plant die nächsten Künstleraufenthalte in New York und Chile. Die nächsten Jahre möchte er gern in der Welt unterwegs sein und seine Technik verfeinern. Eine Rückkehr zur Landschaftsarchitektur scheint eher ausgeschlossen.

Torrero © Jose Romussi

Dabei wertschätzt Romussi insbesondere die Bedeutung des Austauschs mit anderen. Vor allem in der Anfangszeit, in der sich sein künstlerisches Selbstbild langsam manifestierte, schätzte er die wohlwollende, aber auch kritische Rückmeldung seiner Freunde.

Regelmäßig arbeitet Jose Romussi eng mit anderen Künstlern zusammen. Durch die unterschiedliche Expertise, so berichtet er, käme es zu Synergie-Effekten, die ihn und andere weiterbrächten. So kam es beispielsweise zum Projekt „String Figures“, auf denen Personen, ähnlich einem Fingerspiel, Schriftzüge, U-Bahnkarten und Symbole zwischen den Händen spannen. Das Projekt entstand mit der Fotografin Rocio Aguirre Venegas.

Fingerspiel und Mann

Fingerspiel und Mann.

Wie arbeitet Jose Romussi? Er zeigt mir einige neuere Arbeiten und berichtet, dass jede der großformatigen Stickereien mehr als zwei Monate Zeit (und Geduld) benötigt. Romussi verwendete insbesondere am Anfang Vintagefotografien und vernähte die eingefrorenen Tänzerinnen und Ballerinas.

Er spricht begeistert davon, wie er die Fotografien der Ballerinas entdeckte. Die vernähten Tänzerinnen waren eine der ersten Fadencollagen, die er gestaltete. Durch die Verknüpfung der Schwarzweiß-Fotografien mit den farbigen Fäden gewinnen die Arbeiten an starkem Kontrast und wirken lebendig.

In meiner Arbeit versuche ich, meine Ideen eher intuitiv umzusetzen. Ich fertige anfangs Zeichnungen an und arbeite ein Konzept aus, aber oft entdecke ich nur über die Zeit vielfältige Schichten, die zu Beginn nicht planbar sind.

Tänzerin und Stickerei

Letztes Jahr nahm Jose Romussi an einer Ausschreibung der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) zum Thema „Kunst im Untergrund“ teil und wurde mit 12 anderen Künstlern aus 380 weltweiten Einreichungen ausgewählt, die Berliner U-Bahn mit Kunst zu bespielen.

Seine großformatigen Portraits verzierte er mit Symbolen, Schrift sowie Linien und lehnte sie konzeptuell an Pop-Art und Graffiti-Kunst an. „Die Bilder geben […] keine detaillierte Auskunft über das Leben eines Individuums, sondern transportieren Lebensgefühle“, heißt es im Ausstellungskatalog zu „Kunst im Untergrund“. Im Zentrum der Arbeiten stehen Gefühle junger Menschen, die das Großstadtbild prägen.

Porträit und Stickerei.

Jose Romussi erzählt, dass viele Leute glauben, dass er diese Technik von seiner Mutter oder Großmutter gelernt habe. Tatsächlich hat er sich das Sticken und Vernähen selbst beigebracht und nur bei schwierigen Projektideen Freunde um Rat gebeten.

Er zeigt mir die feinen Nadeln, mit denen er die Bilder verstickt. Da das Papier leicht reißt, muss er sehr sorgfältig arbeiten. So auch bei einer aktuellen Arbeit, die in Kooperation mit der Künstlerin Amanda Charchian entstand. Jose Romussi nutzte eine ihrer Fotografien und nähte der abgebildeten Frau ein schwarzes Rückgrat ein. Seine neueren Arbeiten der „Xserie“ wirken morbider und düsterer als seine vorangangenen Arbeiten. Sie markieren auch eine neue Phase seines künstlerischen Schaffens, die sich stärker inhaltlichen (statt ästhetischen) Gesichtspunkten widmet.

Frau mit genähten Knochen

Frauen mit Augen

Jose Romussis Stickereien, die nicht nur Fotografien, sondern auch Landschaftsaufnahmen und Zeitschriften verzieren, stellen eine spielerische Auseinandersetzung mit Bildsprache und Bildästhetik dar. Ungewöhnliche Materialien setzt er derzeit auch in skulpturalen Arbeiten ein, die mit Holz, Stecknadeln und Nägel verarbeitet sind.

Mehr über Jose Romussis Arbeiten findet Ihr auf seiner Webseite.


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