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Posts Tagged ‘diskutiert’

kwerfeldein diskutiert: Die Grenzen der Kunst 

27 Mar

© Blake Little

Die Serie „Preservation“ des Fotografen Blake Little sorgte in den vergangenen Tagen für Diskussionen rund um das Thema Ethik vs. Kunst. Wo darf oder muss Kunst gesellschaftliche Grenzen überschreiten? Wo sind der Kunst Grenzen gesetzt? Welches Maß an ethischer Reflexion ist angebracht?
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kwerfeldein diskutiert: Über die Straße

07 Jun

Als Martin und Robert sich kürzlich über Fotobücher austauschten, fiel ihnen auf, wie wenig klar die Straßenfotografie eigentlich definiert ist. Daraus hat sich ein um dieses Genre mäanderndes Gespräch entwickelt, das wir Euch nun nicht vorenthalten möchten.

Martin: Robert, könntest Du in einem Satz die Straßenfotografie beschreiben?

Robert: Ganz ehrlich: Nein. Wenn ich es dennoch versuchte, würde das vielleicht so aussehen: Ein Bild, das sich der Straßenfotografie zuordnen lässt, bildet im weitesten Sinne eine Situation des öffentlichen Lebens ab, zeigt Menschen und/oder Tiere in einem Moment der Interaktion, der im besten Fall eine kritische Reflexion auf die Zeit und den Ort der Aufnahme ist und immer Ausdruck des Fotografen. Und wie siehst Du das?

Martin: Mit der Rückfrage habe ich schon gerechnet, aber gehofft, dass ich drum herum komme. Also: Eine Straßenfotografie zeigt Leben in der Öffentlichkeit. So kurz würde ich das, glaube ich, fassen. Wobei ich sicher irgendetwas übersehen habe. Das Problem mit Definitionen ist ja, dass sie uns greifbar machen können, über was wir sprechen, aber immer irgendetwas anderes mitdefinieren.

Denn Leben in der Öffentlichkeit kann ja auch die Makroaufnahme einer Fliege sein. Das ist dann „Straße“, aber auch nicht. Das ist dann auch Makrofotografie, Tierfotografie, Natur und sogar ein Portrait. Oder?

Robert: Klar, so genau ich auch versuche zu definieren, ich kann nie ganz sicher sein, dass andere das Gleiche unter Leben oder Öffentlichkeit assoziieren, wie ich selbst. Aber das finde ich ziemlich normal, das ist doch bei allem so, was abstrakter ist als beispielsweise ein Würfel oder ein Schwein.

Im übrigen denke ich auch, dass es den einen oder anderen Fotografen herzlich wenig interessiert, welchem Genre sich ein Foto, das er gemacht hat, zuordnen lässt.

Straßenfotografie ist ja letztendlich nur ein Begriff, den Menschen, die über Fotografie schreiben, nutzen, um sie zu kategorisieren. So Redakteure wie wir eben. Die Kategorisierung hilft dann wiederum Lesern, ihr eigenes Interessenfeld einzugrenzen.

Und wie schwierig es manchmal sein kann, eine Arbeit einem bestimmten Genre zuzuordnen, merken wir ja regelmäßig bei der Redaktionsarbeit. Manchmal kann Straße eben auch Portrait sein oder Reportage. Die Grenzen sind da fließend.

Ich würde allerdings nicht so weit gehen und ein Insektenmakro der Straßenfotografie zuordnen, wenn es tatsächlich nur eine Fliege in der Bokehfalle zeigt. In dem Fall würde mir einfach der Zusammenhang zur Straße fehlen.

Martin: Nick Turpin hat dahingehend einen interessanten Ansatz. Darf ich zitieren? Ich mache es einmal:

I have talked about Street Photography as an approach, an attitude rather than a place where the pictures are made…

Was mir an diesem Halbsatz gefällt, ist das komplette Auslassen jeglicher Ortsbestimmungen bzw. Definitionen, sondern dass er es als eine Form der Herangehensweise betrachtet.

Würdest Du dem zustimmen?

Robert: Ach ja, der Herr Turpin. Er scheint einer der Fotografen zu sein, denen wichtig ist, welchem Genre sich seine Art von Fotografie zuordnen lässt.

Ich habe, ehrlich gesagt, immer ein bisschen Schwierigkeiten, wenn sich Fotografen ganz bewusst mit einem Genre schmücken. Er erklärt Straßenfotografie damit zu einem, seinem, Lifestyle, was mir persönlich zu wenig ist. Das riecht mir zu sehr nach Aufmerksamkeitsmarketing.

Gleichzeitig finde ich an dem Zitat aber auch gut, dass es die Perspektive des Fotografen darstellt und eben gerade kein wissenschaftlicher Definitionsversuch ist.

Du siehst, ich bin da zwiegespalten.

Martin: Lass uns kurz abschweifen. Warum sollte man nicht sagen, dass man Straßenfotograf ist? Was gefällt Dir daran nicht? Ich habe das unter (Straßen-)Fotografen schon oft gehört, dass sie es nicht mögen, wenn andere sich so nennen. Es scheint mir ein genrebezogenes Phänomen zu sein, zumindest fällt mir das in anderen Bereichen der Fotografie nicht so deutlich auf.

Robert: Och, das soll schon jeder so machen, wie er mag. Ich habe auch nichts dagegen, wenn andere sich so nennen. Ich würde mich nur selbst nie als Straßenfotografen bezeichnen. Auch wenn es vielleicht Fotos gibt, die ich gemacht habe, die sich diesem Genre zuordnen lassen.

Wäre die Straßenfotografie eine Stadt, würde ich gewissermaßen ein Zugezogener sein. Ich schließe aber nicht aus, dass es Fotografen gibt, die sich mit dem Genre indentifizieren möchten.

Mir fällt übrigens immer wieder auf, dass es deutlich mehr männliche Straßenfotografen gibt. Was glaubst Du, woran liegt das?

Martin: Das ist eine sehr gute Frage. Mir fällt da gerade keine wirkliche Antwort ein. Jedes Mal, wenn ich einen Ansatzversuch konstruiere, widerlegt der sich von selbst. Daher muss ich passen.

Wie siehst Du es?

Robert: Ich habe natürlich auch keine allgemeingültige Antwort darauf. Aber vielleicht hat es etwas mit Jagdinstinkt zu tun? Es geht zwar nicht um Wild, aber doch um flüchtige und einmalige Augenblicke, die Aufmerksamkeit erfordern und die Fähigkeit, sie schnell einzufangen. Schau mal: Schon in der Sprache offenbart sich ja die Referenz zur Jagd – einen Moment einfangen. Das finde ich interessant.

Martin: Stimmt, das ist interessant. Jedoch bin ich mir unsicher, ob das tatsächlich etwas mit Straßenfotografie als Genre zu tun hat oder eher in verschiedenen Bereichen der Fotografie ein Phänomen ist. Ich kenne zum Beispiel auch mehr männliche als weibliche: Landschaftsfotografen, Sportfotografen, Tierfotografen, Automobilfotografen und Makrofotografen. In vielen dieser Genres geht es um die Jagd nach dem Bild und möglicherweise trifft da Deine Vermutung sogar teilweise zu.

Robert: Hm, ich glaube, jetzt verstehe ich, was Du meinst. Es ist schwierig, eine genaue Erklärung zu finden, die nicht auch auf andere Bereiche zutrifft. Liegt das aber nicht vielleicht in der Natur der Begrifflichkeiten selbst? Sie sind eben nicht definitiv.

Ich habe keine Ahnung, wann der Begriff Straßenfotografie erstmals aufgekommen ist und wieso eigentlich. Ich denke, es gab vermutlich irgendwann einfach das Bedürfnis, eine bestimmte Art von Fotografie von einer anderen abzugrenzen. Deshalb hat sich diese Bezeichnung dann etabliert. Kategorisierungen sind ja immer auch ein Versuch, Komplexes zu vereinfachen bzw. verständlich zu halten.

Jedenfalls hat es sicherlich nicht plopp gemacht und plötzlich war die Straßenfotografie geboren …

Martin: Ich denke, die Historiker werden sich darüber streiten. Denn es gibt ja vermutlich einen Unterschied zwischen der Geburt eines Genres und der Benutzung des Begriffes für dieses Genre. Was ich interessant finde, ist die Wechselwirkung der Benennung selbst und des Begriffes auf das Genre.

Robert: Ganz genau. Ich glaube, das ist eben nicht direkt kausal. Ein Begriff ist nicht plötzlich da. Viele reden viel. Dann kommt einer und sagt was, das alle wiederholen und so vervielfältigt sich der Begriff. Und es gibt keine klare Regel, nach der das passiert. Es passiert einfach.

Martin: Um auf die Straßenfotografie zurückzukommen: Es gibt ja immer wieder Diskussionen darüber, was sie nun eigentlich ist und was nicht. Und wir zwei sind gerade mittendrin…

Ein Beispiel: Dieses Bild von Daguerre gilt als die erste Aufnahme (1938) eines lebenden Menschen. Die Aufnahme dauerte mehr als 10 Minuten. Lange Zeit haben die Menschen draußen fotografiert, einfach weil da genug Licht war, um die damals noch sehr niedrigempfindlichen Aufnahmemedien zu belichten.

Sie haben ihre Plattenkameras durch die Gegend geschleppt und eben damit fotografiert. Als dann irgendwann Kameras entwickelt wurden, mit denen man aus der Hand fotografieren konnte – die Kodak Box-Kamera ist da sicher vielen ein Begriff – begannen die Menschen, Schnappschüsse des alltäglichen, ungestellten Lebens zu machen.

Populär wurde die Straßenfotografie aber durch Atget. Er fotografierte von 1890 bis 1920 in Paris, das auch als Geburtsstadt der Straßenfotografie gilt. Für Atget waren jedoch Menschen nicht zwingend Bestandteil des Bildes.

Robert: Sicher, das war ja auch nicht seine Absicht. Er bezeichnete das bestimmt selbst auch nicht als Straßenfotografie. Er hielt einfach fest, was er mit der damaligen Technik aufnehmen konnte. Und dass die Menschen in dem von Dir aufgeführten Beispielbild übrigens alles andere als spontan interagierten, dürfte einleuchten.

Uns geht es heute ganz anders. Wir haben ja praktisch jede historisch denkbare Aufnahmetechnik zur Verfügung. Darüber hinaus schaffen wir auch stetig neue. Es wird also immer wichtiger, uns zu entscheiden, welche Technik wir wofür verwenden.

Für das Einfangen von ungestellten Momenten bietet sich natürlich möglichst schnell zu bedienende Technik an. Was vor hundert Jahren die Leica war, ist heute das Smartphone.

Martin: Über die Zeit hat sich die Größe der Aufnahmegeräte zu Gunsten der Straßenfotografie ständig reduziert. Wenn man mal überlegt, wie groß die Kameras zu Beginn waren und dass wir heute selbige einfach aus der Hosentasche ziehen, ist das schon beeindruckend.

Und es ermöglicht uns deshalb zeitgleich Aufnahmen ungestellter Momente, weil die Kamera an sich immer weniger Reaktionen bei den Fotografierten auslöst. Eine Fachkamera auf der Straße wird sofort beäugt und als etwas Besonderes betrachtet. Ein Smartphone hingegen haben viele, selbst, wenn sie nicht damit fotografieren.

Smartphonekameras haben jedoch nach wie vor Grenzen. Mit einer 1/4000 Sekunde bei Blende 16 zu fotografieren wird damit schwierig, auch die Objektivqualität und Sensorgröße spielen eine nicht kleine Rolle. Dennoch ist auch das nur eine Frage der Zeit, bis die Technik da dem Ideal näher kommt.

Robert: Ich finde den Punkt interessant, den Du mit der fehlenden Reaktion der Fotografierten ansprichst. Mittlerweile lassen sich Fotoapparate ja auch schon in Echtzeit über das Smartphone steuern. Übertrieben gesagt: Wir sehen da vielleicht so etwas wie einer Dronifizierung der Fotoapparate entgegen.

Man entkoppelt praktisch den Sucher vom Aufnahmegerät. Die alte Kulturtechnik, eine Kamera ans Auge zu halten, um ein Bild zu machen, ist dafür also nicht mehr notwendig. Sie wird dadurch allerdings nicht ersetzt, sondern existiert neben der entkoppelten Aufnahme weiter.

Das unbemerkte, ungestellte Fotografieren wird nun also leichter. Es würde mich nicht wundern, wenn bald noch mehr Fotografen der Straßenfotografie fröhnten.

Martin: Wenn wir schon bei der Technik sind: Was ist Dein präferiertes Arbeitsgerät für die Straßenfotografie?

Robert: Ich selbst bin eher altmodisch unterwegs. Für schnelle Momente und wenig Gepäck nutze ich gern eine Leica. Mein derzeitiger Liebling ist aber meine Hasselblad. Der Blick in den Schachtsucher auf die Mattscheibe erzeugt ein angenehmes Bildgefühl und ermöglicht eine akkurate Komposition, die ich gelegentlich mit lebendigen Elementen aufmische, die von selbst ins Bild spaziert kommen.

Eine echte Herausforderung wäre für mich allerdings irgendwann, mal mit einer Großformatkamera „Street zu machen“.

Du nutzt ja eher kleinere Apparate, oder?

Martin: Ja, ich mag die Leichtigkeit und Größe der X100s schon sehr. Der Sensor ist super und ich kann, wenn die Sonne scheint, bei 1/4000stel mit Blende 14 fotografieren, ohne hinterher meinen ISO-Rausch ausschlafen zu müssen.

Ab und zu fotografiere ich jedoch noch mit meiner 5D und benutze an der gern feste Brennweiten. Vollformat ist halt dann doch eine nette Abwechslung.

Bald werde ich mich – mal sehen, wie lange – an einer AE-1 versuchen, die mir Katja verkauft hat. Analog und Street, das habe ich bisher noch nicht erfolgreich bewerkstelligt.

Robert: Ah, schön, dass Du das mal analog ausprobieren willst. Klar, eine neue Arbeitsweise ist anfangs immer erst einmal eine Herausforderung. Ich vermute aber, mit mehr und mehr Übung wirst Du Ergebnisse erzielen, die Dich zufrieden machen.

Ich kenne das, ich habe selbst über die Jahre erst einmal eine ganze Menge Mist fabriziert. Ich denke, ein gutes Ziel ist, dass man irgendwann auf vormals Produziertes zurückblicken kann und es dann noch immer die eigenen aktuellen Ansprüche erfüllt.

Martin: Ich mag die Herausforderung, deshalb möchte ich es auch mal probieren – vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass ich mir die Straßenfotografie an sich ausgesucht habe, weil sie für mich genau die richtige Mischung aus Berechenbarkeit und Herausforderung darstellt. Die Straßenfotografie ist einfach toll.


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kwerfeldein diskutiert: Neugeborenenfotos

05 Jan

Im Redaktionschat besprechen wir Artikel, zeigen uns Bilder und oft sind wir einer Meinung, was wir auf kwerfeldein zeigen wollen und was nicht. Manchmal entstehen aber auch Diskussionen. Die letzte Diskussion empfanden wir dabei als besonders spannend, weil wir sehr unterschiedliche Meinungen zum Thema hatten.

Es geht um Neugeborenenfotografie. Alle, die sich bis jetzt noch nicht damit auseinander gesetzt haben, fragen sich jetzt sicher, was man an Babybildern diskutieren kann. Es geht uns hier vor allem um die Darstellungsweise der Neugeborenen. Es diskutieren Martin, Katja und Marit.

Katja: Martin, Du setzt Dich stark für natürliche Neugeborenenfotografie ein. Ich fände es gut, wenn Du anfängst und erst einmal definierst, was das für Dich genau bedeutet.

Martin: Das Wort „natürlich“ zu definieren ist gar nicht so einfach. Bezogen auf die Neugeborenenfotografie würde ich es so umreißen: Es handelt sich für mich um Bilder, bei denen Kinder so gezeigt werden, wie sie im ungeschönten Alltag aussehen. Wie sie schreien, krabbeln, weinen, bei Mama im Arm liegen oder gewickelt werden.

Natürlich heißt für mich: Nichts wird hinzugefügt, nichts arrangiert. Wer fotografiert, arbeitet mit dem, was da ist und setzt sein Handwerk ein, um die Momente kameraseitig glaubhaft, aber interessant und ansprechend auszukomponieren und festzuhalten.

Marit: Und im krassen Gegensatz zu dieser natürlichen Darstellung von Babys stehen Bilder wie sie beispielsweise die bekannte Fotografin Anne Geddes berühmt gemacht hat. Wenn ich so an die ersten Babybilder in meinem Leben denke, dann muss ich unweigerlich an genau diese Bilder denken. Babys in seltsamen Posen als Salatkopf, Sonnenblume, Kürbis oder weiß der Geier. Ich habe mich immer gefragt, ob das jemand ernst nimmt.

Und ja, es gibt Eltern, die einen Fotografen genau dafür bezahlen, ihr Kind oder besser ihr Baby zu inszenieren. Ich finde das sehr fragwürdig, weil es das Kind zum Dekorationsobjekt werden lässt.

Katja: Ich denke, Martins Vorstellung von guten Babybildern und den Inszenierungen von Anne Geddes sind zwei Extreme, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Bei Neugeborenenfotos finde ich meist Bilder, die irgendwo dazwischen liegen. Ich verdiene ja selbst mein Geld mit Kinderbildern und weiß, dass es schwer ist, nicht zu inszenieren. Die Zeit ist knapp und die Eltern haben bestimmte Fotos im Kopf, die sie umgesetzt haben möchten: Ein Familienbild, auf dem alle in die Kamera sehen und lächeln, manchmal steht auch ein Weidenkörbchen bereit. Ich verstehe diese Wünsche.

Zusätzlich zu diesen Wunschbildern mache ich auch noch eine Handvoll dokumentarische Bilder, meist nachdem ich sicher bin, die typischen im Kasten zu haben. So versuche ich einen Kompromiss zu finden zwischen den altbewährten Inszenierungen und dem dokumentarischen Stil. Bei den Bestellungen der Prints werden jedoch fast immer die Inszenierungen ausgewählt. Die Frage ist für mich deshalb, ob es für wirklich natürliche Neugeborenenbilder einen Markt gibt. Gesehen habe ich sie bisher nur bei Fotografen, die ihre eigenen Kinder fotografieren.

Martin: Es gibt meiner Meinung nach für alles einen Markt. Es wird immer die Eltern geben, die Inszenierungen wollen, aber es gibt garantiert auch Eltern, die das nicht wollen. Diese müssen natürlich erstmal gefunden werden, aber ich glaube, dass das am besten geht, in dem erst einmal die ungestellten Fotos in einem Portfolio landen und publiziert werden. Dann melden sie diese Menschen garantiert. Da bin ich recht sicher.

Anne Geddes’ Fotos verkaufen sich ja auch. Und zwar deshalb, weil sie für etwas einen Markt geschaffen hat, was vorher noch nicht in dieser Weise zu sehen war. Diesen Spieß sollte man meiner Meinung nach umdrehen. Das dauert, braucht Zeit und Geduld. Aber ich bin mir sicher, dass es funktioniert. Wenn es um Neugeborene geht, sollte der Einfluss des „Marktes“ meiner Meinung nach eingedämmt bzw. umgekehrt werden.

Katja: Ja, das ist ein schöner Gedanke. Ich persönlich finde diese Bilder aus dem Geschehen heraus auch viel reizvoller und wenn sich dafür mehr Eltern finden würden, wäre das großartig.

Allerdings finde ich auch die gestellten Bilder interessant. Okay, Anne Geddes ist eine Nummer für sich, aber ich würde sagen, das sich aus den Inszenierungen eine Kunstform ergeben hat. Es gibt bestimmte Neugeborenen-Posen und die Kleidung, Tücher und Decken werden farblich aufeinander abgestimmt. Süß wirken diese Bilder, ohne Frage. Und wenn Eltern diese Fotos möchten, ist auch diese Art der Fotografie für mich legitim, wenn darauf geachtet wird, dass das Baby nicht in Gefahr gebracht oder gestresst wird.

Martin: Gerade dieser Tage bin ich über die Bilder von Jenny Lewis gestolpert. Sie fotografiert Neugeborene, die einen Tag alt sind immer zusammen mit der Mutter. Was mir persönlich sehr zusagt, denn so wird auch die Beziehung von Mutter und Kind dokumentiert und nicht nur das Kind selbst vorgestellt.

Man achte auch auf ihre Herangehensweise: Immer in Farbe, kein Studio, keine extra Decken oder Verzierungen am Kind, nicht einmal geblitzt wird hier. Und sie hat damit Erfolg, denn scheinbar findet sie genügend Mütter, die das wollen und wurde auf My Modern Net präsentiert.

Da braucht es meiner Meinung nach nur noch ein paar Fotografen, die diesen Stil übernehmen, dokumentarisch arbeiten und schon haben wir einen Markt. Das geht. Und es ist meiner Ansicht nach natürlicher.

Marit: Warum es vielleicht keinen Markt für natürliche Neugeborenenfotografie gibt, ist, dass es ein sehr intimer Moment ist und die meisten Mütter als letztes daran denken, ihr Kind einem Fremden vorzustellen. Außerdem besitzt heute doch fast jeder eine Fotoknipse und so entstehen die intimen Bilder wohl doch eher im familiären Rahmen.

Ich schließe die Neugeborenenfotografie aus der kommerziellen und dekorierenden Fotografie aus und sehe es eher wie Martin im Bereich der dokumentarischen Fotografie, wie beispielsweise bei Elinor Carucci.

Katja: Eure Beispiele sind mir persönlich zu dokumentarisch. Neugeborenenbilder sind für die Familien wichtig, weil sich der kleine Erdenbürger so schnell verändert und die Zeit so rasch vergeht. Nach den ersten zwei Wochen ist der Familienzuwachs schon so viel gewachsen, das ist unglaublich.

Ich selbst wollte bei meinen Kindern auch einfach nur festhalten, wie sie aussehen. Ich wollte die Bilder stolz Freunden und der Familie zeigen. Da habe ich als letztes an eine Dokumentation in dem Sinn gedacht. Aber ich wollte auch keinen Kitsch. Das Dazwischen fehlt mir etwas bei unserer Diskussion.

Marit: Ich empfinde die ersten 14 Tage als sehr geheimnisvoll. Es bedarf große Behutsamkeit in dieser Zeit, um Bilder zu machen. Meine Eltern haben beispielsweise sehr viele Bilder von uns auch in den ersten Tagen gemacht und ich bin froh, dass es Bilder sind, die mein Vater gemacht hat und keine fremde Person.

Ich denke einfach, dass nicht alles kommerzialisiert werden muss bzw. die ersten 14 Tage behutsam betrachtet werden sollten. Vielleicht gibt es ja Beispiele für gute Neugeborenenfotografie, die wir nur nicht im Netz finden, weil die Eltern due Veröffentlichung dieser Bilder untersagt haben. Was mich sehr beruhigen würde.

Martin: Gerade aus der Perspektive heraus, dass Neugeborenenfotografie sehr viel mit der reinen Dokumentation zu tun hat, finde ich, dass Kitsch nicht im Geringsten eine Relevanz hat. Natürlich dokumentiert ein kitschiges Foto auch, aber Kitsch addiert eine unrealistische Komponente, die bewusst gewählt oder abgelehnt werden kann.

Interessanterweise sind viele Neugeborene erst einmal nicht „schön“. Denn manchmal hat sich die Form des Kopfes nach der Geburt nocht nicht ganz gefunden und die Kleinen sind schrumpelig. Dass hier von fotografischer Seite quasi ein Ausgleich gesucht wird, ist nachzuvollziehen, aber meiner Meinung nach nicht verfolgenswert, da meines Erachtens zu viel egogetriebenes Wunschdenken hineinprojiziert wird.

Kinder sind, wie sie sind. Und das ist gut so. Wir müssen sie nicht noch süßer machen oder sie so drappieren, beleuchten und anziehen, dass jede Falte oder alles, was an die Geburt erinnert, nicht mehr zu sehen ist. Dagegen möchte ich in dieser Diskussion klar Stellung beziehen, denn so nehmen wir dieser Zeit genau das, was Marit eben angesprochen hat: Das Geheimnis.

Katja: Neugeborene sind wunderschön, vor allem für die Eltern. Du wirst nur schwer eine Mutter finden, die Dir sagt, wie hässlich ihr Baby doch ist. Und das nicht, weil man das vielleicht nicht sagt, sondern weil das Baby für die Eltern ein Wunder ist. Und als solches will man es doch auch abgebildet wissen. Diese Liebe, die man empfindet, soll sich im Foto wiederfinden. Das Bild soll warm und einfach etwas Besonderes sein.

Diesen Wunsch vieler Eltern so abzusprechen, halte ich für schwierig. Jeder mag andere Dinge und wenn die Wünsche der Eltern mit denen des Fotografen übereinstimmen – warum nicht? Noch einmal: Vorausgesetzt natürlich, man legt beim Shooting größten Wert auf Sicherheit und die Bedürfnisse des Babys.


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kwerfeldein diskutiert: Ein gutes Foto braucht ein gutes Motiv! Oder?

09 Jul

Ich (Normen) erlebte vor einiger Zeit eine Situation, in der eine Großmutter beim Betrachten eines Fotos ihres Enkels Folgendes äußerte: „Das ist aber ein schönes Foto!“ In diesem Moment wurde mir klar, dass die Großmutter nicht das Foto schön fand, sondern nur das Motiv. Aus dem schönen Motiv wurde ein schönes Foto.

Mir stellte sich dann die Frage: Kann man eigentlich in der Beurteilung von Fotografien eine Grenze zwischen dem Foto als Endprodukt und dem Motiv ziehen? Sicherlich, denn nicht jedes gute Motiv führt am Ende zu einem guten Foto. Wenn es so etwas wie ein gutes Motiv geben sollte, können dann dennoch gute Fotos aus einem scheinbar schlechten Motiv entstehen?

Ich möchte einfach mal die Runde eröffnen und frage Euch: Welche Voraussetzungen muss ein gutes Motiv erfüllen?

Martin: Ich finde es persönlich sehr schwer, ein gutes Motiv als solches zu definieren, denn so löse ich es zu sehr aus dem Kontext, in dem es steht. Ein Würfel mit einem Meter Kantenlänge wirkt vor einem großen Wasserfall ganz anders als in einem weißen Raum – und das ganz ohne Wertung. Außerdem spielen hier vor allem unsere kulturell und familiär geprägten Präferenzen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Und wie im obigen Beispiel zu erkennen, kann das einfach nur auf der Beziehungsebene passieren. So viel zur Theorie.

In der fotografischen Praxis auf der Straße erlebe ich jedoch täglich, wie ich aktiv selektiere. Wen fotografiere ich und wen nicht? Für mich sind meistens die Menschen am interessantesten (= ein gutes Motiv), die aus der Masse herausstechen und ungewöhnlich im Rahmen des Gewöhnlichen auf meine Sehgewohnheiten wirken.

Robert: Ein Foto kann technisch gut umgesetzt, aber inhaltlich banal sein und umgekehrt ist natürlich ein auffälliges Motiv allein noch kein Garant für ein gutes Foto.

Darüber, was ein Motiv sein kann, entscheidet zunächst einmal der Fotograf. Seine Motivation mag ein persönlicher Bezug zu dem sein, was er fotografieren möchte. Wer das Foto anschließend betrachtet, kann allerdings eine ganz andere Sichtweise haben, weil er eine andere oder vielleicht gar keine Beziehung zum Motiv hat. Insofern stelle auch ich es mir sehr schwierig vor, ein Foto und sein Motiv nach objektiven Gesichtspunkten als gut zu beurteilen.

Sebastian: Mit dieser allzu subjektiven Ebene wäre ich vorsichtig, Robert. Ein gutes Foto ist ein gutes Foto, ich glaube schon, dass man das halbwegs objektiv bewerten kann. Das Motiv ist einerseits eine ganz andere Ebene, andererseits aber auch nicht vom Bild zu lösen.

Ich denke da immer an Literatur bei dem Kontext. Die besten Bücher sind oft die, in denen oberflächlich gar nicht viel passiert und sich die Handlung eher in Gedanken und Assoziationen abspielt und sich um Dinge dreht, die jeder kennt wie etwa Liebe und Tod.

Soll heißen: Ich denke, das Motiv muss gar nicht spektakulär oder außergewöhnlich sein, um es in einem überraschenden und neuen Kontext zu zeigen, der beim Betrachter viel mehr auslöst als ein totales Actionsuperdupermotiv, das langweilig fotografiert ist. Insofern würde ich fast sagen: Eher banale Motive ergeben oft die stärksten Bilder, wenn sie gut fotografiert sind.

Normen: Da fällt mir sofort Andreas Gursky und seine Fotografie „99 cent“ ein. Vollgepackte Regale in einem Supermarkt würden die meisten Fotografen vermutlich nicht als lohnenswertes Motiv in Betracht ziehen. Gursky tat es und es entstand eine der berühmtesten Fotografien der Welt.

Ich würde deshalb sagen, dass, wenn in der Fotografie vom Motiv gesprochen wird, allein der Fotograf entscheiden kann, ob es gut ist oder nicht. Ohne eine positive Abwägung des Fotografen ist die Entstehung eines guten Fotos nicht möglich.

Martin: Moment mal. Im Falle des reinen Fotoliebhabers, der aus reiner Zuneigung zu seinem Sujet fotografiert, mag das stimmen. Steigen wir jedoch mal in die professionelle Ebene ein, in der Kunden ein ganz bestimmtes Motiv in einem ganz bestimmten Kontext haben. Dann entscheidet eben nicht mehr der Fotograf allein, was gut ist und was nicht. Und im Ernstfall gibt es eben keine Kohle.

Und wenn wir jetzt mal einen Schritt zurück gehen und noch einmal den Fotoliebhaber ansehen, dann hat auch er einen Kunden, denn niemand (bis auf ein paar Ausnahmen) fotografiert nur für sich. Jede und jeder hat eine Absicht und jeder möchte irgendetwas erreichen. Und sei es selbst eine schockierte Ablehnung seitens der Betrachter. Wenn der Fotograf oder die Fotografin exakt das erreichen wollte, dann war das Foto – und somit auch das Motiv – gut.

Sebastian: Sehe ich überhaupt nicht so. Da kommen wir aber jetzt schnell an die Trennung von künstlerischer und kommerzieller Fotografie und wie (wenn überhaupt) das am Ende wirklich gut zusammengeht. Im Gegenteil ist es meiner Meinung nach gerade in der künstlerischen Fotografie so, dass man den „Kunden“ (in dem Fall das Publikum oder die Galerie oder den Sammler) beim Machen des Bildes so weit wie möglich außen vor lassen sollte. Wenn Du Dein Publikum schon im Entstehungsprozess mit reinrechnest, dann geht das leider oft übelst daneben.

Bei der kommerziellen Fotografie ist es dann genau anders herum. Du kriegst Dein Motiv vorgegeben (oder hast ein Motiv, das Du immer fotografierst und von dem Du weißt, dass es das Publikum kauft) und tobst Dich eben anderweitig kreativ aus. Aber braucht ein gutes Foto jetzt eigentlich auch ein gutes Motiv? Ich denke das immer noch nicht, für mich kann man aus jedem Motiv ein gutes Foto machen.

Normen: Ich fasse das mal kurz zusammen: Wir müssen in unserer Diskussion zwischen verschiedenen Grundlagen der Beurteilung unterscheiden. Zum Einen gibt es einen Unterschied zwischen künstlerischer und kommerzieller Fotografie und zum Anderen die unterschiedliche Beurteilung des Motivs durch Fotograf und Betrachter.

Deshalb könnte man jetzt wieder den Geschmackshammer rausholen und die Diskussion an dieser Stelle beenden. Machen wir aber nicht, denn in der Beurteilung eines Fotos kann es meiner Meinung nach eigentlich immer nur eine Person geben: Den Betrachter, unabhängig davon, ob er Kunde, Fotograf oder was auch immer ist. Es kann ja schließlich nicht das Ziel sein, ein Foto für allgemeingültig gut zu erklären.

Wie ist das bei mir? Wenn ich ein Motiv nicht mag, dann kann die Fotografie zwar technisch sehr gut sein und ich kann auch der Allgemeinheit zugestehen, es gut zu finden, persönlich lasse ich es aber nicht an mich heran und demnach würde es bei mir auch nicht in die Kategorie „gut“ fallen.

Robert: Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, weshalb man fotografieren sollte, was man nicht mag. Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.

Selbst, wenn es sich um einen schwierigen Auftrag handelt, muss man sich auf irgendeiner Ebene einen Zugang verschaffen, sonst produziert man doch für die Mülltonne und zur eigenen genauso wie zur Unzufriedenheit des Kunden.

Um mal auf die Beurteilung der Fotos zurückzukommen: Ich denke, man sollte im Blick haben, welchen Zweck das Bild erfüllen soll. Irgendeine Referenz braucht es für die Beurteilung doch immer, denn genauso wie ein Mensch ist auch ein Foto keine Insel.

Was mich sehr interessiert, ist, zu betrachten, wie und warum manche Bilder sich medial rapide ausbreiten und kollektiv anklingen.

Sebastian, was in Bezug darauf Deinen Standpunkt einer möglichen objektiven Bewertbarkeit angeht, möchte ich gern ein Beispiel für ein kollektiv als gut befundenes Bild herbeiziehen.

Manch einer kennt es sicher, die Rede ist von der Vogelperspektive von Iwan Baan hinunter auf das nächtliche Manhattan nach dem großen Sturm im vergangenen Jahr. Während die umliegenden Teile der Stadt noch aufleuchten, liegt der vordere Teil der Halbinsel aufgrund eines massiven Stromausfalls im Dunkeln.

Warum hat dieses Bild solch eine Durchschlagkraft entwickelt? Die Ursache liegt sicherlich darin, dass sich diejenigen, die es gesehen haben, sofort in irgendeiner Weise damit identifizieren konnten. Sagen wir, es ist vielleicht die natürliche Angst von uns Menschen vor dem Untergang oder vor etwas, das stärker ist als wir.

Das Foto hat also einen unverkennbaren Symbolcharakter, vielleicht auch, weil es schon vielmals vorher fotografiert wurde. Aber eben noch nie so und in diesem Zusammenhang.

Es ist unbestreitbar ein gutes Foto, weil es etwas anklingen lässt, was im kollektiven Gedächtnis steckt. Ich wäre hier dennoch vorsichtig, denn Konsens im kollektiven Gedächtnis lässt sich allzu leicht mit Objektivität verwechseln.

Genauso wie die Entscheidung für ein Motiv höchst subjektiv ist, bleibt meiner Meinung nach auch die Betrachtung und Beurteilung des Fotos eine höchst subjektive Angelegenheit.

Martin: Und ist genau diese Spannung nicht das, was es heute so schwer macht, zu beurteilen, was ein gutes Foto ist? Dieses Alles-oder-nichts? Die vielen verschiedenen Faktoren? In diesem Chaos wird es immer schwer bleiben, ein Foto und auch ein Motiv nach gut oder schlecht zu kategorisieren. Ich denke, wir sind in diesem Gedankenkarussell nicht allein, denn es wird sicher vielen anderen, die fotografieren so gehen wie uns.

Ein wichtiger Maßstab ist jedenfalls – und daran hat sicher niemand einen Zweifel – der eigene Geschmack. Doch mit jedem weiteren Maßstab, der unvermeidlich dazukommt – sei es nun ein Kunde, die Verwandtschaft oder die Community des Internets – wird es um ein Vielfaches komplexer.

Jedoch ist meiner Meinung nach ein einziger dieser Maßstäbe nicht per se als der entscheidende zu betrachten, denn immer dann fallen wir vom Pferd in die Drecksgrube namens Pauschalisierung, die stets ein Stück Kuchen für das ganze Ding hält.

Es kommen stets viele Faktoren zusammen und dazu gehört eben auch (nicht nur) das Motiv. Das Motiv entscheidet, was im Bild zu sehen sein wird und der Fotograf entscheidet, wie es zu sehen sein wird.

Robert: Aber machst Du denn ein Foto immer erst dann, wenn Du vorher abgewogen hast, ob es gut sein könnte? Da wirste ja verrückt! Ich denke, man muss einfach Lust auf das haben, was man fotografiert, das reicht schon völlig aus.

In sofern gebe ich Dir mit dem Geschmack ein bisschen recht, Martin, obwohl ich es lieber Interesse nennen möchte. Ob das eigene Interesse dann mit Bildern des kollektiven Gedächtnisses deckungsgleich ist (vorausgesetzt, dass einem das überhaupt wichtig ist), ist eine andere Frage – eine der richtigen Intuition.

Sebastian: Ich mache eigentlich auch die Bilder immer erst, wenn ich vorher abgewogen habe, ob es gut werden könnte, Robert. Ich verstehe aber auch die andere Richtung. Aber rumlaufen und Motive „entdecken“ und dann erst einmal überlegen und werten, ob und wie das ein gutes Bild sein könnte, egal, ob man einen persönlichen Bezug dazu hat oder nicht, gehört für mich auf jeden Fall zum Fotografieren dazu.

Vielleicht ist diese Motivauswahl auch eine gute Art, um der Ausgangsfrage näherzukommen: Vielleicht braucht ein gutes Foto ja nicht unbedingt ein gutes Motiv, aber einen Fotografen, der sein Motiv sehr gut aussucht.

Da kann man natürlich so Konsensmotive nehmen, die immer gehen (Katzenbabies!) und hat dann sicher ein populäres Foto, das sich weit verbreitet, aber ein gutes Foto ist es deswegen ja noch lange nicht, um auf dieses Manhattan-Bild zurückzukommen.

Mir sagt das irgendwie nicht viel, mal davon abgesehen, dass es natürlich ‘ne tolle Perspektive ist und es auf dem Cover mit der Typografie schick aussieht und journalistisch sicher eindrucksvoll ist. Aber ist das ein gutes Foto? Ich weiß nicht. Es ist eher so ein Kleinster-gemeinsamster-Nenner-Foto der Zeitgeschichte.

Normen: Mich haut das Manhattan-Foto auch nicht aus den Latschen, aber in dem Bewusstsein des ereignisreichen Zusammenhangs ist es durchaus ein gutes Foto. Das unterstreicht, dass ein gutes Foto oftmals mehrere Dinge braucht. Manchmal sagt uns das Motiv nichts oder es erscheint auf den ersten Blick trivial, sobald aber eine Entstehungsgeschichte bekannt ist, kann das Motiv eine interessante Wirkung auf den Betrachter haben.

Auf die gleiche Weise kann sich die Beurteilung eines Fotos auch im Laufe der Zeit verändern. Ein Foto, welches heute eher unbedeutend erscheint, kann für nachfolgende Generationen ein wichtiges Foto sein.

Am Ende steht auch hier der Betrachter und dieser kann im Laufe der Zeit ein und dasselbe Foto unterschiedlich bewerten. In meinen Augen zeigt das, wie schwierig es ist, ein Foto oder Motiv für gut oder schlecht zu halten.

Robert: Ganz genau.

Martin: Werden wir doch mal praktisch: Was ist für Euch ein schlechtes Motiv? Der Titel unserer Diskussion baut ja ein wenig darauf auf, was ein gutes Motiv ist.

Sebastian: Ich würde spontan sofort antworten: Jedes Motiv kann ein schlechtes Motiv sein, sofern der Fotograf keinen eigenen Bezug dazu hat. Das widerspricht natürlich erst einmal total der „Fotografie ist Handwerk“-These, aber ich denke wirklich, dass sich Gleichgültigkeit oder gar Widerwillen gegenüber einem Motiv auch in der Qualität der Arbeit widerspiegeln. Das ist die emotionale Seite.

Objektiv schlechte Motive sind meiner Meinung nach dagegen die, die schon eine Milliarde mal von allen Ecken und Enden abfotografiert wurden und eben die, bei denen das Motiv selbst eher der Star ist, weil es eben so geformt ist, wie es geformt ist oder an sich toll aussieht. Das objektiv schlechteste Motiv überhaupt ist für mich zuerst einmal ein anderes Foto ohne jeden Kontext, danach ein anderes Kunstwerk, das neutral abgelichtet wurde, dann irgendein Bauwerk, bei dem das Bauwerk der Eyecatcher ist. Generell vielleicht Dinge, in die der Fotograf selbst nichts reinlegt.

Robert: Damit, dass sich emotionale Gleichgültigkeit gegenüber dem Fotografierten auch im Ergebnis abbildet, gehe ich sofort mit, Sebastian.

Verbundenheit zum Fotografierten ist bei einem künstlerischen Ansatz vielleicht besonders wesentlich (weil es eben um die eigene Vision von etwas geht), aber sie ist auch für eine gute kommerzielle Arbeit essentiell.

Auf Deine Frage, Martin, antworte ich: Ein Motiv kann nicht an sich gut oder schlecht sein. Ich würde eher weiter gehen und sagen, dass es entweder eins ist oder eben keins, je nachdem, ob man für sich (aus der Perspektive des Fotografen bei der Aufnahme) in der Lage ist, einen Bezug herzustellen.

Ich denke, die Grundbedeutung des Begriffs Motiv in Malerei und Fotografie als dem Gegenstand des Bildes ist zudem ein wenig zu stark auf das fertige Bild und die Perspektive des Betrachters eingestellt und zu wenig auf die des Bildschöpfers.

Nicht zuletzt sind der Bezug des Fotografen zum Fotografierten und das Warum grundlegend für das Bild. Der Fotograf ist gewissermaßen Täter und weil die Entscheidung, das Foto zu machen stattgefunden hat, existiert es.

Nicht nur was abgebildet ist, sondern auch warum, ist eigentlich das Motiv.

Und ob es gut oder schlecht ist, wer soll das glaubwürdig beurteilen?


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kwerfeldein diskutiert: Wo fängt Bildbearbeitung an und wo hört sie auf?

04 May

Fehler beseitigen oder Dinge verändern? Die Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung erlauben uns inzwischen weitreichende Veränderungen an dem Material, das unsere Kamera einfängt. Ganze Kunstgenres basieren auf digitaler Bearbeitung von Bild oder Filmmaterial, Fotomanipulationen taugen aber auch immer wieder für politische Skandale oder weitreichende Diskussionen über das konstruierte Schönheitsideal unserer Gesellschaft, dem nicht einmal die Modelle mehr entsprechen.

An welchem Punkt wird aus Retusche eigentlich Manipulation? Gibt es diesen Punkt überhaupt wirklich oder muss ihn jeder für sich finden? Die Grenzen sind seit jeher fließend und jeder hat eine Meinung dazu: Was geht noch? Was geht nicht mehr? Was ist der Unterschied zwischen einer Fotomanipulation und einem retuschierten Foto?

Lügen Fotos nie oder lügen sie im Gegenteil eigentlich immer und nur im manchen Fällen etwas weniger? Die kwerfeldein-Redaktion diskutiert darüber, was eigentlich Fotografie und was schon etwas anderes ist und warum Purismus vielleicht doch auch eine Option ist…

Martin: Fakt ist, dass jedes Genre in der Fotografie eigene – manchmal auch ungeschriebene – Regeln zum Umgang mit der Bildbearbeitung hat. Schauen wir in die Landschaftsfotografie, dann gehören HDRs schon fast zum Inventar, wohingegen die Straßenfotografie als solche weitläufig wesentlich dokumentarischer daherkommt und auch ausbrennende Lichter akzeptiert.

Dass es hier auch Ausnahmen gibt, die die Regel(n) bestätigen, möchte ich jedoch noch hinzufügen, denn es gibt hier keine Gesetze, sondern nur viel und weniger genutzte Möglichkeiten. Auch im Fotojournalismus wird die oben angeführte Diskussion viel energischer betrieben als beispielsweise in der Portraitfotografie, die eigentlich alles erlaubt.

So ist es schwierig, per se zu sagen: „das ist zu viel oder zu wenig nachberbeitet“, sondern meiner Meinung nach muss hier auch immer der fotografische und inhaltliche Kontext mitbeachtet werden.

Sebastian: Also grundsätzlich würde ich dem zustimmen, dann aber gleich mal die Frage stellen, ob man nicht genau diese Prinzipien komplett über den Haufen werden sollte oder sogar muss, wenn man kreativer sein will als der Rest. Du kennst ja auch die Streetportraits von Lee Jeffries, Martin. Stark nachbearbeitet, wenn auch auf eine Art, die das Bild an sich nicht verändert. Und genau mit dem dramatischen Effekt ist er extrem erfolgreich.

Das ist jetzt vielleicht ein Grenzfall, aber ich würde diese Regeln grundsätzlich für komplett wertlos erklären, vielleicht mit Ausnahme des Fotojournalismus, wo „Authentizität“ das wichtigste Merkmal ist. Wobei ich aber auch die Frage stellen würde, ob Fotografie überhaupt jemals authentisch in dem Sinne sein kann oder ob man mit Brennweite, Blende und Perspektive (geschweige denn das Raw fertigstellen, nachschärfen etc.) nicht auch schon die Realität verändert.

Martin: Natürlich. Ich glaube, dass der Realitätsanspruch auch überflüssig ist. Aber das Maß, in dem nach einer Aufnahme an einem Bild gedreht wird, ist für mich hier entscheidend.

Und ja, Lee Jeffries macht großartige Fotos, jedoch würde ich hier die Maxime gern in Richtung Portrait verschieben, denn für mich ist das keine Straßenfotografie, die Lee betreibt. Und im Bereich Portrait gelten ganz andere ungeschriebene Gesetze.

Und gerade bei ihm ist für mich persönlich nicht die Bildbearbeitung das, was heraussticht, sondern seine Nähe und Identifikation mit den Leuten, was auch in den Aufnahmen deutlich wird.

Und ich meine, dass es, um kreativ zu sein nicht zwingend erforderlich ist, Vorgaben zu brechen. Zumindest nicht in erster Linie. Klar ist das ein Teil der Selbstreflexion (was will ich tun, wo will ich hin), aber ich würde hier lieber das Augenmerk auf „was will ich“ legen als auf „was will ich nicht“.

Ich denke, dass die Bildbearbeitung immer ein Teil des fotografischen Prozesses ist – auch, wenn ein Mensch ganz drauf verzichtet. Wie viel Gewichtung dem beigemessen wird, hängt für mich damit zusammen, was ein Fotograf „sagen“ möchte.

Marit: Auf die Frage von Sebastian habe ich gewartet, denn mit ihr beschäftige ich mich schon so lange. Kann Fotografie überhaupt authentisch sein? Wir geben dem Bild ja schon einen Rahmen, blenden andere Menschen oder Begebenheiten bewusst aus. Hier fängt die Manipulation doch schon an.

Martins Frage „Was will ich sagen?“ ist also der Anfang der ganz eigenen Geschichte. Das Beispiel Straßenfotografie finde ich dabei ganz gut. Ich kann beobachten und festhalten, aber ich kann mit dem Bildausschnitt die Aussage auch bewusst verändern. Der Betrachter des Bildes weiß dann nicht, was außerhalb des Bildes noch gewesen ist, um die Realität der Situation zu erfassen. Der Fotograf manipuliert die Situation und somit auch den Betrachter.

Die Bildbearbeitung führt das weiter. Wenn die Frage ist, was erlaubt ist und was nicht, ist die Antwort: Alles ist erlaubt. Brenzlig wird es, wenn wir bewusst in die Irre geführt werden und uns etwas verkauft wird, was nicht so da ist. Als Beispiel führe ich hier die Beauty-Maschinerie an, in der uns eine Realtität verkauft wird, die so nicht existieren kann, aber ganze Generationen einem vernichtenden Selbsturteil überlässt.

Sebastian: Irgendwie lese ich bei Euch raus, dass es ungeschriebene Gesetze zur Bearbeitung für verschiedene Bereiche der Fotografie gibt. Ich beobachte das auch, dass zum Beispiel eine Form von Fotografie möglichst „authentisch“ (was immer das auch ist) gehalten werden soll, bei der anderen darf rumgebastelt werden, was das Zeug hält. Natürlich beobachte ich diese Gesetze auch und habe sie irgendwie „verinnerlicht“, aber die Frage wäre für mich: Woher kommt das eigentlich und was soll das?

Wenn ich mir so angucke, welche Bilder bei mir einen Eindruck hinterlassen, dann sind das oft ganz triviale Szenen. Was sie stark macht, sind Licht, Ausschnitt, Schwarzweißtechniken – also die „Aufhübschung“ der Realität über Komposition und natürlich auch Bearbeitung. Ein flaches Blitzbild von einem Blumengesteck und ein Schwarzweißstillleben mit schönem Schärfeverlauf: Zwei völlig unterschiedliche Welten. Und doch dasselbe Motiv.

Ich würde ableiten, dass eigentlich alles „bearbeitet“ ist. Was macht es also für das Bild für einen Unterschied, ob in einer Straßenszenerie Dinge verändert werden? Wenn ich zum Beispiel eine Person aus einer Mehrpersonenszene rausretuschiere, weil das Bild dann stärker wirkt: Ist das „unethisch“, weil es dann nicht mehr „echt“ ist? Es bleibt ja so oder so ein vom Fotografen konstruiertes Abbild der Realität, nicht die Realität.

Marit: Es ist der Anspruch, den ein Bild für sich beansprucht. Gehen wir doch mal ins Detail. Wer dokumentieren will, sollte eine Szene so belassen wie sie ist, nicht eingreifen. Er darf natürlich entscheiden, welchen Ausschnitt er wählt; er muss sogar entscheiden, welcher Ausschnitt die Situation so wiedergibt, wie er glaubt, sie selbst wahrzunehmen. In der Bearbeitung kann er angreifen, aber es muss im Verhältnis zum dokumentarischen Charakter stehen. Das Rausretuschieren einer Personen aus solch einer Szene wäre für mich ein No-Go.

Aileen: Man muss ja nicht einmal so weit gehen, etwas raus oder hinein zu retuschieren. Aktuell* wird beispielsweise der diesjährige Gewinner des World Press Photo diskutiert.

* Wir haben unsere Diskussion bereits im Februar begonnen.

Dabei geht es wohlgemerkt nur um eine leichte Veränderung der Tonung, die aber als so dramatisch empfunden wird, dass sie vielleicht das Urteil der Jury beeinflusst hat. Und damit überhaupt die allgemeine Wahrnehmung aller Betrachter.

Marit: Die Diskussion um dieses Bild finde ich affig. Da müsste man dann auch darüber diskutieren, ob Schwarzweiß-Fotografie überhaupt für Dokumentarbilder eingesetzt werden darf, denn dort ist die Wirkung und somit die Wahrnehmung eine andere.

Martin: Wir sprechen hier die ganze Zeit von Realität und „echt“ und die Frage geht für mich auch ein wenig darauf zurück: Wie wollen wir Abschattungen oder Variationen der Realität besprechen, wenn immer noch diese Frage im Raum ist? Sie scheint mir ein fester Begriff zu sein, als ob wir die Realität anfassen, malen und definieren könnten. Aber wie wollen wir bestimmen, was näher an oder weiter weg von der Realität ist, wenn diese selbst so abstrakt ist? Schwierig. Denn niemand kann sagen: So war es und nicht anders.

Michael: Ja, die Realität, wie soll man sie überhaupt fotografisch einfangen? Für mich gehört da mehr dazu, als nur das Gesehene zu dokumentieren. Wir erleben unserer Umwelt ja auch mit all unseren Sinnen – wenn wir nicht gerade Schnupfen haben und kaum etwas riechen. Zudem ist die Wahrnehmung von Person zu Person unterschiedlich.

Deshalb finde ich es auch gar nicht verwunderlich, dass bei der Bearbeitung von Fotos die Ergebnisse so stark auseinander gehen. Der eine versucht, mit der Bildbearbeitung etwas von seinen Gefühlen mit einfließen zu lassen, der nächste möchte einfach nur, dass es dramatischer aussieht, weil es ihm so besser gefällt und wieder ein anderer hat sich vor Ort genaue Notizen gemacht und versucht nun in der Bildbearbeitung, seine Realität möglichst genau wiederzugeben. Auch gibt es Fotografen, die Fotos bearbeiten, weil es vom Auftraggeber so erwartet wird.

Wenn man nicht verstanden hat, was der Fotograf mit der jeweiligen Bearbeitung bezwecken möchte, sollte man sie auch nicht kritisieren. Das ist es, was mich am meisten nervt. Immer wieder wird rumgenörgelt an bearbeiteten Fotos. Die meisten Nörgler verstehen nicht einmal, worum es dem Fotografen geht. Für mich ist Fotografie eine Kunstform und somit ist ein Foto erst einmal nicht an irgendeine Realität gebunden. Ich versuche trotzdem, meiner Realität nahezukommen und habe selbst ein paar Richtlinien, was in der Bearbeitung für mich erlaubt ist und was nicht. Aber das gilt für meine Fotos und was ein anderer Fotograf für Richtlinien hat, ist seine Sache.

Was am Ende zählt, ist doch das Ergebnis. Wenn das gefällt, ist mir eigentlich egal, wie stark es bearbeitet wurde. Wenn ich selbst nörgle, dann vielleicht mal an der Qualität der Bearbeitung. Das ist auch ein Bereich, in dem ich selbst für Kritik empfänglich bin.

Um noch einmal auf den Anspruch, den ein Bild für sich beansprucht, zurückzukommen: Möchte man dokumentieren, hat man wohl andere Richtlinien für die Bearbeitung der eigenen Fotos. Erzählt man zudem den Menschen, die Fotos dokumentieren die Wirklichkeit und sind kaum bearbeitet, dann muss man sich wohl auch an allgemeine Regeln halten.

Ein Problem ist hier meiner Meinung nach fehlende Ehrlichkeit. Wenn versucht wird, ein bearbeitetes Foto der Masse als unbearbeitet zu verkaufen, leidet die Glaubwürdigkeit. Bei Fotowettbewerben war das im letzten Jahr leider einige Male der Fall. Meist, weil die Wettbewerbsbedingungen nicht richtig gelesen wurden. Wobei ich die oben angesprochene Diskussion auch etwas lächerlich finde. In diesem Genre gibt es sehr starke Meinungen, was erlaubt ist und was nicht.

Aileen: Mir scheint fast, dass wir uns alle ziemlich einig sind, dass man sehr viel machen kann und in den meisten Genres auch darf. Ich frage mich dann: Warum ist das Thema trotz allem noch so brisant? Wo wird es Eurem Gefühl nach brenzlig und warum eigentlich?

Sebastian: Ich glaube, das Thema ist einfach deswegen so brisant und kommt immer wieder, weil die Fotografie in der Hinsicht so ein besonderes Medium ist. In allen anderen Kunstrichtungen würde diese Frage ja nicht wirklich in der Form auftauchen, da gehört subjektive Wahrnehmung und Darstellung meistens dazu – sogar in journalistischen Textreportagen ist es die Sprache und die Wahrnehmung des Autors, die alles ausmacht. Aber dadurch, dass Fotografie vermeintlich „objektiv“ sein kann, taucht immer wieder auf, ob sie es auch sein muss oder soll. Das macht für mich auch den Reiz aus, darüber in verschiedenen Kontexten nachzudenken.

Was Wettbewerbe angeht, verstehe ich aber, warum es da immer wieder solche Skandälchen gibt. Die Wettbewerbe machen halt ihre Regeln und das hat dann irgendwie mit Chancengleichheit zu tun, um die Bilder besser gegeneinander zu stellen. In dem Fall ist zu starke Manipulation ja ein bisschen wie Doping – zumindest, wenn man sich mal anguckt, was so richtig gute Bildbearbeiter manchmal aus Fotos rausholen können.

Martin: Wir müssen uns eben auch darüber im Klaren sein, dass Fotos nicht nur dort existieren, wo sie von Fotografen als „Fotografie“ diskutiert und definiert werden. Fotos durchziehen die gesamte Print- und Onlinelandschaft und einen nicht wegzudenkenden Teil der journalistischen Berichterstattung. Außerdem sind sämtliche Social-Media-Kanäle durchspült von Bildern.

Die Gesellschaft dokumentiert sich zunehmend selbst und das ganz ohne fotografischen Anspruch. Der einzige Anspruch, der hier gilt, ist: Dokumentieren.

Und somit ist die Fotografie ein Mittel, das in großen Teilen überhaupt keinen künstlerischen, sondern eher einen Wahrheitsanspruch inne hat, auch wenn das so keineswegs artikuliert wird. Ein Titelbild auf Spiegel Online? Wird schon so stimmen.

Hoffen wir’s. Und all das wirkt auch in die Diskussionen unterschwellig hinein, die von Fotografinnen und Fotografen geführt werden. Denn wir schreiben uns schließlich auf die Fahnen, das Mittel Fotografie zu beherrschen.

Marit: Nach all den facettenreichen Ansichten wird klar, dass man das Thema nicht so einfach betrachten kann. Es hängt immer davon ab, in welche Sparte wir ein mit digitalen Sensoren oder auf Film aufgezeichnetes Bild einordnen. Ob, wie Martin sagt, als Dokumentation oder, wie Michael es benennt, als emotionales Landschaftsportrait oder, wie Sebastian es andeutet, das Foto als Ausgangspunkt für Fotomanipulationen.

Aileen: Hattet Ihr selbst denn schon einmal bei eigenen oder fremden Bildern das Gefühl, dass eine Bearbeitungsgrenze überschritten wurde oder Ihr dabei wart, eine zu überschreiten?

Bei mir war es so, dass sich diese Grenzen über die Jahre, in denen ich mich praktisch mit der Fotografie beschäftigt habe, immer weiter ausgeweitet haben. Heute habe ich wenig Skrupel, zum Verflüssiger zu greifen, ganze Objekte aus einem Bild zu retuschieren oder aus mehreren Bildern ein ganz neues zu machen, das dann wieder aussieht, als wäre es genau so aufgenommen – sofern ich diese Maßnahmen als Bereicherung für die Wirkung meines Bildes empfinde. Da es sich dabei aber meistens um Portraits handelt, bin ich mir durchaus der Tatsache bewusst, dass viele Betrachter sich „hinters Licht geführt“ fühlen dürften, wenn sie wüssten, was mit einigen Bildern passiert ist.

Sebastian: Marit, den Punkt finde ich sehr, sehr interessant, auch in Bezug auf das, was Martin vorher gesagt hat. Ein Foto ist dann eine Dokumentation, wenn der Betrachter es so sehen will oder so sieht. Vielleicht entstehen die großen Diskussionen und Missverständnisse oft dann, wenn das nicht übereinstimmt mit dem, was der Fotograf da hineinlegen wollte. So eine überschrittene „Bearbeitungsgrenze“, wie Aileen das sieht, entsteht dann bei jedem irgendwann, der mit einer Erwartung an ein Bild rangeht.

Ich nehme mich da selbst gar nicht aus, ich habe trotzdem selbst so eine Grenze. Gerade bei so super geairbrushten Modelfotos auf Zeitschriftentiteln (am besten noch mit übersättigten Farben) denke ich oft: Uärghs, geht gar nicht. Nicht wegen des moralischen Aspekts (der kommt natürlich auch dazu: falsches Schönheitsideal), sondern weil das einfach meinem eigenen ästhetischen Anspruch an Fotografie total zuwiderläuft.

Martin: Witzigerweise verhält sich meine Entwicklung bezüglich der Bearbeitungsgrenze genau umgekehrt wie die von Aileen – und das hängt nicht nur mit dem Genre zusammen, das ich heute bediene. Früher habe ich mir eigentlich alles erlaubt, heute sind für mich Kontraste, Helligkeit, Sättigung und maximal Farbtemperatur alle Parameter, die ich an meinen Fotos verändern möchte.

Grenzüberschreitungen bei anderen stelle ich natürlich auch fest, klar. Die Frage ist jedoch auch, wie ich damit umgehe. Da es sich nicht um meine eigenen Fotos handelt, wäre ich der Letzte, der daran rumkrittelt, denn es gibt nichts Schlimmeres als ungefragte Kritik (in meinen Augen). Ausnahme: Der von Sebastian angesprochene Fall der Mode(l)fotografie, jedoch bin ich so privilegiert, dass ich mir so etwas nur selten anschauen muss.

Marit, wie ist das denn bei den analogen Fotografen? Gibt es da solche heißgeführten Diskussionen auch oder eher selten? Beabeitet wird da ja schließlich auch…

Marit: Wie es im Allgemeinen bei den Fotografen ist, die auf Film fotografieren, kann ich ebenso wenig sagen wie Ihr. Eine Dunkelkammer ist eben eine Dunkelkammer, ob im Bad mit verdunkelten Fenstern oder am Computer. Verändern kann man ein Bild immer. Das ist und bleibt eine persönliche Grundeinstellung.

Ich versuche lediglich, aus dem Bild das Beste rauszuholen. Ich arbeite mit Gradationsfiltern, wähle den Ausschnitt des Bildes und helle manchmal Stellen im Bild auf. Das ist die einzige Bearbeitung, die ich einem Bild anheim fallen lasse. Das ist aber eine sehr persönliche Sicht, denn ich denke, dass ich während der Aufnahme schon das im Bild habe, was ich gesehen und gefühlt habe.

Hinterher möchte ich daran nichts mehr verändern, nichts hinzufügen, nichts wegnehmen. Ich möchte zeigen, was in der Realität möglich ist, was zeigbar ist. Ich bin wohl so streng gegen nachfolgende Manipulationen am Bild, weil ich etwas Haltbares in dieser Welt brauche und suche. Man könnte sagen, ich bin ein surrealisitscher Realist, was die fotografische Sprache angeht.

Michael: Ich bewege mich mit meiner Bildbearbeitung eigentlich immer an einer Grenze und das ist auch nötig, weil knapp vor dieser Grenze für mich das optimale Bildergebnis liegt. Aber diese Grenze ist einzig durch meinen eigenen Geschmack und meine Erwartungen an das Ergebnis festgelegt. Für andere ist diese Grenze vielleicht woanders, weil sie, wie Sebastian schon sagt, andere Erwartungen an die Fotografie haben.

Man sollte nur nicht den Fehler machen, die Erwartungen, die man an die eigenen Fotos hat, auch auf die Fotos anderer zu projizieren. An der Stelle entstehen dann oft diese hitzigen Diskussionen. Ich sehe auch oft Fotos, die meine Grenze überschreiten oder so deutlich unterschreiten, dass es mir nicht gefällt. Aber ich halte es da meistens wie Martin und enthalte mich der ungefragten Kritik.

Martin: Was meiner Meinung auch eine gute und respektvolle Haltung anderen gegenüber ist, denn so lasse ich stehen, was mir missfällt und finde dennoch eine eigene Arbeitsweise. Meinung ist wichtig – die Frage ist jedoch, in welchem Rahmen sie geäußert wird.

Sebastian: Vielleicht sollte man sich insgesamt etwas damit zurücknehmen, seinen Geschmack in der Fotografie anderen überzustülpen – das gilt insgesamt und natürlich auch speziell bezüglich der Bearbeitung. Sonst ist man schnell an dem Punkt, dass Leute sich gegenseitig erklären, dass irgendetwas „gar nicht geht“.

Erlaubt ist meiner Meinung nach das, was machbar ist, was ästhetisch oder einfach „gut“ aussieht – was immer das heißt, muss jeder selbst entscheiden – oder das Bild in die Richtung bringt, die ich zeigen mag. Bei Wettbewerben und im journalistischen Kontext gibt es da natürlich Rahmenbedingungen, die man beachten muss – aber in freien Arbeiten? Soll jeder das tun, was er für sich als richtig erachtet, denke ich.


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kwerfeldein diskutiert: Über Kopie, Inspiration und Idee

09 Feb

Vor ein paar Wochen trudelte bei uns folgender Kommentar ein, den wir mal ganz mutig aus dem Zusammenhang reißen und lesen:

„Allein die Flut solcher Bilder im Internet verrät, dass es sich hierbei um ein massenkompatibles Sujet handelt. Mir erschließt sich der Sinn solcher Bilder allerdings nicht so ganz. Was will der Fotograf hier zeigen? Der inflationäre Umgang mit dem Graufilter und das beharren auf einer Schwarzweiß-Wiedergabe stempelt die Aufnahmen für mich als reine Effekthascherei ab. Warum wird hier nicht mal mit Farben, Kontrasten und Perspektiven experimentiert? Zugegeben, es gibt wirklich wenige Fotografen, die auf dem Gebiet der Landschaftsfotografie neue Sichtweisen vermitteln können, aber ewig auf den selben Effekten herumzureiten kann es nun auch nicht sein. Dann lieber mal den Deckel auf dem Objektiv lassen, und einfach nur spazieren gehen.“

Martin: Daraus ergeben sich viele Fragen, denen wir uns in den nächsten Zeilen bewusst ausgesetzt haben: Macht es Sinn, ein Foto zu machen, das in dieser Form schon einmal ungefähr so gemacht wurde? Ist es erstrebenswert, immer nach Neuem zu suchen oder auch legitim, Vorhandendes weiterzutragen? Oder sollten wir doch lieber gleich „den Deckel auf dem Objektiv lassen und einfach nur spazieren gehen“?

Robert: Zuerst einmal finde ich es wichtig, zu verstehen, mit welcher Motivation Menschen Fotos machen. Und vielleicht hilft es auch für die Beantwortung dieser Fragen, einmal die zwanghafte Fotografie-ist-Kunst-Projektion auszublenden.

Frei nach Susan Sontag: Die meisten Leute, die ein Aufnahmegerät bedienen können, fotografieren gar nicht mit dem Drang, zwangsläufig Kunst zu machen.

Wie bei jedem Massenphänomen ist es für die meisten einfach ein Vergnügen oder Teil eines sozialen Ritus und vielleicht auch einfach das Bedürfnis, Erinnerungen festzuhalten, zu sammeln und mit anderen zu teilen.

Dass auf diese Weise verschiedene Fotografen bildinhaltliche Dopplungen erzeugen, ob nun absichtlich oder unbewusst, ist einfach Teil des Massenphänomens, sich mit Bildern über Erlebnisse und Erfahrungen auszutauschen.

Jemandem zu sagen „Mach das Foto nicht, das gibt es schon.“ wäre etwa vergleichbar mit „Halt bloß die Klappe. Den Satz, den Du gerade sagen willst, haben schon 3.972 Menschen vor Dir gesagt.“

Martin: Womit Du die Fotografie mit der alltäglichen Kommunikation vergleichst. Was mir sehr gut gefällt, denn zu solchen Zwecken wird sie ja auch eingesetzt. Und in einem Gespräch wird oft das noch einmal unterstrichen, was vorher jemand anderes gesagt hat.

Dass es sich hierbei nie exakt um das Gleiche handelt, hört man schon an der Stimme. Und diese lässt sich, um den Kreis zur Fotografie wieder zu schließen, auch in der Fotografie wiederfinden. Denn 100% kopieren, das will mit Sicherheit niemand, zumindest nicht auf Dauer. Wie sehen das die anderen?

Normen: Ich finde es grundsätzlich in Ordnung, wenn man während der eigenen Entwicklung in der Anfangszeit versucht, andere Fotografen zu „kopieren“, jedoch sollte man in so einem Fall dann so ehrlich sein und die Quelle der Inspiration mit angeben. Damit können die meisten kopierten Fotografen leben und der Kopierende bricht sich dabei nicht wirklich einen Zacken aus der Krone.

Ist es nicht oft sogar gut, ein ähnliches Foto noch einmal zu machen? So gibt es unzählige Fotos der Golden Gate Bridge, viele davon hätten nicht gemacht werden müssen, andere hingegen sind es absolut wert.

Katja: Normen, klar sind es einige absolut wert. Aber sind das nicht genau die wenigen, die aus einer anderen, selteneren Perspektive fotografiert wurden? Oder bei denen zum Motiv der Brücke noch weitere seltenere Gegebenheiten kommen, wie Nebel oder der Sonnenuntergang? Und damit sind diese wenigen doch keine einfachen Kopien mehr.

Den Versuch, ein Foto 1:1 kopieren zu wollen, kann ich zum Teil nachvollzielen. Es ist sicher eine Herausforderung und man kann dabei etwas über Technik, Licht und so weiter lernen. Was ich nicht verstehe, ist, dass diese Motive dann stolz gezeigt werden.

Und das geschieht sehr oft, wenn ich mir die Communities ansehe. Ich denke da gerade an das Motiv mit dem Ring zwischen zwei Buchseiten, dessen Schatten ein Herz wirft. Das habe ich schon so unglaublich oft gesehen und klicke meist direkt weg, egal wie gut es gemacht ist.

Normen: Da hast Du natürlich recht, dass die besseren Fotos irgendwelche Besonderheiten aufweisen.

Aber in mich hineinblickend kann ich sagen, dass ich es mir wohl kaum verkneifen könnte, ein Foto von der in Nebel gehüllten Brücke zu machen, obwohl ich weiß, dass es Fotografen gibt, die dies schon besser gemacht haben als ich. In dem Moment würde es mir auch nicht in den Sinn kommen, jemanden zu kopieren, da ich gar keine Vorlage zur Kopie im Kopf hätte.

Von daher würde ich jetzt erst einmal die Meinung vertreten, dass es in Ordnung ist, wenn man Fotos macht, die es in ähnlicher Weise schon gibt. Gerade in der Entwicklungsphase ist es sicherlich in Ordnung, sich an anderen Fotos zu orientieren, bevor man sich gar nichts mehr traut und lieber zu Hause bleibt.

Wie sehr beschäftigt Euch eigentlich der Gedanke, etwas Neues zu schaffen?

Martin: Aktuell überhaupt nicht. Ich habe einfach genug damit zu tun, viele gute Fotos zu machen und mir ist es letztendlich egal, wer wie wann wo was schon einmal gemacht hat. Der Vergleich mit anderen war bei mir nach den ersten drei Jahren Fotografieren gegessen, davon habe ich mich bewusst getrennt, weil mich das zu sehr unter Druck gesetzt hat.

Beim Fotografieren auf der Straße nehme ich alles auf, was irgendwie toll aussieht. Da schalte ich den Kopf aus und mache einfach, solange die Konzentration reicht. Hinterher suche ich dann die besten aus. Natürlich kann es sein, dass jemand ein Foto dieser Art schon einmal gemacht hat. Damit habe ich aber kein Problem.

Ich denke sowieso, dass niemand einfach aus sich heraus etwas Neues erschaffen kann. Denn wir sind nun einmal von anderen beeinflusst, ob wir das wollen oder nicht. Zu sagen, man mache etwas „ganz Eigenes“ ist für mich etwas naiv, denn jeder ist inspiriert von der Arbeit anderer und das beeinflusst – wenn auch nur unterbewusst. Und das ist auch gut so, ich finde daran nichts Schlechtes.

Wie würdest Du, Robert, die Frage von Normen beantworten?

Robert: Wenn ich ehrlich bin, steht für mich selbst gar nicht im Vordergrund, zwanghaft etwas Neues zu schaffen. Gut zu sampeln, das heißt, Vorbilder* zu sammeln, sie anders zu mischen, über Lücken und Brüche mithilfe der eigenen Vorstellungskraft hinweg zu improvisieren und so insgesamt etwas zu schaffen, womit ich selbst zufrieden bin, ist eigentlich alles. Fotografie ist Jazz. Nebenbei bemerkt ist auch dieser Satz nur geliehen.

* Hier wäre eigentlich „Vorideen“ ein angemessenerer Begriff als Vorbilder. Gerade die Inspiration aus fotofremden Bereichen ist mitunter würziger als die Wurst aus der eigenen Brühe.

Ich finde übrigens Katjas Bildbeispiele für den Ring, der einen herzförmigen Schatten auf die Seiten eines aufgeschlagenen Buches wirft, sehr interessant. Nicht wegen des Bildes selbst, sondern eher, weil Katja hier anhand eines Begriffes (der wiederum als Idee auf einem Bild basiert) relevantes Material aus den Datenbanken (hier: Flickr und Fotocommunity) herausgefiltert hat.

Die auf verfügbare Daten anwendbare Suchfunktion ist also das technische Hilfsmittel, das uns überhaupt erst zu erkennen ermöglicht, dass es viele solche sich ähnelnde Bilder gibt. Ich finde die Überlegung interessant, ob wir uns die eingangs gestellte Frage auch gestellt hätten, wenn es dieses technische Hilfsmittel nicht geben würde. Vielleicht führt das jetzt aber auch zu weit…

Normen: Vermutlich hätten wir anders argumentiert. Überlegt doch mal, wie lange das Internet erst als Instrument der Verbreitung genutzt wird. 15 Jahre? 20 Jahre? Weitergedacht werden in den kommenden 50 Jahren noch unfassbar viele Fotos gemacht werden und man wird immer mehr den Eindruck gewinnen, dass es alles schon gegeben hat und man nichts Neues mehr macht.

Ich denke auch, dass es oftmals auch eine Sache des Geldes ist, vorhandene (neue) Ideen umzusetzen. So würden sicherlich viele Fotografen gern Fotos mit einem Aufwand ähnlich wie bei Gregory Crewdson machen und so mancher Landschaftsfotograf würde sicherlich gern einen Helikopter haben, um andere Perspektiven zu bekommen.

Ich denke, dass man in seinem Sujet die Fotos einfach mit Liebe und Leidenschaft machen sollte. Diese Herangehensweise führt dann dazu, dass man eine eigene Bildsprache entwickelt und möglicherweise dann auch als Vorbild für andere dient.

Katja: Das klingt, als wären wir uns alle einig. Jeder soll fotografieren, was er möchte, auch gern dasselbe Motiv. Und wenn die „Inspiration“ einverstanden ist, darf man das Bild auch veröffentlichen. Warum auch immer man das möchte. Dieser Teil erschließt sich mir nach wie vor nicht.

Wurde denn schon einmal jemand von Euch auf irgendeine Art und Weise kopiert?

Robert: Naja, Katja, ich verstehe schon, dass es Dich verwundert, wenn mehrere Autoren das augenscheinlich gleiche Bild machen und dann stolz das Resultat auch (mit)teilen, womöglich noch so als wäre es auf ihrem eigenen Mist gewachsen. Die Motivation dafür steht, denke ich, kaum in irgendeinem nachvollziehbaren Zusammenhang mit dem Bild selbst.

Wenn man das Kopieren als legitim akzeptieren möchte, kommt es, finde ich, entscheidend darauf an, was eigentlich kopiert wird – ein Bild oder eine Idee?

Der massenhaft wiederholten Kopie eines Bildes kann man schnell überdrüssig werden, wie wir am Beispiel des Herzschattens schon festgestellt haben. Hingegen eine Idee zu kopieren, ist schwieriger und im direkten Vergleich mitunter weniger offensichtlich.

Und um nun endlich den Bogen mit einer Antwort auf Deine Frage zu schließen, Katja: Ja, es kam schon vor, dass Bilder, die ich gemacht habe, in technischer Weise imitiert wurden, wobei ich allerdings merke, dass meine Idee dahinter gar nicht verstanden wurde. Der „Look“ ist ähnlich, aber das „Warum“ fehlt. Respekt zolle ich Bildern, die mit einem Verständnis für das Warum ihrer Vorbilder diese kreativ nutzen und neu interpretieren.

Martin: Ja, auch von mir wurden schon Bildideen übernommen, ein und dasselbe Bild „kopiert“ hat aber noch niemand – und das geht technisch auch nicht, außer jemand klaut das Foto und setzt es bei sich in den Stream – was auch schon passiert ist.

In gewisser Weise bin ich jedoch davon überzeugt, dass wir alle kopieren, wenn auch nicht bewusst. Wir übernehmen einen Stil, eine Idee, eine Pose, eine Art, zu sehen und und und. Ich glaube, niemand kann von sich behaupten, etwas gänzlich Neues zu schaffen – denn wir alle sind in einem Netz (Web) von Menschen, die uns inspirieren.

Der Herzschatten ist ein gutes Beispiel dafür, wie Menschen imitieren. Bücher und Ringe sehen eben fast alle gleich aus, aber mit offener Blende Menschen auf der Straße fotografieren, da unterscheiden sich auch nur die Menschen und der Hintergrund – auch, wenn jedes Bild anders aussieht.

Wie gesagt: Ich finde es schwierig, hier von „klauen“ oder „kopieren“ zu sprechen, denn keiner ist eine Insel, wie schon Thomas Merton sagte.

Normen: Wenn man sich nun einmal umschaut, gibt es eigentlich in allen Richtungen, in denen etwas geschaffen wird, eine Art Epoche, also einen Stil, der für einen bestimmten Zeitraum besonders bevorzugt wurde. Sei es in der Architektur, der Malerei oder in der Musik; überall finden wir ähnliche Werke, die unweigerlich durch Inspirationen entstanden sind. Ich kann Martin also nur Recht geben. Es ist nicht möglich, sich nicht inspirieren zu lassen, selbst wenn man es nicht möchte.

Martin: Ich kenne ganz gut von mir selbst, dass mir das Streben nach Originalität manchmal sogar im Wege stand. Früher habe ich dann manchmal lieber gar kein Foto gemacht, als eines, das ich in dieser Form schon einmal gesehen hatte. Daraus entstand dann ein destruktiver Druck, der, zumindest was die Kreativität anbelangt, ein Schuss in den Ofen war. Kennt Ihr das auch? Oder läuft es bei Euch einfach?

Katja: Ich habe mir bisher keinen Druck bezüglich der Originalität gemacht, aber einige Ideen verworfen, wenn ich sie ähnlich öfter gesehen habe. Zum Beispiel gab es vor Kurzem viele kreative Portraitbilder, bei denen Mehl oder farbiges Pulver verwendet wurden.

Nachdem ich das erste Foto damit gesehen hatte, fand ich es großartig und überlegte, wie man dieses Pulver noch verwenden könnte. Die Tage darauf sah ich aber immer mehr dieser Bilder und verlor die Lust an dieser Idee; ja, sogar die Lust an den Fotos, die mich zu Beginn so faszinierten.

Versteht mich nicht falsch, ich finde Wiederholungen nicht an sich schlecht. Dass „I follow rivers“ von Triggerfinger gecovert wurde, ist großartig, denn die „Kopie“ ist viel besser als das Original. Aus „Covern“ kann auch in der Fotografie etwas Anderes und für mich Besseres, Interessanteres entstehen.

Vielleicht nimmt man sich mit dem Originalitätsdenken doch mehr Möglichkeiten als man manchmal denkt.

Robert: Ja, das sehe ich auch so. Wobei das Streben nach Authentizität und Originalität an sich erst einmal nichts Schlechtes ist. Es sollte nur nicht die oberste Direktive für das eigene Schaffen sein. Zu leicht baut man sich sonst einen Turm aus den Erwartungen eines ausgedachten Publikums und immer wieder Ausreden, um der eigentlichen Arbeit auszuweichen.

Und Martin, um auf Deine Frage einzugehen: Abgesehen davon, dass ich solche Situationen nur selten erlebe, gibt es, finde ich, überhaupt keinen Grund, ein Foto nicht zu machen, weil ich mich in diesem Moment an ein bereits existierendes Bild erinnere. Es kann ja auch sehr reizvoll sein, bewusst und unbefangen ein schönes Zitat zu erstellen, ohne sich zu ängstlich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob eine Kopie nun legitim ist oder nicht.

Man lernt auch nicht beim Nachdenken über seine Möglichkeiten, sondern beim Machen. Und virtuelle Ausreden zu konstruieren, weshalb man jetzt gerade nicht fotografieren sollte, ist nichts als hinderlich.

Martin: Da stimme ich Dir zu, Robert.

Und an dieser Stelle übergeben wir das Wort an unsere Leser. Wie seht Ihr das? Könnt Ihr unseren Gedanken folgen? Wo habt Ihr eine anderen Standpunkt? Wir sind gespannt und lesen mit.


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kwerfeldein diskutiert: Wie man (k)ein guter Fotograf wird

11 Jan

Liebe Leser, nachdem wir nun unsere erste Diskussion erfolgreich – ich würde schon fast sagen: – überstanden haben, wollen wir gleich ansetzen und die nächste nachschieben. Heute befassen wir uns mit den Mitteln und Wegen, um ein guter Fotograf zu werden – oder auch nicht. Darüber zerbrechen sich wohl seit Existenz der Fotografie Fotografen den Kopf. Und so auch wir.

Martin:
Na, dann wollen wir mal. Es gibt tonnenweise Bücher von und mit Fotografen, die ihre Theorien und Ansichten darüber präsentieren, was eine gute Entwicklung an der Kamera unterstützt. Was findet Ihr dahingehend essentiell?

Sebastian:
Es gibt ja nicht nur die ganzen Bücher. Sondern auch Tonnen von Foren, Webseiten, Blogs und so weiter und so fort, die alle dasselbe Ziel ausgeben: Wir erklären Dir, wie Du ein besserer Fotograf wirst. Ich würde das in drei Ebenen trennen. Einmal die technische Seite in der Theorie, die kann man sicherlich irgendwie aus Texten lernen. Aber eben nur theoretisch.

Dann die technische Seite in der Praxis, die kann man nur lernen, indem man so viel fotografiert wie möglich und zwar nicht nur irgendwelche Testbilder. Und das dritte, was ich eigentlich noch viel wichtiger finde, ist Bildaufbau, Komposition, Motivfindung. Das lernt man nicht aus Büchern, denke ich. Sondern, indem man sich einfach sehr viele Fotografien genau anguckt.

Aileen:
Punkt vier würde ich ergänzen bzw. aus Deinem Punkt drei noch erweitern: Das ist die Findung von Ideen und Konzepten für Fotos. Man muss meiner Meinung nach auch das lernen bzw. sein Gehirn, seine Wahrnehmung, seine unterbewusste Inspirationsmaschine auf die Fotografie einstellen. Das greift sicherlich in das technische und kompositorische Lernen hinein, weil man dann Erfahrungswerte hat, was als Foto gut aussehen wird und was nicht.

Aber noch grundsätzlicher ist das Finden einer Idee an sich, die mit Fotos (gut) umsetz- und transportierbar ist oder nicht. An den Grenzen gibt es dann Übergänge zu Fotomanipulation, Collagen, Mixed Media, Illustration, Malerei, Video, Text und so weiter.

An dem Punkt wird es aber genau genommen auch speziell, denn nicht für jedes Genre der Fotografie braucht man ausgefallene Ideen. Einige haben an dieser Stelle andere besondere Anforderungen wie die Recherche über besondere Orte und Wetterverhältnisse oder Erkundung von Lebensräumen und Gewohnheiten von Pflanzen und Tieren, um nur einige zu nennen.

Andererseits stellt sich dabei die grundlegende Frage: Wenn ich ein guter Fotograf werden will – welches Ziel habe ich? Star-, Berufs-, Hobby- oder künstlerischer Fotograf? Nur für mich, auch für andere oder möchte ich damit Geld verdienen? Je nachdem entstehen andere Schwerpunkte.

Martin:
Dazu kommt auch noch, dass Fremd- und Eigenwahrnehmung selten übereinstimmen, sondern weitklaffend auseinanderliegen. Fotografen großartiger Portfolios finden sich so lala und so mancher Einsteiger sieht sich schon neben Karl Lagerfeld in „Wetten dass…“. Ach ja, ganz oft werden manche Fotografen wie die liebe Vivian Maier erst lange nach ihrem Tod bekannt. Und das ist nur eines von vielen Beispielen.

~

Wir für uns könnten „guter Fotograf“ ja so definieren: Maximum der eigenen Leistungsfähigkeit. Nun stellt sich die Frage: Wie komme ich da hin? Eins haben wir ja schon festgehalten, nämlich die Praxis hinter der Kamera. Ausnahme: Menschen, die sich selbst portraitieren, die sind nämlich auch davor. Doch es gibt noch viele andere Punkte, die hinzukommen, wie die folgende Frage, die generell im Unterbewusstsein viele Einsteiger eher Steine in den Weg wirft, als dass sie behilflich ist:

Denkt Ihr, dass Talent in diesem Kontext eine (große oder kleine) Rolle spielt?

Sebastian:
Ich glaube generell nicht so sonderlich an dieses ominöse Konzept Talent – auch wenn ich bei Fotografen, Musikern oder Künstlern, die ich bewundere, immer mal wieder dieser Idee vom Originalgenie, dem alles in die Wiege gelegt wurde, verfalle und mir vorstelle, wie genial derjenige sein Zeug einfach leichthändig umsetzt. In der Realität ist es wohl endloses Training und Training und Wiederholung.

Anders gesagt: Wenn ein Fotograf einer breiteren Öffentlichkeit das erste Mal auffällt, dann hat der meistens schon X Jahre Lern- und Übungszeit auf dem Buckel, in der er sicherlich auch viel Mist gebaut hat, das darf man nie vergessen, wenn man dann wieder über so ein Portfolio stolpert, bei dem man ein Bild besser als das andere findet.

So etwas wie absolute Naturtalente gibt es wohl in keinem Bereich, Säuglinge kommen ja nicht auf die Welt und fangen direkt instinktiv das Fotografieren an. Was ich aber schon glaube, ist, dass man in die falsche Richtung üben kann. Wer nur die Technik übt, aber nicht den Rest, der wird wohl eher kein guter Fotograf.

Marit:
Ich möchte den „guten Fotografen“ nicht nur so definieren wie Martin es beschreibt, sondern auch: Maximum der eigenen Leidensfähigkeit. Denn die gehört für mich dazu. Ich sehe das eher aus der emotionalen Ecke. Technik ist dann eher zweitrangig, man muss sie lediglich beherrschen. Eine Fotografie muss ja fesseln, den Betrachter anhalten, etwas zu fühlen.

Somit muss ein guter Fotograf auch mit Talent gesegnet sein. Talent definiere ich aber nicht damit, von Geburt an mit einer bestimmten Gabe ausgestattet zu sein, sondern eher über die Jahre dazuzulernen, in welcher Sparte auch immer. Im fotografischen Sinne setze ich da emotionale Intelligenz mit voraus, Situationen also richtig einzuschätzen, im richtigen Moment abzudrücken.

Oder auch Kommunikation mit Menschen, wenn es sich um Portraitfotografen handelt. Ich denke da vor allem gerade an Sally Mann. Der Fotograf ist mehr als die Summe seiner Teile, um mal mit Phrasen um mich zu werfen.

Aileen:
Ich denke, Talent spielt eine enorme Rolle. Ich habe sowohl schon Bilder gesehen, die gefesselt haben, obwohl die Technik nicht beherrscht wurde oder die Bildidee ganz einfach die technischen Möglichkeiten der verwendeten Kamera gesprengt hat und Fotografen, die unfassbar schnell unfassbar geniale Bilder gemacht haben.

Allerdings auch Bilder von Menschen, die schreiben, dass sie z.B. seit zehn Jahren intensiv fotografieren, die Ergebnisse sahen aber eher aus wie erste Versuche. Gut möglich, dass letztere solche sind, die Sebastian damit meint, dass man in die falsche Richtung üben kann, aber ich habe das bisher immer fehlendem Talent zugeschrieben.

Man kann auch hier mal andere Disziplinen als Vergleich betrachten: Kann man es lernen oder üben, gute Romane zu schreiben, Bilder zu malen oder Comics zu zeichnen? Auch da kann man die beschriebenen Phänomene finden und sich überlegen, ob man es Talent, Üben oder Lernen zuschreiben würde.

Martin:
Würdest Du, Aileen, dann sagen, dass Talent allein ausreicht und die Ausführung nur der Herstellung der Fotografie dient?

Aileen:
An der Frage selbst erkennt man ja eigentlich schon, dass Talent allein nicht (immer) ausreicht, denn erst durch die Herstellung der Fotografie kann man das Bild aus dem eigenen Kopf der Welt zugänglich machen. Es mag auch Menschen geben, die sogar das Talent für die Technik haben und sie spielend bedienen, aber ich schätze, dass die meisten nur das Talent für Ideen oder das Talent zum Lernen haben.

Marit:
Was ich noch interessant finde ist, inwieweit das äußere Umfeld mit dem Ausbilden von Fähigkeiten zu tun hat. Oder ganz anders gefragt: Was nimmt unsere Gesellschaft als Talent wahr und fördert diese? Ich sehe oft viele Bilder, da sage ich mir, der oder die könnte diese Bilder ebenfalls präsentieren, würde aber niemals in einer Ausstellung hängen. Ist das Prädikat „Talent“ also eher eine Feststellung von außen als von einem selbst?

Sebastian:
Aileen, kennst Du diese These von dem Psychologen Dr. K. Anders Ericsson, dass man so ungefähr 10.000 Stunden Übung braucht, um auf einem Gebiet wirklich gut zu werden? Ich finde das ziemlich einleuchtend und wenn ich es so denke, dann fällt der Punkt „Talent“ für mich eher raus. Talent ist dann vielleicht eher die Fertigkeit auf anderen Gebieten, die auch dazugehören, Vorstellungskraft zum Beispiel.

Oder Talent ist die Vorliebe, sich mit einer Sache auseinander zu setzen, so dass man auch wirklich mit Leidenschaft übt. Aber dieses von irgendwoher zum Himmel hereingefallene Talent mag ich bezweifeln. Wenn, dann kommt es meiner Meinung nach, wie Marit auch sagt, auf das Umfeld und die entsprechende Förderung an. Wenn Eltern oder Freunde fotografieren, dann entwickle ich möglicherweise eher ein Interesse daran.

Aileen:
Ich meine, von der These schon einmal gehört zu haben. Damit müsste ich mich jetzt tiefergehender beschäftigen. Vielleicht würde es meine bisherige Einschätzung zum Thema Talent ändern – diese ist ja auch nur eine persönliche Theorie ohne Rückhalt durch eine wissenschaftliche Untersuchung.

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Martin:
Schön, dass hier auch eigene Standpunkte überdacht werden. Gibt es für Euch denn Fotografen, von denen Ihr sagen würdet: „Der hat es geschafft und ist mir ein Vorbild“?

Marit:
Einen Namen habe ich ja schon genannt – Sally Mann. Mit ihrer Arbeit über ihre Familie hat sie es geschafft, sichtbar zu werden, indem sie eine alte Technik verwendet, um die Dichte von Nähe und Vertrauen zu verbildlichen. In einer Gesellschaft, in der es um Zeitersparnis geht und familiäre Kälte leider zum Dasein gehört, war das für mich ein fotografischer Urknall.

Aileen:
In meinem Sichtfeld sind unglaublich viele Vorbilder, ich könnte mich da nicht auf einen oder auch nur wenige Namen festlegen. Auf verschiedenen Plattformen folge ich einer fast unüberschaubaren Anzahl von Fotografen und Künstlern, die meisten von ihnen haben es in meinen Augen geschafft, einen sehr eigenen Stil zu entwickeln, der mich auf die eine oder andere Art fesselt. Immer wieder schade zu sehen ist leider, dass natürlich nur wenige davon es „geschafft“ haben im Sinne eines größeren Durchbruchs.

Martin:
Immer wieder spannend ist für mich auch die Frage des Systems oder Umfeldes, in das die Person hineingeboren wird. Ein Mensch, dessen Vorfahren künstlerischen Interessen folgten, wird viel früher mit diversen Elementen aufwachsen, als andere. Nicht selten wachsen aus Musikerfamilien auch Musiker heran, die einen Durchbruch schaffen. Dazu kommt natürlich auch die Zeit, in der jemand lebt. All das mitzubedenken finde ich signifikant, auch wenn klar ist, dass bisher kein Meister vom Himmel gefallen ist.

Mir wurde erst Jahre nach seinem Tod bekannt, dass mein Vater früher leidenschaftlich fotografiert hat und ich fand Kinderaufnahmen von mir, die mich ins Staunen gebracht haben. Weiter war er in jungen Jahren bis ins Alter Organist, Pianist und hatte eine große Liebe zur Klassik.

Sind Eure Eltern oder Großeltern künstlerisch unterwegs? Könnt Ihr da einen Zusammenhang sehen?

Sebastian:
Meine Eltern haben früher sehr viel fotografiert und sind beide auch in künstlerischen Berufen unterwegs. Mein Vater macht sehr viele handwerkliche Sachen, meine Mutter schreibt beruflich und privat.

Das spricht wohl ein bisschen gegen die vorherige Ansicht, dass es kein Talent gibt, allerdings erkläre ich mir das damit, dass ich halt von früh an irgendwie mit Dingen wie Schreiben und photographieren zu tun hatte. Man wächst da natürlich viel leichter rein, wenn die Tätigkeit schon im eigenen Umfeld etabliert ist, wohl gerade in der Kindheit.

Und irgendwann guckt man sich um, wer sonst so photographiert und findet “Vorbilder” oder eher Bilder, die einen sehr beeindrucken. Was ist spannend finde, ist die Rolle des Internets in dem Zusammenhang. Früher konntest Du Dich eben nur mit Eltern, Freunden vergleichen oder mit Photographen aus Büchern und Zeitschriften, aber die waren irgendwie gefühlt ganz weit weg. Heute ist man auf Plattformen mit sehr, sehr vielen sehr guten Photographen unterwegs. Ist natürlich die Frage, ob das ein Fluch oder Segen ist.

Aileen:
Meine Eltern waren auch beide als Kinder und Jugendliche kreativ, meine Mutter hat gemalt und gezeichnet und mein Vater hat dazu auch noch fotografiert. Die Frage, ob etwas durch Erziehung bzw. Gewöhnung durch Umgang im Alltag oder Vererbung beeinflusst wird, ist eine sehr interessante, ganz allgemeine Frage, die nicht nur in der Kreativität, sondern auch bei so explosiven Themen wie Intelligenz, Gewalt und Geschlecht eine Rolle spielt.

Das führt jetzt eventuell zu weit, aber ich lese gerade ein Buch („Das unbeschriebene Blatt“ von Steven Pinker) dazu, nachdem ich über eine kurze TV-Serie aus Norwegen (hier der erste Teil) gestolpert bin, die die inzwischen weit verbreitete These in Frage stellt, nach der wir alle mit den gleichen Möglichkeiten auf die Welt kommen und vor allem die Erziehung bestimmt, was aus uns wird.

Martin hat ja auch gesagt, dass er von den Fotografien seines Vaters erst spät erfahren hat. Meine Eltern habe ich auch nie selbst bei der kreativen Arbeit erlebt. Jetzt kann man sich auf so etwas zurückziehen wie ein ominöses Mitschwingen von Kreativität im Alltag, aber ein einfacher nachzuvollziehender Mechanismus ist die Vererbung von künstlerischen Tendenzen via der Gene.

Abgesehen davon, dass es einen vielleicht etwas beruhigt, dass man selbst und sein Umfeld weniger Einfluss als gedacht auf die eigene Kreativität haben, ist es für die Praxis als Fotograf aber wohl eher von untergeordneter Wichtigkeit, ob das vorhandene Talent durch Vererbung oder Erziehung entstanden ist. Außer, man wirft deswegen die Flinte ins Korn, weil man denkt, dass dadurch alles bereits vorbestimmt und keine Verbesserung mehr möglich sei – so ist es ja auch nicht.

Martin:
Oder man fällt darauf herein, zu glauben, man selbst hätte das alle ganz alleine geschafft – was ich in so manchem Unterton von denen, die sich gern als Profis profilieren. heraushören kann.

Interessant finde ich in diesem Kontext auch die Frage, ob ein guter Fotograf zwangsweise als ein solcher erkannt werden muss. Es gibt in der Geschichte der Kunst und Musik unzählige Fälle, in denen die Brillanz und das Können eines Kreativen zu Lebzeiten nicht wahrgenommen oder als solche in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. Und dann gibt und gab es Menschen, denen die Öffentlichkeitsmeinung völlig egal ist, wie das wohl derzeit bekannteste Beispiel Vivian Maier zeigt.

~

Zu guter Letzt haben wir in unserer Diskussion die Frage nach der Technik interessanterweise ausgespart. Zufall? Welche Rolle messt Ihr der technischen Qualität einer Ausrüstung bei?

Marit:
Ganz ehrlich? Keine besonders große. Der Geist hinter eine Sache ist entscheidend. Ob der Genius mit einer Plattenkamera, dem iPhone oder einer digitalen Spiegelreflexkamera unterwegs ist, hängt dann eben von den jeweiligen Vorlieben oder Möglichkeiten ab.

Aileen:
Oder eben dem Zufall, in welcher Situation und Stimmung jemandem etwas in die Hand gefallen ist. Dann bleibt man vielleicht dabei, obwohl man auch mit anderen Mitteln könnte. Völlig egal, solange man damit funktioniert.

Sebastian:
Die Technikfrage finde ich auch nicht wichtig, aber auch nicht ganz irrelevant. Natürlich kann man mit jeder Kamera richtig gute Bilder machen, aber die Technik zu beherrschen, ist schon wichtig, das ist wie mit den Regeln, die man kennen sollte, damit man sie brechen kann. Selbst wenn man nur mit dem iPhone fotografiert, wie Du bei Deinem letzten Projekt, Martin, dann muss man ja wissen, was man damit anstellen kann und was nicht. Das ist ein Lernprozess, der geht wieder über Übung.

Martin:
Welche Mittel und Wege habt Ihr eigentlich genutzt, um Euch fotografisch weiterzubilden? Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich zu Beginn unzählige Bildbearbeitungsvideos verschlungen, Podcasts gehört und Blogs gelesen habe. Außerdem habe ich fotografiert wie blöd (haha). Wie war das bei Euch?

Marit:
Ich war ganz egoistisch und habe mir einen Freund geangelt, der selbst Filme entwickelt hat. Von dem habe ich so gut wie alles gelernt, was ich heute über’s Entwickeln, Belichten und Komponieren weiß. Im Gedächtnis ist mir da vor allem das dunkle Bad und die Entwicklerdose geblieben, vor der ich einen riesigen Respekt hatte. Ich hatte Angst, etwas falsch zu machen, aber mit der richtigen Hilfestellung und der Möglichkeit, selbst zu hantieren, habe ich sehr viel mitgenommen.

Sebastian:
Bei mir waren das am Anfang ein bisschen meine Eltern, vor allem aber endlos viele Tutorials, Zeitschriften und vor allem auch diese schrecklichen Fotoforen, in die ich heute keinen digitalen Fuß mehr setzen würde. Was technische Sachen angeht, erzählen die Dir alles, was Du über jedes x-beliebige Objektiv wissen kannst.

Auf 300 Seiten Threads mit unzähligen nutzlosen Streitgesprächen dazwischen. Das hilft Dir dann zwar auch nicht weiter, weil Du dann immer noch keine Bilder gemacht hast, aber Du hast wenigstens das Gefühl, etwas gelernt zu haben. Fotografieren wie blöd, wie Martin das sagt, war und ist bei mir auch das Einzige, was wirklich funktioniert hat.

Aileen:
Ich denke, ich habe mich nie aktiv fotografisch weitergebildet. Ich habe einfach Fotos gemacht, Fotos von anderen angeschaut und eigentlich auch immer Fotos überall gezeigt, da bekommt man ja automatisch eine Rückmeldung der Betrachter. Irgendwann habe ich mal ein oder zwei Bücher über Fotografie (also Anleitungen) gekauft, aber die stehen ungelesen im Schrank.

Da hat ein guter Bildband mehr Chancen, angeschaut zu werden. Vielleicht fehlte mir da der Ehrgeiz, die technische Seite sofort vollständig zu beherrschen. Ich wollte eigentlich nur kreativ sein, mich ausdrücken, schöne Bilder machen. Dass ich das am besten machen kann, indem ich es einfach mache, war für mich selbstverständlich.

Martin:
So geht es mir heute auch. Ich kaufe mir zehn Mal lieber einen guten Bildband und denke darüber nach, wie das Bild wohl entstanden ist, anstatt mir zig Erklärungen durchzulesen. Jedoch war ich früher sehr dankbar über Fotografen, die alles bis ins kleinste Detail erklärten, da kam ich mir nicht ganz so doof vor.

~

Diese Fotografen waren für mich im wahrsten Sinne des Wortes „Vorbilder“ und ich habe eine lange Zeit versucht, so zu fotografieren, wie sie bzw. ist die Inspirationsdichte anderer Fotografen auch heute noch sehr hoch bei mir. Kennt Ihr das auch oder habt Ihr schon immer frei Schnauze drauflos fotografiert?

Sebastian:
Ich hatte das auch. Unendlich viele Bildbände geguckt, wirklich viel im Netz gesurft und irgendwann wurde mir dann zumindest klar, welcher Stil mich interessiert oder wirklich reizt. Da sind auch einige ganz konkrete Fotografen dabei, die in diese Richtung gehen, deren Arbeiten ich auch heute noch verfolge.

Ich denke, das gehört aber auch dazu, wenn man langsam einen eigenen Stil entwickeln will: Verstehen, was einem gut gefällt, was man gerne machen will (das können ja durchaus auch unterschiedliche Sachen sein) und dann erst einmal langsam lernen, da hinzukommen, auch durch Vorbilder. Aber natürlich nicht irgendwen kopieren, sondern sich davon ausgehend selbst finden.

Aileen:
Bei mir habe ich eher den umgekehrten Effekt beobachtet, dass meine Bilder den Arbeiten von anderen Fotografen stilistisch viel zu ähnlich sind. Da schlägt bei mir immer wieder der Anspruch durch, etwas Eigenes zu machen. Das war schon kurze Zeit, nachdem ich mit dem Fotografieren angefangen hatte so und ist auch jetzt noch so.

Zwischendurch fotografiere ich dann, habe Ideen oder denke auch mal wieder, dass es mir eigentlich egal ist, solange es mir Spaß macht. Aber diese innere Rebellion hat mich immer wieder vorangebracht, auch wenn ich nicht von heute auf morgen vollkommen eigenständige Arbeiten auf die Beine stelle.

Und wie seht Ihr das?


kwerfeldein – Fotografie Magazin

 
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kwerfeldein diskutiert: Bildkritik

24 Oct

Liebe Leser, wir haben uns mal wieder etwas Neues ausgedacht. Im Folgenden werdet Ihr eine Dikussion zu lesen bekommen, die vier Redakteure – Martin, Holger, Aileen und Sebastian – untereinander zum Thema Bildkritik geführt haben.

Nun ist die Sache mit der Bildkritik nicht so leicht abzuhandeln, wie Euch zu erklären, wie die Blende funktioniert. Bildkritik ist komplex und es gibt viele Einflüsse, die darauf einwirken, ob und wie die Kritik angenommen wird und zu einer positiven Veränderung seitens des Kritisierten führt, wie Ihr in den folgenden Zeilen erfahren werdet.

~

Holger: Ja die Sache mit der Kritik. Mich nervt eigentlich eine Sache am meisten: Viele Leute meinen, dass sie aufgefordert sind, eine Kritik abzugeben, nur weil ein Foto veröffentlicht worden ist. Wenn ich mal von mir ausgehe, frage ich Leute direkt nach Kritik. Ich schicke beispielsweise einen Link an Aileen und frage direkt, ob sie etwas anders machen würde. Dann ist Kritik natürlich erwünscht und in solchen Fällen kommt eigentlich auch immer vernünftige, konstruktive Kritik zurück. Was bei anonymer Kritik leider selten der Fall ist.

Martin: Da würde ich Dir gleich mal widersprechen. Denn: Wenn Du keine Kritik möchtest, kannst Du ja die Kommentarfunktion ausschalten. Ein Stück weit provoziert eine Publikation im Netz die Rückmeldung. Ob und wie die ausfällt, kommt darauf an, wer sie formuliert und wo sie formuliert wird.

Auf einigen Plattformen wirst Du fast keine Kritik finden (zum Beispiel bei Instagram und Flickr), wohingegen Blogs einen wesentlich persönlicheren Bezug schaffen, worauf auch Leser persönlicher reagieren. Dass die Qualität der Feedbacks oft sehr unterschiedlich und nicht gewinnbringend formuliert ist, da stimme ich Dir zu.

Sebastian: Das mit der Kommentarfunktion sehe ich genau so. Will ich keine Kritik, dann schalte ich sie ab. Ich würde aber sogar noch einen Schritt weiter gehen: Für mich selbst finde ich sogar die negativste Kritik immer am besten – denn daraus kann man in vielen Fällen tatsächlich etwas lernen und mitnehmen, solange es nicht nur Pöbelei ist.

Das kommt natürlich darauf an, wie sensibel man selbst im Bezug auf seine Arbeit ist, aber am Ende geht es ja meist nur um ein einzelnes Foto, da kann man schon mal verkraften, wenn einem jemand klar macht, dass das jetzt eigentlich nur ein gewöhnliches Urlaubsbildchen oder Haustierfoto ist. Jedenfalls ist es mir tausend Mal lieber, jemand findet ein Bild mit Begründung richtig scheiße, als dass jemand nur „Tolles Foto!!1“ drunterschreibt.

Martin: Du sprichst einen guten Punkt an, Sebastian: Distanz und Nähe zum Geschaffenen. Beides ist meiner Meinung nach wichtig – und zwar in einem ausgewogenen Verhältnis. Wer jede Kritik als persönlichen Angriff wertet, wird es schwer haben, Kritik gewinnbringend verwerten zu können.

Wen es im Gegensatz dazu gar nicht interessiert, was das Gegenüber kommentiert, hat einfach nichts davon. Auch das macht die Kommunikationsschleife überflüssig. Und das sagt einer (ich), der Kritik jahrelang sehr persönlich genommen hat und heute eher auf der anderen Seite vom Pferde fällt.

Aileen: Ich finde es schwer, alle Menschen und Fotos bei dem Thema über einen Kamm zu scheren und so allgemeine Aussagen wie „wer Kommentare zulässt, der muss auch die Kritik annehmen“ zu treffen. Ob ich Kommentare möchte, welcher Art sie sein dürfen und welche Distanz ich zu einem veröffentlichten Foto habe, ist doch oft eine sehr vielschichtige Frage meiner grundlegenden Persönlichkeit, meiner allgemeinen Stimmungslage, den Faktoren, unter denen ein Foto entstanden ist und nicht zuletzt, in welcher Phase meiner fotografischen Entwicklung ich mich befinde.

Meiner Meinung nach ist es zu engstirnig, zu sagen: Kommentare offen = Kritik erwünscht. Teilweise können Kommentare nicht einmal abgeschaltet werden. Darf ich meine Fotos auf Facebook nicht veröffentlichen, wenn ich sie nur zeigen möchte? Warum sollte ich nur die Wahl haben zwischen gar keinen Kommentaren oder allen, die ich gar nicht will? Das ist mir zu schwarzweiß.

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Martin: Was ist eigentlich eine gute Kritik? Was meint Ihr? Oder lässt sich das so gar nicht festlegen?

Aileen: Meistens wird darunter ja konstruktive Kritik verstanden, also Stärken der Aufnahme benennen, aber auch Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen, wo man sie sieht. Das kann sich auf die technische, aber auch auf die konzeptionelle Seite beziehen. Es wird nur, wie ich angedeutet hatte, zu oft vernachlässigt, was der Fotograf überhaupt möchte. Gut möglich, dass man gar keine für beide Seiten „gute“ Kritik abgeben kann, weil der Fotograf gar keine möchte.

Holger: Genau das meine ich ja. Ich bin eigentlich in den meisten Fällen von den Fotos, die ich veröffentliche, überzeugt. Das soll allerdings nicht heißen, dass ich mich für den tollsten Fotografen halte. Aber mich interessiert es eigentlich nicht besonders, was XY anders oder in seinen/ihren Augen besser machen würde. Wenn ich mir bei einem Foto nicht sicher bin, dann frage ich, wie gesagt, jemanden. Von daher ist für mich eine gute Kritik nur möglich, wenn auch darum gebeten wurde.

Sebastian: Eine gute Kritik ist für mich immer eine, die mir eine neue Perspektive auf meine eigene Arbeit bringt, würde ich sagen. Deswegen denke ich auch, dass eine Kritik, die von einer Person kommt, die etwas ganz anderes macht als ich und die ich gar nicht kenne, durchaus ein Gewinn sein kann. Weil ich dadurch eventuell einen ganz neuen Blick auf meine eigenen Sachen bekomme, den ich selbst vielleicht gar nicht bekommen kann, selbst wenn ich mich anstrenge.

Ob und wie man diese Kritik dann annimmt und umsetzt, ist ja dann wieder noch mal eine ganz andere Geschichte. Ganz persönlich eher langweilig finde ich rein technische Kritik, aber auch aus der kann man durchaus oft etwas lernen.

Martin: Das mit der neuen Perspektive gefällt mir, Sebastian. Rückblickend darf ich sagen, das die härtesten Kritiker meiner Bilder im Netz mich auch am weitesten gebracht haben. Auch, wenn der Moment erstmal schmerzhaft und komisch ist und ich (fast jedes Mal) dachte: „Was für ein Penner.“ So mancher Kotzbrocken verhalf mir dazu, mich dann dennoch insgeheim zu fragen, ob vielleicht doch etwas dran ist.

Zwar macht ein harter Kommentar nicht gleich einen guten aus, aber irgendwann habe ich angefangen, drüber nachzudenken. Doch auch der polemischste Kommentar hatte meist ein Argument und wenn das bei mir ins Schwarze traf, habe ich mich hinterfragt. Und das verhalf mir zu neuen Sichtweisen. Mittlerweile nehme ich Kommentare nur noch sehr selten persönlich und das hilft mir ungemein, den verwertbaren Inhalt herauszufiltern und den Rest einfach stehenzulassen.

Aileen: Was können wir nun eigentlich mitnehmen, außer der Erkenntnis, dass es ganz unterschiedliche Erwartungshaltungen an Kritik gibt, die noch dazu meistens nicht ersichtlich sind, weil weder der ausstellende Fotograf noch der kritisierende Leser eine Gebrauchsanweisung mitgeben?

Sebastian: Das ist ein ganz guter Punkt, Aileen, den ich bisher auch noch nicht so gesehen habe. Da jede Community und jedes Blog andere Regeln für die Bildkritik hat, jeder einzelne Fotograf und jeder einzelne Kritiker ganz andere Erwartungen und Interpretationen, ist es vielleicht wirklich so, dass man am Ende nur mitnehmen kann: „Feste Regeln gibt es nicht.“

Für mich ist jede Kritik eine gute Kritik, danach und davon abgelöst kommt dann erst die Frage: Nehme ich das an, was der Kritiker schreibt oder geht es an meiner eigenen Intention für dieses Bild total vorbei? Wenn man die zwei Sachen trennt, dann ist man vielleicht auch nicht persönlich angegriffen von einer eher negativen Kritik.

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Martin: Drehen wir den Spieß doch mal um: Habt Ihr schon einmal eine Bildkritik im Netz geschrieben? Und wenn ja: (Wie) wurde diese angenommen?

Holger: Gute Frage! Wenn ich es mir so recht überlege, kommentiere ich meistens nur, wenn mir ein Bild gut gefällt und meist auch nur bei Leuten, die ich kenne und bei denen ich mir ungefähr denken kann, wo sie mit dem Bild hin wollten. Ich kritisiere eigentlich nur, wenn ich auch gefragt werde.

Das könnte man jetzt natürlich so auslegen, dass ich damit nur meinen Standpunkt untermauern möchte. Mir ist das aber erst jetzt gerade bewusst geworden. Frei nach: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die Du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Martin: Ich antworte mir mal selbst: Bisher habe ich nur bei Leuten ihre Bilder kritisiert, wenn ich wie Du, Holger, darum gebeten wurde oder wusste, dass es in Ordnung geht. Für mich ist es wichtig, dass die Zeit, die ich mir nehme, auch wirklich lohnenswert ist. Meist wurde die Kritik positiv aufgenommen oder auch nicht darauf reagiert.

Hier ist es auch interessant, wo ich das getan habe: Auf Instgram noch nie, auf Flickr ab und an und auf Blogs des Öfteren. Dazu kommt: Die Fotografen, die ich doof finde (und die ich eigentlich kritisierenswert finde), habe ich nicht wirklich in Sichtweite.

Die Fotos von einem sehr bekannten Fotografen gefallen mir beispielsweise (inhaltlich und vom Stil her) gar nicht, aber exakt aus diesem Grund verfolge ich seine Arbeiten auch nicht, was wiederum verhindert, dass ich eine Beziehung zu ihm aufbaue, in der Kritik von meiner Seite erwünscht oder respektiert würde. Ein Teufelkreis. Wen kritisierst Du, Aileen?

Aileen: Als ich vor ein paar Jahren anfing, mich mit Fotografie zu beschäftigen, war ich in einer kleinen deutschen Community für Fotografie unterwegs, in der ausgiebig jeder jedem konstruktive Kritik schrieb. Um die Grundregeln zu lernen, war das super, wenn einen jemand darauf hinwies, dass das Wasser gleich aus dem Bild fließt, weil der Horizont schief ist und was man sonst so am Anfang falsch macht, weil man den Blick dafür noch nicht entwickelt hat.

Da habe ich später selbst auch sehr viele ausführliche Kritiken geschrieben, weil der Rahmen dort stimmte. Leider kam aber vermehrt zurück, dass konstruktive Kritik nicht gewünscht ist – „Ich wollte das so.“ – und auch ich selbst habe immer mehr Bilder gemacht, bei denen oft Dinge beinahe reflexartig kritisiert wurden, die ich aber absichtlich eingesetzt habe oder die ich als Geschmackssache bezeichnen würde. Man wollte unbedingt etwas kritisieren und hat dadurch Bilder auch mal „totgeschaut“ und kaputt-analysiert.

Inzwischen kritisiere ich kaum noch so ausführlich. Nur, wenn ich das Gefühl habe, dass die Kritik auch ankommt oder jemand explizit welche wünscht. Und ich sehe auch immer weniger Bilder, die einer Kritik bedürfen, weil ich – wie du schon sagtest, Martin – heute viel stärker filtere, was ich überhaupt zu sehen bekomme.

Sebastian: Die Frage finde ich superwichtig, um zu gucken, wie und wo man Schwerpunkte bei der Bildkritik setzt. Einfach mal bei seinen eigenen Kritiken anfangen. Wie viele andere war ich auch einige Zeit in einem großen Fotoforum unterwegs, als ich anfing, mich mit ernsthafterer (Digital-)Fotografie auseinanderzusetzen. Und ich habe viel kritisiert und viele ausführliche Kritiken an den Stellen geschrieben, an denen die auch „eigentlich“ gewünscht wurde.

Aber ich habe relativ schnell gemerkt, dass zwar andere Leute, die mitgelesen haben, meine Kritiken sehr gut fanden, aber selten der jeweilige Fotograf. Der fühlte sich direkt angegriffen und stellte auf „Verteidigungsmodus“, wenn man tatsächlich etwas anderes sagte, als dass man die Fotos richtig super findet. Deswegen habe ich es dann irgendwann komplett gelassen, was ich eigentlich schade fand, weil es doch interessant ist, sich mit Fotografien in verschieden Aspekten tiefer auseinanderzusetzen.

~

Martin: Gehen wir mal davon aus, dass der Rahmen stimmt. Jemand schreibt mir oder Dir, dass er gern eine Meinung zu einem Bild haben möchte und auch bereit ist, jegliche Kritik über sich ergehen zu lassen. Wie geht Ihr vor?

Holger: Ich glaube, vernünftig kritisieren kann man eigentlich nur, wenn man sich auch mit dem Fotografen ernsthaft beschäftigt. Am besten im Dialog. Was nützt es, wenn ich Dinge kritisiere, die der Fotograf exakt so gewollt hat? Ich muss die Intention und das Umfeld des Fotografen kennen.

Ein gutes Beispiel ist der Kommentar von Brigitte zu meinem Artikel „Am Ende des Sommers“. Im Prinzip hätte ich gar nicht darauf antworten müssen, aber ich fand es dermaßen daneben, dass sie sich Dinge über mich ausgedacht und daraus eine Kritik abgeleitet hat, mich am Ende sogar belehren wollte, dass ich einfach etwas dazu schreiben musste.

Um auf Deine Frage zu antworten: Es erfordert natürlich etwas Mühe, aber man sollte mit dem Fotografen, der kritisiert werden möchte, in einen Dialog treten und erst einmal herausfinden, was er denn überhaupt wollte. Dann kann man gemeinsam darüber sprechen, ob sein Ziel erreicht wurde oder nicht.

Aileen: Ich gehe meistens nicht vor, wie Holger es vorschlägt, sondern finde es oft genug auch spannend, eine Kritik von einem außenstehenden Standpunkt zu verfassen. Diese ist beileibe nicht neutral, kann dem Fotografen aber auch interessante Einblicke darin geben, wie seine Arbeit von jemandem gesehen wird, der sich nicht in seine anderen Bilder reingefühlt hat.

Ich sehe das aber eindeutig nur als Puzzleteil neben Meinungen von persönlich bekannten Menschen und anderen, die mit der restlichen Arbeit vertraut sind. Und nicht immer ist so eine Art Kritik sinnvoll, das ist mir bewusst, kann aber Impulse geben.

Bei der inhaltlichen Seite der Kritik schreibe ich erst einmal alles auf, was mir auffällt, formuliere es dann aus, ordne gegebenenfalls nach verschiedenen Gesichtspunkten wie Komposition/Konzept oder der Wichtigkeit. Beim Schreiben fällt mir dann oft noch etwas auf oder mir werden Zusammenhänge im Bild klar, dann formuliere ich wieder um. Wichtig finde ich, sich ernsthaft länger mit einem Bild zu beschäftigen und sorgfältig zu formulieren, um möglichst umfassend zu sein und nicht nur einen Aspekt „hinzurotzen“, der einem als erstes auffällt.

Holger: Ja, das ernsthafte und ordentliche Auseinandersetzten mit einem Bild finde ich ganz besonders wichtig. Natürlich hat man einen ersten Impuls: Gefällt mir. Gefällt mir nicht. Aber darum geht es ja bei Kritik eigentlich überhaupt nicht. Und ich denke, durch das längere Auseinandersetzten mit einem Bild kann man auch besser über den eigenen Geschmack hinwegsehen.

Sebastian: Sehe ich genauso, auch wenn ich den ersten Impuls nicht unter den Tisch kehren würde. Der kann ein Hinweis auf den eigenen, subjektiven Geschmack sein. Wenn man das Bilder aber „objektiv“ bewerten will (falls es so etwas in der Kritik denn überhaupt gibt), dann sollte man sich ein bisschen mit dem Fotografen auseinandersetzen, sofern die Möglichkeit dazu da ist.

Also gucken: Was macht der denn sonst für Bilder? Ist das ein Bild, das in einer Reihe auftaucht? Was ist sein sonstiger Stil? Welchen Ansatz der Fotografie verfolgt er? Je nach Kontext kann eine Arbeit schon eine ganz andere Wirkung oder Ästhetik haben, das sieht man ja auch in der Kunstgeschichte: Ich nenne nur mal das bekannte Stichwort „Ready-mades“, bei denen eher der Kontext und der theoretische Hintergrund die Kunst ausmacht.

Das ist natürlich ein Extrembeispiel, aber ich finde schon, dass der konzeptuelle Ansatz mindestens die Hälfte eines guten Bildes ausmacht. Die andere Hälfte ist dann die technische Umsetzung. Wobei sich die beiden natürlich aufeinander auswirken, also nicht wirklich 50/50. Ein billiges Tittenfoto bleibt ein billiges Tittenfoto, auch wenn es technisch herausragend ist und ein super Konzept wird leider doch nichts, wenn die technische Umsetzung richtig unterirdisch ist.

Was ich mich aber manchmal frage: Beeinflusst die Kritik der anderen Leute meine eigene Wahrnehmung? Wenn jetzt ein Foto auf Facebook 2000 Likes hat und der Fotograf ein Superstar ist: Gucke ich das dann mit anderen Augen an?

Martin: Das kommt darauf an, welches Gewicht Du den 2000 Likes beimisst und der Frage, ob jemand Superstar ist. Das kann dann theoretisch in beide Richtungen gehen: Die Fans finden jedes Foto ihres Sternchens awesomer als alles andere. Und Leute, die Stars und Likes nicht ausstehen können, finden so ein Foto grundsätzlich bemeckernswert, gerade weil es ihr Interesse (nicht: ihre Meinung zum Bild) ist, einen Gegenpol zum kreischenden Mob zu bilden. Daraus ergibt sich dann oft ein Interessenkonflikt, der sich ganz und gar nicht mehr um die Fotos dreht, sondern darum, ob der geneigte Betrachter jetzt dafür oder dagegen ist.

Grundsätzlich finde ich es gut, Likes und Bekanntheitsgrad eines Fotografen frech auszublenden und sich nur das Bild (und auch die anderen Werke) anzusehen. Dann stellt sich die Frage, die hier schon aufgeworfen wurde: Was möchte die fotografierende Person konzeptuell kommunizieren? Und wie Du, Sebastian, schon angerissen hast, hängen oft Konzept und Ausführung eng verzahnt zusammen. Ich muss jedoch sagen, dass mir selten ein richtig gutes Konzept mit einer richtig beschissenen Umsetzung begegnet ist oder umgekehrt. Eine gute Konzeptionierung setzt bereits voraus, dass der Fotograf sein Handwerkszeug kennt und es einzusetzen weiß.

Was mir, um den Bogen wieder zur Sicht des Fotografen zu spannen ein-, beziehungsweise auffällt, ist der gute alte Watzlawick: „Mann kann nicht nicht kommunizieren.“ Das gilt auch für die Fotografie. Jedes Bild sendet eine Botschaft. Natürlich sendet sie nicht eine Botschaft, sondern viele, aber jedes Bild spricht.

Somit ist es nicht verwunderlich, dass Menschen „zurücksprechen“ und in Dialog treten. Da man mit Fotos nicht reden kann, sprechen die Menschen mit demjenigen, der das Bild gemacht hat. Dass das manchmal ordentlich in die Hose geht, steht außer Frage. Aber das passiert täglich auch dort, wo keine Rechner stehen und Hans-Theo meint, dass ihm der Pullover von Else aus irgendeinem Grunde nicht gefällt.


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