Ein Beitrag von: Maximilian Rempe
Die Desierto de Tabernas liegt im Süden Spaniens, 40 km nördlich von Almeria. Almeria ist bekannt für seine Gewächshäuser, die ganz Europa zu jeder Jahreszeit mit Obst und Gemüse versorgen. Möglich macht das die ungewöhnliche Wetterlage in dem Gebiet. Es regnet selten und die Sonne scheint hier so oft wie an keinem anderen Ort in Europa.
Das ist auch einer der Gründe, weshalb die Desierto de Tabernas für etwas völlig Anderes bekannt ist, auch wenn sie den meisten kein Begriff sein dürfte.
Durch einen Gebirgszug abgeschnitten von der feuchten Mittelmeerluft, erstreckt sich eine karge, felsige und staubige Ebene. Zerklüftet durch Hügel, Täler und nur bewachsen von Sträuchern und farblosen Gräsern, ähnelt die nur 280 km² kleine Landschaft den großen Wüsten Nordamerikas.
Genau deswegen entdeckten viele europäische Filmemacher in den 60er Jahren die Desierto de Tabernas als ideale Möglichkeit, echte Westernfilme in echter Kulisse zu drehen; auch mit kleinem Budget. Allen voran war es Sergio Leone, der den aufkommenden Italo-Western-Hype förderte und seine berühmtesten Werke in der Gegend rund um die Provinzstadt Tabernas produzieren ließ.
Für meine Bachelorarbeit, mit der ich mein Fotodesign-Studium in München abgeschlossen habe, war ich auf der Suche nach einem ungewöhnlichen Thema, einem ungewöhnlichen Ort. Dabei hatten es mir besonders die Wüstengegenden angetan. Die Farbwelten und Lichtstimmungen faszinierten mich schon lange und meine Abschlussarbeit erschien mir der richtige Anlass, endlich in einer Wüste zu arbeiten.
Doch in welcher und zu welchem Thema? Sicherlich gibt es viele Wüstengegenden in der Welt, doch eine reine Arbeit über Landschaften erschien mir zu wenig. Nein, es sollte schon mehr sein. Also machte ich mich auf die Suche, durchforschte das Internet und googlete nach Wüsten, Wüsten, Wüsten.
In meinen Arbeiten tauchen immer wieder marode oder unvollendete, vom Menschen verlassene Strukturen auf: Skidörfer, die nach der Schneeschmelze wie Geisterstädte zurückbleiben, wartend auf den nächsten Winter und die tausenden Skifahrer, die ihnen wieder Leben einhauchen.
Oder die Formel-1-Rennstrecke in Singapur, die einmal im Jahr eine ganze Stadt verändert und Autobahnen, Straßenzüge und ganze Viertel lahmlegt. Meine Abschlussarbeit sollte wieder in eine ähnliche Richtung gehen: Zurückgelassene Strukturen, verfallene Gebäude. Durch Zufall erfuhr ich in einem Gespräch mit einem Bekannten von der Gegend in Südspanien.
Eine Wüste! Er erzählte davon, wie er vor mittlerweile über 20 Jahren mit ein paar Freunden und einem alten Ford Escord die 2.400 km bis nach Tabernas gefahren war, um dort wandern zu gehen. Mitten in der Wüste, in einem kleinen Tal, entdeckten sie ein metallisch glänzendes, merkwürdiges Objekt. Es sah aus wie ein UFO.
Neugierig erkundeten sie ihren Fund. Es erwies sich als notdürftig aus Pappe, Holz und glänzender Folie zusammengenagelte Konstruktion. Eine Filmkulisse. Für irgendeinen Science-Fiction-Film. Doch von der Filmcrew war weit und breit nichts zu sehen und der schlechte Zustand des „UFOs“ ließ vermuten, dass sie auch schon eine Weile nicht mehr dort gewesen waren.
Die Geschichte faszinierte mich. Alte und verlassene Filmsets, mitten in einer staubigen, kargen und menschenleeren Umgebung. Ich recherchierte mehr über diese Gegend: Seit den 60er Jahren entwickelte sich die Desierto de Tabernas von einer unscheinbaren, trockenen und ungenutzten Wüste zu einem quirligen Filmset.
Insbesondere die Westernfilme fanden hier ideale Bedingungen. Sergio Leone prägte zu Beginn der 60er Jahre ein völlig neues Genre: Den Italo-Western. Leone war begeistert von den amerikanischen Filmen, die bislang den Filmmarkt beherrschten und war davon überzeugt, dass auch europäische Westernproduktionen erfolgreich sein konnten.
Mit „Per und Pugno di Dollar“ („Für eine Handvoll Dollar“) wagte er dann 1964 einen ersten Schritt. Das Budget war allerdings knapp und so reichte es nicht für die zur Zeit großen Schauspieler wie etwa Henry Fonda oder James Coburn. Stattdessen konnte der damals noch unbekannte TV-Schauspieler Clint Eastwood verpflichtet werden.
Und auch die Filmsets mussten aus finanziellen Gründen in Europa bleiben. „Für eine Handvoll Dollar“ wurde daher größtenteils in der Tabernas-Wüste gedreht, die den typischen Western-Landschaften Nordamerikas ähnelt und wurde trotz zweifelnder Kritiker, die den Film entweder gar nicht beachteten oder aber in der Luft zerissen, zu einem sensationellen Erfolg.
Clint Eastwood wurde über Nacht zu einem internationalen Filmstar und „Für eine Handvoll Dollar“ prägte eine ganz Generation von Filmen. Mit ihrem finanziellen Erfolg und den relativ günstigen Produktionskosten löste die „Dollar“-Trilogie eine wahre Flutwelle an Italo-Western aus.
Ende der 60er Jahre brodelte die Wüste. Überall wurde gedreht. Wilde Schießereien, rasante Pferdestunts und Cowboys auf der Suche nach Schätzen, Banditen und Rache. Für alle Filme wurden neben den tollen Landschaften auch Kulissen benötigt, die noch nicht vorhanden waren. Anders als es in Amerika teilweise der Fall war, gab es in der Wüste natürlich keinerlei Dörfer oder Gebäude, die ins Bild eines Westernfilms passen wollten.
Also mussten diese für die Filmproduktionen extra errichtet werden. In der Desierto de Tabernas wurden ganze Westerndörfer aus dem Boden gestampft. Bereits während der Dreharbeiten waren die Filmsets wackelig und fragil, sie sollten möglichst kostengünstig sein und sowieso nur für die Zeit der Filmproduktion halten.
Es entstanden Saloons, Banken, Forts und Dörfer aus notdürftig zusammengenagelten Holzgerüsten, Strohmatten, Putz und etwas Farbe. Zeitweise gab es so bis zu 14 Filmdörfer und Dutzende einzelne kleine Kulissen. Nach dem Ende der Dreharbeiten interessierte sich niemand mehr für die Gebilde. Für eine normale Nutzung als Haus, Lagerhalle oder Stall waren sie nicht brauchbar und ohnehin gab es in der beinahe menschenleeren Gegend niemanden, der sie hätte nutzen wollen.
Und da es noch zu früh für Naturschutz war (die Gegend wurde erst 1989 als Naturschutzgebiet ausgewiesen), verblieb alles so in der Wüste, wie es die Filmcrews zurückgelassen hatten. Viele Regisseure nutzten die schon vorhandenen Möglichkeiten, die vorherige Produktionen hinterlassen hatten, mit teilweise nur minimalen Veränderungen (neuer Anstrich, neue Requisiten) für ihre eigenen Produktionen.
So kommt es, dass in ein- und derselben Kulisse viele verschiedene Filme gedreht wurden. Kulissen, die aber längere Zeit nur sich selbst überlassen waren, fielen schnell den Witterungsbedingungen in der Wüste zum Opfer. Ein permanent kräftiger Wind und teilweise ergiebige Regenfälle im Winter setzten den Konstruktionen so zu, dass sie schon nach wenigen Jahren völlig zerstört waren.
Viele erkennt man heute so gut wie nicht mehr. Die vielen Filme sorgten dafür, dass neben Regisseuren und den großen Filmstars auch scharenweise kleine Schausteller, Stuntmen und Statisten mit der Hoffnung auf eine Rolle in die Wüste kamen.
Während der Hochphase der Filmindustrie in der Desierto de Tabernas kamen viele von ihnen in kleinen Komparsenrollen unter oder jobbten in den verschiedenen Bereichen der Filmproduktionen. Doch der Hype, der mit Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ seinen Höhepunkt fand, endete wieder.
Nach knapp zwei Jahrzehnten kehrte in der Wüste wieder Ruhe ein und mit den Filmcrews verschwanden auch Geld und Arbeitsplätze. Zurück blieben viele der Statisten und Komparsen, die versuchen, den Westernmythos bis heute weiter zu leben. Als Touristenbespaßer arbeiten sie in den drei verbliebenen, zu Themenparks umgebauten, Filmstädten „Texas Hollywood“, „Western Leone“ und „Oasys“.
Sie veranstalten Stuntshows, fahren die Gäste in Kutschen durch die staubige Wüste oder lassen sich mit kleinen Kindern fotografieren. Man merkt schnell, dass die goldenen Zeiten des Wilden Westens in Tabernas vorüber sind. Denn die Stuntshows wirken oberflächlich, improvisiert und selbst die Kulissen, die noch genutzt werden, verfallen langsam.
Was bleibt, ist eine melancholische Stimmung, die über der gesamten Desierto de Tabernas liegt. Eine Stimmung, die wahrscheinlich nur noch die eingefleischten Fans von Clint Eastwood und Sergio Leone ausblenden können, wenn sie in Nostalgie schwelgend durch die Wüste wandern. Ennio Morricones berühmte Melodie immer im Kopf.
Fotografie
Im April 2013 war ich für drei Wochen in der Desierto de Tabernas. Ich erkundete soviel wie möglich und sprach mit Touristen und Cowboys, Arbeitern und Durchreisenden. Vielen gefiel mein Projekt, eine Fotoserie über die Wüste zu machen. Dementsprechend waren auch so gut wie alle einverstanden, als ich fragte, ob ich sie fotografieren dürfe.
Verwundert waren sie dann aber über meine Kamera: analog. Mit einer Hasselblad 503 cm für die Portraits sowie einer Linhof Technorama 617s III für die Panorama-Aufnahmen von Landschaften und Filmkulissen. Zwei Mittelformatkameras, mit denen ich in 20 Tagen über 100 Rollfilme belichtet habe.
Warum analog? Seit rund einem Jahr begeistere ich mich immer mehr für die analoge Fotografie, ich hatte genug davon, meine Panoramen am Computer montieren zu müssen. Und begeistert davon, wie sorgsam und überlegt ich arbeite, wenn ich das Ergebnis nicht sofort am Monitor überprüfen kann. Die höheren Kosten und den größeren Aufwand nehme ich gern in Kauf, wenn ich mir das Stitchen und Aussortieren von Tausenden Fotos sparen kann.
Die Linhof Technorama 617s III, die ich im Equipment meiner Hochschule entdeckte, ist eine große Kamera aus massivem Metall mit einem festen, nicht wechselbaren Objektiv. Sie belichtet den Rollfilm in einem Bildformat von 3:1 mit erstaunlich wenig Verzeichnung und einer schönen Vignettierung. Zusammen mit dem feinen Korn und den Farben des Kodak Ektar 100 eine wunderbare Kombination.
Im Vergleich zur Hasselblad (6×6) ist das Negativ drei Mal so groß, die Qualität daher enorm und fast nur mit Großformatfotografie vergleichbar. Statt 12 gehen aber auch nur noch 4 Bilder auf jeden Film, so dass man ständig mit Filmwechseln beschäftigt ist. In der staubigen Gegend rund um die Westerndörfer und Filmkulissen keine leichte Angelegenheit.
Nach der Entwicklung der Filme und dem Scannen der Negative folgte die Gestaltung eines Buchs mit über 60 Fotografien, ergänzt durch kurze Texte. Das Buch ist 120 Seiten stark und in Zusammenarbeit mit einer kleinen Buchbinderei aus München entstanden.
Mit dem Buch und dem gesamten Projekt konnte ich mein Fotodesign-Studium im Juli erfolgreich beenden.
kwerfeldein – Fotografie Magazin
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